Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
G r ü n d e:
2Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 16 Fällen sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 53 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten mit Bewährung verurteilt und die sichergestellten Betäubungsmittel (10,08 g Kokain; 1,76 g Haschisch) eingezogen. Es hat festgestellt:
3"Im Zeitraum von Februar 1995 bis Juli 1996 hatte der Angeklagte Kontakt zu Zuhälterkreisen, wo ihm auch Kokain angeboten wurde. In mindestens 10 Fällen erwarb er mindestens 1 Gramm Kokain zum Grammpreis zwischen 100,-- und 120,-- DM von einem Dealer namens Y. Von einem weiteren Dealer namens J. erwarb er in mindestens 6 Fällen Kokain zum Grammpreis von jeweils 150,-- DM. In 5 Fällen handelte es sich um 2 Gramm Kokain und in einem Fall um 6 Gramm Kokain. Darüber hinaus war der Angeklagte am 01.06. 1996 im Besitz von 10,08 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffanteil von 87,6 % und einem Stück Haschisch im Gewicht von 1,76 Gramm."
4Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt, die er in der Hauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft "auf das Strafmaß" beschränkt hat. Das Landgericht hat die Beschränkung für wirksam erachtet und die Berufung verworfen.
5Im Berufungsurteil wird zu den persönlichen Verhältnissen mitgeteilt, daß der Angeklagte, von Beruf Fabrikarbeiter mit ca. 3.500,-- DM/Monat Nettolohn, verheiratet ist und vier Kinder im Alter zwischen 3 1/2 und 10 Jahren hat. Abgesehen von einer Verurteilung aus dem Jahr 1995 wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu (jetzt bezahlter) Geldstrafe und Fahrerlaubnissperre ist der Angeklagte strafrechtlich nicht aufgefallen.
6Zur Rechtsfolgenseite wird ausgeführt:
7"Bei der Strafzumessung war zu berücksichtigen, daß der Angeklagte diese Taten der Polizei am 01.06. 1996 freiwillig offenbart hat, wobei er die sichergestellten 10,08 Gramm Kokain und die 1,76 Gramm Haschisch übergab. Zudem hat der Angeklagte damals Angaben gemacht, die dazu beitrugen, daß die Tat über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus aufgedeckt werden konnte, indem ein der Polizei bis dahin nicht bekannter Händler von Betäubungsmitteln identifiziert werden konnte. Weiter war zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, daß er durch spätere zusätzliche Angaben zur Aufklärung von Falschgelddelikten beigetragen hat. Dementsprechend konnte die Strafe für die 16 Fälle des unerlaubten Erwerbs gemäß § 31 Nr. 1 BtMG gemildert werden, so daß ein Strafrahmen von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren und neun Monaten zur Verfügung stand. Ein Absehen von Strafe für diese Taten war nicht möglich. Dem stand die hohe Anzahl von 16 Einzeltaten entgegen als auch der nicht unerhebliche Tatzeitraum...Hinzu kommt ferner, daß die... erworbenen Kokainmengen sich kontinuierlich gesteigert haben...Unter Berücksichtigung aller...Tatumstände sind die verhängten (Einzel-) Freiheitsstrafen von zwei Monaten für den Erwerb von jeweils ein Gramm Kokain, drei Monaten für den Erwerb von jeweils zwei Gramm Kokain und vier Monaten Freiheitsstrafe für den Erwerb von sechs Gramm Kokain schuld- und tatangemessen. Angesichts der Vielzahl der Taten über einen längeren Zeitraum mit sich steigernder Intensität war auch unter Berücksichtigung von § 47 StGB die Verhängung von Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich.
8Hinsichtlich der Tat vom 01.06. 1996 scheidet eine Anwendung von § 31 BtMG aus; denn der dem § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG unterfallende Besitz einer nicht geringen Menge von Heroin (richtig: Kokain) war bei der Offenbarung durch den Angeklagten bereits vollendet, so daß sie nicht mehr verhindert werden konnte. Nach den Gesamtumständen wertet die Kammer diese Tat jedoch als einen minder schweren Fall, so daß von einem Strafrahmen von Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren auszugehen war. Angesichts des Umstands, daß diese Tat am Ende einer sich steigernden Straftatenreihe stand, konnte es nicht bei der...Mindeststrafe bleiben. Eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten ist...tat- und schuldangemessen.
9Bei nochmaliger Würdigung...entspricht die ... Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten dem Unrechtsgehalt der Taten..."
10Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge.
11Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg. Es führt gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz zum Zwecke der neuen Verhandlung und Entscheidung über die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung.
12Mit Recht ist die Strafkammer davon ausgegangen, daß der Angeklagte seine Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil wirksam auf die Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt hat (§ 318 Satz 1 StPO). Bedenken gegen die Wirksamkeit sind nicht angebracht. Die Feststellungen des Amtsgerichts zum Schuldspruch bilden insgesamt eine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung (vgl. Senat VRS 77, 452; Kleinknecht-Meyer-Goßner a.a.0. § 318 Rn. 16 m. w. N.). Die Frage, ob und inwieweit der Angeklagte Aufklärungshilfe im Sinne von § 31 Nr. 1 BtMG geleistet hat, betrifft nicht den Schuldumfang, sondern nur die Rechtsfolgenseite (vgl. Körner, BtMG, 4. Aufl., § 31 Rn. 66 m.w.N.). Fehlerhafte Ausführungen dazu berühren die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung nicht.
13Die hiernach vom Landgericht allein zu treffende Rechtsfolgenentscheidung hält der materiell-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
14Das Berufungsgericht hat für die 16 Fälle des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln Einzelfreiheitsstrafen von zehnmal zwei Monaten (Erwerb von je 1 Gramm Kokain), fünfmal drei Monaten (Erwerb von je 2 Gramm Kokain) und einmal vier Monaten (Erwerb von 6 Gramm Kokain) festgesetzt. Nach § 47 Abs. 1 StGB verhängt das Gericht eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen. Als Ausnahme von der Regel (vgl. Tröndle a.a.O. § 47 Rn. 1 m.w.N.) muß die Festsetzung der Freiheitsstrafen, seien es Einzel- und/oder Gesamtstrafen, im Urteil nachvollziehbar begründet werden (§ 267 Abs. 3 Satz 2 StPO). Dem Urteil muß sich somit nachprüfbar entnehmen lassen, weshalb der Tatrichter die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB bejaht hat. Daran fehlt es hier. Das Urteil enthält keine hinreichenden Angaben dazu, aufgrund welcher Umstände die Verhängung von Freiheitsstrafe gegen den bislang strafrechtlich nur geringfügig und überdies nicht einschlägig in Erscheinung getretenen Angeklagten "unerläßlich" sein soll.
15Davon, daß Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten, d.h. aus spezialpräventiven Gründen (vgl. Tröndle a.a.O. § 47 Rn. 4), unverzichtbar sei, geht die Strafkammer selbst nicht aus. Da sich der Angeklagte, obwohl keine akute Entdeckungsgefahr bestand, aus freien Stücken der Polizei gestellt, seine Taten bekannt und die restlichen Betäubungsmittel abgeliefert hat, läßt sein Verhalten auf echte Reue, Einsicht und Umkehr schließen mit der Folge, daß eine Einwirkung mit dem Ziel, den Angeklagten durch Freiheitsstrafe zu beeindrucken und ihn von weiteren Verfehlungen ähnlicher Art abzuhalten, ersichtlich nicht mehr geboten ist.
16Das Landgericht meint aber, Freiheitsstrafe sei zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich. Hier kommt es darauf an, welche Bedeutung die festgestellten Taten und Taten dieser Art als Verletzung der Rechtsordnung vor allem für den Rechtsgüterschutz haben, inwieweit Wiederholungs- und "Ansteckungsgefahr" besteht und wie die Allgemeinheit auf etwaige Geldstrafen reagiert (vgl. Tröndle a.a.O. § 47 Rn. 5 m.w.N.). Dazu enthält das Urteil keine nachvollziehbaren Erwägungen. Soweit die Unerläßlichkeit damit begründet wird, daß der Angeklagte über längere Zeit eine Vielzahl derartiger Delikte begangen habe, ist anerkannt, daß die (hohe) Anzahl verwirklichter Taten nicht stets Zeichen einer zu Lasten des Täters zu berücksichtigenden starken kriminiellen Energie sein muß, sondern daß die wiederholte Verwirklichung gleichartiger, in engem zeitlichen , sachlichen und situativen Zusammenhang stehender Taten, namentlich wenn sie sich -wie hier- über einen längeren Zeitraum erstrecken, auch Ausdruck einer von Tat zu Tat geringer werdenden Hemmschwelle sein kann (vgl. BGH StV 1995, 173, 174; 1994, 424; 1993, 302; BGHR StGB § 54 Nr. 1; SenE vom 09.09. 1997 -Ss 507/97-). Aufgrund des Nachtatverhaltens des Angeklagten, der, um von seiner Sucht loszukommen und "reinen Tisch" zu machen, aus eigenem Entschluß, ohne Anstoß von außen oder Überführungsdruck, seine Verfehlungen gestanden, die noch in seinem Besitz befindlichen Drogen der Polizei abgeliefert und aktive Aufklärungshilfe zur Überführung eines Rauschgifthändlers geleistet hat, steht überdies nicht zu befürchten, daß der von ihm praktizierte Drogenerwerb und -konsum, dem im Ergebnis solche nachteiligen Konsequenzen anhaften, von anderen als nachahmenswert aufgefaßt werden könnte. Auch liegt auf der Hand, daß die Allgemeinheit Verständnis dafür aufbringen wird, wenn jemand, der sich aus freien Stücken mit allen Konsequenzen vom Drogenkonsum lossagt und maßgeblich zur Überführung eines Drogenhändlers beiträgt, nur mit Geldstrafe davonkommt. Da die Strafkammer diese Gesichtspunkte -namentlich den der Aufklärungshilfe- nicht mit der gebührenden Vollständigkeit im Rahmen einer Gesamtwürdigung abgewogen, sondern einseitig Tatzeitraum und -häufigkeit in den Vordergrund gestellt hat, ist die Entscheidung, für die 16 Fälle des Drogenerwerbs jeweils kurze (Einzel-) Freiheitsstrafen unter 6 Monaten festzusetzen, lückenhaft und daher nicht frei von Rechtsfehlern. Denn gerade bei der Prüfung der Unerläßlichkeit im Sinne von § 47 StGB hat die gemäß § 31 BtMG geleistete Aufklärungshilfe erhebliches Gewicht.
17Soweit es die für den Besitz einer nicht geringen Menge Kokain verhängte (Einzel-) Freiheitsstrafe von 6 Monaten angeht, sind die Zumessungserwägungen gleichermaßen zu beanstanden. Das Landgericht hat § 31 BtMG hier für nicht anwendbar gehalten, weil der Besitz schon vollendet gewesen sei und durch die Offenbarung des Angeklagten nicht mehr habe verhindert werden können. Diese Begründung ist nicht tragfähig. Nach § 31 Nr. 1 BtMG kann das Gericht auch im Falle des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2 StGB), wenn der Täter durch freiwillige Offenbarung seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, daß die Tat über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus aufgedeckt werden konnte. Es ist daher nach dem Gesetzeswortlaut nicht erforderlich, daß durch die Aufklärungshilfe die Vollendung der Tat verhindert wird. Dementsprechend hat das Landgericht selbst für die ebenfalls vollendeten 16 Erwerbstaten den nach § 31 Nr. 1 BtMG i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB gemilderten Strafrahmen zugrundegelegt. Möglicherweise wollte die Strafkammer mit der oben genannten Formulierung lediglich zum Ausdruck bringen, daß der Angeklagte über die Herkunft der in seinem Besitz gefundenen 10,08 Gramm Kokain keine näheren Angaben gemacht habe und sich deshalb nicht darauf berufen könne, in bezug auf diese Rauschgiftmenge eine Aufklärungshilfe geleistet zu haben. Daß diese Annahme zutrifft, kann dem Urteil indes nicht mit der gebotenen Deutlichkeit entnommen werden. Vielmehr bleibt unklar, ob und inwieweit die Aufklärungshilfe, die der Angeklagte den Feststellungen der Strafkammer zufolge u.a. durch Benennung von Drogenhändlern geleistet hat, gerade auch den geschichtlichen Vorgang umfaßt, der bei ihm zum Besitz der 10,08 Gramm Kokain geführt hat (vgl. zum Tatbegriff des § 31 BtMG: BGH NJW 1991, 1840 = NStZ 1991, 290 = StV 1991, 262). Infolgedessen kann nicht beurteilt werden, ob das Landgericht dem Angeklagten die Strafrahmenmilderung aus § 31 Nr. 1 BtMG im Hinblick auf den unerlaubten Besitz der nicht geringen Menge Kokain mit Recht versagt hat. Da es unabhängig von der Frage der Aufklärungshilfe einen minder schweren Fall (§ 29 a Abs. 2 BtMG) angenommen hat, wäre bei Anerkennung der Aufklärungshilfe auch in Ansehung des unerlaubten Besitzes (§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) eine weitere Strafrahmenmilderung in Betracht gekommen (vgl. § 50 StGB). Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Ausnutzung einer weiteren Milderungsmöglichkeit zur Verhängung einer geringeren Einzelstrafe geführt hätte.
18Der Rechtsfolgenausspruch hält nach allem insgesamt der materiell-rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Sache ist daher gemäß § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsfolgen unter Beachtung der oben dargelegten Grundsätze an die Vorinstanz zurückzuverweisen.