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Gründe:
2Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen "fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 18 Abs. 1, 69 a StVZO i. V. m. § 24 StVG" zur Zahlung eines Bußgeldes in Höhe von 150,00 DM verurteilt.
3Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am Abend des 25.3.1996 mit seinem Pkw öffentliche Straßen in B.. Bei einer Kontrolle wurde festgestellt, daß an diesem Fahrzeug Reifen der Größe 235/45 ZR 17 montiert waren. Diese Reifengröße war nicht im Kraftfahrzeugschein eingetragen; dort waren lediglich Reifen der Größen 250/60 R 15, 185/65 R 15 und 215/45 ZR 17 zugelassen.
4Der Betroffene hat geltend gemacht, er habe sich zur Tatzeit mit den frisch montierten Reifen auf der Rückfahrt aus der Werkstatt befunden. Die fehlende Eintragung im Kraftfahrzeugschein, bei der es sich um eine reine Formalität handele, habe anläßlich eines extra für diesen Zweck für den nächsten vorgesehenen TÜV-Termins nachgeholt werden sollen.
5Hierzu hat das Amtsgericht die Auffassung vertreten, diese Einlassung vermöge den Betroffenen nicht zu entlasten. Das von ihm gefahrene Fahrzeug dürfe "nur mit den Reifengrößen, die im Fahrzeugschein aufgeführt sind, betrieben werden". Für eine andere Reifengröße besitze "dieses Fahrzeug keine Zulassung". Dementsprechend sei für dieses Kfz, was der Betroffene bei ausreichender Überlegung auch hätte erkennen können, die Betriebserlaubnis erloschen gewesen, "weil das Fahrzeug an wesentlichen, der Verkehrssicherheit dienenden Teilen entscheiden verändert" worden war.
6Gegen dieses Urteil richtet sich der Zulassungsantrag des Betroffen, mit dem die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
7Die gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassende Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge (vorläufigen) Erfolg.
8Das angefochtene Urteil ist materiell-rechtlich unvollständig und deshalb rechtsfehlerhaft. Dieser Rechtsfehler beruht - wie sich aus der Begründung des Amtsgerichts ergibt - offenkundig darauf, daß das Gericht die Neuregelung des § 19 Abs. 2 StVZO noch nicht hinreichend beachtet hat, so daß die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG geboten ist, um eine einheitliche Rechtsprechung zur Frage des Erlöschens der Betriebserlaubnis sicherzustellen.
9Das Amtsgericht hat darauf abgestellt, durch die Benutzung einer nicht eingetragenen Reifengröße seien Teile des Fahrzeugs verändert worden, was zum Erlöschen der Betriebserlaubnis geführt habe. Diese Argumentation stützt sich erkennbar auf § 19 Abs. 2 StVZO a. F. wonach eine gemäß § 18 StVZO grundsätzlich erforderliche Betriebserlaubnis regelmäßig dann erlosch, wenn Fahrzeugteile willentlich verändert wurden, deren Beschaffenheit vorgeschrieben war, oder deren Betrieb eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer verursachen konnte (vgl. zur früheren Rechtslage: Jagusch/Hentschel Straßenverkehrsrecht, 32. Aufl., § 19 StVZO Rdnr. 6 u. 12 ff.). Diese Regelung ist jedoch durch die 16. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 16. Dezember 1993 (BGBl I, S. 2106) neu gefaßt worden (vgl. dazu schon Hentschel, Die Entwicklung des Straßenverkehrsrechts im Jahr 1993, NJW 1994, 696 ff. (697/698)). In der seit dem 1.1.1994 gültigen Fassung bestimmt § 19 Abs. 2 StVZO n. F. nunmehr, daß die Betriebserlaubnis nur erlischt, wenn Änderungen vorgenommen werden, durch die
101. die in der Betriebserlaubnis genehmigte Fahrzeugart geändert wird,
112. eine Gefährdung von Verkehrsteilnehmern zu erwarten ist, oder
123. das Abgas- oder Geräuschverhalten verschlechtert wird.
13Der Gesetzgeber hat durch diese Neuregelung einerseits in Ziffern 1 und 3 die Gründe für ein Erlöschen der Betriebserlaubnis ergänzt, andererseits jedoch durch Ziffer 2 die frühere weiterreichende Regelung bewußt eingeschränkt (vgl. Hentschel a. a. O.). Die amtliche Begründung (vgl. BR-Dr. 629/93, S. 17) führt zu letzterem aus, es erscheine auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Mittel bedenklich, eine so einschneidende Rechtsfolge wie das Erlöschen der Betriebserlaubnis für das Fahrzeug schon dann eintreten zu lassen, wenn durch eine Änderung lediglich Beschaffenheitsvorschriften der StVZO berührt werden, ohne daß gleichzeitig auch eine Gefährdung der Verkehrssicherheit zu erwarten sei. Nach der Neufassung reicht daher weder die Veränderung von Fahrzeugteilen, deren Beschaffenheit vorgeschrieben ist, noch die bloße Möglichkeit einer Gefährdung von Verkehrsteilnehmern durch Umbaumaßnahmen aus, um die Betriebserlaubnis erlöschen zu lassen. Erforderlich ist vielmehr, daß durch die nachträgliche Veränderung mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer geschaffen wird (std. Senatsrechtsprechung, vgl. Beschluß vom 28.3.1995 -Ss 77/95 (Z) =NStZ 1995, 587 (bei Janiszewski); siehe auch Beschlüsse vom 25.7.95 -Ss 365/95 (Z)- und vom 12.12.95 -Ss 652/95 (Z)-; OLG Düsseldorf NZV 1995, 329 f.; NZV 96, 40 f.; NZV 96, 249; siehe auch Hentschel, a. a. O.; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 33. Aufl., § 19 StVZO Rdnr. 8 u. 13). Auch wenn dies keineswegs die Feststellung einer konkreten Gefährdung voraussetzt (vgl. dazu zutreffend OLG Düsseldorf NZV 96, 249 im Anschluß an die (unberechtigte) Kritik von Kreutel/Schmitt (NZV 96, 41 f.) gegenüber dem Beschluß des OLG Düsseldorf vom 25.7.1995 (NZV 1996, 40 f.)), so ist es nach der gesetzliche Neuregelung doch notwendig, daß Behörden und Gerichte jeweils für den konkreten Einzelfall ermitteln, ob die betreffende Veränderung eine Gefährdung von Verkehrsteilnehmern nicht nur möglich erscheinen, sondern erwarten läßt (vgl. SenE, a. a. O., siehe auch Hentschel, Die Entwicklung des Straßenverkehrsrechts im Jahre 1994, NJW 1995, 627 f.). Entgegen der hiergegen in der Literatur geäußerten Kritik (vgl. Kreutel/Schmitt a. a. O.)bedeutet eine solche am Willen des Verordnungsgebers, der aus Gründen der Verhältnismäßigkeit einer Einschränkung der früheren Regelung für geboten gehalten hat (vgl. amtl. Begründung a. a. O.), orientierte Interpretation der Neufassung des § 19 Abs. 2 StVZO auch nicht "weitgehend das "Aus" für die polizeiliche Überwachung dieser Vorschrift" (vgl. Kreutel/Schmitt, a. a. O., S. 42). Richtig ist, daß dadurch eine schematische Anwendung von Übersichtstabellen ausgeschlossen wird (vgl. SenE, a. a. O.). Nicht verkannt werden darf allerdings, daß solche Übersichten (vgl. Beispielkatalog des Bundesministers für Verkehr, VkBl 1994, 159 ff.; abgedruckt auch bei Jagusch/Hentschel, a. a. O., § 19 StVZO Rdnr. 12) ohnehin nicht den Charakter einer Rechtsverordnung haben und deshalb auch unter der früheren Gesetzesfassung für die Gerichte weder verbindlich noch erschöpfend waren (vgl. BGHSt 32, 16 ff.). Ebenso wie die Bedeutung solcher Auslegungshilfen (vgl. zum Begriff BGH, a. a. O.) für die frühere Gesetzeslage daher nicht überbewertet werden darf, dürfen die den Behörden nach der Neufassung der Verordnung verbleibenden Regularien nicht unterschätzt werden. Hinzuweisen ist dabei schon auf § 19 Abs. 2 Satz 4 StVZO in dem ausdrücklich auf die Regelung des § 17 Abs. 3 StVZO verwiesen wird. Danach kann die Verwaltungsbehörde die Beibringung eines Sachverständigengutachtens oder die Vorführung des Fahrzeuges auf Kosten des Fahrzeughalters anordnen, wenn Anlaß für die Annahme besteht, daß infolge von Veränderungen die Betriebserlaubnis erloschen ist (vgl. Jagusch/Hentschel, a. a. O., § 19 StVZO Rdnr. 6; Lütkes/Meier/Wagner/Emmerich, Straßenverkehr, Bd. I 3, § 19 StVZO Rdnr. 1 (zu § 19 Abs. 2 a. E.)). Außerdem kommt bei der Veränderung von Teilen, deren Beschaffenheit vorgeschrieben ist, ein Verstoß gegen die betreffende Beschaffenheitsvorschrift oder gegen § 31 Abs. 2 StVZO in Betracht (vgl. Jagusch/Hentschel, a. a. O., § 19 StVZO Rdnr. 8). Für die Praxis ist die Ahndung von
14Verstößen gegen §§ 18 ff. StVZO somit zwar schwieriger geworden, weil jeweils eine konkrete Einzelüberprüfung vorzunehmen ist. Häufig werden die erforderlichen Feststellungen auch die Mithilfe eines technischen Sachverständigen erfordern (vgl. SenE, a. a. O.; OLG Düsseldorf NZV 96, 249; Hentschel, a.a.O., NJW 95, 627). Keineswegs bedeutet dies jedoch, daß deswegen zukünftig die polizeiliche Überwachung dieser Rechtsnorm nicht mehr zu gewährleisten ist. Vielmehr gilt es im Interesse der Erhaltung eines möglichst hohen Sicherheitsstandards für eine strikte Einhaltung der Vorschrift Sorge zu tragen. Den durch die Neuregelung aufgeworfenen Erschwernissen hat der Verordnungsgeber durch Zurverfügungstellung von neuen Kontrollmöglichkeiten teilweise bereits Rechnung getragen; teilweise ist auf bereits früher geltende weniger einschneidende Regelungen zurückzugreifen (s. o.). Die verbleibenden Schwierigkeiten sind zwangsläufige Folge der aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gewollten Einschränkung der früheren Gesetzesfassung. Dieser Wille des Verordnungsgebers ist von Verwaltungsbehörden und Gerichten gleichermaßen zu akzeptieren.
15Die Feststellungen des Amtsgerichts zum Erlöschen der Betriebserlaubnis entsprechen den dargelegten Grundsätzen nicht. Das Gericht hat Tatsachen, die die Erwartung einer Gefährdung von Verkehrsteilnehmern rechtfertigen könnten, weder ausdrücklich mitgeteilt noch lassen sich solche aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe entnehmen. Dabei hätten entsprechende Ausführungen vorliegend auch schon deswegen nahe gelegen, weil die Benutzung nicht eingetragener Reifen anderer Größen nach dem oben erwähnten Beispielkatalog des Bundesverkehrsministers (a. a. O.) im Regelfall nicht zum Erlöschen der Betriebserlaubnis führen soll.
16Gemäß § 79 Abs. 6 OWiG war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an die Abteilung des Amtsgerichts, die das angefochtene Urteil erlassen hat, zurückzuverweisen. Es war dem Senat nicht möglich, in der Sache selbst zu entscheiden. Für eine
17Verurteilung fehlt es bislang an jedweder Tatsachengrundlage. Ein Freispruch kommt derzeit ebenfalls nicht in Betracht, weil nicht auszuschließen ist, daß in diesem Punkt -gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen- noch ausreichende Feststellungen getroffen werden können.