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Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28. Oktober 1996 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 9 O 11/96 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt: Der Beklagte zu 2. wird verurteilt, an die Klägerin 5.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 25. Januar 1996 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Die erstinstanzlichen Kosten werden wie folgt verteilt: Die Gerichtskosten tragen die Klägerin zu 97 % und der Beklagte zu 2. zu 3 %. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1. in vollem Umfang und die des Beklagten zu 2. zu 94 %. Der Beklagte zu 2. trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 6 %. Im übrigen tragen die Klägerin und der Beklagte zu 2. ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die Kosten des Berufungsrechtszugs werden wie folgt verteilt: Die Gerichtskosten tragen die Klägerin zu 93 % und der Beklagte zu 2. zu 7 %. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1. in vollem Umfang und die des Beklagten zu 2. zu 87 %. Der Beklagte zu 1. trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 13 %. Im übrigen tragen die Klägerin und der Beklagte zu 2. ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin suchte am Spätnachmittag des 27. Dezember 1993 den Beklagten zu 1., ihren langjährigen Hausarzt, auf, der in B. eine internistische Praxis betreibt. Sie klagte über Kopfschmerzen und Parästhesien und wies darauf hin, sie vermute, unter Vorläufern eines Schlaganfalls zu leiden. Der Beklagte zu 1. verabreichte ihr Kalzium sowie das Medikament Imap und erklärte ihr, sie möge sich bei Fortbestehen der Beschwerden einem Neurologen vorstellen.
3In der Nacht zum 28. Dezember 1993 verschlechterte sich der Zustand der Klägerin, so daß deren Sohn über den ärztlichen Bereitschaftsdienst den Beklagten zu 2. zu einem Hausbesuch rief. Dieser traf um 0:45 Uhr ein und untersuchte die Klägerin bis 1:15 Uhr. Er diagnostizierte "unklare Muskelschwäche, psycho-vegetatives Syndrom". Therapeutische Maßnahmen hielt er nicht für erforderlich.
4Nachdem in der Folgezeit Krampfanfälle auftraten, wurde die Klägerin durch den herbeigerufenen Notarzt in das J.-Krankenhaus in B. eingewiesen. Von dort wurde sie wegen Verdachts auf Hirnblutung in die Neurochirurgie der U. B. eingewiesen und schließlich in die Neurologische Universitätsklinik verlegt. Es wurden eine ausgedehnte Sinusthrombose, zwei kleine rechtsfrontale Parenchymblutungen, Blut im Subarachnoidalraum frontal rechts sowie ein ausgedehntes Hirnödem in der rechten Hemisphäre festgestellt.
5Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen der Folgen der Sinusthrombose und der Hirnblutungen auf Schadensersatz in Anspruch. Sie hat behauptet, der Beklagte zu 1. habe es grob fehlerhaft unterlassen, sie zur stationären Behandlung einzuweisen. Er habe eindeutige neurologische Ausfallerscheinungen fehlgedeutet und die gebotenen Untersuchungsmaßnahmen unterlassen.
6Dem Beklagten zu 2. seien ebenfalls schwerwiegende schadensursächliche Fehler unterlaufen. Angesichts der sich verstärkenden linksseitigen Lähmungserscheinungen sei der dringende Verdacht eines cerebralen Prozesses gegeben gewesen, der eine sofortige Krankenhauseinweisung erforderlich gemacht hätte.
7Sie hat beantragt,
81. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt werde, jedoch einen Betrag von 50.000,00 DM nicht unterschreiten solle, zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 25. Januar 1996 zu zahlen,
92. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 5.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 25. Januar 1996 zu zahlen,
103. festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr alle Schäden zu ersetzen, die ihr in Zukunft aus dem schädigenden Ereignis vom 27./28. Dezember 1993 noch entstehen würden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen würden.
11Die Beklagten haben beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie haben vorwerfbare Behandlungsfehler in Abrede gestellt und im übrigen die Schadensursächlichkeit bestritten.
14Das Landgericht hat, sachverständig beraten, die Klage abgewiesen.
15Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie wirft beiden Beklagten schwere Diagnosefehler vor und meint, bei der gebotenen gründlichen neurologischen Untersuchung hätte sich ein Befund ergeben, der die sofortige Krankenhauseinweisung zur Folge hätte haben müssen. Bei rechtzeitiger Behandlung der Sinusthrombose wäre es weder zu einer Subarachnoidalblutung noch zu Parenchymeinblutungen gekommen.
16Sie beantragt,
17unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihren in erster Instanz zuletzt gestellten Klageanträgen zu erkennen.
18Die Beklagten beantragen,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Sie treten der Berufung entgegen, verteidigen das angefochtene Urteil, soweit es ihnen günstig ist, und wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.
21Der Beklagte zu 1. behauptet, am Spätnachmittag des 27. Dezember 1993 sei die Klägerin bei ihm mit Symptomen vorstellig geworden, über die sie schon bei früheren Konsultationen geklagt habe. Er habe deshalb keine Veranlassung gehabt, die Klägerin auf einen Schlaganfall zu untersuchen. Die Klägerin habe zu diesem Zeitpunkt weder unter Lähmungserscheinungen gelitten noch darüber geklagt, solche durchgemacht zu haben. Über Kopfschmerzen, Muskelkrämpfe und Parästhesien habe sie früher auch schon geklagt. Er habe sie deswegen bereits 1991 an einen Neurologen und einen Orthopäden verwiesen und habe deshalb davon ausgehen können, die Beschwerden seien fachärztlicherseits abgeklärt. Auch am 27. Dezember 1993 habe er sie darauf hingewiesen, sie möge einen Neurologen aufsuchen, wenn die Beschwerden anhalten oder sich gar verschlimmern sollten, und zwar sofort, nicht erst am nächsten Tag. Kalzium habe er zur Bekämpfung einer Hyperventilation verabreicht.
22Der Beklagte zu 2. behauptet, er habe die Klägerin grob neurologisch untersucht. Er habe ihre Fähigkeit, zu Stehen und zu Gehen untersucht, ferner die grobe Kraft im linken Bein durch Gegendruck auf die Zehen im Liegen der Patientin. Er habe als einziges nicht die Belastungsprobe (Hochhalten der Beine und Absinkenlassen) durchgeführt. Das sei aber nicht fehlerhaft gewesen. Da neurologische Ausfälle im nennenswerten Umfang nicht feststellbar gewesen seien, habe er auf eine cerebrale Schädigung nicht schließen müssen. Seine Diagnose (psycho-vegetatives Syndrom) sei durchaus vertretbar gewesen. Im übrigen habe sich der Behandlungsbeginn nur um rund drei Stunden verzögert. Das habe sich nicht schadensursächlich ausgewirkt. Er habe nicht dafür einzustehen, daß das J.-Krankenhaus als erstaufnehmende Klinik nicht auf die Behandlung von cerebralen Durchblutungsstörungen spezialisiert sei.
23In der mündlichen Verhandlung vom 23. April 1997 hat die Klägerin erklärt, sie erstrebe ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 30.000,00 DM. Daraufhin hat der Senat im Einverständnis aller Parteien den Streitwert für die Berufung auf 40.000,00 DM festgesetzt.
24Der Senat hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung und ergänzende Befragung des Sachverständigen Prof. Dr. R.. Wegen der Beweisanordnung wird auf den Senatsbeschluß vom 2. Juni 1997, wegen des Ergebnisses auf die Sitzungsniederschrift vom 20. Oktober 1997 verwiesen.
25Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.
26E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
27Die form- und fristgerecht eingelegte sowie prozeßordnungsgemäß begründete Berufung ist in der Sache nur in geringem Umfang gerechtfertigt, soweit sie den Beklagten zu 2. betrifft. Im übrigen unterliegt sie der Zurückweisung.
281.
29Der Klägerin stehen gegen den Beklagten zu 1. weder vertragliche noch deliktische Schadensersatzansprüche zu.
30Nach den Aufzeichnungen in der Behandlungskarte hat der Beklagte das ihm von der Klägerin am Spätnachmittag des 27. Dezember 1997 geschilderte Beschwerdebild als akute psychische Dekompensation mit Hyperventilation gedeutet. Diese Diagnose ist unrichtig, wie sich später erwiesen hat. Tatsächlich litt die Klägerin zu diesem Zeitpunkt zumindest unter einem inkompletten Verschluß des Sinus sagittalis superior. Dafür sprechen die später festgestellte weitere Entwicklung (kompletter thrombotischer Verschluß, Einblutungen, Hirnödem) und der unstreitige Zustand (Kopfschmerz, Übelkeit).
31Eine Fehldiagnose im Sinne einer unrichtigen Deutung von Krankheitssymptomen ist aber nur ausnahmsweise ein vorwerfbarer Behandlungsfehler, und zwar wenn ein klares Krankheitsbild nicht erkannt wird, die Fehldiagnose auf Nichterheben gebotener Kontrollbefunde beruht oder gegen die Verpflichtung zur Überprüfung der ersten Diagnose verstoßen worden ist (vgl. Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Seite 57, 58, 199 mit Rechtsprechungsnachweisen).
32a) Es ist nicht bewiesen, daß der Beklagte zu 1. ein klares Krankheitsbild nicht erkannt hat. Der Sachverständige Prof. Dr. R. hat in seinem schriftlichen Gutachten dargelegt, mangels neurologischer Ausfälle seien die Diagnose des Beklagten zu 1. und die von ihm getroffenen Maßnahmen vor dem Hintergrund der über mehrere Jahre angegebenen ähnlichen Beschwerden vertretbar, eine notfallmäßige apparative Abklärung oder eine sofortige Einweisung in eine Klinik nicht erforderlich gewesen (Bl. 302/303 d. A.). An dieser Bewertung hat sich nach der Zeugenvernehmung nichts geändert (vgl. Bl. 281/282 d. A.). Von den bei einer Sinusthrombose auftretenden allgemeinen Symptomen und fokalen neurologischen Ausfällen (Bl. 277/278 d. A.) lagen nachgewiesenermaßen nur der Kopfschmerz vor. Daß die Klägerin dem Beklagten zu 1. gegenüber auch über Lähmungen an den Extremitäten geklagt hat, ist nicht bewiesen. Derartiges folgt auch nicht aus der Aussage des Zeugen S. jun. Nach dessen Angaben konnte die Klägerin ohne Mühe und Hilfe Dritter gehen und stehen (Bl. 274/275 d. A.), auch von Übelkeit hat sie nichts berichtet (Bl. 272 d. A.). Bei dieser Sachlage hat der Sachverständige dem Fallenlassen der Kaffeekanne am Nachmittag keine Bedeutung beigemessen, eben weil die Lähmung und Mißempfindung, wenn sie denn vorgelegen hat, nicht andauerte (Bl. 278 d. A.).
33b) Dem Beklagten zu 1. ist auch nicht anzulasten, elementare Kontrollbefunde nicht erhoben zu haben. Der Sachverständige hat weder in seinem schriftlichen Gutachten noch im Rahmen der mündlichen Anhörung gefordert, der Beklagte zu 1. habe die von der Klägerin behauptete Armschwäche (Fallenlassen der Kaffeekanne) durch neurologische Befunderhebung am Nachmittag des 27. Dezember 1993 abklären müssen, schon gar nicht im Sinne einer elementaren Pflicht. Die Bemerkung des Sachverständigen, der Arzt werde den Patienten untersuchen müssen, wenn er erkläre, er habe eine Schwäche oder Lähmung in einer Extremität (Bl. 281 d. A.), bezieht sich auf eine akute Symptomatik. Eine akute Schwäche hat aber zur Zeit der Behandlung durch den Beklagten zu 1. gerade nicht vorgelegen.
34c) Ferner liegt auch kein Verstoß gegen die Verpflichtung vor, die erste Diagnose zu überprüfen. Der Beklagte zu 1. hat die Klägerin darauf hingewiesen, sie müsse das Beschwerdebild fachärztlicherseits neurologisch abklären lassen, wenn die Beschwerden anhalten würden. Das ergibt sich aus der Behandlungskarte. Dem ist die Klägerin auch durch Herbeirufung des Notarztes später gefolgt. Eine sofortige weitere Abklärung hat der Sachverständige nicht für nötig erachtet.
35d) Des weiteren hat der Beklagte zu 1. auch durch die Gabe von Kalzium und die Imap-Spritze nicht behandlungsfehlerhaft gehandelt. Der Sachverständige hat diese Maßnahmen nicht beanstandet (Bl. 282, 303 d. A.). Überdies fehlt es insoweit offensichtlich an der Ursächlichkeit im Hinblick auf die eingetretenen Schäden.
362.
37Dem Beklagten zu 2. ist ebenfalls eine Fehldiagnose unterlaufen. Er hat nach Untersuchung der Klägerin eine "unklare Muskelschwäche, eventuell psycho-vegetatives Syndrom" diagnostiziert (Bl. 39 d. A.), obwohl am 28. Dezember 1993 zwischen 0:45 Uhr und 1:15 Uhr bereits ein teilweiser, möglicherweise sogar ein kompletter Verschluß des Sinus sagittalis superior, wahrscheinlich verbunden mit einer Subarachnoidalblutung vorlag. Diese Fehldiagnose ist als Behandlungsfehler zu werten, weil sie letztlich auf mangelnder Befunderhebung beruht, was dem Beklagten zu 2. zum Vorwurf gereicht. Zwar hat er angesichts des Beschwerdebildes durchaus an "eine cerebrale Ursache" gedacht, wie sich aus der von ihm niedergelegten Dokumentation ergibt und deshalb auch die geklagte Beinschwäche untersucht; diese Untersuchung ist indessen nicht mit der den Umständen nach gebotenen Gründlichkeit erfolgt. Es fehlte vor allem an Feststellungen, ob eine linksseitig betonte Beinschwäche im Sinne von Lähmungserscheinungen vorlag. Dies hätte dadurch geschehen können und müssen, daß er die Klägerin ein paar Schritte hätte gehen lassen, um zu prüfen, ob sie linksseitig wegknickte, wie im Rahmen der Anhörung des Sachverständigen vor dem Senat deutlich geworden ist, sowie durch vom Sachverständigen bereits erstinstanzlich beschriebene Provokationsübungen mit dem linken Bein in Sitzstellung der Klägerin. Hierzu bestand schon deshalb Anlaß, weil die Untersuchung im Liegen eine Beinschwäche links ergeben hatte und ein sicherer Stand nicht durchführbar war, wie der Beklagte zu 2. vor dem Landgericht in der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 1996 selbst eingeräumt hat. Es besteht kein Zweifel, daß sich zumindest der weiter abklärungsbedürftige Verdacht auf eine cerebrale Ursache ergeben hätte, wenn der Beklagte zu 2. diese Maßnahmen durchgeführt hätte. Dies hätte wiederum die sofortige Einweisung zur stationären Behandlung bedeutet.
38Nach dem Ergebnis der Sachverständigenanhörung sind die dem Beklagten zu 2. wegen der von ihm zu vertretenen Verzögerung der stationären Behandlung anzulastenden Schadensfolgen indessen als relativ gering zu bezeichnen. In bezug auf das heute festzustellende Beschwerdebild hätte, so hat der Sachverständige betont, hätte ein um etwa drei Stunden früherer Behandlungsbeginn eher nichts Positives zu bewirken vermocht, obwohl solches auch nicht völlig auszuschließen sei. Dies beruhe darauf, daß sich die Sinusthrombose im Falle der Klägerin über einen längeren Zeitraum von mehreren Tagen entwickelt habe bis es zum Verschluß und den Einblutungen gekommen sei, was in dem späten Stadium, in dem sich der Prozeß am Morgen des 28. Dezember 1997 befunden habe, mit großer Wahrscheinlichkeit (der Sachverständige: "Eher nein") auch durch eine früher einsetzende Vollheparinisierung nicht zu vermeiden gewesen wäre. Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, daß sich an den bestehenden Dauerfolgen nichts Wesentliches geändert hätte, wobei ohnehin anzunehmen ist, daß die Klägerin die Folgen der Sinusthrombose glücklicherweise fast vollständig kompensiert hat. Nach dem Entlassungsbericht der Klinik für Onkologie in B. vom 24. Oktober 1995 haben sich die Folgen praktisch vollständig zurückgebildet. Das stimmt mit den Feststellungen des Sachverständigen überein, wonach "insgesamt die Gefühlsstörungen auf der linken Seite sowie die minimale Gehschwäche links als Folgen der Sinusthrombose anzusehen" seien (Bl. 306 d. A.). Das abgeleitete EEG hat der Sachverständige in seiner Anhörung vor dem Senat als normal bezeichnet. Die im Jahre 1994 aufgetretenen fokalen Ausfälle werden nach Angaben des Sachverständigen von der Klägerin derzeit nicht mehr beklagt (Bl. 320 d. A.). Daß die Anfallsneigung, die "am ehesten als Folge der Einblutung zu sehen" sei (so der Sachverständige, Bl. 320 d. A.), hätte vermieden werden können, hat der Sachverständige als unwahrscheinlich bezeichnet.
39Restzweifel, ob die festzustellenden Dauerfolgen bei früherem Behandlungsbeginn hätten vermieden werden können, gehen im Streitfall nicht zu Lasten des Beklagten. Die Klägerin ist beweisbelastet. Von einer Umkehr der Beweislast kann keine Rede sein, weil ein grober Behandlungsfehler nicht festzustellen ist.
40Der Sachverständige hat dargelegt, daß die Diagnose des Beklagten auf der Grundlage seiner Dokumentation im wesentlichen nicht zu beanstanden sei. Das Unterlassen der Klinikeinweisung wäre nur dann als aus medizinischer Sicht objektiv unverständlich (und damit rechtlich als grob fehlerhaft) zu bewerten, wenn linksseitig betonte Lähmungserscheinungen der Extremitäten erkennbar vorgelegen hätten oder solche bei Erhebung von elementar gebotenen Befunden festzustellen gewesen wären. Davon kann aber auch unter Zugrundelegung der Aussage des Zeugen S., soweit ihr gefolgt werden kann, nicht ausgegangen werden. Der Zeuge hat nicht bekundet, daß die Klägerin während der Untersuchung durch den Beklagten zu 2. wegen linksseitig betonten Lähmungserscheinungen im Bett sitzend nach links "weggesackt" ist oder beim Aufsuchen der Toilette nach links wegknickte. Diese Vorgänge haben sich ereignet, bevor der Beklagte zu 2. erschienen war. Die Klägerin hat ferner durchaus der Anweisung des Beklagten zu 2. Folge zu leisten vermocht, sich aufrecht zu stellen (der Zeuge Bl. 373 d. A.: "Ich kann mich nicht erinnern, ob sie aufgefordert wurde, sich auf Zehenspitzen zu stellen, als sie stand."), wenngleich sie dabei der Hilfe des Beklagten zu 2. bedurfte. Nach allem waren keine ausgeprägten Lähmungserscheinungen ersichtlich, so daß die (freilich nicht ausreichende) Prüfung der groben Kraft mittels Drucks gegen die Füße im Liegen der Klägerin nicht als gänzlich ungenügend im Sinne eines groben Unterlassens bezeichnet werden kann. Es kommt hinzu, daß die weiteren typischen Symptome wie starker Kopfschmerz, Verwirrtheit, Bewußtseinsstörung und Übelkeit zur Zeit der Untersuchung durch den Beklagten zu 2. nicht vorlagen. Auch nach Angaben des Zeugen S. soll eine vernünftige Verständigung mit der Klägerin zu der Zeit möglich gewesen sein. Der unkontrollierte Urinabgang konnte nach Angaben des Sachverständigen als momentane Schwäche gedeutet werden. Nach allem verbleibt es bei der Feststellung eines einfachen Behandlungsfehlers, der beweisrechtlich keine nachteiligen Konsequenzen für den Beklagten zu 2. hat.
41Der Senat ist aber auf der Grundlage der Erläuterungen des Sachverständigen im Anhörungstermin vom 20. Oktober 1997 im Sinne von § 286 ZPO davon überzeugt, daß die Klägerin bei früherem Beginn der Vollheparinisierung während der Dauer des stationären Aufenthaltes und der Rehabilitationsphase die kurzfristig aufgetretenen Beschwerden nur in abgemildeterer Form erlitten hätte. Der Sachverständige hat dargelegt, daß ein solcher Effekt regelmäßig zu erzielen sei, während eine günstige Beeinflussung der langfristigen Folgen im Streitfall eher zu verneinen sei. Zur Abgeltung dieses immateriellen Schadens hält der Senat einen Betrag von 5.000,00 DM für erforderlich aber auch ausreichend.
42Zurechenbare materielle Schäden sind dagegen nicht bewiesen. Aus den obigen Ausführungen folgt ferner, daß der Feststellungsantrag ebenfalls keinen Erfolg haben kann.
43Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
44Wert der Beschwer für die Klägerin und den Beklagten zu 2.: unter 60.000,00 DM.