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Aufklärung über mögliche Eigenblutkonserve Arzthaftung, Aufklärung, Plausibilität
BGB §§ 823, 847 1) Der Patient muß über eine mögliche Behandlungsalternative (hier: Bildung und Verwendung von Eigenblutkonserven) aufgeklärt werden. 2) Ist die Bildung von Eigenblutkonserven (hier: wegen unzureichender Hämoglobinkonzentration) kontraindiziert, ist die vom Patienten behauptete Verweigerung einer Fremdblutübertragung bei Gefahr schwerster gesundheitlicher Folgeschäden nicht plausibel.
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5 U 112/96 25 O 79/93 LG Köln
Anlage zum Protokoll vom 17.02.1997 Verkündet am 17.02.1997 Kurtenbach, J.S. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Rumler-Detzel, den Richter am Oberlandesgericht Rosenberger und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schmitz-Pakebusch auf die mündliche Verhandlung vom 20. Januar 1997
f ü r R e c h t e r k a n n t:
Die Berufung des Klägers gegen das am 26. April 1996 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 79/93 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
2Der Kläger wurde im Mai 1990 zur stationären Behandlung schwerer Brandverletzungen in das von der Beklagten zu 1) in K. betriebene Krankenhaus eingeliefert und dort u.a. vom Beklagten zu 2) operativ versorgt. Die Behandlung erstreckte sich bis 3. August 1990. Anläßlich der Operation vom 26. Juni 1990 wurde ihm eine mit Hepatitis-B-Erregern verseuchte Blutkonserve verabreicht. In der Folgezeit erkrankte er an Hepatitis-B. Wegen der materiellen Schäden ist ihm nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes Ausgleich gewährt worden. Er nimmt nunmehr die Beklagten auf Ersatz des immateriellen Schadens in Anspruch. Er hat behauptet, daß die Operation vom 26. Juni 1990 nicht dringlich gewesen sei. Es hätte die Möglichkeit bestanden, eine Eigenblutreserve zu bilden. Wenn er darüber aufgeklärt worden wäre, daß durch Eigenblutspende das Risiko, mit Hepatitis-B-Erregern infiziert zu werden, hätte vermieden werden können, würde er in die Operation zum damaligen Zeitpunkt nicht eingewilligt haben. Im übrigen sei die Transfusion von Fremdblut nur deshalb notwendig geworden, weil das operative Vorgehen fehlerhaft gewesen sei. Er hat beantragt,
3die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen,
4festzustellen, daß die Beklagten verpflichtet seien, als Gesamtschuldner ihm sämtlichen weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der anläßlich des Krankenhausaufenthaltes vom 14. Mai bis 3. August 1990 erlittenen Hepatitis-B-Infektion noch entstehen werde.
5Die Beklagten haben beantragt,
6die Klage abzuweisen.
7Sie sind den Vorwürfen entgegengetreten und haben sich auf hypothetische Einwilligung berufen.
8Das Landgericht hat, sachverständig beraten, die Klage abgewiesen.
9Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er behauptet, es sei damals medizinisch ohne weiteres möglich gewesen, auf Eigenblutkonserven zurückzugreifen. Man hätte die Operation vom 26. Juni 1990 lediglich um eine, höchstens vier bis fünf Wochen verschieben müssen, was medizinisch vertretbar gewesen wäre. Wenn er hierüber aufgeklärt worden wäre, hätte er auf Verwendung von Eigenblut bestanden. Das erstinstanzliche Sachverständigengutachten sei in Teilen widersprüchlich. Er beantragt,
10unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinen erstinstanzlichen Schlußanträgen zu erkennen.
11Die Beklagten beantragen,
12die Berufung zurückzuweisen.
13Sie treten der Berufung entgegen und verteidigen das angefochtene Urteil.
14Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
16Die form- und fristgerecht eingelegte und prozeßordnungsgemäß begründete Berufung ist in der Sache nicht gerechtfertigt.
171. Dem Kläger steht der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch nicht aus dem Gesichtspunkt der eigenmächtigen Behandlung zu, von der auch dann auszugehen ist, wenn der Patient zwar in der Operation eingewilligt hat, die Einwilligung aber wegen unzureichender Risikoaufklärung oder mangels Aufklärung über Behandlungsalternativen unwirksam ist.
18a) Die dem Kläger zuteil gewordene Risikoaufklärung war fehlerhaft, weil er nicht darauf hingewiesen worden ist, daß er sich in Folge der Verwendung von Fremdblutkonserven eine Hepatitis-B-Virus- oder eine HIV-Infektion zuziehen könne. Die Beklagten berufen sich aber mit Erfolg auf hypothetische Einwilligung. Der Kläger macht in der Berufungsinstanz selbst nicht mehr geltend, er würde in Kenntnis des Risikos auch dann von der Operation Abstand genommen haben, wenn der Eingriff unaufschiebbar nötig und ein Rückgriff auf Eigenblut nicht möglich gewesen wäre.
19b) Die Einwilligung war auch nicht wegen fehlender Aufklärung über Behandlungsalternativen unwirksam.
20Allerdings muß der Patient grundsätzlich darüber aufgeklärt werden, daß als Alternative zur risikobehafteten Infusion von Fremdblut die Eigenblutspende in Betracht kommt. Dies steht freilich unter dem Vorbehalt, daß die Eigenblutspende überhaupt möglich ist (vgl. BGH AHRS Kza 5000/55). Die Pflicht des Arztes, über Behandlungsalternativen aufzuklären, entfällt nämlich, wenn eine an sich gegebene Behandlungsalternative im konkreten Fall aus medizinischen Gründen ausscheidet (vgl. BGH AHRS Kza 5000/57, ergangen als Revisionsentscheidung zu Senat AHRS Kza 5000/50). So liegt es hier.
21Nach den überzeugenden und insoweit von der Berufung auch nicht angegriffene Feststellungen des Sachverständigen Dr. S. soll eine Eigenblutspende grundsätzlich nicht erfolgen, wenn die Hämoglobinkonzentration den Grenzwert von 12,5 g/dl unterschreitet. Die absolute Kontraindikation ist gegeben, wenn der Hämoglobingehalt 11,0 g/dl unterschreitet (Bl. 89 d. A.). Maßgebender Zeitpunkt ist im Streitfall der 18. Juni 1990, weil zwischen Eigenblutspende und Operation ca. 1 Woche liegen muß, damit sich das Blut des Patienten wieder hinreichend regenerieren kann. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Hämoglobingehalt 11,0 g/dl und lag damit weit unter dem Grenzwert und zugleich genau auf der Grenze zur absoluten Kontraindikation. Der Sachverständige hat hieraus die absolute Spendenkontraindikation abgeleitet. Das überzeugt. Zwischen dem 11. und 18. Juni 1990 war der Hämoglobingehalt von 12,4 auf 11,0 abgesunken, obwohl der Kläger in dieser Zeit keinen Blutverlust erlitten hatte (Bl. 90 d. A.). Das Absinken beruhte offensichtlich auf einer subakuten Infektion (Bl. 90 d. A.) und der mangelnden Regenerationsfähigkeit wegen des Verlustes der Eisenreserven (Bl. 89 d. A. unten) aufgrund der vorangegangenen Verletzungen und Operationen (Bl. 90 d. A. 4. Absatz). In dieser Situation wäre ein weiterer Blutverlust durch Eigenspende unvertretbar gewesen, weil dies ein weiteres Absinken des Hämoglobingehaltes unvermeidlich zur Folge gehabt hätte.
22Als weitere Kontraindikation kam die Infektion hinzu. Zwar war am 14. Juni 1990 die systemische Infektion abgeklungen; die offenen Wundareale auf der Tibiakante waren aber weiterhin massiv mit Staphylococcus aureus und Pseudomonas aeruginosa besiedelt (Bl. 86 d. A.), also bakteriell infiziert, so daß die latente Gefahr des (Wieder-)Auftretens einer systemischen Infektion bestand mit der Folge einer möglichen Osteomyelitis (Bl. 87 d. A.). Diesen Zustand hat der Sachverständige nachvollziehbar als subakute Infektion bezeichnet, die einer Eigenblutspende verbot, weil sie ohnehin ein Absinken des Hämoglobingehaltes bewirkte (Bl. 90/91 d. A.).
23c) Der Kläger macht ferner ohne Erfolg geltend, durch eine Verschiebung der Operation hätten zumindest 1 oder 2 Eigenblutkonserven gewonnen werden können, was das Risiko, Spenderblut zu benötigen, verringert hätte. Dazu hat der Sachverständige festgestellt, daß der Eisenspeicher und die Regenerationsfähigkeit des Knochenmarks beim Kläger damals erschöpft gewesen seien. Dies ergebe sich daraus, daß trotz Gabe von 4 Blutkonserven zu je 450 - 500 ml bei einem operationsbedingten Blutverlust von 400 - 500 ml ein Anstieg des Hämoglobingehaltes auf lediglich 11,7 g/dl habe erreicht werden könne, der weit vom Normalgehalt entfernt gewesen sei (14 g/dl). Hinzu komme das ständige Absinken des Hämoglobingehaltes wegen der latenten Infektion. Daraus hat der Sachverständige überzeugend geschlossen, es sei zu bezweifeln, ob der Kläger ,überhaupt innerhalb von Monaten" wieder die normale Hämoglobinkonzentration erreicht hätte. Ein Hinauszögern der notwendigen Operation um Wochen oder gar Monate war aber medizinisch völlig unvertretbar. Die Wundverhältnisse des Unterschenkels hätten sich infektiös entwickeln können, so daß eine Amputation hätte nötig werden können. Es wäre sogar der Eintritt einer lebensgefährlichen Situation zu befürchten gewesen (Bl. 88 d. A.).
24Nach allem hat sich damals eine Eigenblutspende aus medizinischen Gründen verboten, so daß keine Aufklärungspflichtverletzung über Behandlungsalternativen vorliegt.
252. Schadensursächliche Behandlungsfehler sind nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht ersichtlich. Die Indikationsstellung ist ebensowenig zu beanstanden wie die Operationsdurchführung (Bl. 86 - 89 bzw. 91/92 d. A.). Da die Berufung insoweit auch nichts erinnert, bedarf es hierzu weiterer Ausführungen nicht. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen werden (§ 543 Abs. 1 ZPO).
263. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
27Wert der Beschwer: unter 60.000,-- DM.
28Streitwert des Berufungsverfahrens: 20.000,-- DM, davon 5.000,-- DM für den Feststellungsantrag.
29Dr. Rumler-Detzel Dr. Schmitz-Pakebusch Rosenberger**
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