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G r ü n d e :
2Das Amtsgericht hat durch Strafbefehl wegen Sachbeschädigung (§ 303 StGB) gegen den Angeklagten eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 50,-- DM verhängt. Den -rechtzeitig angebrachten- Einspruch hat es gemäß § 412 StPO durch Urteil verworfen, weil der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne genügende Entschuldigung der Hauptverhandlung ferngeblieben und auch nicht durch einen mit entsprechender Vollmacht ausgestatteten Verteidiger vertreten worden sei. Eine vom Angeklagten betriebene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Hauptverhandlung ist vor Amts- und Landgericht erfolglos geblieben und daher rechtskräftig abgelehnt. Die Berufung des Angeklagten gegen das gemäß § 412 StPO ergangene Urteil des Amtsgerichts hat die Strafkammer verworfen. Im Berufungsurteil heißt es:
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"Ausweislich eines Vermerks im Sitzungsprotokoll hatte die Geschäftsstelle des Abteilungsrichters mitgeteilt, daß seitens des Büros des Verteidigers angerufen und ausgerichtet worden sei, der Angeklagte sei erkrankt. Tatsächlich war der Verteidiger des Angeklagten erkrankt und nicht in der Lage gewesen, den Termin wahrzunehmen. Entsprechendes war auch der Geschäftsstelle des Abteilungsrichters in Wirklichkeit telefonisch mitgeteilt und gleichzeitig eine Terminsaufhebung beantragt worden. Einen Tag zuvor...hatte der Verteidiger seinen Mandanten über seine...Erkrankung informiert und veranlaßt, daß dem Angeklagten am Terminstag durch sein Büro bei einer telefonischen Rückfrage ausgerichtet wurde, daß er, der Angeklagte, nicht zur Hauptverhandlung erscheinen solle. Diese Anweisung erfolgte in der Annahme, daß das Amtsgericht den telefonisch bei der Geschäftsstelle des Abteilungsrichters gestellten Antrag auf Terminsaufhebung stattgeben werde."
5Zur rechtlichen Würdigung führt das Berufungsurteil aus:
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"Nach den getroffenen Feststellungen hat das Amtsgericht zu Recht den Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl...verworfen. Der Angeklagte ist nach den gegebenen Umständen dem Termin...ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben. Es kann dahinstehen, ob und inwieweit die unterbliebene Terminsaufhebung nicht einer Fürsorgepflicht des Gerichts entsprochen hat. Der Angeklagte durfte jedenfalls nicht einfach auf die Anweisung des Büros seines Verteidigers vertrauen und dem Termin zur Hauptverhandlung ohne weiteres fernbleiben. Er hätte vielmehr sich selbst Gewißheit darüber verschaffen können und müssen, ob der Termin nun tatsächlich stattfinden würde oder nicht. Dies wäre ihm ohne weiteres durch eine telefonische Rückfrage bei Gericht möglich gewesen oder er hätte sich vorsorglich zur Terminsstunde einfinden müssen..."
8Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird.
9Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt unter Aufhebung der Urteile beider Vorinstanzen zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (vgl. Senat VRS 71, 449; OLG Karlsruhe Justiz 1993, 388; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., § 412 Rn. 11 m.w.N.).
10Die Rüge, das Berufungsgericht habe die Verwerfung des Einspruchs durch das Amtsgericht nicht bestätigen dürfen, es habe vielmehr -wie der Erstrichter- den Begriff der genügenden Entschuldigung verkannt, ist zulässige erhoben im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. dazu: Senat VRS 75, 113, 115 m.w.N.; SenE vom 03.12. 1996 -Ss 572/96) und dringt durch.
11Der Begriff der "genügenden Entschuldigung" darf nicht eng ausgelegt werden. § 329 Abs. 1 StPO, der im Strafbefehlsverfahren entsprechend anzuwenden ist (§ 412 Satz 1 StPO), enthält eine Ausnahme von der Regelung, daß ohne den Angeklagten nicht verhandelt werden darf, und birgt die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich. Deshalb ist bei der Prüfung der vorgebrachten oder vorliegenden Entschuldigungsgründe eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten angebracht (vgl. KK-Ruß, StPO, 3. Aufl., § 329 Rn. 10 m.w.N.). Eine genügende Entschuldigung ist somit anzunehmen, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalles dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann (vgl. OLG Bremen StV 1987, 11; OLG Düsseldorf NStZ 1984, 331; KK-Ruß a.a.O.). Insbesondere kann auch das Vertrauen auf Auskünfte des Verteidigers geeignet sein, das Ausbleiben des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin zu entschuldigen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. § 329 Rn. 29 m.w.N.).
12Hier war der Angeklagte entgegen der Auffassung der Strafkammer entschuldigt, weil er sich auf die Mitteilung seines Verteidigers, er brauche zum Termin nicht zu erscheinen, verlassen hat und verlassen durfte. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß der Angeklagte einer Erklärung des Verteidigers, die Hauptverhandlung werde mit Rücksicht auf einen Vertagungsantrag nicht stattfinden, jedenfalls dann kein Vertrauen schenken darf, wenn er bereits eine anderslautende Nachricht des Gerichts erhalten hat (vgl. OLG Hamm JMBlNW 1979, 20; OLG Koblenz VRS 44, 290). Ebensowenig darf ihm genügen, daß der Verteidiger das Ausbleiben für entschuldigt hält (vgl. OLG Hamm JMBlNW 1978, 32), die Verwerfung der Berufung nach § 329 StPO als rechtlich unzulässig ansieht (vgl. OLG Saarbrücken NJW 1974, 327) oder nach längerer Wartezeit zum Verlassen des Gerichtsgebäudes auffordert (vgl. OLG Hamm VRS 55, 275). So verhält es sich im vorliegenden Fall jedoch nicht. Nachdem der Verteidiger den Angeklagten bereits am 20. Februar 1996, also am Tag vor dem erstinstanzlichen Termin, über seine Erkrankung, die eine Terminswahrnehmung ausschloß, und den aus diesem Grund beim Amtsgericht gestellten Vertagungsantrag informiert hatte, ist dem Angeklagten bei einer telefonischen Rückfrage am folgenden Tag durch das Büro des Verteidigers mitgeteilt worden, er solle nicht zur Hauptverhandlung erscheinen. Dieser Ablauf macht deutlich, daß der Angeklagte die Erklärungen des Verteidigers als verläßlich ansehen durfte. Der Verteidiger hat es nämlich nicht bei der schlichten, als ungesichert erkennbaren Behauptung, wenn er krankheitshalber verhindert sei, werde der Termin ausfallen, bewenden lassen. Er hat den Angeklagten vielmehr am Vortag von seiner Erkrankung unterrichtet und ihm aufgetragen, am Terminstag selbst nochmals bei der Kanzlei nachzufragen, ob die Hauptverhandlung stattfinde. Dieses Vorgehen des Verteidigers mußte der Angeklagte so verstehen, daß in der Zwischenzeit die Zustimmung des Gerichts zu einer Terminsverlegung eingeholt werden sollte. Denn anderenfalls hätte der Verteidiger dem Angeklagten schon am Vortag mitteilen können, er brauche nicht zu erscheinen. Wenn dem Angeklagte unter diesen Voraussetzungen bei der vereinbarten telefonischen Rückfrage im Büro des Verteidigers am Terminstag ausgerichtet worden ist, sein Erscheinen sei nicht erforderlich, konnte und durfte er davon ausgehen, das Gericht habe dem vom Verteidiger gestellten Terminsaufhebungsantrag stattgegeben. Anlaß, der Auskunft zu mißtrauen, hatte der Angeklagte nicht. Insbesondere war ihm keine anderslautende Nachricht des Amtsgerichts zugegangen. Angesichts der kurzfristigen Krankmeldung des Verteidigers lag darüber hinaus die Annahme nahe, das Gericht habe auf eine förmliche Abladung des Angeklagten verzichtet und statt dessen den Verteidiger beauftragt, seinen Mandanten über die Terminsaufhebung in Kenntnis zu setzen. Daß ein auf die Erkrankung des Verteidigers gestützter Vertagungsantrag nicht ohne weiteres abgelehnt werden würde, durfte der Angeklagte um so mehr erwarten, als er durch den schriftlichen Antrag,
13"die Hervorhebung des Angeklagten in der Hauptverhandlung am 21.02. 1996 durch die Sitzordnung im Gerichtssaal vorübergehend dadurch aufzuheben, daß dem Angeklagten gestattet wird, zu Beginn der Verhandlung zunächst unter den Zuhörern Platz zu nehmen",
14zu erkennen gegeben hatte, daß die Anwesenheit des Verteidigers für sein Verteidigungskonzept von entscheidender Bedeutung war. Damit sollte nämlich eine suggestive Beeinflussung der Zeugen verhindert werden in der Erwartung, daß es ihnen dann unmöglich sein würde, den Angeklagten als Täter zu identifizieren. Es leuchtet ein, daß dieses Konzept nur mit einem Verteidiger verwirklicht werden konnte, der die Interessen des Angeklagten wahrnahm, solange sich dieser unerkannt im Zuhörerraum aufhielt.
15Aufgrund der genannten Umstände begründet es kein Verschulden des Angeklagten, daß er der ihm vom Büropersonal des Verteidigers übermittelten Nachricht, er brauche nicht zur Hauptverhandlung zu erscheinen, geglaubt und vertraut hat. Zu einer weiteren Nachfrage bei Gericht war er unter Berücksichtigung der besonderen Sachlage nicht verpflichtet. An den Begriff der "genügenden" Entschuldigung dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Eine zusätzliche Erkundigungspflicht wäre in Anbetracht der Besonderheiten des Einzelfalles nicht mehr zu rechtfertigen, zumal es gerade zu den wesentlichen Aufgaben eines Verteidigers gehört, als selbständiges Organ der Rechtspflege mit dafür zu sorgen, daß das Verfahren sachdienlich und in prozessual geordneten Bahnen durchgeführt wird (vgl. BGHSt. 38, 111, 115). Damit wären ständige Kontrolle und grundsätzliches Mißtrauen seitens des Mandanten unvereinbar. Das gilt erst recht, wenn die äußeren Umstände -wie hier- für die Richtigkeit der Auskünfte des Verteidigers sprechen und nachvollziehbare Anhaltspunkte für Zweifel nicht vorhanden sind.
16Deshalb kann das Berufungsurteil, mit dem die erstinstanzliche Verwerfungsentscheidung bestätigt worden ist, keinen Bestand haben. Da hiermit zugleich feststeht, daß die Voraussetzungen für eine Einspruchsverwerfung durch das Amtsgericht nicht vorgelegen haben, ist auch das erste Urteil aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen (vgl. Fischer in KK, StPO, 3. Aufl. § 412 Rn. 24).