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Tatbestand
2Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 1) als Halterin des bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Sattellastzuges, bestehend aus der Zugmaschine mit dem amtlichen Kennzeichen --------- und dem Auflieger mit dem amtlichen Kennzeichen --------, sowie den Beklagten zu 2) als Fahrer des Sattelzuges nach einem Straßenbahnunfall, der sich am 13.4.1992, gegen 7.36 Uhr, in K. auf dem Gleiskörper in dem Bereich des I.weges unmittelbar vor der E.er Straße ereignet hat, auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte zu 3) verlangt im Wege der Widerklage von der Klägerin und Widerbeklagten zu 1) als Halterin und von der Widerbeklagten zu 2) als Führerin des Straßenbahnzuges in einem quotenmäßigen Umfang von 40% aus übergeleitetem Recht Ersatz des ihrem Versicherungsnehmer entstandenen Schadens.
3Zur Unfallzeit befuhr die Widerbeklagte zu 2) mit einem Straßenbahnzug der Linie .., bestehend aus den Wagen Nr. 3112 und 3122, den parallel zur E.er Straße verlaufenden Gleiskörper von der Endhaltestelle M. kommend in Richtung der Straße "A.Ö.". Die Gleisanlage besteht aus 3 Spuren, wobei die Mittelspur für die in südlicher Richtung fahrenden Straßenbahn vorgesehen ist. Die westliche - unmittelbar neben der E.er Straße verlaufende - Spur weist keine Oberleitung auf und ist auf den Bundesbahnverkehr/Werksverkehr-Fordwerke beschränkt. Die östliche Spur - die erste, von der Lichtzeichenanlage I.weg her gesehen - ist für den Straßenbahnverkehr in nördlicher Richtung vorgesehen. In südlicher Richtung fahrend (Fahrtrichtung der Straßenbahn zum Unfallzeitpunkt) ist der Gleisverlauf über eine Länge von 250 m geradlinig. Etwa 300 m hinter dem Übergang I.weg befindet sich eine Haltestelle.
4Der I.weg wird von dem Gleiskörper der Straßenbahn gekreuzt. Die Kreuzung wird gesichert durch eine Sicherungsanlage für Straßen- und Schienenverkehr (BÜSTRO-Anlage). Sie beinhaltet eine Lichtzeichenanlage für den Straßenverkehr und eine Bahnsicherungsanlage. Bei Annäherung der Bahn an den Kreuzungsbereich erhält diese Priorität, so daß die Lichtzeichenanlage für den Straßenverkehr auf dem Ivenshofweg auf Gelb umspringt. Nach einer Gelbzeit von 4 Sekunden schaltet die Lichtzeichenanlage auf Rot um. Bei Rotschaltung für den Straßenverkehr schaltet die Lichtzeichenanlage für den Bahnverkehr auf Durchfahrt, wobei 5 m nach der Kreuzung durch die Straßenbahn eine Freigabe zur Grünschaltung für den Straßenverkehr am I.weg erfolgt. Für den Fall, daß seitens der Straßenbahn trotz Priorität ein rotes Lichtzeichen überfahren wird, wird eine automatisch ausgelöste Gefahrenbremsung eingeleitet. Zum Unfallzeitpunkt war diese Anlage funktionsfähig.
5Der Beklagte zu 2) befuhr den I.weg auf die E.er Straße zu. Parallel vor der E.er Straße kreuzen die drei Gleisspuren die Fahrbahn. Die Fahrbahn des I.weges weist im Kreuzungsbereich vier Fahrspuren auf: Eine Fahrspur für die Gegenrichtung, zwei Fahrspuren als Linksabbiegerspur und eine Fahrspur als Rechtsabbiegerspur. Die Rechtsabbiegerspur benutzte der Beklagte zu 2). Die Fahrbahnbreite beträgt insgesamt ca. 14 Meter. Der Übergang über die Gleise ist durch eine Lichtzeichenanlage abgesichert, wobei eine getrennte Schaltung der Linksabbieger Lichtzeichen und der Rechtsabbieger Lichtzeichen erfolgt. Die Haltelinie befindet sich 4,7 Meter vor der Lichtzeichenanlage. Der Abstand zwischen der Mitte der mittleren Gleispur und der Lichtzeichenanlage beträgt 8,8 Meter. Vor dem Bahnübergang befindet sich ferner ein Andreas-Kreuz. Die Sicht auf die sich rechts erstreckende Gleisanlage wird durch Büsche eingeschränkt.
6Zu dem Unfall kam es, weil der Beklagte zu 2) den Bahnübergang überqueren wollte, wohl die Lichtzeichenanlage für ihn Rot zeigte.
7Durch den Zusammenstoß wurden die beteiligten Fahrzeuge erheblich beschädigt und die Widerbeklagte zu 2) schwer verletzt.
8Den ihr erwachsenen Schaden beziffert die Klägerin (noch) wie folgt:
91. Aufräum- und Reparaturarbeiten an der
10Unfallstelle, Abschleppen der Straßenbahn: 2.568,50 DM 2. Lohnfortzahlungs- und Schadensersatz-
11kosten für die Widerbeklagte zu 2): 17.058,57 DM 3. Reparatur-, Sachverständigen- und
12Reservehaltungskosten betreffend Wagen
13Nr. 3112: 725.244,93 DM
144. Reparatur-, Sachverständigen- und
15Reservehaltungskosten für Wagen
16Nr. 3122: 7.967,93 DM
17Insgesamt: 752.839,93 DM
18abzüglich gezahlter: 275.000,00 DM
19abzüglich zurückgenommener: 915,00 DM
20476.924,93 DM
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22Die Beklagte zu 3) und Widerklägerin beziffert ihren Anspruch wie folgt:
231. Fahrzeugschaden: 32.000,00 DM
242. Sachverständigenkosten: 1.353,20 DM
253. Anteilige Abschleppkosten: 1.500,00 DM
264. Rettungskosten: 1.964,25 DM
27Zusammen: 36.817,45 DM
28davon 40%: 14.726,98 DM
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30Der Streit der Parteien verhält sich zum Anspruchsgrund im wesentlichen darüber, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist, insbesondere ob und inwieweit der Klägerin eine von der Straßenbahn ausgehende Betriebsgefahr zuzurechnen ist. Dabei haben sich beide Seiten die Ergebnisse eines von der Beklagten zu 3) vorprozessual eingeholten Sachverständigengutachtens der D. zu eigen gemacht, wonach die Bremsausgangsgeschwindigkeit des Straßenbahnzuges an der Untergrenze bei 43 km/h und an der Obergrenze bei 58 km/h lag und bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 35 km/h der Unfall hätte vermieden werden können.
31Zur Haftung hat die Klägerin geltend gemacht, daß von einem ihr anzulastenden mitwirkenden Verschulden nicht ausgegangen werden könne. Die Straßenbahn habe auf dem signalgesteuerten eigenen Bahnkörper 60 km/h fahren dürfen. Es habe keine Veranlassung bestanden, das Fahrverhalten auf einen möglichen Rotlichtverstoß einzustellen. Ein solches Ansinnen würde dazu führen, daß ein geordneter Straßenbahn- und Busverkehr überhaupt nicht mehr möglich sei. Vielmehr dürfe der Straßenbahnführer darauf vertrauen, daß das Rotlicht-signal beachtet werde. Für die Widerbeklagte zu 2) sei deshalb der Unfall unvermeidbar gewesen. Da die Betriebsgefahr einer Straßenbahn und eines schweren Lastkraftwagens ähnlich hoch zu bewerten sei, müsse ein Mitverursachungsanteil hinter dem überwiegenden Verschulden des Beklagten zu 2) zurücktreten.
32Die Klägerin hat - nach teilweiser Rücknahme der Klage in Höhe eines Betrages von 915,00 DM - beantragt,
33den Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 476.924,93 DM nebst 11% Zinsen seit dem 16.6.1993 zu zahlen.
34Die Beklagten haben beantragt,
35die Klage abzuweisen.
36Ferner hat die Beklagte zu 3) widerklagend beantragt,
37die Klägerin und die Widerbeklagte zu 2) zu verurteilen, an sie 14.647,18 DM nebst 7% Zinsen seit dem 10.11.1994 zu zahlen.
38Die Klägerin und die Widerbeklagte zu 2) haben beantragt,
39die Widerklage abzuweisen.
40Die Beklagten haben geltend gemacht, daß der Beklagte zu 2) durch die aufgehende Sonne geblendet worden sei und dadurch das Rotlicht übersehen habe.
41Desweiteren haben sie im wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin sei für das Unfallgeschehen mit einer Quote von 40% mitverantwortlich. Dies ergebe sich zum einen aus dem größeren Gefährdungspotential eines Straßenbahnzuges gegenüber einem Lkw. Insbesondere wirke sich gefahrerhöhend aus, daß eine Straßenbahn nicht ausweichen könne. Die Widerbeklagte zu 2) sei überdies mit einer den örtlichen Gegebenheiten nicht angepaßten Geschwindigkeit gefahren. Aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse zum Ivenshofweg hin habe die Widerbeklagte zu 2) nicht "blind" darauf vertrauen dürfen, daß sich kein anderer Verkehrsteilnehmer im Gleiskörperbereich befinden werde. Sie hätte nur so schnell fahren dürfen, daß sie innerhalb der überschaubaren Strecke hätte anhalten können. Auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen zur Vermeidbarkeit hätte sie allenfalls 35 km/h fahren dürfen. Dies gelte umsomehr, als der Bahnübergang unbeschrankt sei. Trotz des ihr eingeräumten Vorrangs sei die Straßenbahnführerin nicht davon entbunden, auf andere Verkehrsteilnehmer, die den Bahnübergang überqueren, Rücksicht zu nehmen.
42Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach in vollem Umfang für gerechtfertigt erachtet und hiervon ausgehend zur Klage ein Grundurteil erlassen und die Widerklage durch Teilurteil abgewiesen.
43Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, daß der aufgrund der allgemeinen Betriebsgefahr bestehende Verursachungsbeitrag der Klägerin hinter dem grob fahrlässigen Verkehrsverstoß des Beklagten zu 2) und der gleichfalls hoch anzusetzenden Betriebsgefahr des Lkws zurücktreten müsse.
44Gegen das ihnen am 13.10.1995 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit bei Gericht am 13.11.1995 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie innerhalb der ihnen eingeräumten Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 15.1.1996 begründet haben.
45Sie halten die Feststellungen des Landgerichts, wonach sie für die Unfallfolgen allein verantwortlich seien, nicht für gerechtfertigt. Dazu verweisen sie im wesentlichen darauf, daß auf Seiten der Klägerin ein eigenes oder anzurechnendes Verschulden der Widerbeklagten zu 2) zu berücksichtigen sei, daß ferner der Beklagte zu 2) jedenfalls nicht grob fahrlässig gehandelt habe und daß schließlich von einer erheblichen Betriebsgefahr der Straßenbahn auszugehen sei, die durch den Sorgfaltspflichtverstoß des Beklagten zu 2) nicht vollständig zurückgedrängt werde.
46Die Beklagten beantragen,
47unter Abänderung des angefochtenen Grund- und Teilurteils die Klage abzuweisen, soweit die Klägerin eine Schadensersatzquote von mehr als 60 % des eingetretenen Schadens verlangt.
48Ferner beantragt die Beklagte zu 3),
49die Klägerin und die Widerbeklagte zu 2) zu verurteilen, an sie 14.647,18 DM nebst 7% Zinsen dem 10.11.1994 zu zahlen.
50Die Klägerin und die Widerbeklagte zu 2) beantragen,
51die Berufung zurückzuweisen.
52Sie wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen und verteidigen die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils.
53Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in beiden Instanzen wird auf den vorgetragenen Inhalt der beiderseits gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Strafakten 507 Js 509/92 STA Köln, die Gegenstand der Verhandlung waren, Bezug genommen.
54Entscheidungsgründe
55Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung hat in der Sache selbst keinen Erfolg.
56I.
57Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten als Gesamtschuldnern gemäß §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. § 3 PflVG ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach ohne quotenmäßige Einschränkung zu. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:
581. Die Haftung des Beklagten zu 2) ist unzweifelhaft. Die Beklagten stellen nicht in Abrede, daß der Beklagte zu 2) trotz roten Blinklichts und damit bestehenden absoluten Wartegebots gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 Ziff. 2 StVO über den Bahnübergang gefahren ist.
59Der Senat teilt auch die Beurteilung des Landgerichts, wonach das Verhalten als grob fahrlässig einzustufen ist. Grobe Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und dasjenige nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muß (BGH VersR 1980, 180 (181) = NJW 1980, 887 (888)). Ein Vorwurf dieser Art kann dem Beklagten zu 2) gemacht werden, selbst wenn man seinem Vorbringen folgt, daß er bei Annäherung an die Verkehrssignalanlage von der Sonne geblendet worden ist.
60Die Annäherung an einen Bahnübergang und dessen Überquerung erfordert von dem Kraftfahrer große Sorgfalt. Dies ist die Folge davon, daß bereits kleinste Sorgfaltspflichtverstöße zu schwerwiegenden Unfällen führen können. Die Unfallgefahr wird noch dadurch erhöht, daß Schienenfahrzeuge wegen des verlängerten Bremsweges und der mangelnden Ausweichmöglichkeit nur eingeschränkt auf plötzlich auf dem Gleiskörper auftauchende Hindernisse reagieren können. Außerdem muß der Kraftfahrer bei bevorrechtigten Schienenfahrzeugen damit rechnen, daß der Fahrzeugführer darauf vertraut, daß sein Vorrang beachtet wird. Aufgrund dieser Umstände ist deshalb der Kraftfahrer gehalten, sich genau zu vergewissern, ob der Bahnübergang gefahrlos überquert werden kann. Ist der Bahnübergang, wie im vorliegenden Fall, durch eine Lichtzeichenanlage mit der Farbfolge Gelb/Rot gesichert, so hat sich der Kraftfahrer bei der Annäherung zu vergewissern, ob gelbe oder rote Lichtzeichen gegeben werden. Ist ihm dies nicht zuverlässig möglich, weil er etwa von vorn durch die Sonne geblendet wird oder die Signalgeber durch die von hinten einfallende Sonne reflektieren, so darf er seine Fahrt auf keinen Fall fortsetzen, ohne sich zuvor Klarheit darüber verschafft zu haben, ob die Fahrt für ihn freigegeben ist oder nicht. Fährt er gleichwohl in den Gleiskörperbereich ein, so stellt dies ein schwerwiegendes Verschulden dar. Denn der Kraftfahrzeugführer nimmt, wenn nicht bewußt, so doch aus Sorg- oder Gedankenlosigkeit in Kauf, daß Schienenfahrzeuge sich bereits nähern und sich damit die Gefahren verwirklichen, denen durch die Aufstellung von Lichtzeichengebern begegnet werden soll (i.E. ebenso: OLG Celle VersR 1966, 833; OLG Hamm VersR 1983, 465).
612.
62Demgegenüber kann der Klägerin ein mitwirkendes Verschulden an dem Zustandekommen des Unfalls nicht angelastet werden.
63Es kann nicht festgestellt werden, daß die Widerbeklagte zu 2) mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist. Nach den Berechnungen des Sachverständigen H. ist die Widerbeklagte zu 2) an der Untergrenze mit einer Geschwindigkeit von 43 km/h gefahren. Von diesem Wert ist auch auszugehen, da den Beklagten der Nachweis obliegt, daß die Widerbeklagte zu 2) mit einer höheren Geschwindigkeit gefahren ist. Aus dem - von der Klägerin bestrittenen - Umstand, daß Straßenbahnen bei anderer Gelegenheit in dem hier in Rede stehenden Streckenabschnitt wesentlich höhere Geschwindigkeiten gefahren sind, kann nicht geschlossen werden, daß dies im Streitfall auch so war, also die Geschwindigkeit sich eher im Bereich der vom Sachverständigen berechneten Obergrenze von 58 km/h bewegt hat. Einen Beweis des ersten Anscheins gibt es mangels hinreichender Anknüpfungstatsachen hierfür nicht.
64Als Beurteilungsmaßstab ist deshalb nur eine Geschwindigkeit von 43 km/h in Betracht zu ziehen. Daß diese Geschwindigkeit die von der technischen Aufsichtsbehörde festgesetzte Streckenhöchstgeschwindigkeit überschreitet (vgl. § 50 BOStrab), behaupten die Beklagten selbst nicht.
65Ferner kann auch nicht festgestellt werden, daß die Widerbeklagte zu 2) mit einer den örtlichen Verhältnissen nicht angepaßten Geschwindigkeit gefahren ist. Denn grundsätzlich kann der Fahrer eines Straßenbahnzuges darauf vertrauen, daß die Teilnehmer am Straßenverkehr seinen Vorrang (§ 19 StVO) beachten, und er ist deshalb nicht verpflichtet, von vornherein langsam zu fahren (vgl. Filthaut, Haftpflichtgesetz, 4. Auflage, § 12, Rn. 27 m.w.N.). Vielmehr besteht bei einem abgesicherten Übergang der hier in Rede stehenden Art kein Erfordernis zu einem Fahren auf Sicht (OLG Celle VersR 1988, 1138), selbst wenn diese durch Pflanzenbewuchs teilweise eingeschränkt ist. Nur wenn eine drohende Verletzung des Vorrechts erkennbar wird, muß der Straßenbahnführer Gegenmaßnahmen ergreifen (BGH VersR 1961, 634 = VRS 21, 14 = MDR 1961, 675; VersR 1964, 1024; OLG Köln VersR 1953, 436). Hier hat aber die Widerbeklagte zu 2) bei Erkennen der Gefahrenquelle sofort reagiert, in dem sie eine Notbremsung eingeleitet hat. Es kann ihr deshalb auch nicht vorgeworfen werden, zu spät gehandelt zu haben.
66Der Widerbeklagten zu 2) kann schließlich auch nicht angelastet werden, daß sie kein Signal gegeben hat. Eine darauf gerichtete Verpflichtung besteht nur für den, der sich oder andere gefährdet sieht, jedoch auch dann nur, wenn die Abgabe des Signals geeignet ist, die Gefahr abzuwenden. Letzteres kann hier jedoch nicht angenommen werden, weil die Beklagte zu 2) bei Erkennen der Gefahr sofort mit einer Notbremsung reagiert hat.
673.
68Die Klägerin haftet jedoch gemäß § 1 Abs. 1 HaftpflG ohne die Möglichkeit, sich auf die Unabwendbarkeit zu berufen; denn die Straßenbahn wird in dem hier zur Beurteilung anstehenden Streckenabschnitt nicht innerhalb des Verkehrsraums einer öffentlichen Straße betrieben. Die Straßenbahn hat vor und nach einer Kreuzung einen eigenen Gleiskörper. Nach der baulichen Gestaltung handelt es sich um einen Bahnübergang. In einem solchen Fall, bei dem die Straßenbahn nicht dem Zuge einer Straße folgt, sondern diese nur überquert und die Schienen an der Übergangsstelle eingefügt sind, findet § 1 Abs. 2 S. 2 HaftpflG keine Anwendung. Dies ergibt sich daraus, daß sich die Bahn dem Verkehr nicht anzupassen braucht, weil sie entweder gegen diesen durch Bahnschranken abgesichert ist oder ihr ein Vorrang zusteht (vgl. Filthaut, a.a.O., § 1, Rn. 199 m.w.N.; OLG Stuttgart VRS 80, 410).
69Die Anrechnung der Betriebsgefahr entfällt auch nicht etwa wegen höherer Gewalt (§ 1 Abs. 2 S. 1 HaftpflG). Höhere Gewalt ist gegeben bei einer Einwirkung von außen, die außergewöhnlich und nicht abwendbar ist (std. Rspr. vgl. z.B.: RG JW 1918, 176; RGZ 101, 94; BGH VersR 1953, 27 = VRS 5, 4 = NJW 1953, 184; ferner: Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 21. Auflage, 22. Kap., Rn. 22). Hier fehlt es jedenfalls an der Außergewöhnlichkeit der Einwirkung. Es kann nicht ernstlich bezweifelt werden, daß Zusammenstöße an unbeschrankten Bahnübergängen, und sei es aus unentschuldbarer Unachtsamkeit der beteiligten Kraftfahrzeugführer, immer wieder auftreten und daß daher mit ihnen zu rechnen ist (ebenso: OLG Hamburg VersR 1979, 549; OLG Hamm VersR 1983, 465).
704.
71Ist danach davon auszugehen, daß beide Fahrzeuge den Unfall verursacht haben, so hängt im Verhältnis der beiteiligten Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie zum Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Demgemäß ist bei der Abwägung zunächst auf das Maß der beiderseitigen Verursachung abzustellen, erst dann ist das Verschulden zu berücksichtigen (h.A.: vgl. RGZ 142, 356 (368); BGH VersR 1957, 585 und VersR 1969, 406 (407)). Die Haftungsabwägung erfolgt dabei in Fällen wie dem vorliegenden, bei dem sich ein Betriebsunternehmer einer Bahn gegenüber dem haftenden Halter eines Kraftfahrzeugs - unter Umständen - eine Mithaftung anrechnen lassen muß, nicht nach § 13 HaftpflG, sondern nach § 17 StVG (h.A.: vgl. Filthaut, a.a.O., § 4 Rn. 3; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 33. Auflage, § 17 StVG, Rn. 29; BGH NZV 1994, 146; OLG Stuttgart VRS 80, 410; OLG Düsseldorf NZV 1992, 190; Weber DAR 1984, 65). Diese Vorschrift geht als Spezialregelung sowohl dem § 4 HaftpflG und dem § 9 StVG als auch dem § 13 HaftpflG und § 254 BGB vor (BGH a.a.O.).
72Bei der Abwägung der Verursachungsanteile ist der Klägerin die allgmeine (gewöhnliche) Betriebsgefahr anzurechnen, die sich aus der Schienengebundenheit, dem längeren Bremsweg und der größeren Aufprallwucht einer Straßenbahn ergibt. Demgegenüber trifft die Klägerin keine e r h ö h t e Betriebsgefahr. Insbesondere besteht kein gesetzliches Gebot, den Bahnübergang durch Schranken zu sichern. § 20 Abs. 5 BO Strab sieht als technische Sicherung Geber für Lichtzeichen mit der Farbfolge Gelb/Rot vor, die mit Halbschranken verbunden sein können. Mit einer solchen Anlage (ohne fakultativ mögliche Halbschranken) war der Bahnübergang jedoch ausgestattet. Zwar kann im Einzelfall die Betriebsgefahr durch das Fehlen von (Halb-) Schranken objektiv erhöht sein (vgl. dazu Filthaut, a.a.O., § 4, Rn. 25 m.w.N.). Angesichts des baulichen Zuschnitts des Bahnübergangs und der Verkehrsverhältnisse kann hiervon im Streitfall jedoch nicht ausgegangen werden. Der Bahnübergang ist für auf dem I.weg von Osten sich nähernde Fahrzeuge gut einsehbar. Da es sich um eine Nebenstraße im Industriegebiet handelt, kann auch nicht von einer starken Verkehrsbelastung ausgegangen werden. Entscheidend tritt noch hinzu, daß die Wirkung von Schranken annähernd auch durch eine Blinkanlage erreicht wird (ebenso OLG Celle VersR 1966, 833).
735.
74Damit verbleibt auf Seiten der Klägerin - lediglich - die (gewöhnliche) Betriebsgefahr des Straßenbahnzuges. Diese tritt nach Auffassung des Senats hinter der Betriebsgefahr des Lastkraftwagens vollständig zurück. Maßgebend hierfür ist zum einen, daß der Beklagte zu 2) selbst ein großes Gefahrenrisiko gesetzt hat, indem er mit dem Sattelzug, der über ein Leergewicht von rund 22 Tonnen verfügt, ein Hindernis bereitet hat. Dies rechtfertigt es allein, die Betriebsgefahr des Straßenbahnzuges der des Lastzuges gleichzustellen (vgl. dazu: Filthaut, a.a.O., § 4, Rn. 68 b m.w.N.). Zum anderen war die Betriebsgefahr, wie oben dargelegt, noch erhöht durch das schwerwiegende, für den Unfall ausschlaggebende ursächliche Verschulden des Zweitbeklagten, der den Vorrang des herannahenden Straßenbahnzuges nur ungenügend beachtet hat (im Ergebnis ebenso: OLG Düsseldorf VRS 72, 414; OLG Celle VersR 1988, 1138; OLG Frankfurt VersR 1986, 707; OLG Hamburg VersR 1979, 549).
75Die Beklagten haften nach alledem für den der Klägerin entstandenen Schaden dem Grunde nach zu 100%.
76II.
77Aus dem Vorstehenden folgt, daß die Widerklage keinen Erfolg hat, da eine (Mit-) Haftung der Klägerin und der Widerbeklagten zu 2) nicht besteht.
78III.
79Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
80Streitwert für das Berufungsverfahren: (40% von 476.924,93 DM = 190.769,97 DM + 14.647,18 DM =) 205.417,15 DM