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T A T B E S T A N D
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Der 1933 geborene Kläger unterzog sich am 29. September 1987 im Krankenhaus H. der Beklagten zu 1. einer transurethralen Blasentumorresektion. Um das Resektionsinstrument einführen zu können, beseitigte der Operateur eine in der Pars pendulans befindliche kurzstreckige Einengung der Harnröhre mittels Schlitzung. Postoperativ entwickelte sich eine ventrale Penisdeviation (Abknickung des Penis bei Erektion ab Schaftmitte bis zu 80°), die später anderweitig unter Inkaufnahme einer Penisverkürzung weitgehend operativ behoben werden konnte.
4Der Kläger hat geltend gemacht, er sei wegen der Penis-verkürzung und der nach wie vor im Falle einer Erektion auftretenden starken Schmerzen nicht mehr zu einer Kohabitation fähig. Die erlittene Penisdeviation beruhe auf Behandlungsfehlern. Außerdem sei er weder über die-ses Risiko noch über Behandlungsalternativen aufgeklärt worden. Er beantragt,
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die Beklagten zu verurteilen, als Gesamt-schuldner an ihn ein in das Ermessen des Ge-richts gestelltes Schmerzensgeld, jedoch min-destens 120.000,-- DM zu zahlen,
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die Beklagten ferner zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn wegen eines Verdienst-ausfallschadens für die Monate Januar bis Ju-li 1991 9.345,-- DM und ab August 1991 monat-lich 1.325,-- DM bis zum Zeitpunkt des Bezu-ges des Altersruhegeldes zu zahlen,
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festzustellen, daß die Beklagten als Gesamt-schuldner verpflichtet seien, ihm einen even-tuellen Rentenschaden zu ersetzen.
14Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
18Sie sind den Vorwürfen entgegengetreten und haben sich hilfsweise auf hypothetische Einwilligung berufen.
19Das Landgericht hat, sachverständig beraten, die Klage abgewiesen.
20Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er meint, es sei nach wie vor ungeklärt, worauf die Fibrosierung des Harnröhrenschwellkörpers, der letztlich zu der ventralen Penisdeviation geführt habe, zurückzuführen sei. Erst wenn dies geklärt sei, könne entschieden werden, ob die Komplikation auf einem Behandlungsfehler beruhe. Es sei ferner nicht geklärt, an welchen Stellen der Urether geschlitzt und wo es zu der Induration gekommen sei. Insoweit sei die Dokumentation unzulänglich.
21Die Haftung der Beklagten ergebe sich in jedem Fall aus einem Aufklärungsversäumnis. Er, der Kläger, sei über die mit einer Urethrotomie verbundenen Risiken, insbesondere das Risiko, eine Penisdeviation davontragen zu können, nicht aufgeklärt worden. Das Risiko einer Penisdeviation sei aufklärungspflichtig. Der Beklagte zu 2. habe selbst eingeräumt, daß er in seiner Praxis in fünf Fällen eine solche Komplikation beobachtet habe. Daraus ergebe sich, daß es sich um ein bekanntes und damit aufklärungspflichtiges Risiko handele. Daß sich das Risiko sehr selten verwirkliche, ändere daran nichts. Im Falle einer Aufklärung hätte er sich jedenfalls eine Bedenkzeit ausgebeten und sich noch einmal mit dem Arzt seines Vertrauens und seiner Familie besprochen. Er hätte mögliche alternative Behandlungsmethoden in seine Überlegungen einbezogen. Schließlich hätte er sich nicht mit der Operation eines noch in Weiterbildung befindlichen Assistenzarztes ohne Beteiligung eines Oberarztes einverstanden erklärt. Er beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinen erstinstanzlichen Schlußanträgen zu entscheiden.
25Die Beklagten beantragen,
26die Berufung zurückzuweisen.
27Sie treten der Berufung entgegen und verteidigen das angefochtene Urteil. Sie meinen, aus den Begutachtungen der erstinstanzlich hinzugezogenen Sachverständigen ergebe sich, daß es eben nicht sicher zu klären sei, worauf die Fibrosierung des Harnröhrenschwellkörpers zurückzuführen sei. Aus diesem Umstand könne aber nicht auf einen Behandlungsfehler geschlossen werden. Wahrscheinlich sei die Komplikation auf einen entzündlichen Prozeß zurückzuführen. Entgegen der Annahme des Klägers werde bei einer transurethralen Resektion eines Blasenkarzinoms grundsätzlich nicht über die mit einer Urethrotomie verbundenen Risiken aufgeklärt, weil die transurethrale Resektion gewöhnlich ohne eine solche Urethrotomie durchgeführt werde. Wenn sich, wie beim Kläger, intraoperativ herausstelle, daß man doch eine Harnröhrenschlitzung vornehmen müsse, werde die Operation nicht abgebrochen, um den Patienten über die Erweiterung des Eingriffs aufzuklären. Bei der Harnröhrenschlitzung handele es sich um eine übliche und unter Umständen zwingende intraoperative Maßnahme. Schließlich berufen sie sich auf hypothetische Einwilligung. Da die Tumorresektion vital indiziert gewesen sei und es zu der transurethralen Methode keine ernsthafte Alternative gäbe, hätte sich der Kläger auch in Kenntnis der Risiken einverstanden erklärt. Im übrigen sei der Beklagte zu 2. falsch verstanden worden. Die von ihm angesprochenen fünf Fälle beträfen nur unmittelbare Verletzungen von Penisschwellkörpern, zu denen es beim Kläger gerade nicht gekommen sei. Das Risiko, das sich beim Kläger verwirklicht habe, sei in der Literatur konkret bis 1987 nicht beschrieben worden. Deshalb entfalle auch eine Aufklärungspflicht.
28Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.
29E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
30Die form- und fristgerecht eingelegte sowie prozeßordnungsgemäß begründete Berufung des Klägers ist in der Sache nicht gerechtfertigt.
31Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche weder aus unerlaubter Handlung (§§ 823, 831, 847 BGB) noch aus dem Gesichtspunkt der schuldhaften Vertragsverletzung (§§ 611, 242, 278 BGB) zu.
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bewiesen. Nach den insoweit übereinstimmenden Darlegungen der Sachverständigen Professoren Z. und J. war die Harnröhrenschlitzung indiziert. Sie ist auch lege artis durchgeführt worden. Die vom Kläger erstinstanzlich vorgebrachten Fehlermöglichkeiten haben die Sachverständigen, insbesondere Prof. J., überzeugend verworfen. Dem im Endstadium seiner Facharztausbildung befindlichen Beklagten zu 3. trifft auch nicht der Vorwurf mangelnder Qualifikation. Dem Sachverständigen ist die Qualifikation des Beklagten zu 3. vorgehalten worden (24 Otis-Urethrotomien und 20 Sachse-Urethrotomien). Er hat dies als ausreichend angesehen, zumal es sich im Falle des Klägers um eine Routineoperation gehandelt habe, die sogar unter eingeschränkt ambulanten Bedingungen vorgenommen werde.
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Da der Kläger diese Feststellungen nicht gesondert angreift, sieht sich der Senat zu einer weiteren Begründung nicht veranlaßt. Die Ausführungen des Landgerichts treffen zu. Der Senat nimmt hierauf zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug (§ 543 Abs. 1 ZPO).
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Der Senat sieht sich auch nicht gehalten, einen weiteren Versuch zur Klärung zu unternehmen, worauf die Fibrosierung des Harnröhrenschwellkörpers letztlich beruht. Prof. J. hat die Ursächlichkeit nicht sicher zu klären vermocht. In seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht hat er ausgeführt, daß die Ursache der vermehrten untypischen Narbenbildung (Fibrosierung) in einer Entzündung gelegen haben könne (Bl. 354 d. A.). Da er ferner andere, näherliegende Ursachen (Verletzung des Corpus cavernosum, Weichteilverkalkungen) ausgeschlossen hat, muß es bei diesem Erklärungsversuch bleiben. Es ist dem ständig mit Arzthaftungssachen befaßten Senat bekannt, daß in der Medizin nicht selten die Ursächlichkeit ungewöhnlicher postoperativer Verläufe ungeklärt bleibt. Insbesondere wenn eine Fibrose auftritt, geht es häufig um sogenannte unerwartete überschießende Tendenzen, die durch eine Entzündung ausgelöst worden sind. Solche atypischen Entwicklungen sind in aller Regel nicht vorhersehbar, es sei denn, eine Tendenz zu überschießender Narbenbildung sei gerade bei dem betreffenden Patienten aufgrund anderweitiger Eingriffe bekannt geworden. Aus der Unaufklärbarkeit kann auch nicht auf die Fehlerhaftigkeit des Vorgehens geschlossen werden, weil sich die Komplikation auch bei einem fehlerfreien Vorgehen einstellen kann, wie der Sachverständige dargelegt hat. Eine Entzündung kann niemals gänzlich ausgeschlossen werden und auch nicht deren Folgen.
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Gesichtspunkt der eigenmächtigen Behandlung, die dann vorliegt, wenn die erteilte Einwilligung mangels ordnungsgemäßer Risikoaufklärung unwirksam ist, als gerechtfertigt.
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Die Aufklärung soll dem Patienten kein medizinisches Entscheidungswissen vermitteln, sondern ihm aufzeigen, was der Eingriff für seine persönliche Situation bedeuten kann. Er soll Art und Schwere des Eingriffs erkennen. Dazu müssen ihm die Risiken nicht medizinisch exakt und in allen denkbaren Erscheinungsformen dargestellt werden, ein allgemeines Bild von der Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums genügt (vgl. Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Seite 129). Dem sind die Beklagten in bezug auf die Blasentumorresektion gerecht geworden. Daß der Kläger nicht auf das Risiko einer Penisdeviation hingewiesen worden ist, bleibt im Ergebnis ohne rechtliche Relevanz.
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Der Senat teilt allerdings nicht die Meinung der Beklagten, daß der Kläger im Streitfall über die mit einer Harnröhrenschlitzung verbundenen Risiken nicht aufgeklärt zu werden brauchte. Es mag richtig sein, daß bei einer transurethralen Blasenkarzinomresektion eine Harnröhrenschlitzung nicht in jedem Falle erforderlich ist, so daß über die damit verbundenen Risiken insoweit auch nicht aufgeklärt zu werden braucht. Andererseits war den Beklagten aber bekannt, daß sich intraoperativ eine Harnröhrenschlitzung als notwendig erweisen könnte, um das Instrument in die Blase einführen zu können. Geht der Operateur in einer solchen Situation auf das vertretbare Risiko ein, intraoperativ eine Harnröhrenschlitzung durchführen zu müssen, muß er den Patienten darauf vorbereiten. Hierzu gehört eine ordnungsgemäße Aufklärung und die Einholung der Einwilligung gerade im Hinblick auf den möglichen Fall einer etwaigen Harnröhrenschlitzung. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß ein Chirurg bei der Aufklärung des Patienten rechtzeitig vor der Operation die konkrete Notwendigkeit einer intraoperativen Erweiterung einkalkulieren muß, die er mit dem narkotisierten Patienten nicht mehr besprechen kann (vgl. BGH NJW 1993, 2372). Allenfalls bei unvorhersehbar notwendigen Operationserweiterungen, bei denen vitale Interessen des Patienten einem Abbruch entgegenstehen würden, kann der Arzt mit mutmaßlicher Einwilligung des Patienten rechnen und die notwendigen Schritte ohne Einwilligung unternehmen. So lag es im Streitfall aber nicht. Der Beklagte zu 3. hätte den Eingriff abbrechen können nachdem er erkannt hatte, daß eine Harnröhrenschlitzung notwendig werden würde. Vitale Interessen des Klägers hätten dem nicht entgegengestanden. Es wäre lediglich zu einer Verschiebung der Blasenkarzinomresektion auf einen späteren Tag gekommen.
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Im Streitfall hat sich freilich ein Risiko verwirklicht, das nicht aufklärungspflichtig war. Prof. J. hat dargelegt, daß die Penisdeviation keine charakteristische Folge einer Urethrotomia interna sei. Eine solche Folge sei bis zum Zeitpunkt der vom Beklagten zu 3. durchgeführten Operation nicht festgestellt worden. Das stimmt mit den Angaben von Prof. Z. insoweit überein, als eine solche Folge wohl bei einer Harnröhrenschlitzung "bei 6.00 Uhr" auftreten könne, nicht aber bei einer lege artis durchgeführten Harnröhrenschlitzung. Auch der Beklagte zu 2. will nach der Stellungnahme der Beklagten vom 7. März 1989 eine solche Komplikation als Folge einer Urethrotomia interna in der Technik nach Otis noch nie gesehen haben. Ein Risiko, das sich bisher bei einem ordnungsgemäßen Vorgehen nicht verwirklicht hat, ist nicht aufklärungspflichtig, weil medizinisch davon auszugehen ist, daß es sich nur bei fehlerhaftem Vorgehen verwirklicht. Über Komplikationen, die infolge fehlerhaftem Vorgehen entstehen, ist aber nicht aufzuklären, weil der Patient dadurch hinreichend geschützt ist, daß er den Behandler wegen einer Fehlbehandlung in Anspruch nehmen kann. Der Senat verkennt nicht, daß dieses Ergebnis scheinbar in Widerspruch zu dem Arztbrief des Beklagten zu 2. vom 17. Dezember 1987 steht (Bl. 285 d. A.). Nach diesem Brief scheint es so zu sein, daß die in Rede stehende Komplikation doch als solche bekannt war. Der Beklagte zu 2. hat indessen erklärt, daß dies auf einem Mißverständis beruhe. Er habe diese Folge auf eine Verletzung des Penisschwellkörpers (Corpus cavernosum) beziehen wollen, die hier aber gerade nicht eingetreten sei. Mit dieser Maßgabe steht seine Auffasssung in Einklang mit den Feststellungen von Prof. J.. Dafür, daß dessen Auffassung richtig ist, spricht auch der Aufklärungsbogen im Falle einer Urethrotomie, den der Kläger zu den Akten gereicht hat. In diesem Aufklärungsbogen ist keine Rede davon, daß es infolge einer Harnröhrenschlitzung zu einer Fibrosierung des Harnröhrenschwellkörpers (Corpus spongiosum urethrae) mit der Folge einer Penisdeviation kommen könne.
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Danach kommt es auch nicht auf die Frage der Aufklärung über Behandlungsalternativen an. Ein Entscheidungskonflikt ergibt sich für den Kläger nach seinem Vortrag einzig vor dem Hintergrund, eine mögliche Penisdeviation zu vermeiden. Mangels Aufklärungspflichtigkeit hätte sich dieser Konflikt indessen präoperativ gar nicht ergeben.
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Gegen einen Entscheidungskonflikt spricht ferner, daß die Tumorresektion vital zwingend indiziert war und die angewandte Methode sich als Routinemethode durchgesetzt hatte. Die Gefahren bei einer solchen Operation liegen eher in einer möglichen Perforation der Blase, die eine Baucheröffnung erforderlich gemacht hätte, und in einer Harnröhrenstriktur als Folge der Harnröhrenschlitzung. Das schwerwiegende Risiko einer Blasenwandverletzung hat der Kläger in Kauf genommen. Gleiches gilt für die Ausbildung von Harnröhrenstrikturen. Die klassischen Risiken, die bei einer Harnröhrenschlitzung zur Behebung von Harnröhrenengen bestehen (Verletzung des Blasenschließmuskels und der Schwellkörper des Gliedes) standen bei dem konkret vorgenommenen Eingriff nicht im Vordergrund, weil es nicht um die Beseitigung einer Harnabflußstörung ging. Die Harnröhre des Klägers war nämlich im eigentlichen Sinne nicht verengt, die Verengung bestand lediglich darin, daß das verhältnismäßig großkalibrige Resektionsinstrument nicht beschwerdefrei durchge-führt werden konnte.
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§§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Wert der Beschwer für den Kläger: über 60.000,-- DM.