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16 Wx 46/96 - Beschluß vom 23.02.1996 - unanfechtbar.
Wiedereinreise eines Ausländers
AuslG § 57 Abs. 2 Ein Ausländer, der behauptet, nach Rechtskraft einer Ausreiseverfügung freiwillig ausgereist und erst zwei Jahre später wieder in die Bundesrepublik eingereist zu sein, muß konkrete, nachvollziehbare Angaben über die Modalitäten seiner Ausreise (Verkehrsmittel, Finanzierung der Reisekosten, Ausreiseort usw.) machen, wenn nicht eine tatsächliche Vermutung dafür sprechen soll, daß er gar nicht ausgereist, sondern in der Bundesrepublik untergetaucht war.
G r ü n d e
2Die nach §§ 3, 7 FEVG, 103 Abs. 2 AuslG, 27, 29 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen hat in der Sache vorläufig Erfolg.
3Die angefochtene Entscheidung des Landgerichtes ist nicht frei von Rechtsfehlern im Sinne der § 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO.
4Das Landgericht wird erneut zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG für die Anordnung von Abschiebungshaft vorliegen.
5Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß die Betroffene aufgrund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig sei und von der Anordnung der Sicherungshaft nach § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG nicht gemäß § 57 Abs. 2 S. 3 AuslG ausnahmsweise abzusehen sei, da die Betroffene nicht glaubhaft gemacht habe, daß sie sich der Abschiebung nicht entziehen wolle. Sie habe zu keinem Zeitpunkt ihre Bereitschaft erklärt, die Bundesrepublik Deutschland freiwillig zu verlassen bzw. sich der Ausländerbehörde zum Zwecke der Abschiebung zur Verfügung zu stellen. Gegen die Annahme, die Betroffene werde sich bei einer Haftentlassung den ausländerrechtlichen Bestimmungen unterwerfen, spreche auch, daß sie sich nach ihrer - behaupteten - Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 05.01.1996 bis zu ihrer Festnahme am 12.01.1996 illegal und ohne Meldung bei den zuständigen Behörden im Bundesgebiet aufgehalten habe, ohne den Versuch zu unternehmen, ihren Aufenthalt zu legalisieren, obwohl ihr das Verfahren der Asylantragstellung aufgrund ihrer Ersteinreise im Jahre 1991 habe bekannt gewesen sein müssen.
6Das Landgericht hat nicht hinreichend berücksichtigt, daß § 57 Abs. 2 S. 1 AuslG einschränkend auszulegen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 13. Juli 1994 - 2 BvL 12/93 - 45/93 - ausgeführt, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und im Hinblick auf Sinn und Zweck der Norm sei die Norm verfassungskonform auszulegen. Intention des Gesetzgebers sei es gewesen, zur Erleichterung der Anordnung von Sicherungsabschiebungshaft konkrete zwingende Haftgründe aufzuzählen. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 S. 1 AuslG müsse Abschiebungshaft angeordnet werden, sofern die Haft nicht unzulässig sei. Wolle sich der Ausländer im Einzelfall offensichtlich nicht der Abschiebung entziehen, erscheine allein die Erfüllung der tatbestandlichen Merkmale der Nummern 1-5 des § 57 Abs. 2 Satz 1 AuslG nach dem - in der Benennung des Haftzwecks zum Ausdruck gebrachten - verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend, um zwingend die Rechtsfolge der Anordnung der Sicherungshaft auszulösen.
7Konsequenz dieser Rechtsprechung ist - darauf hat der Senat bereits in seinen Beschlüssen vom 29. November 1995 - 16 Wx 208/95 = 6 T 541/95 LG Köln - und vom 02.01.1996 - 16 Wx 228/95 = 6 T 548/95 LG Köln - hingewiesen, daß nach § 57 Abs. 2 AuslG in allen tatbestandlichen Alternativen der Nummern 1-5 die Abschiebungshaftanordnung lediglich als Mittel "zur Sicherung der Abschiebung" in Betracht kommt. Ob davon auszugehen ist, daß sich der Betroffene der Abschiebung entziehen will, haben die Gerichte im Einzelfall im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht zu prüfen.
8Nach Aktenlage durfte das Landgericht ohne weitere Ermittlungen nicht davon ausgehen, daß die Betroffene sich der Abschiebung entziehen oder diese erheblich behindern will. Die Annahme, der Ausländer werde sich ohne die Festnahme der Abschiebung entziehen oder diese anderweitig erheblich behindern, muß sich auf konkrete Umstände stützen (vgl. nur Kloesel/Christ/Häuser, Deutsches Ausländerrecht, Stand: März 1995, § 57 Rdnr. 30).
9Nach der bisherigen Einlassung der Betroffenen gibt es dafür keine hinreichenden Anhaltspunkte. Wenn die Betroffene nach Abschluß des ersten Asylverfahrens im Jahre 1993 nach Ghana zurückgekehrt und erst am 05.01.1996 wieder eingereist ist, wenn sie ferner sogleich von H. nach A. gereist ist, um dort Bekannte aufzusuchen, die ihr helfen sollten, einen Asylfolgeantrag zu stellen, kann daraus, daß sie bis zum 12.01.1996 nicht bei den Behörden vorstellig geworden ist, nicht auf einen Entziehungswillen geschlossen werden. Angesichts des nach der unerlaubten Einreise verstrichenen kurzen Zeitraums von nur wenigen Tagen läßt allein der Umstand, daß die Betroffene sich noch nicht bei den Behörden vorgestellt hatte, nicht zwingend darauf schließen, daß sie einer eventuellen Abschiebungsanordnung nicht Folge leisten wird. Dies gilt vor allem dann, wenn sie - ihrer Einlassung entsprechend - nach Abschluß des Asylverfahrens im Jahre 1993 freiwillig ausgereist war.
10Auch von einem Untertauchen der Betroffenen kann unter Zugrundelegung ihrer Einlassung im Hinblick auf den kurzen Zeitraum ihres Aufenthaltes nicht ausgegangen werden. Schließlich bietet die Tatsache, daß die Betroffene nicht aus Ghana, sondern aus Togo eingereist ist, wo sie sich ebenfalls bereits an die deutschen Behörden hätte wenden können, für sich allein betrachtet noch kein tragfähiges Indiz für einen Entziehungswillen.
11Im Rahmen der anzustellenden Ermittlungen wird das Landgericht zunächst aufzuklären haben, ob davon ausgegangen werden kann, daß die Betroffene tatsächlich im Jahre 1993 nach Ghana zurückgekehrt und erst am 05.01.1996 wieder eingereist ist.
12Vor allem die Angaben der Betroffenen zu ihrer Ausreise im Jahre 1993 sind bislang völlig substanzlos geblieben. Wie der Senat bereits in seinen Beschlüssen vom 17. und 22. November 1995 - 16 Wx 198/95 = 1 T 399/95 LG Köln und 16 Wx 203/95 = 1 T 405/95 LG Köln - ausgeführt hat, ist es dem Betroffenen indes zumutbar, die Behauptung, er sei seiner Ausreisepflicht nachgekommen, durch Angaben zum Zeitpunkt der Ausreise, zum Ausreiseort und zum Ausreiseland zu konkretisieren, um die Ausländerbehörden und die Gerichte in die Lage zu versetzen zu prüfen, ob die Ausreiseverpflichtung tatsächlich erfüllt worden ist; darüber hinaus muß er sich konkret zum Zeitpunkt seiner Einreise in die Bundesrepublik und zu den näheren Umständen seines neuerlichen Aufenthaltes äußern.
13Vorliegend kann ohne weitere Anhörung der Betroffenen nicht davon ausgegangen werden, daß es sich bei ihrer Darstellung, sie sei 1993 ihrer Ausreisepflicht nachgekommen, um eine substanzlose Schutzbehauptung handelt. Aus der Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts vom 13. Januar 1996 ist nicht zweifelsfrei ersichtlich, ob die Angaben der Betroffenen hinterfragt worden sind, ob sie keine weiteren Ausführungen machen konnte oder wollte.
14Im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht nach § 12 FGG haben die Gerichte aber aufzuklären, ob die Einlassung eines Betroffenen substanzlos bleibt, oder ob dieser in der Lage ist, seine Angaben in dem erforderlichen Maße zu präzisieren. Ist letzteres der Fall, so ist der Sachverhalt aufzuklären, bis die Einlassung bestätigt oder widerlegt ist.
15Ist nach nochmaliger Anhörung der Betroffenen davon auszugehen, daß sie ihrer Ausreisepflicht nach Abschluß des ersten Asylverfahrens nachgekommen war, wird zu prüfen sein, ob das Verhalten der Betroffenen bei der Überprüfung durch die Polizei - der Versuch, sich zu entfernen und die Angabe der Personalien der Eisha Abubaka - hinreichende Anhaltspunkte für eine mangelnde Kooperationsbereitschaft bieten und als tragfähige Indizien dafür angesehen werden können, daß sich die Betroffene einer Abschiebung entziehen wird. Ob den Angaben der Betroffenen gefolgt werden kann, sie habe aus Furcht versucht wegzulaufen und sei bei der Angabe der fremden Personalien mißverstanden worden, läßt sich durch Vernehmung der seinerzeit eingesetzten Polizeibeamten ohne weiteres aufklären.
16Mit seiner Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zur Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf - Beschluß vom 2. August 1995 - 3 Wx 232/95 -. Daraus kann die Betroffene nichts zu ihren Gunsten herleiten; denn das OLG Düsseldorf hatte einen mit dem vorliegenden nicht vergleichbaren Fall zu beurteilen, in dem das Verhalten des - ebenfalls unerlaubt eingereisten - Betroffenen bei der Stellung seines Asylfolgeantrags darauf schließen ließ, daß er sich der Abschiebung nicht entziehen werde. An einem entsprechenden Verhalten fehlt es hier. Die Betroffene hat mittlerweile, am 13.02.1996, einen Asylfolgeantrag gestellt, allerdings - notwendigerweise - über einen Verfahrensbevollmächtigten, so daß sich daraus keine weiteren, im Rahmen des vorliegenden Freiheitsentziehungsverfahrens zu ihren Gunsten zu berücksichtigenden Anhaltspunkte herleiten lassen.
17Die Entscheidung über die einstweilige Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft beruht auf §§ 29 Abs. 4, 24 Abs. 3 FGG. Der Senat hält es für sachgerecht, die Abschiebungshaft einstweilen bis zur erneuten Entscheidung des Landgerichts aufrechtzuerhalten. Der Senat geht davon aus, daß das Landgericht die erforderlichen Aufklärungsmaßnahmen unverzüglich durchführen wird und hat von daher darauf verzichtet, die einstweilige Anordnung zu befristen.
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