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Oberlandesgericht Köln, 5. Zivilsenat, Urteil vom 11.12.1995 - 5 U 37/95 -. Das Urteil ist rechtskräftig.
Ursache für Netzhautablösung
Indirektes Trauma (Sturz auf den Hinterkopf) ist nicht geeignet, eine Netzhautablösung zu verursachen.
Tatbestand:
Der Kläger macht Ansprüche aus einer bei der Beklagten unterhaltenen Unfallversicherung geltend und hat hierzu vorgetragen, er habe am 24.07.1990 einen Unfall dergestalt erlitten, daß er beim Auswechseln eines Reifens an seinem Fahrzeug rücklinks auf den Hinterkopf gestürzt sei. Infolge dieses Unfalles sei es zu einer Netzhautablösung am linken Auge gekommen, deretwegen er - insoweit unstreitig - am 30.07.1990 in der Universitätsklinik K. operiert worden ist.
Der Kläger hat vorgetragen, trotz der Operation vom 30.07.1990 sei er infolge der Netzhautablösung dauerhaft auf dem linken Auge nahezu erblindet und könne auf diesem Auge nur noch schwache Umrisse erkennen. Deshalb sei die Beklagte verpflichtet, ihm aus der Unfallversicherung 30 % der vertraglichen Versicherungssumme auszuzahlen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 123.900,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 11.03.1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat den vom Kläger behaupteten Sturz bestritten und ferner geltend gemacht, ein solcher Sturz könne auch nicht ursächlich gewesen sein für die beim Kläger operierte Netzhautablösung. Die Netzhautablösung sei vielmehr ausschließlich schicksalhaft auf eine degenerative Veränderung und Vorschädigung des linken Auges des Klägers zurückzuführen.
Das Landgericht hat zum behaupteten Unfallhergang sowie zur Frage der Ursächlichkeit des behaupteten Unfalls für die beim Kläger operierte Netzhautablösung Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung und Einholung von Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R., der seine schriftlichen Gutachten ferner mündlich vor der Kammer erläutert hat.
Durch Urteil vom 18.01.1995, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, zwar sei nach dem Ergebnis der Vernehmung der Ehefrau des Klägers von der Richtigkeit der klägerischen Behauptung, was den Sturz vom 24.07.1990 anbetreffe, auszugehen; dieser Sturz sei jedoch nicht ursächlich für die beim Kläger aufgetretene Netzhautablösung, wie sich aus den Ausführungen des mit der Begutachtung beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. R. ergebe.
Gegen dieses am 01.02.1995 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.03.1995 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.05.1995 mit einem an diesem Tag eingegangenen Schriftsatz begründet. Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und trägt ferner vor, die erstinstanzliche Beweisaufnahme - Zeugnis seiner Ehefrau - habe ergeben, daß er bei einem Sturz mit dem Kopf auf die Felge des bereitgelegten Reservereifens aufgeschlagen sei und nach kurzer Bewußtlosigkeit deutliche Anzeichen einer Gehirnerschütterung gezeigt habe, wobei er schon zu diesem Zeitpunkt erstmals über Beschwerden in Form von Blitzen und Flocken vor dem linken Auge geklagt habe. Dieser Zustand habe während der gesamten Dauer der Rückfahrt des Klägers und seiner Ehefrau angehalten. Vorliegend spreche die auffallende zeitliche Koinzidenz zwischen der äußeren Verletzung und einer an anderer Stelle eingetretenen Schädigung für eine entsprechende ursächliche Verknüpfung, die sich aus den Regeln des Anscheinsbeweises herleiten lasse. Der Ansicht des Sachverständigen Prof. Dr. R. könne nicht zugestimmt werden. Dieser habe sich für den konkreten Fall auf den Standpunkt gestellt, der Sturz des Klägers sei nicht geeignet gewesen, eine Netzhautablösung herbeizuführen. Soweit der Sachverständige dies auf seine eigene ärztliche Erfahrung sowie auf Ausführungen im Lehrbuch von Gramberg-Danielsen gestützt habe, lasse sich dies nicht nachvollziehen. Es sei deshalb ein weiteres Gutachten einzuholen, und im Rahmen dieses Gutachtens werde auch zu untersuchen sein, ob eine besonders große hufeisenförmige Netzhautablösung, wie sie in der Universitätsklinik Köln festgestellt worden sei, ohne äußere Ursache plötzlich entstehen könne. Es liege vielmehr nahe, daß eine Netzhautablösung, die auf Vorschäden beruhe, klein beginne und sich vergrößere. Für den Versicherungsfall komme es, worauf der Kläger erneut hinweist, nicht darauf an, ob der behauptete Unfall die alleinige Ursache für den Schaden, hier also das verringerte oder gänzlich aufgehobene Sehvermögen des linken Auges sei; vielmehr genüge Mitursächlichkeit des Unfallgeschehens.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu entscheiden, vorsorglich dem Kläger zu gestatten, eine erforderliche Sicherheitsleistung durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und ihr hilfsweise zu gestatten, Sicherheit auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Volksbank zu leisten.
Auch die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen, bezieht sich auf die Ausführungen des in erster Instanz beauftragten Sachverständigen und tritt der Bezugnahme des Klägers auf einen vorliegend greifenden Anscheinsbeweis entgegen unter Hinweis darauf, daß ein Anscheinsbeweis nur bei einer gesicherten allgemeinen Erfahrung von einer bestimmten Tatsache als Ursache für eine andere Tatsache in Betracht komme. Das erstinstanzliche Gutachten sei eindeutig, und zur Einholung eines weiteren Gutachtens gebe der Vortrag des Klägers keine Veranlassung. Außerdem sei auch der behauptete Unfall nach wie vor zu bestreiten.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
2Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Klage - mit zutreffender Begründung - zu Recht abgewiesen. Zwar sieht es auch der Senat nach der erstinstanzlichen Aussage der Ehefrau des Klägers als bewiesen an, daß der Klägerin der von ihm behaupteten Art und Weise anläßlich des Reifenwechsels am 24.07.1990 gestürzt ist. Gleichwohl kommt ein Anspruch des Klägers aus der bei der Beklagten unterhaltenen Unfallversicherung nicht in Betracht, weil nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme zur Überzeugung auch des Senats feststeht, daß dieses Unfallereignis nicht ursächlich für die beim Kläger eingetretene Netzhautablösung und die sich mit deren Operation ergebenen weiteren Folgen ist.
3Die Ausführungen des erstinstanzlichen Sachverständigen Prof. Dr. R. widerlegen eindeutig die Möglichkeit einer solchen Kausalität. Nach den mündlichen und schriftlichen Stellungnahmen des Sachverständigen, die dieser jeweils eingehend, konkret nachvollziehbar und in einer von fundierter Sachkenntnis zeugender Weise begründet hat, ergibt sich zweifelsfrei, daß ein indirektes Trauma, hier also ein Sturz auf den Hinterkopf, ohne unmittelbare Beeinträchtigung des Augenbereichs, nicht ursächlich für eine Netzhautablösung sein kann und zwar auch dann nicht, wenn bereits eine entsprechende Vorschädigung des Auges bestanden hat. Die Ausführungen des Sachverständigen erscheinen dem Senat in jeder Hinsicht überzeugend. So hat der Sachverständige bei seiner ersten mündlichen Anhörung ausgeführt, es sei fachmedizinisch anerkannt und entspreche auch seiner gutachterlichen Erfahrung, daß ein indirektes Trauma nicht geeignet sei, eine Netzhautablösung zu verursachen. Auch wenn man im konkreten Fall eine besondere Kraftanstrengung des Klägers beim Wechseln des Reifens und damit eine erhöhte Blutzufuhr in Rechnung stelle, sei das Trauma des Klägers am Hinterkopf nicht adäquat kausal für die später eingetretene Netzhautablösung. Für eine solche komme anerkanntermaßen nur ein unmittelbares Trauma des betroffenen Auges in Betracht, entweder durch Sturz, durch Prellung oder durch eine Perforation. Die Disposition des Klägers in bezug auf das Krankheitsbild an seinem linken Auge, bei dem bereits eine Voroperation durchgeführt worden sei, sehe er als so groß an, daß das Trauma hinsichtlich der Frage der Ursächlichkeit für eine Netzhautablösung in den Hintergrund zu stellen sei.
4In seinem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige dann unter anderem ausgeführt, der Kläger leide an beiden Augen an einer Kurzsichtigkeit, beim rechten Augen sei zudem ein Grauer Star festgestellt worden. Am linken Auge sei die Star-Operation mit Einpflanzung einer Kunstlinse schon 1988 ausgeführt worden. Die Stärke der Kunstlinse lasse darauf schließen, daß die Kurzsichtigkeit links ähnlich hoch gewesen sei wie am rechten Auge. Am linken Auge habe sich eine Nachstartrübung entwickelt, die durch eine Nachstar-Operation mit Laser beseitigt worden sei. Die beim Kläger vorliegende Kurzsichtigkeit und der Zustand des linken Auges nach Star-Operation und nach Ausschneidung eines Nachstars disponiere in hohem Maße für eine Netzhautablösung. Kurzsichtige Menschen mittleren und höheren Lebensalters erlitten 5mal häufiger eine Netzhautablösung als normalsichtige Menschen. Darüber hinaus trete eine Netzhautablösung nach Star-Operationen 5 bis 10mal häufiger auf als bei normalen Augen. Durch die erhöhte Disposition zur Netzhautablösung sei das linke Auge des Klägers gefährdet, eine solche Krankheit zu erleiden. Selbst wenn der Kläger, wie nach seiner Schilderung und der seiner Ehefrau anzunehmen sei, einen heftigen Sturz erlitten habe, so könne man bei einem Sturz auf den Hinterkopf mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen, daß ein direktes Trauma auch das Auge betroffen habe. Der Schlag auf den Hinterkopf sei nicht geeignet, an dem Auge ein indirektes Trauma auszulösen. Ein indirektes Trauma könne auch keine Netzhautablösung verursachen. Soweit in Ausnahmefällen ein indirektes Trauma überhaupt als Ursache einer Netzhautablösung in Betracht gezogen werde, bestehe übereinstimmend die Auffassung, daß in solchen Fällen schwere Verletzungen mit Schädelbrüchen und stärkeren äußeren Verletzungszeichen erkennbar sein müßten.
5Dies alles war jedoch beim Kläger unstreitig nicht der Fall. Für eine schwere Verletzung, insbesondere einen Schädelbruch oder ähnliche Verletzungen, ergeben sich weder aus dem Vortrag des Klägers noch aus dem von ihm geschilderten Geschehensablauf auch nur die mindesten Anhaltspunkte. In Ergänzung seiner vorstehenden Ausführungen hat der Sachverständige ferner überzeugend dargelegt, gegenüber der Tatsache, daß man auch ein indirektes Trauma als Ursache der Netzhautablösung beim Kläger ausschließen könne, sei die Disposition durch die beiden Faktoren Kurzsichtigkeit und Linsenlosigkeit so hoch, daß man einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Unfall vom 24.07.1990 und der Netzhautablösung nicht anerkennen könne. Auch bei gegebener Disposition wäre das anzunehmende Trauma nicht in der Lage gewesen, die Netzhautablösung auszulösen, so daß es sogar als Mitursache für die Netzhautablösung auszuschließen sei. Diese gesamten Ausführungen hat der Sachverständige anläßlich seiner weiteren mündlichen Anhörung vor der Kammer des Landgerichts noch einmal bestätigt und hierbei ausgeführt, das traumatische Ereignis könne weggedacht werden, ohne daß sich an der weiteren Entwicklung etwas ändere; es stehe in keinerlei Zusammenhang mit der erfolgten Netzhautablösung. Als weitere Begründung für diese Annahme hat der Sachverständige ausgeführt: Daß es sich um ein nichtadäquates indirektes Trauma gehandelt habe, werde auch bestätigt durch das Bild anläßlich der Operation der Netzhautablösung; es seien degenerative Löcher und Risse sichtbar gewesen, und es hätten keinerlei Anhaltspunkte für eine traumatische Einwirkung auf die Netzhaut vorgelegen. Von daher vermag auch die Ausführung des Klägers in der Berufungsbegründung nicht zu überzeugen, wonach das Vorliegen einer größeren hufeisenförmigen Ablösung für ein Trauma als Ursache sprechen soll. Zwar mag es sein, daß die vom Sachverständigen geschilderten degenerativen Löcher und Risse zunächst klein ausgeprägt waren und sich dann erst ab einer gewissen Größe beim Kläger durch optisch störende Wahrnehmungen bemerkbar gemacht haben. Dies bedeutet aber nicht zwingend, daß das geschilderte Trauma für diese Symptome und für die ihnen zugrunde liegende Netzhautablösung ursächlich gewesen sein muß. Vielmehr handelt es sich nach den zahlreichen Ausführungen des Sachverständigen ersichtlich um ein zufälliges Zusammentreffen zwischen Netzhautablösung und behauptetem Trauma.
6Hiergegen spricht auch nicht die vom Kläger eingeholte privatgutachterliche Stellungnahme des Herrn Dr. Paul Leikoff. Dieser hat vielmehr im Gegenteil ebenfalls ausgeführt, insoweit in Übereinstimmung mit dem gerichtlichen Sachverständigen, daß indirekte Traumata, wie eine Prellung des Schädels nur in ,Ausnahmefällen" als Ursache zur Auslösung einer Netzhautablösung angesehen werden können, weil die sekundären Auswirkungen eines eventuellen Glaskörperzuges auf die periphere Netzhaut nur sehr gering erscheinen. Wenn er dann jedoch weiter ausführt, daß im vorliegenden Fall allerdings der direkte anamnestische Zusammenhang einer erheblichen Schädelkontusion mit anschließend bemerkten Sehstörungen im linken Auge sowie der 4 Tage später diagnostizierten Netzhautablösung für einen ,gewissen Zusammenhang" sprechen, so vermag dies mangels eingehender Begründung nicht zu überzeugen. Es steht insbesondere im Widerspruch zu den voraufgehenden Ausführungen dieses Gutachters, wonach - wie bereits erwähnt - indirekte Traumata nur in Ausnahmefällen als Ursache zur Auslösung einer Netzhautablösung angesehen werden können. Ersichtlich neigt der vom Kläger beauftragte Gutachter dazu, lediglich aufgrund des zeitlichen Zusammentreffens zwischen Trauma und Sehstörung und nachfolgend festgestellter Netzhautablösung einen entsprechenden Kausalzusammenhang anzunehmen bzw. diesen ,nicht mit Sicherheit ausschließen zu können". Diese Ausführungen sind jedoch nicht geeignet, die eingehenden und überzeugend begründeten Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. R. auch nur annähernd in Frage zu stellen. Auch der vom Kläger wiederholt angeführte Gesichtspunkt eines Anscheinsbeweises vermag vorliegend nicht durchzugreifen, weil nach Maßgabe des vorstehend erörterten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. R. vielmehr konkret feststeht, daß ein Zusammenhang zwischen Sturz und Netzhautablösung vorliegend nicht in Betracht kommt. Gegenüber einem als geführt anzusehenden Negativbeweis kann ein Anscheinsbeweis nicht mehr zum Tragen kommen. Der Kläger hat auch keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, die Veranlassung geben könnten, eine weitere Sachverständigenbegutachtung zu veranlassen. Sein Vorbringen beschränkt sich im Kern auf das einzige Argument des auffallenden zeitlichen Zusammenhangs zwischen Trauma, Sehstörung und diagnostizierter Netzhautablösung. Hiernach handelt es sich jedoch nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ersichtlich um einen Zufallszusammenhang, der die vom Sachverständigen eindeutig verneinte Kausalität nicht in Frage zu stellen geeignet ist.
7Nach allem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO. Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer des Klägers: 123.900,00 DM
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