Datum:
25.10.1995
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 28/95
ECLI:
ECLI:DE:OLGK:1995:1025.13U28.95.00
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 10 O 349/94
Normen:
BGB §§ 667, 675, 254, 276, 277;
Leitsätze:
1. Unabhängig davon, ob die in der Praxis verbreitete Auszahlung von Barbeträgen am Bankschalter allein gegen Vorlage der ec-Karte ein Organisationsverschulden darstellt, genügt die Bank grundsätzlich ihrer Prüfungspflicht bei Bargeldauszahlungen durch eine nicht kontoführende Stelle, wenn sie sich zusätzlich anhand eines gültigen Personalausweises über die Person des Kunden Gewißheit verschafft und durch eine Rückfrage bei der kontoführenden Stelle absichert, daß die Auszahlung in Ordnung geht. 2. Wer seine Jacke mit Brieftasche, in der Ausweispapiere und ec-Karte aufbewahrt werden, während zeitweiser Abwesenheit im unverschlossenen Büro über eine Stuhllehne hängen läßt, handelt typischerweise grob fahrlässig, auch wenn nicht jedermann ohne weiteres unkontrollierten Zugang zu der Büroetage hat.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 10. Januar 1995 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 10 O 349/94 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat auch die Kosten der Berufung zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
2Die Berufung bleibt erfolglos. Der Senat folgt im wesentlichen
den Gründen, aus denen die Zivilkammer dem Kläger eine
Inanspruchnahme der Beklagten wegen der an einen Dritten als
vermeintlichen Kontoinhaber bewirkten Auszahlung von 35.000,-- DM
versagt hat (§ 543 Abs. 1 ZPO).
3
- Das angefochtene Urteil ist zwar insofern ergänzungsbedürftig,
als es lediglich eine Haftung der Beklagten wegen schuldhafter
Verletzung der Sorgfaltspflichten bei der Erfüllung ihrer
bankmäßigen Verpflichtungen gegenüber dem Kläger behandelt, ohne
auf einen verschuldensunabhängigen Anspruch des Klägers aus §§ 675,
667 BGB auf Auskehr des von der Beklagten an einen
Nichtberechtigten ausgezahlten Guthabens einzugehen. Nach der
gesetzlichen Rechtslage (vgl. § 362 BGB) hat grundsätzlich die Bank
das Risiko der Auszahlung an einen Nichtberechtigten zu tragen. Die
Frage, ob das Mißbrauchsrisiko für die Verwendung der ec-Karte als
"Verfügungs- oder Legitimationskarte" für Bargeldauszahlungen am
Bankschalter verschuldensunabhängig durch eine entsprechende
Klausel in den Sonderbedingungen für den ec-Service wirksam auf den
Kunden abgewälzt werden kann (verneinend AG Aachen, NJW-RR 1992,
1323 = WM 1993, 291 mit krit. Anm. Harbeke in WuB I D 5. - 4.93),
stellt sich hier nicht, da die Bedingungen der Beklagten für die
ec-Karte eine derartige Zusatzklausel nicht enthalten. Da die
Beklagte folglich bei einer Auszahlung an einen Nichtberechtigten
dem Kontoinhaber weiterhin verpflichtet bleibt, bedarf es für den
Klageanspruch nicht der Konstruktion eines Schadensersatzanspruchs
aus Schlechterfüllung (sog. positiver Vertragsverletzung) des
Girovertrages durch die Bank, wie Reiser (WuB I D 5. - 3.93) zu der
Entscheidung des LG Essen (WM 1993, 546) zutreffend anmerkt. Dann
ist aber entweder bereits unter dem Gesichtspunkt des § 254 BGB
(diese Vorschrift wird vom BGH in st. Rspr. auf
Erstattungsansprüche nach den §§ 667, 675 BGB wegen fehlgegangener
Überweisungs- oder Auszahlungsaufträge entsprechend angewendet,
jüngst: NJW 1995, 2483 m.w. Nachw.) oder - wie die
Berufungserwiderung (Seite 4) insoweit richtig herausstellt -
jedenfalls unter dem Gesichtspunkt eines Gegenanspruchs der
Beklagten zu prüfen, ob der Kläger die Auszahlung an einen durch
die ec-Karte und den Personalausweis des Klägers ausgewiesenen
Dritten aufgrund (grob)fahrlässiger Verletzung seiner
Sorgfaltspflichten aus dem Girovertrag zu verantworten hat (sog.
positive Vertragsverletzung) und ob die Beklagte wegen Verletzung
der ihr bei Barauszahlungen obliegenden Prüfungspflichten ein
Mitverschulden (§ 254 BGB) trifft. Im Ergebnis bleibt es allerdings
gleich, wenn man stattdessen unter dem Gesichtspunkt eines
Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte aus positiver
Vertragsverletzung prüft, ob die Beklagte bei der Barauszahlung an
den vermeintlichen Kontoinhaber die ihr insoweit aus dem
Girovertrag obliegenden Prüfungspflichten verletzt hat, und dies
bejahendenfalls gegen ein Mitverschulden des Klägers wegen
Verletzung der Aufbewahrungspflicht abwägt. Auch bei dem
letztgenannten rechtlichen Ansatz ist es nicht zu beanstanden, daß
der Kläger anstelle einer Wiedergutschrift der Belastung seines
Girokontos mit den in Rede stehenden 35.000,-- DM auf deren Zahlung
klagt.
4
- Die im vorliegenden Fall zu beurteilende Prüfungspflicht bei
Barauszahlung durch eine Zweigstelle der kontoführenden Bank an den
vermeintlichen Kontoinhaber erstreckt sich im Gegensatz zu den in
der Rechtsprechung meist entschiedenen Fällen der Einlösung
gefälschter Schecks, bei denen es grundsätzlich nur der Prüfung der
Unterschrift bedarf und eine weitergehende Prüfungspflicht erst bei
Vorliegen besonderer Verdachtsmomente in Betracht kommt, von
vornherein auf die materielle Berechtigung der als Kontoinhaber
auftretenden Person. Es braucht hier nicht abschließend entschieden
zu werden, ob eine in den Bedingungen für den ec-Service nicht
geregelte, in der Praxis aber verbreitete Auszahlung von
Barbeträgen allein gegen Vorlage der ec-Karte bereits ein
Organisationsverschulden der Bank begründet, wie das LG Essen (WM
1993, 546) angenommen hat. Der Senat neigt allerdings ebenfalls
stark dazu, daß von Kreditinstituten, welche die ec-Karte auch bei
Bargeldauszahlungen am Schalter zur Identifikation und Legitimation
des Kunden genügen lassen wollen, erwartet werden darf, daß dieser
Verwendungszweck, daraus folgende Verhaltensregeln des Kunden (bei
Verlust der Karte müßte unbedingt auch die kontoführende Bankstelle
unmittelbar benachrichtigt werden), die Grenzen einer solchen
Verwendung der ec-Karte und eine mit dieser Verwendungsmöglichkeit
verbundene Risikoverteilung in den Bedingungen für den ec-Service
geregelt werden. Soweit dies - wie auch hier - nicht der Fall ist,
folgt daraus jedoch nicht ohne weiteres, daß die Bargeldauszahlung
durch eine nicht kontoführende Zweigstelle gegen Vorlage der
ec-Karte als eine schuldhafte Verletzung des Bankvertrages
anzusehen ist. Es liegt zwar im Pflichtenkreis der Bank, sich
selbst und den Kunden durch zusätzliche Maßnahmen gegen
Barauszahlungen an Nichtberechtigte zu schützen. Solche Maßnahmen,
zu denen typischerweise die Identifikationskontrolle aufgrund eines
gültigen Personalausweises oder Reisepasses (die Vorlage eines
Führerscheins hat das LG Essen, a.a.O., nicht ausreichen lassen)
sowie die Vergewisserung bei der kontoführenden Stelle gehören, daß
die Auszahlung in Ordnung geht, hat die Beklagte hier indessen
getroffen. Es kommt daher entscheidend darauf an, ob diese
Vorkehrungen den Umständen nach etwa unzureichend waren. Das ist
nach Auffassung des Senats nicht der Fall:
5Die Beklagte hat sich anhand eines
gültigen Personalausweises über die Person des in ihrer Zweigstelle
bis dahin unbekannten Kunden Gewißheit verschafft. Durch eine
Rückfrage bei der kontoführenden Stelle wurde ferner abgesichert,
daß die vorgelegte ec-Karte nicht gesperrt war und das Konto eine
entsprechende Deckung aufwies. Die im Zusammenhang mit der
Einlösung gefälschter Barschecks häufig erörterte Frage, ob die
Bank von einer gewissen Betragshöhe an verpflichtet ist, sich über
die Vereinbarkeit einer solchen Barauszahlung mit den
Gepflogenheiten des Kontoinhabers zu vergewissern (ausführlich
hierzu OLG Hamburg, WM 1994, 1107 m.w.Nachw.), stellt sich hier
ebenfalls nicht; die Kontoführerin brauchte aus einer Abhebung in
dieser Höhe deshalb keinen Verdacht zu schöpfen, weil der Kläger
ihr mitgeteilt hatte, daß er den Eingang eines größeren Betrages
erwarte, den er in den neuen Bundesländern investieren wolle. Es
sind auch keine Anhaltspunkte dafür festzustellen, daß der
Sachbearbeiter der Beklagten, der Auszubildende M. , die
Identifizierung der auftretenden Person etwa nicht mit der
erforderlichen Sorgfalt vorgenommen hat. Seine recht detaillierte
und charakteristische Beschreibung jener Person (ca. 35-45 Jahre
alt, Tendenz Richtung 40 Jahre; ca. 175-180 cm groß, schlank, keine
auffallende Figur; gebräuntes Gesicht; mittelblondes Haar,
gescheitelt an der Seite, glatt, Ohren frei; Schnäuzer), ihrer
Bekleidung und ihrer Verhaltensweise (ruhig und bis auf die
Tatsache, daß die Person schwitzte, unauffällig) macht deutlich,
daß er sich jene Person genau angesehen hat. Der Vergleich dieser
Personenbeschreibung mit dem Lichtbild auf dem (neuen)
Personalausweis des Klägers läßt keine auffälligen Abweichungen
erkennen (auch der Kläger trägt auf diesem Lichtbild einen
Schnäuzer, die Ohren sind frei, die Haare glatt gestrichen mit
einem Scheitel an der rechten Seite). Daß der Kläger hiernach
Brillenträger ist, was dem Sachbearbeiter der Beklagten an der
beschriebenen Person nicht aufgefallen ist, begründet noch kein
Verdachtsmoment. Das mit den übrigen Eintragungen des
Personalausweises des Klägers in der "Aufzeichnung gemäß
Geldwäschegesetz" festgehaltene Geburtsdatum weist zwar ein Alter
des Klägers von damals 50 Jahren aus. Dabei ist jedoch zu
berücksichtigen, daß der Personalausweis bereits vor etwa 21/2
Jahren ausgestellt war. Nähere Feststellungen dazu, wie der Kläger
auf jenem Personalausweis abgebildet war, sind dem Senat wegen
fehlenden Vergleichsmaterials nicht möglich. Entsprechendes gilt
für den Vergleich des Schriftzuges, mit dem die auftretende Person
den Auszahlungsbeleg unterzeichnet hat, bevor dieser Beleg von dem
Auszubildenden M. als Sachbearbeiter und von einem
zeichnungsberechtigten Angestellten gegengezeichnet wurde. Hier
standen dem Bankpersonal sowohl die Unterschrift des Klägers auf
der ec-Karte als auch diejenige auf dem Personalausweis als
Vergleichsmaterial zur Verfügung. Der Senat kann insoweit nur
feststellen, daß die Unterschrift auf dem Auszahlungsbeleg im
Rahmen der Bandbreite der sonstigen aktenkundigen zeitnahen
Unterschriften des Klägers, aber auch derjenigen der
Empfangsbestätigung vom 11.12.1990 für die verwendete ec-Karte und
derjenigen des Kontoeröffnungsantrages vom 12.11. 1986 liegt.
6Da nach alledem keine besonderen
Verdachtsmomente vorlagen, würde es auch eine Überspannung der
Prüfungsanforderungen bedeuten, von der Beklagten zu erwarten, die
auftretende Person eigens mit dem/der Kontoführer/in, die den
Kläger persönlich kannten, zu verbinden, um sich - soweit dies bei
einem Telefonat möglich ist - zusätzlich der Identität zu
versichern. Ebensowenig kann etwa generell verlangt werden, daß
Kreditinstitute Barauszahlungen am Schalter an Kunden, die dem
jeweils mit dem Vorgang befaßten Bankpersonal nicht von Person
bekannt sind, nur unter Verwendung der PIN-Nummer (hierzu müßten
dann entsprechende Eingabegeräte am Schalter installiert werden)
vornehmen dürfen.
7
- Während hiernach eine schuldhafte Verletzung der bankmäßigen
Prüfungspflicht durch die Beklagte zu verneinen ist, muß sich der
Kläger vorhalten lassen, durch eine ungewöhnliche Vernachlässigung
seiner Sorgfaltspflicht bei der (gemeinsamen) Aufbewahrung von
ec-Karte und Personalausweis die "Plünderung" seines Girokontos um
35.000,-- DM ermöglicht zu haben. Ob eine Begrenzung der
Kundenhaftung auf grobe Fahrlässigkeit (bzw. 10% des
Gesamtschadens), wie sie für die mißbräuchliche Verwendung der
ec-Karte in Verbindung mit eurocheque-Vordrucken oder an
ec-Geldautomaten und automatisierten Kassen gilt (gemäß III.1.4.
und III.2.4. der Bedingungen der Beklagten für ihre ec-Karte), in
entsprechender Anwendung dieser vertraglichen Sonderregelungen auch
auf den Mißbrauch der ec-Karte zu Barabhebungen am Bankschalter
ausgedehnt werden kann, wenn die Bank eine solche
Gebrauchsmöglichkeit zuläßt, ohne sie in ihren Geschäftsbedingungen
zu regeln, erscheint fraglich, bedarf jedoch keiner Entscheidung,
weil hier grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Das Zurücklassen von
Handtaschen oder Jacken mit Brieftaschen oder Geldbörsen, in denen
Ausweispapiere und ec-Medien aufbewahrt werden, während der
zeitweisen Abwesenheit der Benutzer in unverschlossenen Büros ist,
auch wenn nicht jedermann unkontrollierten Zugang hierzu hat, ein
typischer Fall grober Fahrlässigkeit (zutr. Ahlers, WM 1995, 601,
606). Ob dies auch für den vom AG Aachen (NJW-RR 1992, 1323 = WM
1993, 291) entschiedenen Fall gilt, daß Trickdiebe die in einem
Nebengelaß eines Verkaufsraums abgestellte Handtasche stehlen,
indem einer der Täter die Verkäuferin mit einem vermeintlichen
Verkaufsgespräch ablenkt, während ein zweiter Täter in den
Nebenraum eindringt, mag dahinstehen. Unter den im angefochtenen
Urteil zutreffend gewürdigten Umständen ist im vorliegenden Fall an
dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit schlechterdings nicht
vorbeizukommen. Es genügt, in diesem Zusammenhang ergänzend darauf
zu verweisen, wie es dem PHM B. bei seiner "Tatortbesichtigung" und
Befragung des Klägers am 8.3.1994 ergangen ist (Vermerk Bl. 14 f.
der Ermittlungsakte 951 UJs StA Düsseldorf):
8"Das Gebäude konnte durch die an der
Burgunderstraße gelegene Eingangstür, die nicht verschlossen war,
betreten werden. Ein Empfangs- oder Pförtnerdienst ist nicht
eingerichtet. Die Büroräume der Fa. O. befinden sich auf zwei
Fluren im 1. Obergeschoß, die vom Treppenhaus nach rechts und links
abzweigen. Glastüren, die zwischen dem Treppenhaus und den Fluren
vorhanden sind, sind nicht verschlossen. Das Büro des Geschädigten,
Herrn G. , befindet sich auf dem Flur, der vom Treppenhaus links
abzweigt. Die Türen der auf diesem Flur nebeneinander liegenden
Büroräume standen bei der Tatortaufsuche offen. Der Flur konnte
durch den Unterzeichner unbeachtet von einer dort im ersten Büro
anwesenden Person, die telefonierte, betreten werden. Nachdem der
Unterzeichner eine Person hat fragen können, wo Herr G. sein Büro
habe, wurde der Unterzeichner offenbar bewußt
bemerkt.......
9Herr G. wurde durch den Unterzeichner
zu dem Diebstahl seiner Brieftasche befragt. Er gab an, sein Büro
am Tattage in der Zeit von da. 16.00 bis 16.30 Uhr zu einer
Besprechung, die in einem anderen Raum auf diesem Flur stattfand,
verlassen zu haben. Die Tür seines Büros habe er nicht
verschlossen. Daß die Bürotüren verschlossen werden, auch wenn die
Büros unbeaufsichtigt sind, sei nicht üblich, da man keinen
Publikumsverkehr dort habe. Seine Jacke, in der seine Brieftasche
steckte, habe er beim Verlassen des Büros dort über eine Stuhllehne
gehängt belassen."
10
- Nach alledem hat sich der Kläger den Verlust der in Rede
stehenden 35.000,-- DM allein zuzuschreiben, und zwar unabhängig
davon, ob er die gegen 16.45 Uhr erfolgte Abhebung nicht noch hätte
vermeiden können, wenn er sich sogleich nach Bemerken des Verlustes
seiner Brieftasche unmittelbar mit seiner kontoführenden Stelle bei
der Beklagten telefonisch in Verbindung gesetzt hätte.
11Die Nebenentscheidungen beruhen auf den
§§ 97 Abs. 1, 708 Nr.10, 713 ZPO.
12Streitwert der Berufung und Beschwer
des Klägers durch dieses Urteil: 35.000,-- DM.