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Die Darlegungs- und Beweislast für eine Verkehrssicherungspflichtverletzung trifft im rein deliktischen Bereich – anders im vertraglichen Bereich – allein den Geschädigten (in Fortschreibung zu BGH, Urteil vom 25.10.2022 – VI ZR 1283/20, r+s 2023, 42 Rn. 15 ff. m. w. N.; OLG Hamm, Beschluss vom 11.10.2023 – 7 U 57/23, r+s 2024, 571 = juris Rn. 5; OLG Hamm, Beschluss vom 19.1.2023 – 7 U 119/22, BeckRS 2023, 9515 = juris Rn. 6).
Die Zumutbarkeit von Sicherungsvorkehrungen bestimmt sich unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, der Gewichtigkeit möglicher Schadensfolgen und der Höhe des Kostenaufwands, der mit etwaigen Sicherungsvorkehrungen einhergeht (im Anschluss an BGH, Urteil vom 19.07.2018 – VII ZR 251/17, r+s 2018, 557 Rn. 18).
Insoweit ist anerkannt, dass Verkehrsflächen nicht permanent auf drohende Gefahren überprüft werden müssen (im Anschluss an BGH, Urteil vom 25.10.2022 – VI ZR 1283/20, r+s 2023, 42 Rn. 13 f.; BGH, Beschluss vom 11.08.2009 – VI ZR 163/08, BeckRS 2009, 23927 Rn. 5; BGH, Urteil vom 05.10.2004 – VI ZR 294/03, NJW-RR 2005, 251 = juris Rn. 20; BGH, Urteil vom 04.10.1983 – VI ZR 98/82, r+s 1984, 12 = juris Rn. 15), so dass auch Absperrpfosten auf öffentlich zugänglichen Wegen grundsätzlich – wie hier – nicht ständig auf ordnungsgemäße Arretierung / fehlerhaften Verschluss / Beschädigungen überprüft werden müssen (in Fortschreibung zu OLG Hamm, Beschluss vom 04.05.2022 – 7 U 20/22, NJW-RR 2022, 1615 = juris Rn. 12).
Eine vollständige Überbürdung des Schadens auf den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens ist nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen, wenn – wie hier nicht – das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist (im Anschluss an BGH, Urteil vom 28.04.2015 – VI ZR 206/14, r+s 2015, 418 Ls. 1; BGH, Urteil vom 20.06.2013 – III ZR 326/12, NZV 2013, 534 Rn. 27; OLG Hamm, Urteil vom 17.01.2025 – 7 U 114/23, Ls. 2).
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers auf seine Kosten gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Es wird dem Kläger Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Bitte beachten Sie: Die Berufung ist auf den Hinweis zurückgenommen worden.
2G r ü n d e
3I.
4Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
51. Allerdings greifen die Einwendungen des Klägers gegen die Annahme eines anspruchsausschließenden Mitverschuldens nach § 254 Abs. 1 BGB seitens des Landgerichts, bezüglich derer zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Berufungsbegründungsschrift (Bl. 4 ff. der zweitinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden: eGA II-4 ff.) verwiesen wird, im Ansatz durch. Denn obwohl den Kläger auch nach Auffassung des Senats ein Mitverschulden trifft, weil er entweder bei Verdeckung des Pfostenfußes durch Laub nicht ohne hinreichende Vorsicht durch das Laub hätte hindurchfahren dürfen oder er bei fehlender Verdeckung des Pfostenfußes gegen § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO verstoßen hat, kann dies im Hinblick auf die tatsächlich existente abhilfebedürftige Gefahrenquelle als Primärursache aufgrund der vorliegenden Umstände des Einzelfalls nicht zu einer vollständigen Kürzung eines Anspruchs des Klägers führen.
62. Indes besteht schon kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte, weil trotz der abhilfebedürftigen Gefahrenquelle eine Verkehrssicherungspflichtverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB oder des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 229 StGB der Beklagten nicht festzustellen ist.
7a) Die Darlegungs- und Beweislast für die Verkehrssicherungspflichtverletzung trifft hier im rein deliktischen Bereich – anders im vertraglichen Bereich (vgl. BGH Urt. v. 25.10.2022 – VI ZR 1283/20, r+s 2023, 42 Rn. 15 ff. m. w. N.; Senat Beschl. v. 11.10.2023 – 7 U 57/23, r+s 2024, 571 = juris Rn. 5; Senat Beschl. v. 19.1.2023 – 7 U 119/22, BeckRS 2023, 9515 = juris Rn. 6) – allein den Kläger.
8Den Beweis hat der Kläger nach Maßgabe des § 286 ZPO zu führen. Dies erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (BGH Urt. v. 23.6.2020 – VI ZR 435/19, VersR 2021, 1497 Rn. 13).
9b) Gemessen daran hat der Kläger weder (unter Beweisantritt) dargelegt noch aufgrund der (unter Verkennung der Darlegungs- und Beweislast) erfolgten Beweisaufnahme bewiesen, dass die an sich abhilfebedürftige Gefahrenquelle bereits seit einem Zeitpunkt vor dem Unfall morgens gegen 6:40 Uhr bestand, zu dem die Beklagte diese hätte wahrnehmen und absichern müssen.
10Es kommt aufgrund der Angaben der Zeugen Y. (Protokoll vom 07.10.2024 Seite 2 ff., eGA I-278 ff.) und des Zeugen P. (Protokoll vom 07.10.2024 Seite 7 ff., eGA I-283 ff.) ernsthaft und damit Zweifel im Sinne des § 286 ZPO begründend in Betracht, dass der Absperrpfosten sich am Vorabend (nach Abschluss der bereits vorprozessual eingewandten [Schreiben der G. vom 15.02.2022, Anl. K6, eGA I-53] Laubfegearbeiten des Zeugen Y.) noch in ordnungsgemäßem Zustand befand und erst nachträglich durch unbekannte Dritte aus seiner Verankerung gerissen worden ist.
11Dass dies durch den Bruch des Kipppfosten und Pfostenfuß verbindenden Stifts der Fall war, ergibt sich aus der Aussage des Zeugen P. (Protokoll vom 07.10.2024 Seite 7 Abs. 7, eGA I-283, und Seite 10 Abs. 7, eGA I-286), so dass es auch nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage bedarf, ob ein solcher Stift – vorbeschädigt oder nicht – brechen kann.
12Die Beklagte ist trotz der nach den Angaben der Zeugen bekannten Vandalismusvorfällen auf ihrem Grundstück entgegen dem Ansatz der Berufungsbegründung auch nicht etwa dazu verpflichtet gewesen, den Absperrpfosten mit seiner Verankerung dauerhaft abzubauen oder jederzeit zu überwachen, ob der Absperrpfosten einem erneuten Vandalismusvorfall ausgesetzt war.
13Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Zu berücksichtigen ist dabei, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, eine Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten sind (BGH Urt. v. 28.3.2023 – VI ZR 19/22, r+s 2023, 626 Rn. 13 m. w. N.).
14Die Zumutbarkeit von Sicherungsvorkehrungen bestimmt sich dabei unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, der Gewichtigkeit möglicher Schadensfolgen und der Höhe des Kostenaufwands, der mit etwaigen Sicherungsvorkehrungen einhergeht (BGH Urt. v. 19.7.2018 – VII ZR 251/17, r+s 2018, 557 Rn. 18).
15Insoweit ist anerkannt, dass Verkehrsflächen nicht permanent auf drohende Gefahren überprüft werden müssen, sei es bezüglich Straßen und Wegen bei Schnellfall und Glätte, bei denen Gefahren nur zu beschränkten Zeiten (insbesondere nicht nachts) und nicht während sowie kurz nach Schnellfall beseitigt werden müssen (vgl. zur Nachtzeit etwa BGH Beschl. v. 11.8.2009 – VI ZR 163/08, BeckRS 2009, 23927 Rn. 5; BGH Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 98/82, r+s 1984, 12 = juris Rn. 15), sei es bezüglich Verkehrsflächen in Geschäftsräumen, bei denen nur in regelmäßigen Abständen geprüft werden muss, ob Gefahren entstanden sind (vgl. bezüglich Verunreinigungen in Verkaufsräumen etwa BGH Urt. v. 25.10.2022 – VI ZR 1283/20, r+s 2023, 42 Rn. 13 f.; zur nicht erforderlich lückenlosen Überwachung gefährlicher Rutschvorgänge BGH Urt. v. 5.10.2004 – VI ZR 294/03, NJW-RR 2005, 251 = juris Rn. 20).
16Entsprechend hat auch der Senat bereits entschieden, dass ein Parkplatzbügel nicht ständig auf ordnungsgemäße Arretierung / fehlerhaften Verschluss überprüft werden muss (vgl. Senat Beschl. v. 4.5.2022 – 7 U 20/22, NJW-RR 2022, 1615 = juris Rn. 12).
17Das ist auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Die Beklagte war trotz der vorhergehenden Vandalismusfälle, die aber nach den Ausführungen der Zeugen nicht zu einem Abbruch des Pfostens von seinem Fuß, sondern nur zu einem Umkippen und Verbiegen geführt hatten, nicht verpflichtet, am Morgen des Unfalltages vor 6:40 Uhr oder am Vorabend zu prüfen, ob der Pfosten noch ordnungsgemäß mit seinem Fuß befestigt war.
18Dass der Zeuge Y. im Rahmen seiner vorabendlichen Laubfegearbeiten oder eine anderen der Beklagten zurechenbare Person bereits den Abbruch des Pfostens festgestellt hätte oder hätte feststellen müssen, hat der Kläger schon nicht behauptet (und unter Beweis gestellt).
193. Damit scheiden auch Ansprüche aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB mangels festsehender Pflichtverletzung etwaiger Verrichtungsgehilfen aus.
20II.
21Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Ferner erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats. Die maßgebenden Fragen sind solche des Einzelfalles.
22Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung verspricht sich der Senat angesichts dessen, dass es keiner weiteren Beweisaufnahme bedarf, keine neuen Erkenntnisse. Auch ansonsten erscheint eine mündliche Verhandlung nach einstimmigem Votum des Senats nicht geboten.
23Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.