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Geht eine Kindeswohlgefährdung i. S. d. § 1666 BGB für ein im Haushalt seiner Eltern lebendes Kind von beiden Eltern aus, kommt eine Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht wegen unzulässiger Teilentscheidung gem. § 69 Abs. 1, S. 2 FamFG auch dann in Betracht, wenn dieses in Unkenntnis des Bestehens der gemeinsamen elterlichen Sorge lediglich dem von ihm für alleinsorgeberechtigt angesehenen Elternteil gem. § 1666 BGB die elterliche Sorge oder Teile derselben entzogen hat und eine Entscheidung über den Entzug der elterlichen Sorge oder Teile derselben hinsichtlich des anderen – mitsorgeberechtigten – Elternteils nicht getroffen hat.
Auf die Beschwerde des Jugendamtes der Stadt F. vom 13.12.2024 wird der am 12.11.2024 erlassene Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Hagen aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die elterliche Sorge des Vaters an das Familiengericht in Hagen zurückverwiesen.
Die Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten wird nicht angeordnet.
Der Beschwerdewert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Die Beteiligte zu 1) und der Beteiligte zu 2) sind die Eltern des am 00.00.2017 geborenen G. und der am 00.00.2024 geborene I.. Der Beteilige zu 2) hat am 03.06.2024 die Vaterschaft für I. anerkannt. Ferner haben die Eltern am 03.06.2024 eine gemeinsame Sorgeerklärung für das Kind abgegeben (FamG, Bl. 278).
4Die Familie ist dem Jugendamt bereits seit Jahren bekannt, da die Polizei das Jugendamt in 2018, in 2020, in 2022 und im März 2024 über häusliche Gewalt im elterlichen Haushalt informierte.
5Am 00.05.2024 stellten die behandelnden Ärzte des (..) Krankenhauses F. bei dem Kind u.a. zwei Rippenfrakturen im Brustkorb, 30 bis 40 Hämatome am gesamten Körper, offene Stellen an den Handinnenflächen sowie Bissabdrücke fest. Der behandelnde Oberarzt gab an, dass die Rippenbrüche durch massive äußere Gewalteinwirkungen entstanden sein müssen, da Knochenbrüche in diesem Alter aufgrund der noch sehr weichen Knochen kaum möglich seien.
6Mit Zustimmung der Mutter nahm das Jugendamt das Kind vorübergehend in Obhut und brachte es in einer Bereitschaftspflegefamilie unter. Nachdem die Mutter ihr Einverständnis mit der Inobhutnahme zurückgenommen hatte, entzog ihr das Amtsgericht – Familiengericht – Hagen im Wege einer einstweiligen Anordnung die Gesundheitsfürsorge und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für I. vorläufig und ordnete eine Ergänzungspflegschaft an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des genannten Beschlusses verwiesen (AZ: AG Hagen, 127 F 94/24).
7Mit Schriftsatz vom 03.06.2024 (FamG, Bl. 5f.) und vom 10.06.2024 (FamG, Bl. 10ff.) hat das Jugendamt der Stadt F. angeregt, der Mutter die elterliche Sorge für I. zu entziehen. Dabei hat es angegeben, dass die beteiligte Mutter die elterliche Sorge für das Kind allein ausüben würde.
8Das Jugendamt hat das rechtsmedizinische Gutachten der Frau C. vom 16.08.2024 zur Akte gereicht, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird (FamG, Bl. 85ff.). Nach den Feststellungen der Sachverständigen waren die Verletzungen des Kindes aus rechtsmedizinischer Sicht zum Großteil durch eine wiederholte, teils schwere Kindesmisshandlung durch stumpfe Gewalteinwirkung zu erklären.
9Das Familiengericht hat die Eltern, die Verfahrensbeiständin und die zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes persönlich angehört. Es hat sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind gemacht. Auf die Protokolle vom 22.10.2024 (FamG, Bl. 210ff.) und vom 29.10.2024 (FamG, Bl. 218) wird Bezug genommen.
10Mit dem am 12.11.2024 erlassenen Beschluss hat das Familiengericht der Mutter das Umgangsbestimmungsrecht, das Recht zur Beantragung von Hilfe zur Erziehung gem. den §§ 27ff. SGB VIII, die Gesundheitsfürsorge und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind I. entzogen, Ergänzungspflegschaft angeordnet und das Jugendamt der Stadt F. zum Ergänzungspfleger bestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des genannten Beschlusses verwiesen (FamG, Bl. 224ff.). Diese beschränken sich im Wesentlichen auf die Beschreibung der bei dem Kind festgestellten Verletzungen, die Verantwortlichkeit der Eltern für diese Verletzungen, insbesondere die Verantwortlichung des Vaters, und den fehlenden Schutz des Kindes in einem der elterlichen Haushalte.
11Zum Zeitpunkt der Entscheidung war dem Familiengericht und den weiteren Beteiligten nicht bekannt, dass die Eltern die elterliche Sorge für I. seit dem 03.06.2024 gemeinsam ausüben.
12Nach Erlass des Beschlusses ist die Mutter mit dem Kind G. nach Z. verzogen. Der Vater befand sich vorübergehend wegen Körperverletzung und Kindesmisshandlung zum Nachteil des Kindes I. in Untersuchungshaft (FamG, Bl. 250).
13Gegen den am 12.11.2024 erlassenen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Jugendamtes der Stadt F. mit dem Ziel, auch dem Vater die elterliche Sorge für das Kind I. zu entziehen (Bl. 2 e-Akte).
14Die Verfahrensbeiständin hat in ihrem Bericht vom 20.12.2024 (Bl. 141f. e-Akte) empfohlen, dem Vater die elterliche Sorge zu entziehen. Dieser habe eingeräumt, zumindest die schwerwiegendsten Verletzungen des wenige Wochen alten Säuglings verursacht zu haben. Das Familiengericht habe betreffend den Vater keine Entscheidung getroffen, weil weder dem Gericht noch den weiteren Beteiligten bekannt gewesen sei, dass die Eltern während des laufenden Verfahrens eine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben haben.
15Der Vater verweist in seinem Schriftsatz vom 06.01.2025 (Bl. 148 e-Akte) darauf, dass eine Korrektur des angefochtenen Beschlusses nicht in Betracht komme. Es handele sich nicht um ein offensichtliches Versehen oder einen Schreibfehler des Familiengerichts. Seine elterliche Sorge sei nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen. Das Jugendamt müsse sein Begehren in einem neuen Verfahren verfolgen.
16II.
17Die Beschwerde des Jugendamts der Stadt F. hat vorläufigen Erfolg. Der angefochtene Beschluss des Familiengerichts ist aufzuheben; das Verfahren ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurückzuverweisen (vgl. § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG). Denn es fehlt eine abschließende Sachentscheidung des Familiengerichts zur elterlichen Sorge des Vaters.
181.
19Nach § 69 Abs. 1 S. 1 FamFG hat das Beschwerdegericht in der Sache selbst zu entscheiden. Es darf die Sache – anders als in den Fällen des § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG auch ohne einen dahingehenden Antrag eines Beteiligten – unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht entschieden hat (vgl. § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG). Dies ist der Fall, wenn das Familiengericht das Begehren als unzulässig zurückgewiesen hat oder die eigene Zuständigkeit verneint, aber in entsprechender Anwendung des § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG auch dann, wenn es die notwendige Beteiligung nach § 7 FamFG unterlassen oder eine unzulässige Teilentscheidung getroffen hat (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Dezember 2022 – 7 UF 1036/22 –, FamRZ 2023, 605f., bei juris Langtext Rn. 8f.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 17. Februar 2011 – 6 UF 14/11 –, FamRZ 2011, 992, bei juris Langtext Rn. 4f., jeweils zur Teilentscheidung in Sorgerechtsverfahren; Feskorn, in: Zöller, Kommentar zur ZPO und zum FamFG, 35. Auflage 2024, § 69 FamFG Rn. 8 m.w.N.). Denn ohne eine umfassende Entscheidung über die Sache, liegt ein verfahrensrechtlich unzulässiger Teilbeschluss vor, der die Anwendung des § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG rechtfertigen kann (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Dezember 2022 – 7 UF 1036/22 –, FamRZ 2023, 605f., bei juris Langtext Rn. 12 m.w.N.).
202.
21Zwar hat das Familiengericht in dem angefochtenen Beschluss den Entzug von Teilen der elterlichen Sorge bei der Mutter ausführlich begründet.
22Eine Entscheidung hinsichtlich der elterlichen Sorge des Vaters ist jedoch nicht erfolgt.
23Dies gilt unter Berücksichtigung des § 1680 Abs. 2, 3 BGB, nachdem das Familiengericht die dem Alleinsorgeberechtigten entzogene elterliche Sorge dem anderen Elternteil zu übertragen hat, wenn dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht. Diese Prüfung hat das Familiengericht, obwohl es – wenn auch irrtümlich – von der Alleinsorge der Mutter ausgegangen ist, nicht vorgenommen und dazu unter Ausübung des eigenen Ermessens ausdrücklich keine gesonderte Entscheidung getroffen. Das Unterlassen dieser Entscheidung rechtfertigt die Aufhebung und Zurückverweisung nach § 69 Abs. 1, S. 2 FamFG (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 20. Februar 2015 – 19 UF 266/14 –, FamRZ 2015, 1978f., bei juris Langtext Rn. 10, 14).
24Dem steht nicht entgegen, dass die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach 1680 Abs. 2, 3 BGB tatsächlich nicht vorgelegen haben, weil der beteiligte Vater mitsorgeberechtigt ist, was im Falle des Entzuges der elterlichen Sorge der Mutter dazu führt, dass er die elterliche Sorge gem. § 1680 BGB alleine ausübt. Denn im Hinblick auf den dem Sorgerechtsverfahren zugrundeliegenden Vorwurf der Kindeswohlgefährdung von I. im Haushalt ihrer Eltern hätte das Familiengericht vom Amts wegen auch eine Entscheidung über die elterliche Sorge des beteiligten Vaters nach den §§ 1666, 1666a BGB treffen müssen. Jedenfalls hätte es diese Frage im Hinblick auf die Regelung in § 1680 Abs. 1 BGB und die von ihm festgestellte Kindeswohlgefährdung nicht offenlassen dürfen. Allein der Umstand, dass es sich infolge der fehlenden Kenntnis von der Abgabe der gemeinsamen Sorgeerklärung der Eltern an einer näheren Befassung und Entscheidung nach den §§ 1666, 1666a BB im Hinblick auf den Vater gehindert gesehen hat, steht der Aufhebung und Zurückverweisung nach § 69 Abs. 1, S. 2 FamFG nicht entgegen (vgl. dazu auch: OLG Köln, Beschluss vom 2. Dezember 2016 – 2 Wx 550/16 –, FamRZ 2017, 1164f., bei juris Langtext Rn. 33). Denn anders als im Fall eines Verfahrensfehlers i.S.d. § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG kommt es nach § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG nicht darauf an, aus welchen Gründen die Sachentscheidung unterblieben ist.
25III.
26Der Senat übt das ihm eingeräumte Ermessen, eine eigene Sachentscheidung zu treffen oder das Verfahren ausnahmsweise an das Erstgericht zurückzuverweisen, dahingehend aus, dass vorliegend einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und einer Zurückverweisung an das Familiengericht der Vorzug zu geben ist. Da das Familiengericht zur elterlichen Sorge des Vaters bislang keine Sachentscheidung getroffen hat, der Vater mithin im Falle einer Sachentscheidung durch den Senat eine Tatsacheninstanz verlieren würden, sieht der Senat die durch die Zurückverweisung entstehenden Nachteile vorliegend als nachrangig an (vgl. dazu auch: OLG Hamm, Beschluss vom 14. Juli 2020 – II-2 UF 241/19 –, FamRZ 2021, 44ff., bei juris Langtext Rn. 39).
27IV.
28Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, 2 FamFG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf den §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
29Rechtsbehelfsbelehrung:
30Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordert (§ 70 Abs. 2 FamFG).