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Zu den Anforderungen, die im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung an die rechtsmissbräuchliche Geltendmachung einer Vertragsstrafe gemäß § 242 BGB zu stellen sind
Die Berufung des Klägers gegen das am 25.02.2022 verkündete Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen (45 O 23/21) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die Kosten des Revisionsverfahrens (I ZR 83/23) werden dem Kläger auferlegt.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
2I.
3Der klagende – weder in die Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG noch in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UklaG eingetragene – Verband nimmt den Beklagten, der unter dem Verkäufer-Namen „I.“ über die Handelsplattform Amazon Haushaltswaren vertreibt, wegen Verstößen gegen eine strafbewehrte Unterlassungsvereinbarung auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5.000,00 € in Anspruch.
4Aufgrund einer Abmahnung des Klägers vom 17.07.2020, auf die wegen der näheren Einzelheiten Bezug genommen wird, gab der Beklagte am 23.07.2020 eine strafbewehrte „Unterlassungsverpflichtungserklärung“ ab, die inhaltlich der der Abmahnung beigefügten vorformulierten Erklärung entsprach und die der Kläger annahm.
5Das Abmahnverhalten des Klägers stellte sich in den Jahren 2017 bis 2020 in seiner Gesamtheit wie folgt dar:
62017: |
|
Anzahl der Abmahnungen: |
5.945 |
Anzahl der Unterlassungserklärungen: |
4.966 |
Anzahl der gerichtlichen Verfahren: |
421 |
Anzahl der nicht gerichtlich verfolgten Fälle: |
558 |
2018: |
|
Anzahl der Abmahnungen: |
4.795 |
Anzahl der Unterlassungserklärungen: |
2.919 |
Anzahl der gerichtlichen Verfahren: |
256 |
Anzahl der nicht gerichtlich verfolgten Fälle: |
1.620 |
2019: |
|
Anzahl der Abmahnungen: |
4.066 |
Anzahl der Unterlassungserklärungen: |
1.353 |
Anzahl der gerichtlichen Verfahren: |
414 |
Anzahl der nicht gerichtlich verfolgten Fälle: |
1.565 |
2020: |
|
Anzahl der Abmahnungen: |
3.520 |
Anzahl der Unterlassungserklärungen: |
1.325 |
Anzahl der gerichtlichen Verfahren: |
528 |
Anzahl der nicht gerichtlich verfolgten Fälle: |
1.657 |
Mit Schreiben vom 24.03.2021 forderte der Kläger den Beklagten wegen eines festgestellten Verstoßes gegen die von ihm unterzeichnete Unterlassungserklärung unter Fristsetzung bis zum 12.04.2021 erfolglos zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5.000,00 € auf.
8Nach Zustellung des der Klage zugrundeliegenden Mahnbescheids erklärte der Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 26.05.2021, auf das ebenfalls Bezug genommen wird, die Anfechtung sowie hilfsweise die Kündigung der Unterlassungserklärung vom 23.07.2020.
9Die Parteien haben erstinstanzlich mit umfangreichen näheren Ausführungen im Wesentlichen darüber gestritten, ob die vom Beklagten erklärte Anfechtung des mit dem Kläger geschlossenen Unterlassungsvertrags wirksam und/oder die Abmahntätigkeit des Klägers unter verschiedenen Aspekten rechtsmissbräuchlich ist und der Geltendmachung der Vertragsstrafe deshalb der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegensteht.
10Der Kläger hat beantragt,
11den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.04.2021 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie das Protokoll des vor dem Landgericht stattgefundenen Termins zur mündlichen Verhandlung vom 10.12.2021 Bezug genommen.
17Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe aus dem Unterlassungsvertrag vom 23.07.2020 in Verbindung mit den §§ 339 Satz 2, 315 BGB. Der Geltendmachung der Vertragsstrafe stehe jedenfalls der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen, weil im vorliegenden Fall die Interessenabwägung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände zu der Annahme einer missbräuchlichen Abmahnung führe.
18Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
19Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers, die er im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Sachvortrags sowie unter näheren Rechtsauführungen darauf gestützt hat, das Landgericht sei zu Unrecht von der Rechtsmissbräuchlichkeit der dem Vertragsstrafeverlangen zugrundeliegenden Abmahnung ausgegangen, hat der Senat mit Urteil vom 30.05.2023 zurückgewiesen.
20Dabei hat sich der Senat darauf gestützt, dass dem geltend gemachten Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegenstehe, weil die Unterlassungsvereinbarung aufgrund einer missbräuchlichen Abmahnung geschlossen worden sei. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Kläger unter anderem im Jahr 2020 eine große Zahl von Abmahnungen ausgesprochen habe, ohne bei Ausbleiben einer Unterwerfung eine gerichtliche Klärung herbeigeführt zu haben. Ein solches Verhalten lasse keinen anderen Schluss zu, als dass der Kläger seine Abmahntätigkeit in erster Linie dazu einsetze, Ansprüche auf Aufwendungsersatz und gegebenenfalls Vertragsstrafeansprüche entstehen zu lassen.
21Auf die – vom Senat zugelassene – Revision des Klägers hat der Bundesgerichthof das vorgenannte Senatsurteil mit Urteil vom 07.03.2024 (I ZR 83/23 – Vielfachab-mahner II, wrp 2024, 701) aufgehoben, die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an den Senat zurückverwiesen und hierzu u. a. ausgeführt, von einem rechtsmissbräuchlichen Abmahnverhalten sei auszugehen, wenn sich der Gläubiger bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs überwiegend von sachfremden Gesichtspunkten leiten lässt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 - I ZR 111/22, GRUR 2023, 585 [juris Rn. 40] = WRP 2023, 576 - Mitgliederstruktur, mwN). Ohne Hinzutreten weiterer Indizien könne dies regelmäßig nicht allein deshalb angenommen werden, weil der Gläubiger die geltend gemachten Unterlassungsansprüche in einer Vielzahl von Fällen trotz ausgebliebener Unterwerfungserklärungen der Schuldner nicht gerichtlich weiterverfolgt hat (BGH, Urteil vom 7. März 2024 – I ZR 83/23 –, juris).
22Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die Gründe des Senatsurteils in dieser Sache vom 30.05.2023 sowie auf die Gründe des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 07.03.2024 ergänzend Bezug genommen.
23Nach abgeschlossener Revisionsinstanz verfolgt der Kläger sein bisheriges Klagebegehren im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung des bis dato gehaltenen erst- und zweitinstanzlichen Sachvortrags weiter. Unter näheren Rechtsauführungen vertritt er die Auffassung, weder seine Mitglieder- und/oder Vergütungsstruktur, noch seine Abmahnpraxis und/oder der Inhalt der von ihm ausgesprochenen Abmahnungen rechtfertigten für sich genommen oder in der Gesamtschau den Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Dass der Großteil seiner Mitglieder aus nicht stimmberechtigten passiven Mitgliedern bestehe sei ebenso wenig zu beanstanden wie die an Geschäftsführung, Vorstand und/oder Mitarbeiter gezahlten Gehälter. Letztere seien angemessen, weil der erbrachten Tätigkeit und der erforderlichen Qualifikation entsprechend. Zudem dürfe er gegen bestimmte Verletzer gerichtlich vorgehen, ohne dass darin eine systematische Verschonung der eigenen Mitglieder liege, die er regelmäßig auf anderem Wege dazu bewege, festgestellte Wettbewerbsverstöße abzustellen. Dies gelte insbesondere mit Blick darauf, dass es dem jeweils Abgemahnten möglich sei, seinerseits die Mitglieder des Abmahnenden in Anspruch zu nehmen. Auch die Anzahl der geführten Prozesse auf vorausgegangene Abmahnungen sei nicht unangemessen, sondern hänge mit praktischen Schwierigkeiten der Prozessführung, tatsächlichen Veränderungen auf Seite der Abgemahnten und den Erfolgsaussichten von Klagen, etwa im Umfeld noch anhängiger Musterverfahren beim Bundesgerichtshof und Europäischen Gerichtshof zusammen. So hätten bei den nicht durch Unterlassungsvertrag erledigten und nicht weiter verfolgten Fällen im Jahr 2020 exemplarisch folgenden Gründe für die unterbliebe gerichtliche Verfolgung bestanden:
246 % Geschäftsaufgabe,
1 % Tod des Inhabers,
7 % Wechsel des Inhabers,
8 % Unzustellbarkeit,
9 % Ausland,
8 % Dauerhafte Abschaltung von Webseiten, dauerhafte Geschäftsaufgabe, dauerhafte Einstellung des Handels in einem bestimmten Marktbereich, dauerhafte Einstellung eines Plattformhandels,
1 % Wechsel des Warensortiments,
3 % Insolvenz,
9 % soziale bzw. wirtschaftliche Aspekte, wobei Verstöße beseitigt wurden,
6 % nicht aufklärbare Umstände, die nach Antwort auf die Abmahnung transparent werden,
5 % erfolgte bzw. vorgesehene Klageverfahren im Jahre 2021,
25 % Rechtsprobleme, die in anderem Verfahren geklärt werden sollten sowie Zurückstellung wegen anhängiger Musterverfahren beim BGH bzw. EuGH,
12 % Anerkenntnisse ohne förmliche Unterwerfung bei kompletter Überarbeitung der Webseiten mit anwaltlicher Hilfe.
Schließlich treffe es auch nicht zu, dass die anlässlich der von ihm ausgesprochenen Abmahnung vorformulierte Unterlassungserklärung offensichtlich über den jeweils bestehenden Unterlassungsausspruch hinausgeht.
39Er beantragt,
40das am 25.02.2022 verkündete Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen (45 O 23/21) abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.04.2021 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
43die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Mit näheren Ausführungen bestreitet er die Aktivlegitimation und die Klagebefugnis des Klägers zum Zeitpunkt der Abmahnung und Unterwerfung und verweist auf verschiedene Indizien, aus denen – so seine Ansicht – folge, dass der Kläger vorwiegend zu Zwecken der Gewinnerzielung und damit rechtsmissbräuchlich vorgehe. Dafür spreche zunächst die Mitgliederstruktur des Klägers. Der Kläger führe passive Mitgliedschaften gerade im Bereich von Online-Unternehmen gezielt herbei und erzeuge dadurch gezielt eine Mitgliederstruktur, die auf eine möglichst breit angelegte Aktivlegitimation mittels passiver Mitgliedschaften ohne Einfluss auf die Gestaltung des Vereins ausgerichtet sei. Der Beklagte trägt weiterhin vor, dass der Kläger die eigenen Mitglieder bei Wettbewerbsverletzungen systematisch verschone und bezieht sich hierzu auf Angaben u. a. aus Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart (37 O 41/20 KfH) bzw. dem Oberlandesgericht Stuttgart (2 U 152/21), dem Landgericht Köln (81 O 102/20) bzw. dem Oberlandesgericht Köln (6 U 67/21) und dem Landgericht Darmstadt (15 O 14/20) bzw. dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (6 U 34/21), die er in seinen Vortrag einbezieht und die in tatsächlicher Hinsicht unstreitig geblieben sind. Zum weiteren Beleg dafür, dass das Verhalten des Klägers vorwiegend der Gewinnerzielung diene, bezieht sich der Beklagte auf die im Verfahren 81 O 35/21 vor dem Landgericht Köln vom Kläger übermittelten – ebenfalls unstreitigen – Angaben zu den Einkünften des Klägers, den gezahlten Vergütungen sowie zur Anzahl getätigter Abmahnungen gegenüber den abgegebenen Unterlassungserklärungen und den gerichtlich verfolgten Abmahnungen. Danach würden unangemessen hohe Vergütungen an Geschäftsführer und dem Verband nahestehende Dienstleister ausgeschüttet. So seien 44 % der Einnahmen des Klägers im Jahr 2020 in Höhe von 3.225.880,32 € unmittelbar oder mittelbar über die A. Management GmbH an sechs Personen geflossen, die entweder selbst Vorstände des Klägers seien oder den Vorständen jedenfalls nahe stünden. Diese Angaben sind vom Kläger nicht bestritten worden. Zudem ergebe sich aus den – ebenfalls unstreitigen – Angaben des Klägers in dem vor dem Landgericht Köln geführten Verfahren (81 O 7/21), dessen Akten der Senat beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, dass er in den Jahren 2017 bis 2020 mehr als 5.000 Abmahnungen ausgesprochen, diese aber nicht weiterverfolgt habe, obwohl von den Verletzern jeweils keine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärungen abgegeben worden waren und – so die Ansicht des Beklagten – der Kläger keine hinreichenden Gründe für die unterbliebene Weiterverfolgung in diesem Ausmaß dargelegt habe. Der Beklagte vertritt überdies unter näheren Ausführungen die Ansicht, der Kläger fasse die seinen Abmahnungen beigefügten vorformulierten Unterlassungserklärungen regelmäßig offensichtlich zu weit.
46Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Protokolle der Senatstermine vom 30.05.2023 und 27.05.2025 und den Inhalt der vom Senat gemäß §§ 525 Satz 1, 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO beigezogenen Akten des Landgerichts Köln Bezug genommen.
47Von einer weitergehenden Sachverhaltsdarstellung wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO abgesehen.
48II.
49Die zulässige – insbesondere gemäß §§ 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete – Berufung des Klägers hat (weiterhin) keinen Erfolg.
501.
51Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung der begehrten Vertragsstrafe in Höhe von 5.000,00 € aus der zwischen den Parteien zustande gekommenen Vertragsstrafenvereinbarung in Verbindung mit den §§ 339 Satz 2, 315 BGB, § 15a Abs. 2 UWG.
52a.
53Einem solchen Anspruch steht jedenfalls der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen.
54aa.
55Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 26.09.1996 – I ZR 265/95, GRUR 1997, 382, Rn. 45, zit. nach juris – Altunterwerfung I; Urteil vom 06.07.2000 – I ZR 243/97, GRUR 2001, 85, Rn. 19 mwN., zit. nach juris – Altunterwerfung IV), der der Senat folgt, kann es zum einen im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, wenn sich der Gläubiger auf ein nicht rechtzeitig gekündigtes Vertragsstrafeversprechen beruft. Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn der vertraglich gesicherte gesetzliche Unterlassungsanspruch dem Gläubiger aufgrund einer erfolgten Gesetzesänderung unzweifelhaft nicht mehr zusteht. Zum anderen steht der Geltendmachung von Vertragsstrafen wegen Verstößen gegen eine aufgrund einer missbräuchlichen Abmahnung abgeschlossene Unterlassungsvereinbarung schon vor deren Kündigung der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegen (vgl. Senatsurteil vom 30.5.2023 – 4 U 78/22, GRUR-RS 2023, 13620 Rn. 48, 49, beck-online; BGH, Urteil vom 14.02.2019 -I ZR 6/17, GRUR 2019, 638, Rn. 33 ff. mwN., zit. nach juris – Kündigung der Unterlassungsvereinbarung).
56bb.
57Der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) greift vorliegend allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt, dass dem Kläger seit Inkrafttreten des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG nF mangels Eintragung in die Liste nach § 8b UWG nF die Befugnis fehlt, Ansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG geltend machen zu können. Denn die Unterlassungsvereinbarung wurde bereits Mitte des Jahres 2020 geschlossen. Auch die vorliegend streitgegenständliche Vertragsstrafe hat der Kläger deutlich vor Inkrafttreten des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG nF (am 01.12.2021), nämlich bereits im März 2021 festgesetzt und mit dem dem Beklagten am 22.05.2021 zugestellten Mahnbescheid gerichtlich geltend gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger aufgrund der seinerzeit noch geltenden Gesetzeslage sogar noch befugt, Unterlassungsansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG aktiv geltend zu machen.
58cc.
59Zur (auch nach der Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs fortgeltenden) Überzeugung des Senats ist die Unterlassungsvereinbarung jedoch seinerzeit aufgrund einer missbräuchlichen Abmahnung abgeschlossen worden, weshalb der Geltendmachung der Vertragsstrafe unter diesem Aspekt der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegensteht. Denn die Abwägung sämtlicher für und gegen ein rechtsmissbräuchliches Handeln des Klägers streitender Umstände spricht insbesondere unter Berücksichtigung der vom Beklagen vorgetragenen und vom Kläger in tatsächlicher Hinsicht nicht bestrittenen – im Nachfolgenden näher ausgeführten – Umstände dafür, dass der Kläger vorwiegend zu wettbewerbsfremden Zwecken und daher rechtsmissbräuchlich gemäß § 242 BGB handelte, als er den Beklagten unter dem 17.07.2020 abmahnte.
60(1)
61Die Frage, ob die Geltendmachung der auf einer Unterlassungsvereinbarung beruhenden Vertragsstrafe rechtsmissbräuchlich ist, beurteilt sich aufgrund des auf Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach § 8 Abs. 1 UWG beschränkten Anwendungsbereichs des § 8c Abs. 1 UWG nF (§ 8 Abs. 4 UWG aF) nach den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben, § 242 BGB. Im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung ist zu prüfen, ob das Verhalten des Abmahnenden vor, bei oder nach der Abmahnung den Schluss rechtfertigt, dass die Geltendmachung des Anspruchs gegen Treu und Glauben verstößt. Die Umstände, die im Rahmen des § 8c Abs. 1 UWG nF (§ 8 Abs. 4 UWG aF) einen Rechtsmissbrauch begründen, können dabei auch im Rahmen der Prüfung des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 8, juris mwN).
62(2)
63Nach § 8c Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG nF (inhaltsgleich mit § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG aF) ist die Geltendmachung der in § 8 Abs. 1 UWG bezeichneten Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände rechtsmissbräuchlich ist, wobei eine missbräuchliche Geltendmachung im Zweifel anzunehmen ist, wenn die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen.
64Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist von einem Rechtsmissbrauch in diesem Sinne auszugehen, wenn sich der Gläubiger bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs von sachfremden Gesichtspunkten leiten lässt. Diese müssen jedoch nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele überwiegen (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 - I ZR 17/18, GRUR 2021, 752 [juris Rn. 38] = WRP 2021, 746 - Berechtigte Gegenabmahnung; Urteil vom 26. Januar 2023 - I ZR 111/22, GRUR 2023, 585 [juris Rn. 40] = WRP 2023, 576 - Mitgliederstruktur, jeweils mwN).
6566
(3)
67Ein Indiz für ein solches, rechtsmissbräuchliches Vorgehen stellt es dar, wenn bei wettbewerbsrechtlich zweifelhafter Beurteilung in großer Zahl Abmahnungen ausgesprochen werden, ohne dass bei Ausbleiben einer Unterwerfung eine gerichtliche Klärung herbeigeführt wird. Dadurch kann sich der Verdacht aufdrängen, die Abmahntätigkeit werde in erster Linie dazu eingesetzt, Ansprüche auf Aufwendungsersatz und gegebenenfalls Ansprüche auf Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 9 - 10, juris unter Verweis auf BGH, Urteil vom 4. Juli 2019 – I ZR 149/18, GRUR 2019, 966 [juris Rn. 34] = WRP 2019, 1182 – Umwelthilfe; zur Klagebefugnis von Wettbewerbsverbänden vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 1999 - I ZR 66/97, GRUR 1999, 1116 [juris Rn. 33] = WRP 1999, 1163 – Wir dürfen nicht feiern). Allerdings kann ein rechtsmissbräuchliches Abmahnverhalten ohne Hinzutreten weiterer Indizien regelmäßig nicht allein deshalb angenommen werden, weil der Gläubiger die geltend gemachten Unterlassungsansprüche in einer Vielzahl von Fällen trotz ausgebliebener Unterwerfungserklärungen der Schuldner nicht gerichtlich weiterverfolgt hat (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 19, juris mwN). Denn nicht jedes Bestreben eines Verbands, durch die Gestaltung seines Vorgehens gegen Wettbewerbsverstöße auch Einnahmen in Form von Abmahnkostenerstattungen oder Vertragsstrafen zu erzielen, ist als Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen anzusehen.
68Auch können in gewissen, den Verbandszweck nicht außer Acht lassenden Grenzen Überlegungen, Kostenrisiken des Vorgehens gegen Wettbewerbsverstöße vorsichtig abzuschätzen und möglichst begrenzt zu halten, sachgerecht sein. Entscheidend ist, ob solche Überlegungen und Verhaltensweisen als dem Vereinszweck der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs dienlich und diesem untergeordnet angesehen werden können oder ob sie so bestimmend in den Vordergrund treten, dass der angebliche Vereinszweck als vorgeschobenes Mittel zur Verwirklichung der Einnahmeerzielung angesehen werden muss (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 11, juris mwN).
69Daher hat das Gericht ggf. auch die vom Abmahnenden aufgeführten Gründe für die unterbliebene gerichtliche Weiterverfolgung der ausgesprochenen Abmahnungen, die gegen einen Rechtsmissbrauch sprechen können, mit in den Blick zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 19, juris).
70Darüber hinaus kann entsprechend der in § 8c Abs. 1 Nr. 5 UWG nF zum Ausdruck kommenden Wertung ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Abmahnverhalten – gegebenenfalls in der Zusammenschau mit weiteren Umständen – auch darin gesehen werden, dass die vom Gläubiger vorgefertigte Unterlassungsverpflichtungserklärung so weit gefasst ist, dass darunter auch andere als die abgemahnten Verstöße fallen. Dies setzt allerdings, wie die in § 8c Abs. 1 Nr. 5 UWG nF enthaltene Einschränkung verdeutlicht, in aller Regel voraus, dass die vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht, dem Abmahnenden also nicht lediglich ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen ist oder die Forderung sich aus seiner ex ante Sicht noch im üblichen Rahmen hielt (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 33, juris mwN).
71Ein weiterer Anhaltspunkt für ein missbräuchliches Abmahnverhalten kann darin zu sehen sein, dass der Kläger Nichtmitglieder systematisch anders behandelt als Mitglieder (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 35, juris mwN).
72Überdies kann es auch für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Unterlassungsgläubigers sprechen, wenn dessen Abmahnung in Zusammenschau mit der vorformulierten Unterlassungsverpflichtungserklärung den Eindruck erweckt, Unterwerfungserklärung und Anerkenntnis der Kostenerstattungspflicht gehörten zusammen und ein gerichtliches Verfahren könne nur durch die Unterzeichnung der beigefügten Unterlassungserklärung vermieden werden (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 37, juris mwN).
73(4)
74Dabei ist es grundsätzlich Sache des Verletzers, Tatsachen für das Vorliegen eines Missbrauchs darzulegen und dafür Beweis anzubieten. Dies gilt insbesondere für das Vorgehen eines Verbands, für den die Vermutung spricht, seinen satzungsmäßigen Zwecken nachzugehen. Ist diese Vermutung allerdings durch entsprechenden Tatsachenvortrag erschüttert, so muss der klagende Verband substantiiert die Gründe darlegen, die gegen einen Missbrauch sprechen. Dabei obliegt es ihm insbesondere, zur Klärung der in seiner Sphäre liegenden und dem Anspruchsgegner nicht bekannten Umstände vorzutragen (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. März 2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 12, juris mwN).
75(5)
76Nach diesen Maßgaben ist vorliegend in der Gesamtschau von einem rechtsmissbräuchlichen Vorgehen des Klägers auszugehen. Der Beklagte hat verschiedene Indizien vorgetragen, die teilweise auf eigene, unbestrittene Auskünfte des Klägers in anderen Verfahren zurückgehen und für eine missbräuchliche Geltendmachung des Anspruchs auf Zahlung der begehrten Vertragsstrafe sprechen, ohne dass der Kläger diese Umstände im Rahmen der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast entkräftet hat.
7778
(a)
79Die Mitgliederstruktur des Klägers – d. h. der Umstand, dass er eine Vielzahl passiver, nicht stimmberechtigter und nur wenige aktive, stimmberechtigte Mitglieder hat – stellt zwar für sich genommen noch kein Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen dar. Allerdings gewinnt die Frage nach der Stimmberechtigung unmittelbarer und mittelbarer Vereinsmitglieder Relevanz, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Mitgliedschaft der Organisation dazu dienen sollte, künstlich die Voraussetzungen für die Verbandsklagebefugnis zu schaffen (vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2023 – I ZR 111/22 – Mitgliederstruktur, GRUR 2023, 585, Rn. 32, juris). So liegt der Fall hier. Der Kläger praktiziert bereits bei der Mitgliederakquise ein Verfahren, das dafür sorgt, dass die aktive Mitgliedschaft gar nicht erst angeboten und über ihre Voraussetzungen praktisch nicht informiert wird. Vielmehr bietet der Kläger allein eine passive Mitgliedschaft an. Dies hat der Beklagte durch die vom Kläger nicht bestrittene Beschreibung der Aufnahme von Mitgliedern im Online-Verfahren hinreichend dargelegt.
80Danach wird in dem vom Kläger bereitgestellten Online-Registrierungsformular lediglich eine passive Mitgliedschaft für einen Beitrag von 96,00 € angeboten, deren Nutzungsbedingungen ebenso wie die Satzung akzeptiert werden müssen. Zu den Nutzungsbedingungen gehört eine Verlinkung, die klarstellt, dass ein "Angebot zur Aufnahme als passives A.-Mitglied" abgegeben wird. Eine alternative (aktive) Mitgliedschaft wird zwar in der Satzung erwähnt, aber über das Aufnahmeformular nicht angeboten. Der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass über eine aktive Mitgliedschaft überhaupt informiert wird oder dass für sie in irgendeiner Weise geworben wird. Die Steuerung der Mitgliedschaft ist vielmehr strukturell auf eine Mitwirkung verengt, die im Ausgangspunkt auf die Zahlung von Beiträgen reduziert ist. Damit werden Strukturen geschaffen, die darauf ausgerichtet sind, aktive Mitgliedschaften zu begrenzen oder gar zu verhindern, gleichzeitig durch ein breit angelegtes Spektrum passiver Mitglieder eine weite Klagebefugnis zu schaffen, die den Verband dadurch erst in die Lage versetzt, in einem sehr weiten Umfang Abmahntätigkeiten zu ermöglichen, die ihrerseits die Voraussetzung für das Abschließen von Vertragsstrafevereinbarungen darstellt. Ob diese Struktur darauf ausgerichtet ist, es "allein" zu bezwecken (vgl. hierzu BGH, a.a.O.), dem Verband eine Klagebefugnis zu verschaffen, kann dabei dahingestellt bleiben, denn hierfür sprechen weitere Indizien (vgl. OLG Köln, Urteil vom 21.06.2023 – 6 U 147/22, Rn. 32, juris).
81(b)
82Als weiteres Indiz für eine vorwiegend die Generierung von Gebühren und Vertragsstrafen bezweckenden (Abmahn-)Tätigkeit des Klägers hat der Beklagte Tatsachenvortrag aus dem vor dem Landgericht Köln unter dem Aktenzeichen 81 O 102/20 geführten Verfahren eingebracht und sich zu eigen gemacht, wonach den Vorstandsmitgliedern des Klägers, einem Teil seiner Mitarbeiter und auch der im Mehrheitsbesitz des Klägers stehenden A. Management GmbH sowie deren Geschäftsführern und Mitarbeitern, hohe Vergütungen und andere Zuwendungen insbesondere aus den Einnahmen aus Abmahnkosten und Vertragsstrafen zufließen. Danach sind – was der Kläger nicht bestritten hat – im Jahr 2020 44 % der Einnahmen von mehr als 3,2 Mio. € an nur sechs Personen ausgeschüttet worden, die überdies zueinander in einer engen persönlichen Verbindung stehen. Der Kläger hat hierzu zwar ausgeführt, dass die Höhe der Zahlungen durch entsprechende Leistungen gerechtfertigt gewesen sei. Insbesondere die Zahlungen an die A. Management GmbH spiegelten Beratungs- und Serviceleistungen gegenüber den Mitgliedern wider. Allerdings ist die Vergütungspolitik gerade dann bedenklich, wenn die Entscheidung hierüber durch die Mitgliederstruktur gefördert wird. Daraus resultiert die besondere Gefahr, dass die Einnahmen durch hohe Vergütungen letztlich überwiegend dem Interesse weniger Beteiligter und gerade nicht der Finanzierung der im öffentlichen Interesse gewährten Möglichkeit zur Abmahn- und Klagetätigkeit zufließen. Gerade dadurch entfernt sich der Verband von seiner selbst auferlegten Zielsetzung.
83(c)
84Ein weiteres Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Klägers ist darin zusehen, dass er seine Mitglieder im Fall von Wettbewerbsverletzungen systematisch anders behandelt als Nichtmitglieder.
85Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann es als rechtsmissbräuchlich anzusehen sein, wenn ein Verband gegen außenstehende Dritte vorgeht, den unlauteren Wettbewerb durch gleichartige Verletzungshandlungen der eigenen Mitglieder jedoch planmäßig duldet. Zwar gibt es grundsätzlich keine Obliegenheit eines Verbands, gegen eigene Mitglieder vorzugehen, auf die sich außenstehende Dritte berufen könnten. Die Prozessführungsbefugnis der Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen findet ihre Rechtfertigung aber darin, dass die Bekämpfung unlauterer Wettbewerbshandlungen nicht nur im Interesse des unmittelbar Betroffenen, sondern auch im öffentlichen Interesse liegt (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 50, juris). Vorliegend hat der Beklagte durch die Bezugnahme auf den – vom Kläger nicht bestrittenen – Sachvortrag in den Klageverfahren vor dem Landgericht Stuttgart (37 O 41/20 KfH) bzw. dem Oberlandesgericht Stuttgart (2 U 152/21), dem Landgericht Köln (81 O 102/20) bzw. dem Oberlandesgericht Köln (6 U 67/21) und dem Landgericht Darmstadt (15 O 14/20) bzw. dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (6 U 34/21) dargelegt, dass der Kläger solche Wettbewerbsverstöße gegenüber Nichtmitgliedern abgemahnt hat, die von einem nennenswerten Teil seiner Mitglieder mit identischem Warenangebot ebenfalls begangen wurden, ohne dass dies zu Abmahnungen oder gar Unterlassungsklagen durch den Kläger geführt hat. Der Kläger hat demgegenüber nicht konkret dargelegt, warum diese Verhaltensweisen geduldet und nicht weiterverfolgt wurden. Zwar ist ein selektives Vorgehen nicht für sich genommen missbräuchlich, weil das Verschonen eigener Mitglieder kompensiert werden kann durch Informationen und weichere Formen der Disziplinierung. Im Zusammenhang mit Maßnahmen der Mitgliedersteuerung und einer Mittelverwendung, die stärker auf Ausschüttung als Mitteleinsatz zur effektiven Bekämpfung von Missbräuchen auch in den eigenen Reihen gerichtet ist, ergibt sich daraus allerdings der Eindruck einer Strategie, die darauf ausgerichtet ist, Mitgliederinteressen vor Kollektivinteressen zu stellen, obgleich letztere durchzusetzen das Satzungsziel sein soll (vgl. OLG Köln, a.a.O., Rn. 34).
86Hinzu kommt, dass der Kläger nicht schlüssig vorgetragen und belegt hat, dass er jemals Unterlassungsklagen gegen Vereinsmitglieder geführt hat für erst nach Eintritt in den Verein begangene Wettbewerbsverstöße. Dass der Kläger Vereinsmitglieder auf Zahlung von Vertragsstrafen in Anspruch nimmt für Verstöße gegen Unterlassungsverpflichtungserklärungen, die vor dem Vereinsbeitritt abgegeben worden sind, ist eher ein Hinweis für die Richtigkeit der Behauptung, dem Kläger gehe es vorrangig um die Generierung von Einnahmen, als Indiz gegen den Rechtsmissbrauchsvorwurf. Dass der Kläger nicht in der Lage sein mag, ca. 2.750 Mitglieder "in Echtzeit" zu überwachen, erklärt zudem nicht den Widerspruch zwischen seinem Vortrag, den Onlineshop eines jeden Mitglieds zu überprüfen, das auf eine Liste zum Nachweis der Aktivlegitimation kommt, und der Tatsache, dass von den in den vorgenannten Verfahren jeweils gelisteten Mitgliedern eine erhebliche Anzahl selbst gegen die abgemahnten Verhaltensweisen verstoßen haben (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 25.08.2021 – 6 U 67/21, Rn. 5, juris).
87(d)
88Darüber hinaus spricht die an den Beklagten gerichtete Abmahnung ihrem konkreten Inhalt nach ebenfalls für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Klägers.
89(aa)
90Dies folgt zunächst einmal daraus, dass die der Abmahnung beigefügte und vom Kläger vorformulierte Unterlassungserklärung offensichtlich über den abgemahnten Rechtsverstoß bzw. den aus diesem resultierenden Unterlassungsanspruch des Klägers hinausgeht. Wie bereits dargelegt kann ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Abmahnverhalten auch darin gesehen werden, dass die vom Gläubiger vorgefertigte Unterlassungsverpflichtungserklärung so weit gefasst ist, dass darunter auch andere als die abgemahnten Verstöße fallen. Dies setzt allerdings in aller Regel voraus, dass die vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht, dem Abmahnenden also nicht lediglich ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen ist oder die Forderung sich aus seiner ex ante Sicht noch im üblichen Rahmen hielt (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 33, juris mwN).
91So liegt der Fall hier. Anlass für die vom Kläger ausgesprochene Abmahnung war u. a. die pauschale Werbung des Beklagten mit der Aussage „Garantie", ohne zugleich konkrete Angaben zu deren Inhalt und Umfang zu machen. Nach der vom Kläger vorformulierten Unterlassungserklärung sollte sich der Beklagte jedoch darüber hinaus auch dazu verpflichten – was dieser auch tat –, im Rahmen von Produktangeboten stets auch über etwaige vom Hersteller angebotene Garantien zu unterrichten. Mit zutreffenden und uneingeschränkt fortgeltenden Gründen hat das Landgericht erkannt, dass es sich hierbei offensichtlich nicht um eine im Kern identische (Verletzungs-)Handlung handelt, weil sich der rechtliche und tatsächliche Anknüpfungspunkt für den (etwaigen) Wettbewerbsverstoß grundlegend unterscheiden. Das Charakteristische der vom Beklagten seinerzeit begangenen Verletzungshandlung lag darin, dass er eine Garantie bewarb, ohne seinen Informationspflichten nachzukommen, die in diesem Fall unzweifelhaft bestanden.
92Im Gegensatz dazu zeichnet sich der von der Unterlassungserklärung darüber hinaus umfasste Fall dadurch aus, dass die Informationspflicht allein an das Bestehen einer (Hersteller-)Garantie anknüpft, ohne dass der Beklagte hiermit wirbt oder auf diese auch nur in irgendeiner Form hinweist. Ungeachtet der Tatsache, dass diese – seinerzeit noch nicht abschließend geklärte – Rechtsfrage inzwischen dahin beantwortet ist, dass eine entsprechende Informationspflicht des Händlers schon nicht besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 05.05.2022 – C-179/21, juris; BGH, Urteil vom 10.11.2022 – I ZR 241/19 –, juris), handelt es sich bei der unzureichenden Unterrichtung über eine beworbene Garantie derart offenkundig um eine ihrem Wesensgehalt nach andere Rechtsverletzung als die Nichtunterrichtung über eine – dem Händler evtl. sogar gänzlich unbekannte – (Hersteller-)Garantie, dass dies dem in Wettbewerbssachen kundigen Kläger nicht verschlossen geblieben sein kann.
93Schließlich belegt auch die vom Kläger in der Abmahnung vom 17.07.2020 gewählte Formulierung, dass auch er davon ausging, dass es sich insoweit um einen anderen, von der begangenen Verletzungshandlung zu unterscheidenden Verstoß handelt. Dies folgt daraus, dass er in der Abmahnung Folgendes ausgeführt hat (Hervorhebung durch den Senat): „Vorsorglich weisen wir darauf hin, dass es auch nicht wettbewerbskonform ist, wenn Sie bei bestehenden Herstellergarantien die Garantie-lnformationen komplett weglassen würden.“ Durch die Wahl des Konjunktiv hat der Kläger zu erkennen gegeben, dass auch er davon ausging, dass der Beklagte gegen die – ohnehin nicht bestehende – Pflicht zur Erwähnung einer etwaig bestehenden Herstellergarantie nicht verstoßen hatte, und dies von der dem Beklagten in Bezug auf sein Garantieversprechen vorzuwerfenden unzureichenden Information zu unterscheiden ist.
94(bb)
95Hinzu kommt, dass der Kläger durch die Abmahnung bzw. die der Abmahnung beigefügte Unterlassungserklärung den Eindruck erweckt hat, die Abgabe der Unterlassungserklärung und die Zahlung der geforderten Abmahnkosten stünden auf einer Stufe und gehörten zwangsläufig zusammen. Denn die vom Kläger vorformulierte und vom Beklagten unverändert unterzeichnete Unterlassungserklärung sah unter Ziffer V. die Verpflichtung des Beklagten vor, an den Kläger Abmahnkosten in Höhe von 226,20 € binnen einer Woche nach Unterzeichnung der Erklärung zu zahlen. Dadurch hat der Kläger den unzutreffenden Eindruck erweckt, eine zur Vermeidung einer gerichtlichen Inanspruchnahme hinreichende Unterlassungserklärung erfordere auch die verbindliche Bereitschaft zum Ausgleich der geltend gemachten Abmahnkosten. Dieser Eindruck wird zudem dadurch verstärkt, dass der Kläger mit der Abmahnung den Anschein erweckt hat, die Wiederholungsgefahr könne nur durch die Unterzeichnung der von ihm vorformulierten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden.
96So hat er in der Abmahnung ausgeführt (Hervorhebung durch den Senat):
97„Die Wiederholungsgefahr wird nur ausgeräumt durch Abgabe einer mit einem Vertragsstrafeversprechen versehenen Unterlassungserklärung. Das Gesetz sieht das Abmahnverfahren ausdrücklich vor. Es dient dazu, eine ansonsten notwendige Klage oder einstweilige Verfügung, die mit erheblichen Kosten für den Wettbewerbsstörer verbunden ist, zu vermeiden. Die Unterlassungserklärung liegt in Anlage vorformuliert bei. Zur Abgabe der unterschriebenen und datierten Unterlassungserklärung setzen wir Ihnen eine Frist bis zum 30.07.2020.“
98Durch diese Formulierung wird bei dem in Wettbewerbssachen nicht erfahrenen Empfänger der Eindruck erweckt, es bestehe zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr allein die Möglichkeit, die vom Kläger vorformulierte Unterlassungserklärung, die zudem auch die Verpflichtung zur Zahlung der Abmahnkosten beinhaltete, zu unterzeichnen. Zu der Möglichkeit des Unterlassungsschuldners, eine eigene, inhaltlich hinreichende Unterlassungserklärung zu formulieren, die nicht zugleich auch eine Pflicht zur Erstattung von Abmahnkosten vorsieht, hat der Kläger wohlweislich geschwiegen.
99(e)
100Ein weiteres Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen stellt es ferner dar, wenn bei wettbewerbsrechtlich zweifelhafter Beurteilung in großer Zahl Abmahnungen ausgesprochen werden, ohne dass bei Ausbleiben einer Unterwerfung eine gerichtliche Klärung herbeigeführt wird. Dadurch kann sich der Verdacht aufdrängen, die Abmahntätigkeit werde in erster Linie dazu eingesetzt, Ansprüche auf Aufwendungsersatz und ggf. Vertragsstrafeansprüche entstehen zu lassen (st. Rspr., vgl. statt vieler BGH, Urteil vom 07.03.2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 28, juris mwN). So liegt der Fall hier.
101(aa)
102Zunächst einmal hat der Kläger nach dem unstreitig gebliebenen und daher berücksichtigungsfähigen Sachvortrag des Beklagten, der auf dem eigenen Vorbringen des Klägers im Verfahren vor dem Landgericht Köln (81 O 7/21) beruht, eine Vielzahl der von ihm in den Jahren 2017 bis 2021 ausgesprochenen Abmahnungen nicht weiterverfolgt. So wurde etwa im Jahr 2020 auf die Abmahnungen des Klägers in 2.195 Fällen keine Unterwerfungserklärung abgegeben, davon wurden 528 Fälle gerichtlich weiterverfolgt; in rund 76 % der Fälle, in denen keine Unterwerfungserklärung abgegeben wurde, blieb eine gerichtliche Weiterverfolgung damit aus. Noch höhere Prozentsätze ergeben sich für die Jahre 2018 (rund 86 %) und 2019 (rund 85 %), während im Jahr 2017 rund 57 % der Fälle, in denen keine Unterwerfungserklärung abgegeben wurde, vom Kläger nicht gerichtlich weiterverfolgt wurden und im Jahr 2021 rund 37 % der Fälle (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 16, juris). Dass der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen seit 2022 keine Abmahnungen mehr ausgesprochen hat, ist offenkundig allein seiner (bislang) fehlenden Eintragung in die Listen nach § 8b UWG bzw. § 4 UKlaG und der aufgrund dessen fehlenden Prozessführungsbefugnis geschuldet. Insgesamt hat der Kläger danach weitaus mehr Verfahren nicht verfolgt als gerichtlich geltend gemacht, obwohl keine anderweitige Erledigung etwa durch Abgabe einer Unterlassungserklärung erfolgt ist. Dies spricht bereits dafür, dass der Kläger es anstrebt, zeitnah möglichst viele Unterlassungsverpflichtungserklärungen zu erhalten.
103(bb)
104Zwar verweist der Kläger darauf, dass die unterbliebene gerichtliche Weiterverfolgung jeweils sachgerecht gewesen sei und mit seinen satzungsmäßigen Zielen im Einklang gestanden habe. So haben sich die nicht weiter verfolgten Abmahnungen nach dem (streitigen) Vorbringen des Klägers auf unterschiedliche Weise erledigt, nämlich beispielsweise durch Geschäftsaufgabe, Tod des Inhabers, Wechsel des Inhabers, Unzustellbarkeit, dauerhafte Abschaltung von Webseiten, Wechsel des Warensortiments, Insolvenz, soziale Aspekte, zunächst nicht aufklärbare, aber nach Antwort auf die Abmahnung transparent werdende Umstände, zwischenzeitlich in anderen Verfahren geklärte Rechtsfragen und Anerkenntnisse ohne förmliche Unterwerfung bei kompletter Überarbeitung von Webseiten mit anwaltlicher Hilfe. Der Kläger hat sich auf den Standpunkt gestellt, durch diese "Erledigungen" sei jeweils die Wiederholungsgefahr entfallen.
105(cc)
106Für die hier zu beantwortende Frage, ob die Abmahntätigkeit des Klägers als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, kommt es jedoch auf die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgestellten Maßstäbe zum Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht an. Ebenso wenig ist es maßgeblich, ob der Gläubiger – fälschlich – von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr ausging. Entscheidend ist vielmehr, ob unter Berücksichtigung der gesamten Umstände der Schluss gerechtfertigt erscheint, dass sich der Gläubiger bei der Rechtsverfolgung überwiegend von sachfremden Zielen hat leiten lassen (vgl. nur BGH, Urteil vom 07.03.2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 22, juris mwN). Dies ist nach Auffassung des Senats vorliegend der Fall.
107(dd)
108Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass er in dem von ihm vorgetragenen Umfang jeweils aus den vom ihm benannten Gründen auf eine weitere gerichtliche Klärung der erfolglos abgemahnten Sachverhalte verzichtete. Dies führt aber weder im Hinblick auf die einzelnen von ihm angeführten Gründe, noch in der Gesamtschau gegen das Überwiegen sachfremder Ziele bei der Rechtsverfolgung.
109Zwar kann etwa der vom Kläger vorgetragene Umstand, dass er gelegentlich aus sozialen Gründen auf die Weiterverfolgung seiner Ansprüche verzichtet, gegen die Annahme sprechen, das vordringliche Ziel des Klägers sei das Auslösen von Zahlungsansprüchen. Auch kann es durchaus sachgerecht erscheinen, dass der Kläger in Fällen, in denen eine weitere Rechtsverfolgung aussichtslos erscheint, nach dem Ausspruch einer Abmahnung zur Vermeidung zusätzlicher Kosten davon absieht, weitere rechtliche Schritte vorzunehmen. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob solche Überlegungen und Verhaltensweisen als dem Vereinszweck der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs dienlich und diesem untergeordnet angesehen werden können oder ob die Vermeidung von Kostenrisiken so bestimmend in den Vordergrund tritt, dass der angebliche Vereinszweck als vorgeschobenes Mittel zur Verwirklichung der Einnahmeerzielung angesehen werden muss (vgl. nur BGH, Urteil vom 07.03.2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 26 - 27, juris mwN).
110Allerdings verbleibt es nach dem Sachvortrag des Klägers auch in Ansehung dieser – ggf. für ihn sprechenden – Umstände dabei, dass er (jedenfalls) im Jahr 2020 bei wettbewerbsrechtlich zweifelhafter Beurteilung in großer Zahl Abmahnungen ausgesprochen hat, ohne diese bei Ausbleiben einer Unterwerfung einer gerichtlichen Klärung zuzuführen. So hat der Kläger nach seinen eigenen Angaben in 25 Prozent der im Jahr 2020 von ihm trotz unterbliebener Unterwerfung nicht weiter verfolgten Fälle – d. h. in einer erheblich ins Gewicht fallenden Zahl von Fällen – Abmahnungen ausgesprochen, obwohl die Sachverhalte wettbewerbsrechtlich nicht eindeutig zu beurteilen waren, was ein weiteres Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 30, juris). Nicht anders kann es gedeutet werden, wenn er vorträgt, die weitere gerichtliche Klärung sein in diesen Fällen wegen „Rechtsproblemen, die in anderen Verfahren geklärt werden sollten sowie Zurückstellung wegen anhängiger Musterverfahren beim BGH bzw. EuGH“ unterblieben. Dies wird letztlich auch durch den ergänzenden klägerischen Vortrag untermauert, wonach es im Grunde drei umstrittene Rechtskomplexe (das Bestehen einer Informationspflicht in Bezug auf nicht beworbene Herstellergarantien, die Erforderlichkeit der unmittelbare Nähe der Angaben zu Grund- und Gesamtpreis sowie Wettbewerbsverletzungen im Zusammenhang mit Art. 13 DSGVO), zu denen der Kläger im Jahr 2022 letztlich wegweisende Musterentscheidungen des Bundesgerichtshofs – in einem Fall unter Einbindung des Europäischen Gerichtshofs – herbeigeführt habe.
111Dabei übersieht der Senat nicht, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Auswahl und das Betreiben geeigneter "Musterverfahren" sowie das Abwarten von deren Ausgang durchaus sachgerecht sein können. Für die Frage, ob in dem Ausspruch einer erheblichen Anzahl weiterer Abmahnungen in vergleichbaren Fällen ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch gesehen werden kann, kommt es danach vielmehr entscheidend darauf an, ob auch diese Fälle nach einer zugunsten des Abmahnenden ausgegangenen Klärung der Rechtslage bei Ausbleiben einer Unterwerfung gerichtlich weiterverfolgt werden oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 07.03.2024 – I ZR 83/23 –, Rn. 23, juris). Hierzu hat der Kläger im Anschluss und unter ausdrücklicher Berufung auf die diesbezüglichen Ausführungen des Bundesgerichtshofs in der Revisionsentscheidung jedoch nur vage und substanzlos behauptet, dass die betreffenden Verletzer in den in Rede stehenden Fällen, in denen der Kläger durch den Bundesgerichtshof in seiner Rechtsauffassung bestätigt worden sei, ihre Fehler inzwischen behoben hätten und Dauerverstöße überwiegend nicht festzustellen gewesen seien, so dass alte, aufgeschobene Vorgänge schon wegen Verjährung nicht mehr hätten verfolgt werden können.
112Nach alledem vermittelt die Abmahnpraxis des Klägers in der Gesamtbetrachtung den Eindruck, dass es ihm – insbesondere auch in rechtlich noch nicht abschließend geklärten Sachverhaltskonstellationen – zuvorderst darum ging, zügig eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zu erlangen, um die daraus erwachsende Vertragsstrafe im Anschluss liquidieren zu können. Anders lässt sich für den erkennenden Senat nicht erklären, dass der Kläger in einem Viertel der von ihm im Jahr 2020 erfolglos abgemahnten Fälle – dies entspricht über 400 Abmahnvorgängen – wegen der jeweils noch ungewissen Rechtslage auf eine streitige Auseinandersetzung vor Gericht verzichtete.
113In dieser Annahme sieht sich der Senat auch durch das Vorgehen des Klägers im vorliegenden Fall bestätigt. Denn auch vorliegend hat der Kläger allein die Vertragsstrafe geltend gemacht, ohne wegen des neuerlichen, vom Beklagten begangenen Wettbewerbsverstoßes eine Unterlassung zu fordern, obgleich ihm dies nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 UWG in der bis zum 30.11.2021 geltenden Fassung ohne weiteres möglich gewesen wäre.
114(f)
115Die vorstehend dargestellten Umstände mögen jeweils für sich betrachtet nicht den hinreichend sicheren Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Abmahnverhalten des Klägers zulassen. In der vom Senat anzustellenden Gesamtabwägung führen sie jedoch dazu, dass ein rechtsmissbräuchliches Handeln des Klägers anzunehmen ist, so dass die Geltendmachung der Vertragsstrafe gemäß § 242 BGB ausgeschlossen ist.
116Die vom Beklagten vorgetragenen und in tatsächlicher Hinsicht unstreitigen Indizien fügen sich zu einem Gesamtbild, das ein missbräuchliches Vorgehen erkennbar macht. Sie demonstrieren eine strategische Ausrichtung des Klägers dahingehend, Entscheidungsstrukturen durch gezielte Akquise neuer passiver Mitglieder auf wenige Personen zu konzentrieren, um dadurch eine breite Abmahnbefugnis zu erwerben, die ihrerseits als Basis für offensichtlich zu weit gefasste Unterlassungserklärungen dient, auf deren Grundlage Verstöße, die in nennenswerter Anzahl auch von den eigenen Mitgliedern sanktionslos begangen werden, (nur) gegenüber Nichtmitgliedern zur Erzielung von Einnahmen funktionalisiert werden können. Die dabei generierten Einnahmen werden zu hohen Anteilen an wenige Personen – hierunter insbesondere die wenigen stimmberechtigten aktiven Mitglieder des Klägers – ausgeschüttet, kommen also weniger der Durchsetzung kollektiver Interessen als der Deckung privater Zwecke zugute. Durch eine gezielte quantitativ beträchtliche Nichtverfolgungstaktik gegenüber eigenen Mitglieder werden zudem Anreize geschaffen, der Organisation beizutreten und dadurch auch der effektiven Bekämpfung von Wettbewerbsverstößen, welche der Verband in seiner Satzung verspricht, zu entgehen (vgl. OLG Köln, a.a.O., Rn. 58, juris).
117(h)
118Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Kläger – seine diesbezüglichen Angaben als wahr unterstellt – in den Jahren 2017 bis 2021 insgesamt 119 Ordnungsmittelverfahren betrieben haben will, die zur Verhängung von Ordnungsgeldern in Höhe von 178.250,00 € zugunsten der Staatskasse geführt haben sollen. Denn in Anbetracht der sehr regen Abmahntätigkeit des Klägers – in den Jahren 2017 bis 2020 hat er nach seinem eigenen Sachvortrag mit und ohne gerichtliche Inanspruchnahme Unterlassungserklärungen im unteren fünfstelligen Bereich erwirkt – und den unmittelbar und mittelbar hierdurch erwirtschafteten Einnahmen, die sich im Jahr 2020 exemplarisch auf 3.225.880,32 € beliefen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er in erheblichem Umfang Ordnungsmittelanträge zugunsten der Staatskasse gestellt hat.
1192.
120In Ermangelung einer begründeten Hauptforderung besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Verzugszinsen gemäß §§ 286, 288 BGB.
121III.
122Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
123Die (neuerliche) Zulassung der Revision ist nicht angezeigt. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO). Im Rahmen der zu treffenden Entscheidung hat der Senat insbesondere nicht über abstrakte Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu befinden, sondern (lediglich) eine tatsachenbezogene Abwägung im Einzelfall vorzunehmen. Die Wertung des Senats beruht auf einer einzelfallbezogenen Gesamtabwägung des vorgetragenen Sachverhalts, die sich nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und/oder anderer Obergerichte begibt. Zwar hat das Oberlandesgericht Brandenburg mit Urteil vom 16.05.2023 (6 U 47/21) in einem ähnlich gelagerten Fall zugunsten des Klägers entschieden, indem es aufgrund der von ihm vorgenommenen Gesamtabwägung der auch hier streitgegenständlichen Indizien ein rechtsmissbräuchliches Verhalten verneint hat. Allerdings wird die Notwendigkeit der Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht allein dadurch begründet, dass ein Berufungsgericht im Einzelfall trotz identischen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis gelangt als ein anderes gleich- oder höherrangiges Gericht. Denn eine Abweichung im Sinne einer die Revisionszulassung erfordernden Divergenz liegt nur dann vor, wenn die anzufechtende Entscheidung dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der von einem in anderen Entscheidungen eines höheren oder eines gleichgeordneten Gerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz abweicht. Daher kommt entscheidend darauf an, ob eine Divergenz in Rechtsfragen oder ein Rechtsfehler mit symptomatischer Bedeutung vorliegt (vgl. nur Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 543 ZPO, Rn. 16 mwN), was vorliegend nicht der Fall ist.
124Nach den vorbeschriebenen Maßgaben vermag auch das vom Kläger angeführte Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12.12.2024 (20 U 23/23) die Zulassung der Revision nicht zu begründen. Zwar ist das Oberlandesgericht aufgrund der von ihm vorgenommenen Gesamtabwägung der auch hier streitgegenständlichen Indizien zu einem anderen Ergebnis gelangt. Allerdings handelt es sich auch insoweit um eine Einzelfallentscheidung, die maßgeblich auf das dem Senat nicht näher bekannte Vorbringen der dortigen Prozessparteien und dessen Würdigung durch den erkennenden Senat zurückgeht, ohne dass das Oberlandesgericht Düsseldorf hierbei – soweit ersichtlich – Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung anders beurteilt hat, als dies der erkennende Senat im Rahmen der vorliegenden Entscheidung tut. Dass das Oberlandesgericht Düsseldorf dabei auch über einen – jedenfalls in wesentlichen Teilen – anderen Sachverhalt zu befinden hatte, wird u. a. daran deutlich, dass die dortige Beklagte ausweislich der Urteilsbegründung den vom Kläger aufgeführten Gründen für die unterbliebene gerichtliche Weiterverfolgung der ausgesprochenen Abmahnungen nicht beachtlich entgegengetreten ist. Unter anderem in diesem wesentlichen Punkt unterscheidet sich der vom Oberlandesgericht Düsseldorf entschiedene Fall von dem vorliegenden Streitfall, in dem der Beklagte zehn von seinem Prozessbevollmächtigten bearbeitete Mandate benannt hat, in denen der Kläger einzelnen Wettbewerbsverletzungen nicht weiter nachgegangen ist, obwohl unstreitig keiner der von ihm angeführten sachlichen Gründe für die unterbliebene gerichtliche Geltendmachung gegeben war.