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Das bloße Schweigen auf eine Zuschrift des Gerichts genügt für die Annahme eines Verzichts auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen nach § 454 Abs. 2 S. 3 StPO nicht, denn der Verzicht auf die mündliche Anhörung muss eindeutig erklärt werden. An einer eindeutigen Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft fehlt es, wenn sich etwaige Erklärungen als Nichtreaktion auf eine gerichtliche Anfrage darstellen.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
Gründe:
2I.
3Das Landgericht Münster hat den Verurteilten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Zwei Drittel der Strafe waren am 11.02.2025 vollstreckt; das Strafende ist auf den 13.10.2026 notiert.
4Am 19.09.2024 hörte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund (im Folgenden: Strafvollstreckungskammer) den Verurteilten im Beisein seines Verteidigers zur Aussetzung der Reststrafe an. Ein sodann eingeholtes schriftliches Prognosegutachten im Sinne von § 454 Abs. 2 StPO übersandte die Strafvollstreckungskammer an den Verurteilten und seinen Verteidiger, die auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichteten. Mit Verfügung vom 06.01.2025 übermittelte die Strafvollstreckungskammer das Vollstreckungsheft einschließlich des Prognosegutachtens an die Staatsanwaltschaft Münster zur Antragstellung und mit der Bitte um Mitteilung innerhalb von zwei Wochen, ob auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet werde. Die Staatsanwaltschaft übersandte das Vollstreckungsheft unter Bezugnahme auf den bereits am 19.12.2024 gestellten Antrag, mit dem einer bedingten Aussetzung des Strafrestes nicht widersprochen worden war. Im Übrigen äußerte sie sich nicht zu einem Verzicht auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen.
5Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13.02.2025 hat die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. Nach formloser Übermittlung des Beschlusses vermerkte die Staatsanwaltschaft, dass kein Rechtsmittel eingelegt werden solle. Der zuständige Rechtspfleger der Staatsanwaltschaft teilte der JVA sodann mit Fax vom 13.02.2025 mit, dass auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet werde, so dass der Verurteilte sofort bedingt zu entlassen sei. Noch am selben Tag wurde in der JVA G. bei dem Verurteilten ein Mobiltelefon aufgefunden, auf dem sich unter anderem Hinweise auf einen Handel des Verurteilten mit unversteuerten Zigaretten gemeinsam mit einem Mitgefangenen ergaben.
6Die Staatsanwaltschaft Münster hat am 14.02.2025 sofortige Beschwerde bei dem Landgericht Dortmund eingelegt, die sie mit dem Entfallen einer günstigen Prognose infolge der in der JVA bekannt gewordenen Umstände begründet hat. Nach erfolgter Zustellung des Beschlusses an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO am 17.02.2025 übersandte die Staatsanwaltschaft der Strafvollstreckungskammer mit Verfügung vom 20.02.2025 das Vollstreckungsheft (mit dem am 13.02.2025 vermerkten Rechtsmittelverzicht) unter Hinweis auf die sofortige Beschwerde.
7Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 11.03.2025 beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
8Der Verurteilte und sein Verteidiger hatten Gelegenheit zur Gegenäußerung.
9II.
10Die gemäß § 454 Abs. 3 S. 1 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig. Insbesondere hat die Staatsanwaltschaft nicht wirksam auf das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde verzichtet. Der Rechtsmittelverzicht wird mit Eingang bei Gericht wirksam. Maßgeblich ist insofern allein der zunächst in Form eines Vermerks niedergelegte Rechtsmittelverzicht der Staatsanwaltschaft vom 13.02.2025. Der so erklärte Verzicht ist mit dem Vollstreckungsheft zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt nach dem 20.02.2025 – und damit nach der sofortigen Beschwerde , die auch als Widerruf der Verzichtserklärung auszulegen ist - bei der Strafvollstreckungskammer eingegangen. Damit ist der Widerruf des Rechtsmittelverzichts wirksam (vgl. BGH, Beschluss vom 09.08.1995 – 1 StR 699/94; Cierner in: BeckOK StPO, 54. Edition Stand 01.01.2025, § 302 Rn. 22f m.w.N.).
11In der Sache hat die sofortige Beschwerde (vorläufig) Erfolg. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.
12Entgegen § 454 Abs. 2 S. 3 StPO hat es die Strafvollstreckungskammer unterlassen, den Sachverständigen mündlich anzuhören, obwohl sie dessen gutachterliche Stellungnahme in seinem Gutachten vom 23.12.2024 bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt – und folglich im Sinn des § 454 Abs. 2 S. 1 StPO verwandt – hat (vgl. Senat, Beschluss vom 26.05.2023 – III-1 Ws 95/23; Beschluss vom 24.04.2012 – 1 Ws 145/12, juris m.w.N.).
13Gemäß § 454 Abs. 2 S. 3 StPO ist der Sachverständige zwingend mündlich zu hören, wobei der Staatsanwaltschaft, dem Verurteilten, einem etwa vorhandenen Verteidiger und der Vollzugsanstalt Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben ist. Auf diese Weise soll den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gegeben werden, das Gutachten eingehend zu diskutieren und das Votum des Sachverständigen zu hinterfragen (OLG Hamm, Beschluss vom 24.07.2008, - 3 Ws 262/08). Die damit nach § 454 Abs. 2 S. 3 StPO erforderliche Anhörung hätte gemäß § 454 Abs. 2 S. 4 StPO nur unterbleiben dürfen, wenn der Verurteilte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft darauf verzichtet hätten. Hier fehlt es an dem Verzicht der Staatsanwaltschaft. Auf eine entsprechende Anfrage der Strafvollstreckungskammer hat die Staatsanwaltschaft einen Verzicht nicht ausdrücklich erklärt. Ein konkludenter Verzicht der Staatsanwaltschaft liegt ebenfalls nicht vor. Das bloße Schweigen auf eine Zuschrift des Gerichts genügt für die Annahme eines Verzichts nicht, denn der Verzicht auf die mündliche Anhörung muss eindeutig erklärt werden (OLG Celle – Beschluss vom 29.04.2024 – 1 Ws 126/24; vgl auch KG Berlin, NStZ 1999, 319 [320]; NJW 1999, 1797 [1798] zum Verzicht des Verurteilten/Untergebrachten und seines Verteidigers: OLG Hamm, Beschluss vom 30.08.2018 – III – 3 Ws 363/18Senat, Beschluss vom Beschluss vom 26.05.2023 – III-1 Ws 95/23; ; Appl, in: KK-StPO, § 454 Rn. 29a; vgl. auch Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 454 Rn. 63 f.). An einer ausdrücklichen Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft fehlt es hier. Ein solcher Verzicht ist insbesondere auch nicht darin zu sehen, dass die Staatsanwaltschaft das Vollstreckungsheft unter Hinweis darauf, einer Aussetzung der Strafe zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt nicht zu widersprechen, an die Strafvollstreckungskammer zurückgesandt hat. Dieser Erklärung ist ein (eindeutiger) Erklärungsgehalt im Sinne eines Verzichts auf die mündliche Anhörung nicht beizumessen. Vielmehr stellt sich die Erklärung als Nichtreaktion auf die gerichtliche Anfrage dar, die vielfältige Ursachen haben kann. Jedenfalls ist daraus nicht zwangsläufig zu erkennen, dass sich die Staatsanwaltschaft nach Kenntnisnahme vom schriftlichen Sachverständigengutachten und des sich aus den Akten ergebenden Sachstandes bewusst dafür entschieden hat, auf eine mündliche Anhörung des Sachverständigen zu verzichten (vgl. dazu: OLG Hamm, Beschluss vom 15.12.2016 – III - 4 Ws 380/16).
14Der Verfahrensmangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückweisung der Sache an die mit der Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe trotz mittlerweile erfolgter Verlegung in die JVA M. nach § 462a Abs. 1 S. 1 StPO befasste Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund (BGH, NJW 1975, 1847). Eine Sachentscheidung durch den Senat gemäß § 309 Abs. 2 StPO ist nicht veranlasst, da der Senat die mangels Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft zwingend erforderliche Anhörung des Sachverständigen im Beschwerdeverfahren nicht nachholen kann (OLG Hamm, Beschluss vom 12.11.2007 – 3 Ws 647/07 = BeckRS 2007, 19259, Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 11.01.2012 – 2 StR 346/11 = NStZ 2012, 408; Senat, Beschluss vom Beschluss vom 26.05.2023 – III-1 Ws 95/23; KG Berlin, NStZ 1999, 319 [320]; NJW 1999, 1797 [1798]; vgl. auch Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Aufl. 2024, § 454 Rn. 46 und § 309 Rn. 8).
15III.
16Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Entscheidung über die Kosten ist an dem abschließenden materiellen Ergebnis zu orientieren und bleibt deshalb der erneuten erstinstanzlichen Schlussentscheidung vorenthalten.