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Die Ablehnung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung darf erst nach Ablauf einer Woche nach der (wirksamen) Zustellung des Urteils erfolgen, weil erst dann Entscheidungsreife vorliegt.
Eine verfrühte Entscheidung wäre nur dann unschädlich, wenn sie im Ergebnis zu Recht ergangen wäre und nicht zu besorgen ist, dass der Beschwerdeführer durch sie von einer Einlegung oder (gegebenenfalls ergänzenden) Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgehalten worden ist. Dies ist nur dann auszuschließen, wenn die Verwerfungsentscheidung dem Beschwerdeführer erst nach Ablauf der Antragsfrist im Sinne von § 329 Abs. 7 S. 1 StPO zugestellt worden ist.
Wird der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung verfrüht verworfen und der Verwerfungsbeschluss zu einem Zeitpunkt zugestellt, in dem die Frist des § 329 Abs. 7 S. 1 StPO noch nicht abgelaufen ist, so beginnt diese Frist erst mit der Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts, durch die der Verwerfungsbeschluss aufgehoben wird.
Der Beschluss des Landgerichts Essen vom 20.03.2025 wird aufgehoben.
Der Angeklagte wird darauf hingewiesen, dass die Wochenfrist zur Einlegung und Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung mit der Zustellung dieses Beschlusses zu laufen beginnt.
Die Sache wird dem Landgericht Essen – IX. kleine Strafkammer – zur Entgegennahme einer eventuellen weiteren Antragsbegründung zurückgegeben.
Gründe:
2I.
3Das Landgericht – IX. kleine Strafkammer – Essen (im Folgenden: Landgericht) hat die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 11.08.2023 gemäß § 329 Abs. 1 S. 1 StPO durch Urteil vom 10.02.2025 verworfen, weil der Angeklagte zur Hauptverhandlung nicht erschienen und auch nicht durch einen mit Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger vertreten war.
4Am 11.02.2025 beantragte der Verteidiger des Angeklagten unter Bezugnahme auf ein beigefügtes ärztliches Attest die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung. Das Verwerfungsurteil ist dem Angeklagten am 14.03.2025 zugestellt worden. Mit Beschluss vom 20.03.2025, der dem Verteidiger am Folgetag zugestellt wurde, verwarf das Landgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung. Hiergegen richtet sich die am 26.03.2025 bei dem Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde des Angeklagten vom selben Tag.
5Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 24.04.2025 beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Verurteilte und sein Verteidiger hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
6II.
7Die statthafte und zulässige, insbesondere gemäß § 311 Abs. 2 StPO fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten hat in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zu einer Zurückverweisung der Sache an die IX. kleine Strafkammer bei dem Landgericht Essen, weil der angefochtene Beschluss an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet.
81.
9Nach § 329 Abs. 7 S. 1 StPO kann der Angeklagte binnen einer Woche nach der Zustellung des Urteils die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den in den §§ 44 und 45 StPO bezeichneten Voraussetzungen beanspruchen. Die Ablehnung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung darf jedoch erst nach Ablauf einer Woche nach der (wirksamen) Zustellung des Urteils erfolgen, weil erst dann Entscheidungsreife vorliegt (OLG Bamberg, Beschluss vom 19.04.2007, Rn. 7 – juris; OLG Düsseldorf, NStZ 1998, 637 [637 f.]; Quentin, in: MüKo-StPO, 2. Aufl. 2024, § 329 Rn. 97; Paul, in: KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 329 Rn. 23; Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 329 Rn. 113; Frisch, in: SK-StPO, 6. Aufl. 2022, § 329 Rn. 59). Die Frist darf bis zum Ende ausgeschöpft werden. Hat der Angeklagte bereits unmittelbar nach dem versäumten Hauptverhandlungstermin Wiedereinsetzung beantragt, kann er bis zum Ablauf der Frist zu den Wiedereinsetzungsgründen ergänzend vortragen (OLG Düsseldorf, NStZ 1992, 99; Quentin, in: MüKo-StPO, 2. Aufl. 2024, § 329 Rn. 97).
10Nach der Zustellung des Verwerfungsurteils des Landgerichts am 14.03.2025 lief die Frist zur Einlegung und Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung am 21.03.2025 ab. Der angefochtene Beschluss des Landgerichts vom 20.03.2025 ist demnach verfrüht ergangen.
112.
12Die verfrüht getroffene Verwerfungsentscheidung zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Abweichend von der Regel des § 309 Abs. 2 StPO ist der Senat an einer eigenen Sachentscheidung gehindert.
13Eine verfrühte Entscheidung wäre nur dann unschädlich, wenn sie im Ergebnis zu Recht ergangen wäre und nicht zu besorgen ist, dass der Beschwerdeführer durch sie von einer Einlegung oder (gegebenenfalls ergänzenden) Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgehalten worden ist. Dies ist nur dann auszuschließen, wenn die Verwerfungsentscheidung dem Beschwerdeführer erst nach Ablauf der Antragsfrist im Sinne von § 329 Abs. 7 S. 1 StPO zugestellt worden ist (zur Verwerfung der Revision vor Ablauf der Begründungsfrist: vgl. Senat, Beschluss vom 14.05.2025 zu III-1 ORs 9/25; OLG Bamberg, Beschluss vom 24.03.2017 zu 2 Ss OWi 329/17, Rn. 8 – juris; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2003, 204 [205]; OLG Jena, Beschluss vom 11.12.2006 zu 1 Ss 329/06, Rn. 9, – juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 20.11.2007 zu 1 Ss 311/07 – juris; Frisch, in: SK-StPO, 5. Aufl. 2018, Rn. 23a). Denn die Tatsachen, auf die der Antragsteller sein Wiedereinsetzungsgesuch stützen möchte, müssen innerhalb der Frist des § 329 Abs. 7 S. 1 StPO dargelegt werden (BGH, Beschluss vom 12.10.2022 zu 4 StR 319/22, Rn. 3; Beschluss vom 20.11.2019 zu 4 StR 522/19, Rn. 2 ff. – juris; OLG Braunschweig, BeckRS 2021, 40318, Rn. 13; OLG Hamm, NStZ-RR 2022, 121 [121 f.]). Später kann nur noch verdeutlicht oder ergänzt werden (Senat, Beschluss vom 16.02.2015 zu III-1 Ws 683/14; Beschluss vom 29.07.2024 zu III-1 ORs 35/24 + III-1 Ws 281/24; Beschluss vom 26.05.2023 zu III-1 ORs 23/23 + III-1 Ws 303/23; Schmitt, in: Schmitt/Köhler, 68. Aufl. 2025, § 45 Rn. 5). Der Verwerfungsbeschluss ist dem Verteidiger des Angeklagten am Tag des Fristablaufs (21.03.2025) zugestellt worden, sodass der Senat nicht ausschließen kann, dass dieser durch den Verwerfungsbeschluss von einer (weiteren) Begründung des Wiedereinsetzungsantrags abgehalten worden sein kann.
14Wird – wie im vorliegenden Fall – der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung verfrüht verworfen und der Verwerfungsbeschluss zu einem Zeitpunkt zugestellt, in dem die Frist des § 329 Abs. 7 S. 1 StPO noch nicht abgelaufen ist, so beginnt diese Frist erst mit der Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts, durch die der Verwerfungsbeschluss aufgehoben wird. Denn dem Beschwerdeführer kann nicht zugemutet werden, die Antragsbegründung in Kenntnis der negativen Entscheidung des Tatgerichts vorsorglich innerhalb der noch verbleibenden Frist einzureichen. Ihm ist vielmehr Gelegenheit zu geben, binnen einer Woche nach Zustellung der Aufhebungsentscheidung seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung zu begründen (zur Verwerfung der Revision vor Ablauf der Begründungsfrist: vgl. Senat, Beschluss vom 14.05.2025 zu III-1 ORs 9/25; BGH, Beschluss vom 11.08.2021 zu 3 StR 118/21, Rn. 7– juris; Beschluss vom 06.03.2014, NJW 2014, 1686, [1687]; OLG Bamberg, BeckRS 2018, 11529, Rn. 8; OLG Köln, BeckRS 2018, 39186, Rn. 4; Frisch, in: SK-StPO, 5. Aufl. 2018, Rn. 23a).
153.
16Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist an dem abschließenden materiellen Ergebnis zu orientieren und bleibt deshalb der erneuten erstinstanzlichen Sachentscheidung vorbehalten (vgl. Schmitt, in: Schmitt/Köhler, 68. Aufl. 2025, § 473 Rn. 7).