Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Vereitelt der Täter im Rahmen einer Fluchtfahrt vor der Polizei in dem Willen, einen Zugriff der ihn verfolgenden Beamten zu verhindern, eine Vielzahl von Anhaltebemühungen und Überholversuchen der eingesetzten Polizeibeamten, kommt es im Verlauf der Verfolgungsjagd zu mehreren (Beinahe-)Unfällen des Fluchtfahrzeugs zum Nachteil der ihn verfolgenden Streifenwagen wie auch zu Lasten anderer Verkehrsteilnehmer und steuert der Täter letztlich sein Fahrzeug mit der Folge einer – durch einen Insassen des Streifenwagens körperlich empfundenen – Kollision in Richtung eines der ihn verfolgenden Polizeifahrzeuge, liegt ein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte im Sinne einer – die weiteren im Verlauf der Fahrt begangenen (Verkehrs-)Delikte umklammernden – natürlichen Handlungseinheit vor.
Für die Annahme des subjektiven Tatbestandes des § 113 Abs. 1 StGB ist es nicht erforderlich, dass sich der Täter gegen die Insassen des Streifenwagens in ihrer Eigenschaft als Polizisten wenden will oder die Kollision absichtlich herbeiführt. Vielmehr ist eine (bedingt) vorsätzliche Widerstandsleistung bereits dann zu bejahen, wenn der Täter die infolge seiner Lenkbewegung eingetretene Gewalteinwirkung als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebt, um seine Flucht fortsetzen zu können.
Ein tätlicher Angriff i. S. v. § 114 Abs. 1 StGB ist eine mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Beamten oder Soldaten zielende Einwirkung. Eine körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters ist nicht erforderlich. Jedenfalls eine objektiv gefährliche, verletzungsgeeignete Handlung kann auch dann, wenn der Täter keinen Verletzungsvorsatz hat, ein tätlicher Angriff sein. (Anschluss an Senatsbeschluss vom 12.02.2019 - 4 RVs 9/19 und Senatsurteil vom 10.12.2019 – 4 RVs 88/19). Die Annahme einer solchen objektiv gefährlichen, verletzungsgeeigneten Handlung liegt auf der Hand, wenn der Täter im Rahmen einer Verfolgungsfahrt mit mehreren, mit hoher Geschwindigkeit teilweise sehr nah nebeneinander fahrenden Fahrzeugen, sein Fahrzeug in Richtung eines Streifenwagens steuert.
Das angefochtene Urteil wird im Schuldspruch dahingehend ergänzt, dass der Angeklagte auch wegen tateinheitlich begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und wegen tateinheitlich begangenen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte verurteilt wird.
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Detmold zurückverwiesen.
Gründe
2I.
3Das Amtsgericht – Schöffengericht – Lemgo hat den Angeklagten mit Urteil vom 22.02.2023 (21 Ls-21 Js 80/22-11/22) – unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des AG Bielefeld vom 18.11.2021 (Cs 201 Js 1585/21 – wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung jeweils in Tateinheit mit versuchtem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, Sachbeschädigung, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und verbotenem Kraftfahrzeugrennen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt.
4Von der Bildung einer Gesamtstrafe mit der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 18.11.2021 hat das Amtsgericht abgesehen und ferner die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie eine Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von vier Jahren angeordnet.
5Auf die Berufung des Angeklagten vom 27.02.2023 hat das Landgericht Detmold mit Urteil vom 07.11.2023 (22 NBs-21 Js 80/22-23/23) das Urteil des Amtsgerichts Lemgo „abgeändert“ und den Angeklagten wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen, Sachbeschädigung und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
6In diesem Urteil hat das Landgericht Detmold folgende Feststellungen zur Sache getroffen:
7„Am Abend des 00.00.2021 konsumierte der Angeklagte, der bei Freunden eingeladen war, Alkohol und Kokain in im Einzelnen jeweils nicht mehr feststellbarer Menge. Am frühen Morgen des 00.00.2021 machte er sich mit dem auch für seinen Betrieb genutzten Fahrzeug, einem N. mit dem amtlichen Kennzeichen N01, auf den Heimweg und befuhr dabei unter anderem gegen 00:15 Uhr die M.-straße aus S. kommend in Fahrtrichtung zur G.-straße (L N02) hin. Der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt Inhaber einer entsprechenden Fahrerlaubnis, seine Fahrweise war unauffällig. Da zu dieser Zeit aufgrund der Coronavirus-Pandemie eine nächtliche Ausgangssperre angeordnet war, entschloss sich die Besatzung des hinter dem Angeklagten fahrenden Streifenwagens „E.“, die Zeugen B. und V., den Angeklagten zu kontrollieren. Sie folgten ihm bis auf die G.-straße, auf die der Angeklagte an einem Kreisverkehr in Fahrtrichtung H. einbog, überholten das Fahrzeug des Angeklagten, betätigten den nach hinten gerichteten Signalgeber „Bitte folgen“ und hielten nach ca. 200 m in einer Anhaltebucht am rechten Straßenrand in der Erwartung, der Angeklagte werde ebenfalls anhalten. Dieser geriet jedoch im Hinblick auf seinen Alkohol- und Drogenkonsum in Panik und fuhr an dem Streifenwagen vorbei. Der Zeuge B., der am Steuer des Streifenwagens saß, fuhr nun ebenfalls wieder an und schaltete den nach vorn gerichteten Signalgeber „Stopp Polizei“ ein, mit dessen Einschalten zugleich eine auf dem Armaturenbrett befindliche Videokamera (Dashcam) aktiviert wurde und die Fahrt im weiteren Verlauf aufzeichnete. Zudem schalteten sie das Blaulicht ein.
8Der Angeklagte versuchte, vor den Zeugen zu flüchten, wobei während der gesamten Fahrt seine Einsichtsfähigkeit aufgrund einer durch den Kokainkonsum herbeigeführten Selbstüberschätzung erheblich vermindert war:
9Er fuhr zunächst ca. 20 Sekunden lang weiter auf der G.-straße, auf der in diesem Bereich zunächst eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h und sodann eine solche von 70 km/h zulässig ist, wobei er eine Höchstgeschwindigkeit von ca. 120 km/h erreichte.
10Um 00:18 Uhr bog er nach links in die H.-straße und nach ca. weiteren 20 Sekunden, während derer der Zeuge B. erfolglos einen Überholversuch unternommen hatte, nach rechts in die O.-straße ab. Auf dieser unternahm der Zeuge B. einen weiteren erfolglosen Überholversuch und fuhr sodann innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit 106 km/h und gleichbleibendem Abstand ca. zehn Sekunden lang hinter dem Fahrzeug des Angeklagten her, bis Letzterer vor einer Kurve abbremste und, nachdem er dem Straßenverlauf ca. weitere 15 Sekunden lang gefolgt war, nach rechts in die Y.-straße abbog. Diese befuhr er ca. 15 Sekunden lang, wobei er teils mittig auf der Straße und teils – als im Einmündungsbereich zur L N02, die in diesem Bereich D.-straße heißt, wieder Fahrspuren markiert waren – auf der Gegenfahrbahn fuhr. Um 00:19:24 Uhr erreichte er die bevorrechtigte D.-straße und überquerte diese, ohne an dem dort für ihn geltenden STOP-Schild anzuhalten oder überhaupt zu bremsen. Zur gleichen Zeit fuhr ein vorfahrtberechtigter Dritter mit einem PKW auf der D.-straße in Fahrtrichtung H.. Die genauen gefahrenen Geschwindigkeiten waren nicht feststellbar. Der Querverkehr erreichte jedoch das Kreuzungsviereck, als sich auf seiner Fahrspur noch das Heck des Fahrzeugs des Angeklagten befand, und passierte dieses Kreuzungsviereck in weniger als zwei Sekunden, so dass es lediglich vom Zufall abhängig war, dass es nicht zu einer Kollision kam. Der Angeklagte, der aufgrund des vor Fahrtantritt erfolgten Kokainkonsums während der gesamten Fahrt nicht in der Lage war, sein Fahrzeug sicher zu führen, nahm seine Fahruntüchtigkeit ebenso zumindest billigend in Kauf wie den Umstand, dass er grob verkehrswidrig und rücksichtslos die Vorfahrt nicht beachtete. Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte er erkennen können und müssen, dass er durch seine Fahrweise Leib und Leben der den anderen PKW steuernden Person sowie diesen PKW gefährdete.
11In den folgenden ca. anderthalb Minuten, in denen der Angeklagte weiter die Y.-straße befuhr, bremste er zwar teilweise an Einmündungen und Kurven ab, fuhr aber nahezu durchgängig in der Mitte der Fahrbahn und teilweise auf der für den Gegenverkehr bestimmten Fahrbahn und erreichte in Straßenabschnitten, in denen eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h bzw. 30 km/h zulässig war, Geschwindigkeiten von über 90 km/h, in der Spitze 97 km/h bei zulässigen 30 km/h. Um 00:21:06 Uhr bog er nach links in die T.-straße ab, die er teilweise innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit einer Geschwindigkeit von 92 km/h und überwiegend mittig auf der Fahrbahn bzw. – soweit Fahrspuren eingezeichnet waren – auf seiner und der Gegenfahrbahn befuhr. Von hier aus bog er um 00:21:45 Uhr nach rechts in die K.-straße ab, welcher im weiteren Verlauf zur C.-straße und sodann zur R.-straße wird.
12Auf der R.-straße hatten die Zeugen U. und Z., die zu dieser Zeit im Wach- und Wechseldienst der Polizeiwache JJ. tätig waren und von der Verfolgungsfahrt erfahren hatten, eine Straßensperre errichtet. Die untergeordnete Querstraße, aus der die Zeugen mit ihrem Streifenwagen kamen, bildet an dieser Stelle aus der Fahrtrichtung der Zeugen gesehen mit der R.-straße eine T-Kreuzung. Der Zeuge U. hatte den Streifenwagen so weit in die Fahrbahn hineingefahren, dass diese nicht vollständig gesperrt war, sondern zusammen mit dem aus seiner Sicht gegenüberliegenden Grünstreifen am Fahrbahnrand noch etwas mehr als eine Fahrzeugbreite offen blieb. Die Zeugin Z. stieg aus und verblieb in einer sicheren Position auf der Beifahrerseite des Streifenwagens. Der Zeuge U. stieg auf der Fahrerseite aus, so dass er sich aus der Fahrtrichtung des Angeklagten gesehen hinter dem Streifenwagen befand. Er ging sodann nach vorn an dem Fahrzeug vorbei, um nachzuschauen, wieviel Platz dort noch sei. Er sah, dass die Straße nicht vollständig gesperrt war, erkannte aber aufgrund der herannahenden Lichter auch richtig, dass ihm nicht mehr die Zeit bleiben würde, den Streifenwagen noch weiter nach vorn zu fahren. Er bewegte sich daraufhin wieder aus seiner Position auf der Fahrbahn in Richtung der Fahrerseite des Streifenwagens. Der Angeklagte konnte die Lichter des abgestellten Streifenwagens etwa ab 00:22:20 Uhr erkennen, während er die in diesem Bereich sehr enge R.-straße mit 65 km/h befuhr. Er bremste sein Fahrzeug in der Zeit von 00:22:35 Uhr bis zum Erreichen des Streifenwagens um 00:22:41 Uhr auf 40 km/h ab und führte um 00:22:41 Uhr eine Lenkbewegung – aus seiner Sicht – nach rechts aus. Dadurch lenkte er sein Fahrzeug weg von dem Streifenwagen und dem Zeugen U., der sich zu diesem Zeitpunkt – wiederum aus der Blickrichtung des Angeklagten gesehen – hinter dem Streifenwagen auf Höhe dessen vorderer linker Ecke befand und sich zügig, aber ruhig gehend weiter zum Heck des Streifenwagens hin bewegte. Es gelang dem Angeklagten, unter Nutzung eines Teils der Fahrbahn und des Grünstreifens die Stelle ohne Kollision mit dem Zeugen oder dem Streifenwagen fortzusetzen. Bei diesem Fahrmanöver kam es dem Angeklagten nicht darauf an, den Zeugen U. dazu zu bewegen, die Fahrbahn freizumachen. Er war vielmehr in Panik und hoffte, seine Flucht fortsetzen zu können, und versuchte zu diesem Zweck, soweit es die örtlichen Gegebenheiten – ein Straßenschild auf dem Grünstreifen unmittelbar vor der Einmündung und eines auf Höhe der Einmündung; ein Straßengraben und sodann ein Weidezaun neben dem Grünstreifen – zuließen, möglichst viel Platz zwischen sein Fahrzeug und den Zeugen U. bzw. dessen Streifenwagen zu bringen. Zudem rechnete er damit, dass der Zeuge sich ohnehin in Sicherheit bringen werde.
13Der Angeklagte setzte sodann seine Fahrt über die X.-straße – die er u. a. bei einer zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h mit bis zu 85 km/h befuhr – und erneut die Y.-straße fort. Hierbei fuhr er wiederum überwiegend mittig auf der Fahrbahn und teilweise vollständig auf der Gegenfahrbahn. Es gelang ihm allerdings, als er um 00:26:08 Uhr ein entgegenkommendes Fahrzeug bemerkte, so rechtzeitig auf seine Seite der an dieser Stelle nicht in mehrere Fahrbahnen unterteilten Y.-straße zu ziehen, dass es zu keiner Gefährdung des Gegenverkehrs kam. Um 00:26:20 Uhr erreichte er erneut die D.-straße und bog nach rechts in Fahrtrichtung H. auf diese ab. Nach ca. weiteren anderthalb Minuten erreichte er den sog. W. („Kreisverkehr“, Anmerkung der Redaktion), in dem hinzugerufene Unterstützungskräfte, u.a. die zu diesem Zeitpunkt in der Polizeiwache H. eingesetzten Zeugen F. und I. die weiter in Fahrtrichtung H. führende Fahrspur mit ihrem Streifenwagen gesperrt hatten, aber bewusst eine „Fluchttür“ in Fahrtrichtung der nach rechts abgehenden Straße A.-straße gelassen hatten, um keinen Verkehrsunfall zu provozieren. Der Angeklagte nutzte diese Möglichkeit, bog nach rechts ab und durchfuhr in den nächsten ca. drei Minuten zunächst das Industriegebiet und sodann ein Wohngebiet, in dem sich aufgrund der Nachtzeit allerdings keine Personen im Freien aufhielten (Straßen A.-straße, P.-straße, W.-straße). Auch hierbei überschritt er die zugelassene Höchstgeschwindigkeit um bis zu 80 % und fuhr mehrfach mittig und links auf der Fahrbahn.
14Um 00:30:52 Uhr erreichte er wiederum die Y.-straße und überquerte diese unter Missachtung eines STOP-Schildes. Nach etwa einer weiteren Minute Fahrzeit endete die W.-straße in einer Sackgasse, von der ein parallel zur L N02 verlaufender Geh- und Radweg in Fahrtrichtung J./L. abgeht. Der Angeklagte setzte seine Fahrt auf diesem Geh- und Radweg über ca. anderthalb Minuten hinweg mit einer Geschwindigkeit von bis zu 90 km/h fort und bog um 00:33:20 Uhr nach rechts in die Straße Q.-straße ab. Diese führt im weiteren Verlauf durch eine Wohnsiedlung, in der eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h vorgeschrieben ist und die der Angeklagte – teils in Slalomfahrt zwischen zur Verkehrsberuhigung auf der Straße befindlichen, mit Beton eingefassten Anpflanzungen und an beiden Fahrbahnrändern geparkten PKW – mit bis zu 79 km/h befuhr.
15Um 00:34:23 Uhr bog der Angeklagte nach rechts in die JJ.-straße ein, die im weiteren Verlauf in die Innenstadt von L. führt. Um zu verhindern, dass sich die Verfolgungsfahrt nach dorthin verlagert, versuchten die Zeugen B. und V., das Fahrzeug des Angeklagten zu überholen. Dieser bog daraufhin um 00:34:51 Uhr nach rechts in die H.-straße ab. Auf dieser Straße versuchten die Zeugen F. und I., deren Streifenwagen inzwischen ebenfalls aufgeschlossen hatte, mehrfach, den Angeklagten zu überholen, was sie teils aufgrund der örtlichen Gegebenheiten, teils aber auch, weil der Angeklagte panisch versuchte, seine Flucht fortzusetzen, und sein Fahrzeug zu diesem Zweck auch vor deren Streifenwagen fuhr, abbrechen mussten. Um 00:36:30 Uhr kam es dabei auf Höhe der Einmündung der ZA.-straße beinahe zu einem Unfall, als der Angeklagte – der die Gefährlichkeit seines Verhaltens bei Anwendung der im Verkehr der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen – unter billigender Inkaufnahme eines grob rücksichtslosen verkehrswidrigen Verhaltens über die Mittellinie auf die Gegenfahrspur lenkte, auf der sich zu dieser Zeit neben seinem Fahrzeug der Streifenwagen der Zeugen F. und I. befand.
16Um 00:36:41 Uhr erreichte der Angeklagte erneut die L N02 und bog nach rechts auf diese ab (G.-straße, Fahrtrichtung J./L.). Hier gelang es ihm zunächst, als zwei Autos entgegenkamen, auf seiner Fahrspur zu bleiben, fuhr danach aber auch wieder auf die Gegenfahrspur. Im weiteren Verlauf gelang es den eingesetzten Polizisten zweimal, das Fahrzeug des Angeklagten – der zu diesem Zeitpunkt jeweils ca. 110 km/h bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h fuhr – in Richtung des rechten Fahrbandrandes abzudrängen und zunächst mit zwei, später unter Einsatz von drei Streifenwagen dessen Fahrbahn zu verengen, um den Angeklagten auszubremsen. Da die Fahrer der jeweiligen Streifenwagen aber zutreffend erkannten, dass der in Panik befindliche Angeklagte nicht anhalten würde, ließen sie eine Lücke zwischen zwei Fahrzeugen offen, um einen Verkehrsunfall zu vermeiden. Diese Möglichkeit nutzte der Angeklagte und setzte sein Fahrzeug um 00:38:00 Uhr wieder vor die drei Streifenwagen.
17Um 00:38:04 Uhr kollidierte der Streifenwagen der Zeugen F. und I. bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von ca. 115 km/h mit dem Kopf eines die Fahrbahn überquerenden Rehs, wobei der Streifenwagen leicht beschädigt wurde. Der Körper des Rehs wurde sodann unter den ebenso schnell fahrenden Streifenwagen der Zeugen B. und V. geschleudert, welcher daraufhin im Frontbereich sowie an einem Vorderreifen beschädigt wurde. (…) Der Angeklagte hatte zwar einen solchen Geschehensablauf im Konkreten nicht als möglich vorhergesehen, hatte es aber durchaus als möglich erkannt und billigend in Kauf genommen, dass es im Rahmen einer Verfolgungsfahrt mit hohen Geschwindigkeiten zu Beschädigungen an den Streifenwagen durch Kollisionen mit Hindernissen auf der Fahrbahn kommen könnte.
18Der Streifenwagen mit den Zeugen B. und V., der bis dahin als sogenanntes „Klettenfahrzeug“ fungiert hatte, fiel aufgrund der Beschädigung und des damit einhergehenden Luftverlusts an dem Vorderreifen zurück und der Streifenwagen der Zeugen F. und I. übernahm in der Folge diese Funktion.
19Der Angeklagte befuhr die G.-straße noch bis 00:38:25 Uhr und bog sodann in einem Kreisverkehr entgegen der Fahrtrichtung nach links wieder in die M.-straße, diesmal in Fahrtrichtung S. ein. Hier kam es nach ca. zehn Sekunden auf der Fahrbahn zu einem seitlichen Kontakt des Streifenwagens der Zeugen F. und I. mit dem Fahrzeug des Angeklagten, der daraufhin nach rechts lenkte und an einer Grundstückseinfahrt auf den parallel zur Straße verlaufenden Geh- und Radweg lenkte. Da dieser von der M.-straße durch einen Straßengraben getrennt war, befuhr ihn der Angeklagte einige Sekunden lang weiter und lenkte sein Fahrzeug bei der nächsten Grundstückseinfahrt um 00:38:43 Uhr wieder auf die M.-straße zurück, wobei er erneut mit demselben Streifenwagen kollidierte, der hierdurch weiter beschädigt wurde. Eine Beschädigung der ihn verfolgenden Fahrzeuge hatte der Angeklagte dabei grundsätzlich auch billigend in Kauf genommen. Er wollte sich dadurch aber nicht gegen die ihn verfolgenden Polizisten zur Wehr setzen, sondern es kam ihm darauf an, seine Flucht fortsetzen zu können, wofür er insbesondere auch die Rückkehr auf die Fahrbahn der M.-straße als erforderlich ansah, da er zu diesem Zeitpunkt vor sich eine Einmündung erkannte und meinte, nicht auf dem Geh- und Radweg weiterfahren zu können. Während der Weiterfahrt nach den Kollisionen war dem Angeklagten – zumindest im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre – bewusst, dass er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten jedenfalls nicht die Feststellung seiner Person ermöglicht hatte.
20Tatsächlich erreichte der Angeklagte wenige Sekunden später auch die Einmündung der SQ.-straße, in die er um 00:38:50 Uhr nach rechts abbog. Von der Straße aus lenkte er sein Fahrzeug linksseitig in ein Feld und versuchte, die am gegenüberliegenden Ende des Feldes gelegene Straße GI.-straße zu erreichen. Als er merkte, dass ihm dies nicht gelingen würde, sprang er aus dem fahrenden Fahrzeug und flüchtete zu Fuß, wurde aber kurz darauf festgenommen. Sein Fahrzeug rollte um 00:40:32 Uhr ohne Fahrer in einen Straßengraben an der Straße GI.-straße und blieb dort stehen. An diesem Fahrzeug war ein Totalschaden eingetreten und es wurde verschrottet.
21Eine dem Angeklagten am 00.00.2021 um 01:35 Uhr entnommene Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von 0,58 ‰ und wies 370 ng/ml Kokain – bei einem Grenzwert von 10 ng/ml – sowie Abbauprodukte von Kokain nach. (…)“
22Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Landgericht ferner auszugsweise Folgendes ausgeführt:
23„Soweit die Aussagen der Zeugen F. und I. hinsichtlich des Geschehens auf der M.-straße dahingehend voneinander abweichen, dass sich der Zeuge F. nur noch an einen Anstoß an das Fahrzeug des Angeklagten erinnern konnte, folgt die Kammer der Aussage der Zeugin I.. Diese hat plastisch bekundet, dass es zwei Kontakte gegeben habe, bei denen es „schon gut geruckelt“ habe. (…)
24Die Feststellungen zur inneren Tatseite beruhen auf der unwiderlegbaren Einlassung des Angeklagten, die durch verschiedene objektive Anhaltspunkte gestützt wird.
25So war auf den in Augenschein genommenen Videos erkennbar, dass der Angeklagte teilweise noch in der Lage war, kurzfristig in ansatzweise angemessener Weise auf einzelne Verkehrssituationen zu reagieren. Er bremste gelegentlich, wenn der Straßenverlauf dies erforderte, zog, während er sonst keine klare Fahrlinie verfolgte, bei entgegenkommendem Verkehr auf seine eigene Fahrspur herüber und wich auch sonst Hindernissen wie etwa geparkten Autos aus. Letzteres zeigte sich auch beim Passieren der von dem Zeugen U. errichteten Straßensperre um 00:22 Uhr. Die dort verbleibende Engstelle passierte der Angeklagte zwar mit der deutlich nicht mehr situationsangemessenen Geschwindigkeit von 40 km/h, hatte aber seine Geschwindigkeit zuvor um mehr als ein Drittel reduziert und lenkte erkennbar von dem quer auf der Fahrbahn stehenden Streifenwagen und dem Zeugen U., der sich zu diesem Streifenwagen hinbewegte, weg nach rechts. Hieraus schließt die Kammer, dass es dem Angeklagten gerade darauf ankam, Kollisionen mit Hindernissen jeglicher Art, welche seine Flucht gefährdet hätten, zu vermeiden. Seine Einlassung, er habe damit gerechnet, dass der Zeuge U. sich in Sicherheit bringen werde, steht dem nicht entgegen, weil sich daraus nicht ergibt, dass der Angeklagte dieses Verhalten des Zeugen als Nötigungserfolg erstrebte. Dies wäre auch nicht mit seiner vorstehend beschriebenen Fahrweise in Einklang zu bringen.
26Demgegenüber war der Angeklagte nicht mehr in der Lage, über die konkrete Situation hinaus reichende Pläne zu fassen. Dies zeigt sich schon daran, dass er verschiedene Örtlichkeiten mehrmals aus unterschiedlichen Richtungen erreichte. Er fuhr schlicht ohne klares Ziel durch die Gegend und konnte auch auf Befragen in der Berufungshauptverhandlung nicht angeben, wie seiner Vorstellung nach seine Flucht erfolgreich hätte zu Ende gehen sollen.
27Aus alledem lässt sich der Rückschluss ziehen, dass die Motivation, die den vom Angeklagten jeweils getroffenen fahrerischen Entscheidungen zugrunde lag, jeweils der Fluchtimpuls war, der – insofern folgt die Kammer der gut nachvollziehbaren Einschätzung des Sachverständigen PB. – zumindest teilweise mit einer Selbstüberschätzung aufgrund des Kokainkonsums einherging.
28In diese Schlussfolgerung reihen sich zwanglos die Vorfälle ein, in denen es zu Beinaheunfällen und Kollisionen mit den den Angeklagten verfolgenden Streifenwagen kam. Insofern nutzte der Angeklagte – wiederum kurzfristig auf die Situation bezogen durchaus zielgerichtet – die ihm von den Zeugen zwecks Vermeidung von Unfällen gebotenen Lücken. Letzteres misslang schließlich auf der M.-straße um 00:38 Uhr, wobei sich aus der Videoaufzeichnung keine Umstände ergeben, die auf ein gezieltes Rammen oder Abdrängen des Streifenwagens der Zeugen F. und I. schließen ließen. Dies gilt erst recht in Bezug auf die zweite Kollision wenige Sekunden später, die erkennbar aus dem Bemühen des Angeklagten resultierte, vor der nächsten Straßeneinmündung wieder von dem Geh- und Radweg auf die Fahrbahn zu gelangen. Soweit sich der Angeklagte dahingehend eingelassen hat, er habe die Kollisionen „nicht absichtlich gemacht“, steht dies der Annahme eines bedingten Vorsatzes in Bezug auf eine Sachbeschädigung nicht entgegen. Ein solcher liegt bei einer Verfolgungsfahrt mit mehreren Fahrzeugen die mit hoher Geschwindigkeit teilweise sehr nah nebeneinander fahren, auf der Hand. Dass der Angeklagte hingegen auch vorsätzlich dahingehend handelte, sich gegen die Zeugen in ihrer Eigenschaft als Polizisten zu wenden, lässt sich nicht feststellen. Hiergegen spricht, dass sich der Angeklagte trotz des Fehlens eines langfristigen Plans zumindest intuitiv doch bewusst war, dass jede Kollision die Erfolgsaussichten seiner Flucht deutlich verschlechtern würde.“
29Dies zugrunde gelegt hat das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten „durch die Kollision mit dem Streifenwagen“ wegen einer vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB und tateinheitlich hierzu wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB), einer Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) und eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 StGB) angenommen. Eine Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB) und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 Abs. 1 StGB) hat das Landgericht abgelehnt, ebenso eine Strafbarkeit wegen versuchter Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.
30Die Anordnung einer (isolierten) Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis i. S. v. §§ 69, 69a StGB ist nach den Angaben der Strafkammer versehentlich unterblieben.
31Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Detmold mit Schriftsatz vom 07.11.2023, eingegangen beim Landgericht am 09.11.2023, Revision eingelegt. In ihrer nach Zustellung des Urteils am 12.12.2023 am 03.01.2024 beim Landgericht eingegangenen Revisionsbegründung vom 29.12.2023 hat sie die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhoben. Zur Begründung hat sie – zusammengefasst – ausgeführt, das Landgericht habe auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zu Unrecht eine Verurteilung wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung zum Nachteil der Zeugen F. und I. – dadurch, dass der Angeklagte um 00:38:43 Uhr sein Fahrzeug auf die M.-straße mit der Folge einer erneuten Kollision mit dem Streifenwagen zurücklenkte – abgelehnt. Ferner habe das Landgericht versäumt, den Angeklagten auch wegen (tateinheitlich begangener) vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 a) StGB – durch Überqueren der bevorrechtigten D.-straße um 00:19:24 Uhr, ohne an dem dort für ihn geltenden STOP-Schild anzuhalten – zu verurteilen. Auch die Bewährungsaussetzung begegne durchgreifenden Bedenken. Soweit das Landgericht die Annahme „besonderer Umstände“ im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB darauf gestützt habe, dass der Angeklagte bedingt durch seine Depression zu krank sei, um Straftaten zu begehen, sei diese Prognose dadurch widerlegt, dass er ausweislich der Urteilsfeststellungen nach dem gegenständlichen Vorfall eine weitere vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung begangen habe.
32Der Angeklagte hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 16.01.2024 eine Gegenerklärung zur Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft Detmold abgegeben und in dieser – zusammengefasst – ausgeführt, dass eine Verurteilung wegen (versuchter) Körperverletzung zum Nachteil der Insassen des Streifenwagens bereits deshalb ausscheide, weil „diese Tat“ weder angeklagt noch erstinstanzlich festgestellt worden sei. Eine Verurteilung wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte scheitere jedenfalls am Vorliegen einer „feindseligen Willensrichtung“. Auch fehle es an einer – seiner Auffassung nach für die Tatbestandsverwirklichung erforderlichen – „unmittelbar auf den Körper zielenden Einwirkung“, vor dem Hintergrund, dass die Kollision mit dem Streifenwagen durch ihn aus nachvollziehbaren Gründen nicht beabsichtigt gewesen sei. Einer Verurteilung (auch) wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 a) StGB stehe – unabhängig von der Frage, ob die entsprechenden Voraussetzungen überhaupt angenommen werden könnten – jedenfalls § 331 StPO entgegen. Soweit die Revisionsbegründung sich gegen die Bewährungsaussetzung wende, seien die auf den Ausführungen des Sachverständigen PB. beruhenden Feststellungen des Landgerichts nicht zu beanstanden. Er – der Angeklagte – sei schwer (und langwierig) erkrankt. Im Übrigen sei anzumerken, dass er sich gegen den Strafbefehl wegen – späterer – Gefährdung des Straßenverkehrs nicht gewehrt habe.
33Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat mit Schriftsatz vom 15.04.2024 Stellung genommen und – zusammengefasst – ergänzend zu den Erwägungen der Staatsanwaltschaft Detmold ausgeführt, dass sich ein sachlich-rechtlicher Mangel daraus ergebe, dass die Strafkammer gegen die ihr obliegende allseitige Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verstoßen habe. Neben der in der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft Detmold angeführten Strafbarkeit gem. § 315c Abs. 1 Nr. 2 a) StGB (unter fahrlässiger Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer und deren Fahrzeuge i. S. d. § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB) würden die – auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden – tatsächlichen Feststellungen den Schuldspruch auch wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 b), Abs. 3 Nr. 1 StGB (durch Lenken des Fahrzeugs über die Mittellinie auf die Gegenfahrspur um 00:36:30 Uhr, um ein Überholmanöver des Streifenwagens zu verhindern) tragen. Mit diesem Verhalten habe der Angeklagte zugleich i. S. d. § 113 Abs. 1 StGB Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet. Ferner habe der Angeklagte durch Einbiegen in den Kreisverkehr entgegen der Fahrtrichtung um 00:38:25 Uhr und Einfahren in die M.-straße, wo es im Folgenden zu zwei Kollisionen seines Fahrzeugs mit dem Streifenwagen der Zeugen F. und I. kam, eine vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung i. S. d. § 315c Abs. 1 Nr. 2 f) StGB verwirklicht. Insgesamt habe sich der Angeklagte nach den durch die Kammer getroffenen Feststellungen – anders als aus der rechtlichen Würdigung und den Strafzumessungserwägungen ersichtlich – wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in vier zusammentreffenden Fällen, und zwar in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen, Sachbeschädigung in vier zusammentreffenden Fällen sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, schuldig gemacht. Zwar sei der Schuldspruch – bis auf den fehlenden Ausspruch der Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte – unter Berücksichtigung des richterlichen Ermessens in Bezug auf die Aufnahme gleichartiger Tateinheit in den Urteilstenor (§ 260 Abs. 4 S. 5 StPO) nicht zu beanstanden. Aufgrund unterbliebener Einbeziehung der weiteren vorgenannten Verstöße erweise sich aber jedenfalls die Strafzumessung als lückenhaft. Da nicht auszuschließen sei, dass bei Berücksichtigung sämtlicher verwirklichter Straftatbestände eine höhere Strafe zu verhängen gewesen wäre, beruhe das Urteil auch auf dem Rechtsfehler. Im Übrigen sei im Urteil fehlerhaft die Anordnung einer isolierten Sperrfrist nach §§ 69 Abs. 1, 69a Abs. 1 S. 1 StGB unterblieben. Ferner leide der Rechtsfolgenausspruch unter einem weiteren, durchgreifenden Fehler zu Gunsten des Angeklagten. Vor dem Hintergrund der relativ langandauernden „wilden“ Fluchtfahrt des unter Drogen und Alkohol stehenden Angeklagten über mehrere Ortschaften sei zu erörtern gewesen, ob die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung i. S. v. § 56 Abs. 3 StGB geboten sei. Da die Urteilsgründe nicht erkennen ließen, ob sich das Landgericht überhaupt mit dieser Frage auseinandergesetzt habe, sei das Urteil auch aus diesem Grund – nach Schuldspruchberichtigung – im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.
34Mit dieser Begründung hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, auf die Revision der Staatsanwaltschaft Detmold den Schuldspruch des angefochtenen Urteils dahingehend abzuändern, dass der Angeklagte auch wegen tateinheitlichen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt wird sowie das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Detmold zurückzuverweisen.
35Der Angeklagte hat beantragt, die Revision der Staatsanwaltschaft als unbegründet zu verwerfen und darüber hinaus, das Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend aufzuheben, soweit versehentlich keine isolierte Sperrfrist angeordnet worden ist.
36II.
37Die gemäß § 333 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision der Staatsanwaltschaft hat in der Sache Erfolg.
38Sie führt aufgrund der Sachrüge – unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum Tatgeschehen und zum Schuldspruch im Übrigen – zur aus dem Tenor ersichtlichen Ergänzung der Urteilsformel und zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit zugrunde liegenden Feststellungen sowie im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Detmold (§§ 353, 354 Abs. 1, 2 StPO).
391.
40Die Beschränkung der Revision auf die „Abänderung“ des Schuld- und die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs ist gemäß §§ 318, 344 Abs. 1 StPO zulässig. Die – fehlerfrei getroffenen – Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen, Sachbeschädigung und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort (§§ 315c Abs. 1 Nr. 1 a), 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 303 Abs. 1, 142 Abs. 1 Nr. 1, 52 StGB).
412.
42Auf der Grundlage der zur Tat getroffenen Feststellungen hat das Landgericht allerdings zu Unrecht eine Verurteilung auch wegen (jeweils tateinheitlich begangenen) Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB) und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 Abs. 1 StGB) abgelehnt.
43a)
44Soweit die Kammer eine Strafbarkeit nach den vorgenannten Vorschriften – unter Bezugnahme auf eine diesbezüglich fehlende Versuchsstrafbarkeit – mangels Eintritts eines (Körperverletzungs-)Erfolges verneint hat, hält dies ebenso wenig rechtlicher Überprüfung stand, wie die Annahme der Kammer, es fehle jeweils an den erforderlichen subjektiven Voraussetzungen der Tatbestandsverwirklichung.
45aa)
46Insofern verkennt die Kammer zunächst, dass es sich bei § 113 Abs.1 StGB ebenso wie bei § 114 Abs. 1 StGB um sog. „unechte Unternehmensdelikte“ handelt. § 113 Abs. 1 StGB erfasst sowohl das erfolglose als auch das erfolgreiche Widerstandleisten (vgl. Schönke/Schröder/Eser, 30. Aufl. 2019, StGB § 113 Rn. 2). Auch § 114 Abs. 1 StGB setzt den Eintritt eines (Verletzungs-)Erfolges nicht voraus (vgl. NK-StGB/Paeffgen, 6. Aufl. 2023, StGB § 114 Rn. 9a; Schönke/Schröder/Eser, 30. Aufl. 2019, StGB § 114 Rn. 10; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 114 Rn. 5).
47bb)
48Dies zugrunde gelegt rechtfertigen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zunächst eine Verurteilung des Angeklagten nach § 113 Abs. 1 StGB.
49Widerstand i. S. v. § 113 StGB leistet der Täter durch jedes aktive, gegen den Vollstreckungsbeamten gerichtete Verhalten, das nach seiner Vorstellung die Vollstreckungshandlung verhindern oder zumindest erschweren soll (vgl. BeckOK StGB/Dallmeyer, 62. Ed. 1.8.2024, StGB § 113 Rn. 7; Schönke/Schröder/Eser, 30. Aufl. 2019, StGB § 113 Rn. 40, 41; MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl. 2021, StGB § 113 Rn. 17).
50Der Begriff der Gewalt i. S. der Vorschrift ist dabei als eine durch tätiges Handeln bewirkte Kraftäußerung zu verstehen, die gegen den Amtsträger gerichtet und geeignet ist, die Durchführung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren. Dabei braucht die Tathandlung allerdings nicht unmittelbar gegen die Person des Amtsträgers gerichtet zu sein. Es genügt vielmehr auch eine nur mittelbar gegen die Person, unmittelbar aber gegen Sachen gerichtete Einwirkung, wenn sie – insbesondere in Abgrenzung zur „bloßen“ Flucht – von dem Beamten körperlich empfunden wird (vgl. BGH, NStZ 2023, 286, beck-online; BGH Beschl. v. 13.5.2020 – 4 StR 607/19, BeckRS 2020, 13163, beck-online).
51Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe begründet der Ablauf der durch den Angeklagten initiierten „Verfolgungsjagd“ nach seinem Gesamtgepräge eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte im Sinne einer – auch die weiteren im Verlauf der Fahrt begangenen Verstöße (s. hierzu unten) umklammernden – natürlichen Handlungseinheit (§ 52 StGB). Eine solche setzt voraus, dass ein Geschehen durch einen solchen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen gekennzeichnet ist, dass sich das gesamte Tätigwerden auch für einen „objektiven“ Dritten bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitlich zusammengefasstes Tun darstellt. Darüber hinaus müssen die strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen des Täters Ausdruck eines einheitlichen Täterwillens sein. Daraus folgt, dass eine Mehrheit von Tathandlungen die Annahme der natürlichen Handlungseinheit begründen kann, wenn sie auf einer einzigen Entschließung beruhen. Der Wille, durch eine Mehrheit von Handlungen einen bestimmten Erfolg zu erzielen, bewirkt zusammen mit den anderen Voraussetzungen in diesem Fall die Handlungseinheit (vgl. OLG Hamm (5. Strafsenat), Beschluss vom 28.10.2013 - 5 RVs 104/13, BeckRS 2014, 2832, beck-online; MüKoStGB/v. Heintschel-Heinegg, 4. Aufl. 2020, StGB § 52 Rn. 55).
52Nach den Feststellungen des Landgerichts war die mehr als zwanzig Minuten andauernde – hemmungslose – Fluchtfahrt des Angeklagten, in deren Verlauf er eine Vielzahl von Anhaltebemühungen und Überholversuchen der eingesetzten Polizeibeamten vereitelte, es zu mehreren (Beinahe-)Unfällen insbesondere zum Nachteil der ihn verfolgenden Streifenwagen kam und der Angeklagte die Fahrt unter Abkehr von der Straße wiederholt (zeitweise mit einer Geschwindigkeit von bis zu 90 km/h) auf Geh- und Radwegen fortsetzte, ersichtlich von dem – einheitlichen – Willen getragen, einen Zugriff der Beamten „um jeden Preis“ zu verhindern. Dies gipfelte letztlich darin, dass der Angeklagte nach einem ersten seitlichen Kontakt seines Fahrzeugs mit dem Streifenwagen der Zeugen F. und I. (woraufhin er zunächst nach rechts auf den parallel zur Straße verlaufenden Geh- und Radweg lenkte) sein Fahrzeug nach einigen Sekunden um 00:38:43 Uhr wieder auf die M.-straße zurücksteuerte, mit der Folge einer erneuten Kollision und weiteren Beschädigung desselben Streifenwagens. Dass die – insofern unmittelbar gegen den Streifenwagen gerichtete tätliche – Einwirkung zumindest durch eine Insassin des Streifenwagens im Sinne der o. g. Grundsätze auch körperlich empfunden wurde, ergibt sich aus den – durch die Kammer zugrunde gelegten – Angaben der Zeugin I., wonach die zwei Kontakte „schon gut geruckelt“ hätten.
53Das Verhalten des Angeklagten war – was auf der Hand liegt – auch geeignet, die Durchführung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren.
54Dass es ihm nach den Feststellungen des Landgerichts nicht darauf ankam, sich gegen die Zeugen in ihrer Eigenschaft als Polizisten zu wenden und dass er die Kollisionen nicht absichtlich herbeigeführt habe, steht im Übrigen der Annahme einer Widerstandsleistung ebenso wenig entgegen wie der Annahme eines diesbezüglichen Vorsatzes. Insofern reicht es aus, dass der Angeklagte, der nach den Feststellungen des Landgerichts die Rückkehr auf die Fahrbahn der M.-straße für erforderlich hielt, um seine Flucht weiter fortsetzen zu können, die infolge seiner Lenkbewegung eingetretene Gewalteinwirkung jedenfalls als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebte, wobei im Übrigen bedingter Vorsatz für die Verwirklichung des § 113 Abs. 1 StGB genügt (vgl. BGH, NStZ 2023, 286 Rn. 6, beck-online).
55cc)
56Das Verhalten des Angeklagten erfüllt zugleich den Tatbestand des § 114 Abs. 1 StGB.
57Soweit die Kammer offenbar die Auffassung vertritt, dass es für die Verwirklichung des diesbezüglichen subjektiven Tatbestandes eines (bedingten) Vorsatzes hinsichtlich einer (Körper-)Verletzung des handelnden Amtsträgers bedürfe, trifft dies nicht zu.
58Ein tätlicher Angriff ist eine mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Beamten oder Soldaten zielende Einwirkung (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12.02.2019, 4 RVs 9/19; Schönke/Schröder/Eser, 30. Aufl. 2019, StGB § 114 Rn. 4).
59Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats setzt § 114 Abs. 1 StGB dabei weder eine körperliche Berührung noch einen hierauf gerichteten Vorsatz des Täters voraus.
60Jedenfalls eine objektiv gefährliche, verletzungsgeeignete Handlung kann auch dann, wenn der Täter keinen Verletzungsvorsatz hat, ein tätlicher Angriff sein (vgl. OLG Hamm, a. a. O.; OLG Hamm, Urteil vom 10.12.2019 – 4 RVs 88/19; BeckRS 2019, 37351, beck-online).
61Hierzu hat der Senat in seinem Beschluss vom 12.02.2019 (4 RVs 9/19, BeckRS 2019, 3129, beck-online) zur Neuregelung des § 114 StGB Folgendes ausgeführt:
62„Dies ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung des Tatbestands den Wortlaut der zuvor in § 113 Abs. 1 StGB a.F. enthaltenen Formulierung übernommen hat. Nach seinem Willen sollte die Begehungsform des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB herausgelöst und in § 114 StGB als selbständiger Straftatbestand mit erhöhtem Strafrahmen ausgestaltet werden (BT-Drs. 18/11161 S. 9). Die allgemein anerkannte Definition eines tätlichen Angriffs in § 113 StGB a.F. entsprach der oben wiedergegebenen Definition (RGSt 59, 264, 265; Rosenau in: LK-StGB, 12. Aufl., § 113 Rdn. 26). Danach reichte es für die Annahme eines tätlichen Angriffs im Sinne von § 113 StGB aus, wenn sich der Vorsatz des Täters auf die Angriffshandlung beschränkt und den Erfolg eines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts nicht mit umfasst. Insoweit wurde nicht einmal die körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters für erforderlich gehalten (RGSt 41, 181, 182; BSG NJW 2003, 164 m.w.N.; Zöller/Steffens JA 2010, 161, 163). Dass der Gesetzgeber im Jahre 2017 an dieser Auslegung des Begriffs für § 114 StGB nicht weiter hat festhalten wollen, ist nicht zu erkennen (wie hier: Kulhanek, JR 2018, 551, 554).
63Soweit vereinzelt zu § 114 StGB vertreten wird, dass der Begriff des tätlichen Angriffs hier wegen der erhöhten Strafandrohung enger auszulegen sei und nur Handlungen erfasst würden, die konkret geeignet seien, die körperliche Unversehrtheit des Amtsträgers auch tatsächlich und nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen und dies auch vom Vorsatz des Täters umfasst sein müsse (so: Dallmeyer in: BeckOK-StGB, 40. Ed., § 114 Rdn. 5; Busch/Singelnstein NStZ 2018, 510, 512; Puschke/Rienhoff JZ 2017, 924, 929 f.), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Zur Begründung für diese Ansicht werden Bedenken hinsichtlich des Schuldprinzips (wegen der erhöhten Strafandrohung) angeführt. Weiter erfordere das Schutzgut der Vorschrift, nämlich die körperliche Unversehrtheit des Amtsträgers ebenso wie die ursprüngliche gesetzgeberische Intention bzgl. § 113 StGB, nämlich bis 1998 straflose versuchte Körperverletzungen zum Nachteil der Amtsträger zu erfassen (hierzu: Busch/Singelnstein NStZ 2018, 510, 512 f.), eine solche enge Auslegung.
64Bei einer solchen Auslegung wird indes verkannt, dass es gerade die Intention des Gesetzgebers bei Schaffung des § 114 StGB war, den Schutz der Amtsträger durch eine erhöhte Strafandrohung bei tätlichen Angriffen, und zwar solchen im Sinne von § 113 StGB a.F. (s.o.), zu erhöhen. Diese gesetzgeberische Intention würde bei der geforderten engen Auslegung unterlaufen, ja gerade in ihr Gegenteil verkehrt, weil dann sogar die Bandbreite strafbarer Handlungen, die einen tätlichen Angriff bilden könnten, im Vergleich zu § 113 StGB eingeschränkt würde. Eine solche explizit der gesetzgeberischen Intention, welche auch durch die Übernahme der Formulierung aus § 113 StGB a.F. im Wortlaut der Norm zum Ausdruck kommt, zuwiderlaufende Auslegung würde schon Bedenken im Hinblick auf das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 und 2 GG aufwerfen. Dieses legt nahe, dem gesetzgeberischen Willen Rechnung zu tragen, sofern man dadurch nicht mit anderen Prinzipien (etwa dem Bestimmtheitsgrundsatz etc.) in Konflikt gerät (Schlehofer JuS 1992, 572, 575). Bedenken im Hinblick auf das Schuldprinzip bestehen hingegen nicht. Es ist nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber mit seiner Strafrahmenwahl einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, den Bereich eines gerechten Schuldausgleichs für Handlungen, die entweder tatsächlich nicht geeignet sind, die körperliche Unversehrtheit des Amtsträgers mehr als nur unerheblich zu beeinträchtigen oder bei denen eine entsprechende Beeinträchtigung nicht vom Vorsatz des Täters umfasst ist, verlassen hätte. Entsprechenden Umständen des Einzelfalls kann das Gericht durch eine Strafhöhe im unteren Bereich des Strafrahmens Rechnung tragen (wie hier: Kulhanek JR 2018, 551, 555).
65Ob der historische Gesetzgeber bei der Schaffung des § 113 StGB (lediglich) die versuchte Körperverletzung zum Nachteil eines Amtsträgers pönalisieren wollte, ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich. Der historische Gesetzgeber des § 114 StGB hat sich auf die Begrifflichkeit des § 113 StGB bezogen, ohne dass er zu erkennen gegeben hätte, dass er von der zum Zeitpunkt der Schaffung des § 114 StGB gängigen Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs abweichen wollte.
66Soweit die o.g. Gegenansicht ausführt, dass das Schutzgut des § 114 StGB die körperliche Unversehrtheit des Amtsträgers sei, ist dem zuzugeben, dass der Gesamtzusammenhang der Gesetzesbegründung hierauf hindeutet (bei allgemeinen Diensthandlungen sind die Polizisten häufig nicht auf tätliche Angriffe vorbereitet und können sich nicht schützen, vgl. BT-Drs. 18/11161 S. 10), auch wenn das explizit dort nicht so ausgeführt wird. Aber auch, wenn die gesetzgeberische Intention tatsächlich nur auf den Schutz der körperlichen Integrität des Amtsträgers gezielt haben sollte und nicht etwa auch auf seine Handlungs- oder Entschließungsfreiheit, würden Fälle, in denen der Täter eine objektiv gefährliche, verletzungsgeeignete Handlung vornimmt, aber keinen Verletzungsvorsatz hat, von dieser Intention umfasst sein.“
67An dieser – auch durch den Bundesgerichtshof (im Beschluss vom 11.06.2020 – 5 StR 157/20, NJW 2020, 2347) aufgegriffenen und ebenfalls vertretenen – Auffassung hält der Senat auch unter Berücksichtigung teilweise in der Literatur vertretener kritischer Anmerkungen (vgl. Jäger, JA 2019, 705, 707 f.; MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl. 2021, StGB § 114 Rn. 6) fest. Allein aus dem geringen Strafrahmensprung zwischen dem Grundtatbestand des § 114 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren) und dem besonders schweren Fall im Sinne von §§ 114 Abs. 2, 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB (Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren), dessen Anpassung der Gesetzgeber möglicherweise versäumt hat, folgt im Hinblick auf den in den Gesetzesmotiven zum Ausdruck gekommenen eindeutigen gesetzgeberischen Willen der Verbesserung des Schutzes der Amtsträger durch eine erhöhte Strafandrohung nicht das Erfordernis einer einschränkenden Auslegung des Grundtatbestandes (so bereits Senatsurteil vom 10.12.2019, 4 RVs 88/19, BeckRS 2019, 37351, beck-online).
68Dies zugrunde gelegt rechtfertigen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten nach § 114 Abs. 1 StGB.
69Dass er im Rahmen seiner – in Selbstüberschätzung und ohne klares Ziel verfolgten – Fluchtfahrt sein Fahrzeug in Richtung des Streifenwagens lenkte, stellt – auch wenn hieraus nach den Feststellungen des Landgerichts nicht auf ein gezieltes Rammen geschlossen werden konnte – eine objektiv gefährliche, verletzungsgeeignete Handlung dar. Dies liegt bereits aufgrund der Dynamik des Geschehens (Verfolgungsfahrt mit mehreren Fahrzeugen, die – wie das Landgericht ausgeführt hat – mit hoher Geschwindigkeit teilweise sehr nah nebeneinander fahren) auf der Hand. In einer solchen Situation hätten kleinste Fehleinschätzungen oder -reaktionen zu einer erheblichen Verletzung der Insassen des Streifenwagens führen können, in dessen Richtung der Angeklagte sein Fahrzeug steuerte. Dass solche Verletzungen tatsächlich nicht eingetreten sind, ist für eine Verurteilung nach § 114 StGB – wie oben dargestellt – unerheblich.
70Einer Strafbarkeit nach § 114 StGB steht ebenfalls nicht entgegen, dass sich der Angriff unmittelbar gegen das Polizeifahrzeug und lediglich mittelbar gegen die in diesem befindlichen Insassen richtete. Insofern wirkt sich wegen der äußerst engen Verbindung der Insassen mit dem Fahrzeug eine gegen Letzteres gerichtete Kraftentfaltung zwangsläufig und (nahezu) gleichzeitig – wie hier durch „Ruckeln“ – auf die Körper von Insassen aus (vgl. hierzu BGH Beschl. v. 13.5.2020 – 4 StR 607/19, BeckRS 2020, 13163, beck-online).
71Die feindliche Zielrichtung der Handlung des Angeklagten liegt nach dem zuvor Gesagten ebenfalls auf der Hand. Dass für ihn nach den Feststellungen des Landgerichts tragende Motivation sein „Fluchtimpuls“ war, steht der Annahme eines feindseligen Willens ebenso wenig entgegen wie der Annahme eines vorsätzlichen Angriffs. Insofern reicht es – wie im Rahmen von § 113 StGB – aus, dass der Angeklagte den Angriff jedenfalls als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebte, um – seinem Fluchtimpuls folgend – seine Fahrt weiter fortsetzen zu können. Auch hier genügt bedingter Vorsatz (vgl. Schönke/Schröder/Eser, 30. Aufl. 2019, StGB § 114 Rn. 8).
72dd)
73Danach hat sich der Angeklagte sowohl wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte als auch wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte strafbar gemacht. Beide Delikte stehen vorliegend in Tateinheit zueinander (s. o.). Eine Gesetzeskonkurrenz besteht bereits aufgrund des unterschiedlichen Rechtsgüterschutzes der Vorschriften (primär staatliche Interessen im Falle von § 113 StGB, primär Individualschutz bei § 114 StGB) nicht (vgl. BGH NJW 2020, 2347, beck-online; Schönke/Schröder/Eser, 30. Aufl. 2019, StGB § 114 Rn. 12).
74b)
75Vor diesem Hintergrund war in den Schuldspruch (in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO; vgl. hierzu: BVerfG NStZ 2001, 187 (188); NJW 2007, 2977 (2979); BeckOK StPO/Wiedner, 52. Ed. 1.1.2024, StPO § 354 Rn. 37) auch die Verurteilung wegen Widerstands gegen und wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte aufzunehmen. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da nicht ersichtlich ist, wie sich der umfassend geständige Angeklagte gegen den ergänzten Schuldvorwurf anders hätte verteidigen können (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, StPO § 354 Rn. 15). Auch § 358 Abs. 2 StPO steht – anders als die Verteidigung unter Bezugnahme auf § 331 StPO meint – einer Neufassung des Schuldspruchs angesichts der hier zu Lasten des Angeklagten eingelegten Revision nicht entgegen.
76c)
77Das Urteil beruht auch auf dem unterbliebenen Ausspruch. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafe bei Berücksichtigung von §§ 113, 114 StGB höher ausgefallen wäre, mit der Folge, dass das Urteil – bereits aus diesem Grund – im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben war.
78d)
79Dies gilt hier insbesondere vor dem Hintergrund (hierauf weist der Senat für das weitere, die Strafzumessung betreffende Verfahren hin), dass der Angeklagte bei der Tatbegehung mit dem von ihm gesteuerten N. ein gefährliches Werkzeug i. S. d. Regelbeispiels für einen besonders schweren Fall (§§ 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, 114 Abs. 2 StGB) bei sich führte.
80Ein gefährliches Werkzeug ist ein Gegenstand, das zwar nicht bei bestimmungsgemäßem Gebrauch, wohl aber nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen (vgl. m. w. N. BVerfG, Beschluss vom 01.09.2008 – 2 BvR 2238/07, NJW 2008, 3627, beck-online). Auch ein Kraftfahrzeug kommt danach – nicht anders als bspw. in den Fällen der §§ 244 Abs. Nr. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB – als „gefährliches Werkzeug“ in Betracht (vgl. BGH, NZV 2016, 345, beck-online; OLG Karlsruhe Beschl. v. 2.3.2023 – 1 ORs 35 Ss 57/23, BeckRS 2023, 3937, beck-online), jedenfalls sofern wegen der Art seines Einsatzes (Geschwindigkeit, eingeschränkte Möglichkeit des Ausweichens o. Ä.) erhebliche Leibesgefahren drohen (vgl. MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl. 2021, StGB § 113 Rn. 74). Auch dies liegt hier auf der Grundlage der Dynamik des Geschehens (s. o.) auf der Hand.
81Dass es vorliegend an einer „Pervertierung“ des Fahrzeugs zu verkehrswidrigen Zwecken im Sinne der zu § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB ergangenen Rechtsprechung fehlt (vgl. hierzu BGH Urteil vom 20.02.2003, 4 StR 228/02, NJW 2003, 1613, beck-online, wonach ein Eingriff in den Straßenverkehr i. S. v. § 315b StGB ausscheidet, wenn der Täter sein Fahrzeug als Fluchtmittel und somit gerade nicht verkehrsfremd, sondern zu „Verkehrszwecken“ benutzt) steht der Annahme eines besonders schweren Falls i. S. v. § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB im Übrigen nicht entgegen. Denn § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB erfordert keine Verwendungsabsicht. Die erhöhte Strafe rechtfertigt sich bereits aus der besonderen Gefährlichkeit der Begehungsweise (vgl. Schönke/Schröder/Eser, 30. Aufl. 2019, StGB § 113 Rn. 62).
823.
83Auch im Übrigen erweist sich die durch die Strafkammer vorgenommene rechtliche Bewertung des Sachverhalts als lückenhaft.
84So hat der Angeklagte unter Zugrundelegung der tatsächlichen Feststellungen neben den explizit aufgeführten Straftatbeständen bzw. dem ausdrücklich aufgeführten Verkehrsverstoß („durch die Kollision mit dem Streifenwagen“) im Rahmen des Geschehens folgende Straftatbestände erfüllt:
85a)
86Indem der Angeklagte um 00:19:24 Uhr die bevorrechtigte D.-straße überquerte, ohne an dem dort für ihn geltenden STOP-Schild anzuhalten oder überhaupt zu bremsen, hat er i. S. d. § 315c Abs. 1 Nr. 2 a) StGB grob verkehrswidrig und rücksichtslos, also aus eigensüchtigen Gründen, seines ungehinderten Fortkommens wegen (vgl. Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 315c Rn. 28) die Vorfahrt missachtet. Hierdurch gefährdete der Angeklagte Leib und Leben des zu diesem Zeitpunkt die D.-straße befahrenden vorfahrtberechtigten Fahrzeugführers. Nach den Feststellungen des Landgerichts erreichte dieser Querverkehr das Kreuzungsviereck, als sich das Heck des Angeklagtenfahrzeugs noch auf seiner Fahrspur befand und passierte die Kreuzung in weniger als zwei Sekunden. Danach war es – im Sinne einer zugespitzten Gefahrenlage (vgl. Senatsbeschluss v. 11.9.2014 – III-4 RVs 111/14, BeckRS 2015, 12481, beck-online) – lediglich dem Zufall geschuldet, dass es nicht zu einer Kollision der Fahrzeuge kam. Da der Angeklagte dabei nach den Feststellungen des Landgerichts die grob verkehrswidrige und rücksichtslose Nichtbeachtung der Vorfahrt billigend in Kauf nahm und ferner bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen, dass er durch seine Fahrweise Leib und Leben der den anderen Pkw steuernden Person gefährdete, hat er sich wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs i. S. d. §§ 315c Abs. 1 Nr. 2 a), Abs. 3 Nr. 1, 11 Abs. 2 StGB strafbar gemacht.
87Der Angeklagte, der nach den Feststellungen des Landgerichts aufgrund seines vor Fahrtantritt erfolgten Alkohol- und Kokainkonsums während der gesamten Fahrt nicht in der Lage war, sein Fahrzeug sicher zu führen, was er billigend in Kauf nahm, hat sich durch den vorgenannten Verkehrsverstoß ferner – und bereits zu diesem Zeitpunkt – wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs i. S. v. § 315c Abs. 1 Nr. 1 a), Abs. 3 Nr. 1 StGB strafbar gemacht, welche ebenso wie der Verstoß gegen § 113 StGB die weiteren, im Verlauf der Fahrt begangenen Verstöße i. S. e. natürlichen Handlungseinheit umklammert.
88b)
89Indem der Angeklagte um 00:36:30 Uhr sein Fahrzeug mit der Folge eines „Beinahe-Unfalls“ über die Mittellinie auf die Gegenfahrspur lenkte, auf der sich zu dieser Zeit neben seinem Fahrzeug der Streifenwagen der Zeugen F. und I. befand, welche den Angeklagten überholen wollten, hat sich der Angeklagte – der nach den Feststellungen der Strafkammer dieses grob rücksichtslose und verkehrswidrige Verhalten billigend in Kauf nahm und die Gefährlichkeit seines Verhaltens bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen – zudem wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung i. S. d. §§ 315c Abs. 1 Nr. 2 b), Abs. 3 Nr. 1 StGB, 11 Abs. 2 StGB strafbar gemacht.
90c)
91Auch der Vorfall um 00:38:04 Uhr (Kollision des zu diesem Zeitpunkt 115 km/h fahrenden Streifenwagens der Zeugen F. und I. mit einem die Fahrbahn überquerenden Reh, das sodann unter den ebenso schnell fahrenden Streifenwagen der Zeugen B. und V. geschleudert wurde) begründet eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung (gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB, i. S. e. „reinen“ Vorsatztat, vgl. Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 315c Rn. 38; MüKoStGB/Pegel, 4. Aufl. 2022, StGB § 315c Rn. 106). Insbesondere besteht zwischen der hier in Form eines tatsächlichen (und nicht nur Beinahe- )Unfalls eingetretenen Gefährdung und der Fahrunsicherheit des Angeklagten der notwendige Pflichtwidrigkeits- und Schutzzweckzusammenhang (vgl. Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 315c Rn. 35). Wie das Landgericht festgestellt hat, sind Kollisionen mit Hindernissen auf der Fahrbahn naheliegende Folge einer mit hohen Geschwindigkeiten geführten (auf rauschbedingter „Selbstüberschätzung ähnlich einem Größenwahn“ beruhenden) Verfolgungsfahrt. Wenn auch der Angeklagte den konkreten Geschehensablauf nicht als möglich vorhergesehen hat, hat er nach den Feststellungen der Strafkammer Kollisionen der Streifenwagen mit Hindernissen im Übrigen aber zumindest als möglich erkannt und billigend in Kauf genommen, woraus sich der nötige Gefährdungsvorsatz ergibt.
92Infolge dieses Vorkommnisses hat sich der Angeklagte ferner wegen (infolge des einheitlichen Geschehens einer) Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.
93d)
94Soweit die Generalstaatsanwaltschaft die Auffassung vertritt, der Angeklagte habe sich dadurch, dass er um 00:38:25 Uhr entgegen der Fahrtrichtung in den Kreisverkehr einfuhr, wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs i. S. v. § 315c Abs. 1 Nr. 2 f) StGB strafbar gemacht, scheitert eine Strafbarkeit demgegenüber bereits am Vorliegen des notwendigen Ursachenzusammenhangs zwischen Verkehrsverstoß und Gefahrerfolg (vgl. Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 315c Rn. 34). Insofern ist nicht ersichtlich, dass die Kollision des Angeklagtenfahrzeugs mit dem Streifenwagen in der M.-straße darauf zurückzuführen war, dass der Angeklagte zuvor entgegen der Fahrtrichtung in den Kreisverkehr eingefahren war. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es zum Kontakt der Fahrzeuge erst, nachdem der Angeklagte den Kreisverkehr bereits verlassen und ca. zehn Sekunden die M.-straße befahren hatte.
95Soweit die Staatsanwaltschaft Detmold die Auffassung vertritt, es komme auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter Körperverletzung (§§ 223, 22, 23 Abs. 1 StGB) zum Nachteil der Zeugen F. und I. in Betracht, scheitert dies bereits am erforderlichen Tatentschluss. Insofern ist – wie die Verteidigung zutreffend anführt – vom Vorliegen eines Gefährdungsvorsatzes nicht zwingend auf einen (bedingten) Körperverletzungsvorsatz zu schließen (vgl. BGH NZV 2008, 528).
96e)
97Nach dem zuvor Gesagten hat sich der Angeklagte damit insgesamt wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB), Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB), tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 Abs. 2 StGB), Sachbeschädigung in zwei (zusammentreffenden) Fällen, unerlaubten Entfernens vom Unfallort sowie vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in folgenden Varianten strafbar gemacht: gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1 a), 2 a), Abs. 3 Nr. 1 StGB (durch Überqueren der bevorrechtigten D.-straße unter Missachtung des STOP-Schildes); gem. §§ 315c Abs. 1 Nr. 2 b), Abs. 3 Nr. 1 StGB (infolge des Verstoßes beim Überholvorgang durch Lenken über die Mittellinie); gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB (infolge der Kollision der Polizeifahrzeuge mit dem Reh) und gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB (infolge der Kollision mit dem Streifenwagen F. und I.).
98Sämtliche Delikte stehen – wovon auch die Strafkammer ausgegangen ist – in Tateinheit zueinander (§ 52 StGB). Die im Verlauf der Fahrt begangenen (einzelnen) Verstöße werden, da sie – wie oben bereits dargelegt – auf dem einheitlichen Tatentschluss beruhen, sich dem Zugriff der Beamten zu entziehen, i. S. einer natürlichen Handlungseinheit durch den Verstoß gegen § 113 Abs. 1 StGB und ebenso durch den Verstoß gegen § 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB umklammert (vgl. zur Annahme von Tateinheit im Falle ununterbrochener Polizeiflucht auch: BGH, Beschluss vom 06.07.2021, 4 StR 155/21, Fachdienst Strafrecht 2021, 441651, beck-online; KG Beschl. v. 12.1.2024 – 3 Ws 1/24 HP, BeckRS 2024, 2151 Rn. 19, beck-online).
99f)
100Einer (über die aus dem Tenor ersichtlichen) Schuldspruchberichtigung in Bezug auf die weiteren verwirklichten Verstöße bedarf es danach zwar nicht. So ist die Angabe gleichartiger Tateinheit, bspw. auch im Falle der Verwirklichung mehrerer Alternativen eines Tatbestandes zum Nachteil des Geschädigten, nicht zwingend in den Tenor aufzunehmen (vgl. MüKoStPO/Maier, 2. Aufl. 2024, StPO § 260 Rn. 266, 267). Danach bewegt sich der Schuldspruch – mit Ausnahme des fehlenden Ausspruchs von § 113 Abs. 1 StGB und § 114 Abs. 1 StGB – noch in den Grenzen tatrichterlichen Ermessens (§ 260 Abs. 4 S. 5 StPO).
101g)
102Gleichwohl begründet die unterbliebene Einbeziehung der vorgenannten weiteren tateinheitlich begangenen Delikte einen – durchgreifenden – Rechtsfehler im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 StGB.
103Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatrichters ist, dessen Aufgabe es ist, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und die belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH NJW 2009, 1979, beck-online). Welchen Umständen der Tatrichter bestimmendes Gewicht beimisst, ist im Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 310). Auch ist eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Strafzumessungserwägungen weder vorgeschrieben noch möglich (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 240; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 62. Ed. 1.8.2024, StGB § 46 Rn. 172, 179 beck-online).
104Dies zugrunde gelegt ist ein Eingriff des Revisionsgerichts in die Strafzumessung grundsätzlich nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen – bspw. in Form einer falschen Strafrahmenwahl – in sich fehlerhaft oder widersprüchlich sind oder rechtlich anerkannten Strafzumessungsgrundsätzen zuwiderlaufen (vgl. BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 62. Ed. 1.8.2024, StGB § 46 Rn. 179, m. w. N.). Ein sachlich-rechtlicher Fehler liegt aber auch vor, wenn in den Urteilsgründen Umstände außer Acht gelassen werden, die für die Beurteilung des Unrechts- und Schuldgehalts und damit der Schwere der Tat von besonderer Bedeutung sind, deren Einbeziehung in die Strafzumessungserwägungen deshalb nahelag (vgl. BGH NStZ 2006, 227). Dabei ist ein tateinheitliches Zusammentreffen mehrerer Straftatbestände in der Regel geeignet, den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat i. S. e. Strafschärfungsgrundes zu verstärken. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das tateinheitlich verwirklichte Delikt selbstständiges Unrecht verkörpert (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 168; Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 46 Rn. 19, m. w. N.). So liegt der Fall hier.
105Bereits die in die Strafzumessung noch einzubeziehenden §§ 113, 114 StGB verfolgen andere Rechtsschutzziele als die durch §§ 315c, 315d StGB insbesondere geschützte Sicherheit des Straßenverkehrs (vgl. Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 315c Rn. 2, § 315d Rn. 1). Aber auch im Übrigen tragen die durch die Strafkammer angeführten Strafzumessungserwägungen dem sich aus den tatsächlichen Feststellungen ergebenden Unrechtsgehalt nicht genügend Rechnung. So hat das Landgericht zwar angemerkt, dass der Angeklagte im Rahmen des Geschehens den Tatbestand mehrerer Straftatbestände, teils mehrfach, verwirklicht hat. Dass die Strafkammer aber im Rahmen der Strafzumessung das Geschehen in seinem Gesamtgepräge hinreichend gewürdigt und dabei sämtliche durch den Angeklagten verwirklichten Verkehrsverstöße sowie den Umstand berücksichtigt hat, dass er hierdurch verschiedene Verkehrsteilnehmer in unterschiedlichen Situationen gefährdete, ist aus den insofern pauschal gebliebenen Urteilsausführungen nicht zu erkennen. Auch aus diesem Grund war das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.
106h)
107Soweit die Verteidigung im Übrigen – auch in der Revisionshauptverhandlung – angeführt hat, dass sowohl die Staatsanwaltschaft Detmold (in der Anklageschrift) als auch das Amtsgericht Lemgo lediglich von einer (tateinheitlichen) Gefährdung des Straßenverkehrs ausgegangen seien, steht dies einer Berücksichtigung sämtlicher – sich auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts ergebender – Verstöße gegen § 315c StGB im Rahmen der Strafzumessung nicht entgegen. Vielmehr gebietet es die aus § 264 Abs. 1 StPO folgende Kognitionspflicht gerade, das gesamte Verhalten des Angeklagten umfassend zu würdigen, soweit es – wie hier – mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Lebensauffassung einen einheitlichen Vorgang darstellt. Dies gilt auch ohne Bindung an die der zugelassenen Anklage zugrunde liegende rechtliche Bewertung (§ 264 Abs. 2 StPO) und auch, wenn Teile des Lebensvorgangs nicht in der Anklageschrift aufgeführt waren (vgl. BGH NStZ 2017, 303, beck-online), soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (vgl. zum Ganzen und m. w. N. KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl. 2023, StPO § 264 Rn. 27, 28, beck-online).
108Dies ist hier der Fall. Einer Berücksichtigung sämtlicher verwirklichter Straftatbestände im Rahmen der Strafzumessung steht auch in diesem Zusammenhang weder § 265 StPO (angesichts der umfassend geständigen Einlassung des Angeklagten) noch § 358 Abs. 2 StPO entgegen (s. o.). Angesichts der allein durch den Angeklagten eingelegten (unbeschränkten) Berufung bewirkt das Verschlechterungsverbot (§§ 331, 358 Abs. 2 StPO) lediglich, dass durch die in Zukunft mit der Entscheidung über die Rechtsfolgen befasste Strafkammer die erstinstanzlich ausgeurteilte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten im Höchstmaß nicht überschritten werden darf (vgl. BeckOK StPO/Eschelbach, 52. Ed. 1.7.2024, StPO § 331 Rn. 12, beck-online).
1094.
110Für das weitere Verfahren weist der Senat im Übrigen auf Folgendes hin:
111a)
112Zu Recht hat die Generalstaatsanwaltschaft im Rahmen der Revisionshauptverhandlung angemerkt, dass die Strafkammer im Urteil vom 07.11.2023 den Strafrahmen des § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB (mit „Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe“) unzutreffend wiedergegeben hat, was sich hier allerdings – da bereits § 114 Abs. 1 StGB eine schwerere Strafe androht – letztlich nicht auswirkt.
113b)
114Ebenfalls zu Recht hat die Generalstaatsanwaltschaft angeführt, dass ein durch die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung vorgenommener sog. „Härteausgleich“ – jedenfalls unter Zugrundelegung der diesbezüglichen Feststellungen im Urteil vom 07.11.2023 – nicht veranlasst war.
115Zutreffend ist das Landgericht zwar davon ausgegangen, dass die Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 18.11.2021 aufgrund bereits erfolgter Vollstreckung nicht mehr einbeziehungsfähig war (vgl. BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 62. Ed. 1.8.2024, StGB § 55 Rn. 27, 28, beck-online).
116Wird der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und wurde die grundsätzlich einbeziehungsfähige Tat mit einer inzwischen bezahlten Geldstrafe geahndet, führt die getrennte Aburteilung allerdings nicht zu einem kompensationsbedürftigen Nachteil. In einer solchen Konstellation ist ein Härteausgleich daher nicht zu gewähren (vgl. BGH Beschl. v. 28.5.2020 – 3 StR 99/19, BeckRS 2020, 18293 Rn. 18; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 62. Ed. 1.8.2024, StGB § 55 Rn. 28). Anders ist dies lediglich, wenn der Betroffene – was sich hier aus den Feststellungen des Landgerichts nicht ergibt – eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt hat. In einer solchen Konstellation ist ein Härteausgleich vorzunehmen, weil der Angeklagte sonst in der Summe eine längere Freiheitsentziehung erleiden würde als bei erfolgter Gesamtstrafenbildung nach § 54 Abs. 2 S. 1 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 370, beck-online; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 62. Ed. 1.8.2024, StGB § 55 Rn. 28).
117c)
118Zu Recht hat die Staatsanwaltschaft auch beanstandet, dass das Landgericht im Rahmen der Prüfung der Frage einer Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung (§§ 56 Abs. 1, Abs. 2 StGB) unberücksichtigt gelassen hat, dass der Angeklagte nach der verfahrensgegenständlichen Tat erneut (einschlägig) straffällig geworden ist.
119d)
120Ferner hat die Staatsanwaltschaft zu Recht beanstandet, dass eine Erörterung der Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe i. S. v. § 56 Abs. 3 StGB gebietet, im landgerichtlichen Urteil unterblieben ist.
121Die Verteidigung der Rechtsordnung gebietet die Strafvollstreckung, wenn eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung im Hinblick auf schwerwiegende Besonderheiten des Einzelfalles – i. S. general-präventiver Erwägungen – für das allgemeine Rechtsempfinden schlechthin unverständlich erscheinen müsste und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts und in den Schutz der Rechtsordnung vor kriminellen Angriffen dadurch erschüttert werden könnte (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2003, 246, beck-online; Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 56 Rn. 48 m. w. N.).
122Bei der diesbezüglichen Prüfung sind Tat und Täter umfassend zu würdigen (vgl. OLG Karlsruhe, a. a. O.). Entscheidend sind vor allem die Besonderheiten der zur Beurteilung stehenden Einzeltat. Dazu gehören beispielsweise besondere Tatfolgen, eine sich aus der Art der Tatausführung ergebende erhebliche verbrecherische Intensität, ein hartnäckiges rechtsmissachtendes Verhalten oder auch die Verletzung von Rechtsgütern mit ungewöhnlicher Gleichgültigkeit. Dabei dürfen Gesichtspunkte, die für den Gesetzgeber bereits für die Festlegung des gesetzlichen Strafrahmens maßgebend waren, nicht nochmals verwertet werden (vgl. OLG Dresden, NZV 2001, 439, beck-online). Demgegenüber ist es unbedenklich, dieselben Strafzumessungstatsachen bei der Strafbemessung im engeren Sinne und der Entscheidung nach § 56 Abs. 3 StGB zu verwerten (vgl. zum Ganzen und m. w. N.: Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 56 Rn. 49).
123Danach liegt hier (sollte die nunmehr mit der Entscheidung befasste Kammer die diesbezüglichen Eingangsvoraussetzungen bejahen) eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Strafvollstreckung i. S. v. § 56 Abs. 3 StGB gebietet, unter Berücksichtigung des Gesamtgepräges der verfahrensgegenständlichen Fluchtfahrt, ihrer Dauer und ihrem Ablauf nahe.
124e)
125Auch beanstandet die Staatsanwaltschaft zu Recht, dass das Landgericht trotz Annahme der entsprechenden Voraussetzungen ausweislich der Urteilsgründe, die Anordnung einer (isolierten) Sperrfrist i. S. v. §§ 69, 69a Abs. 1 S. 3 StGB versäumt hat. Vor dem Hintergrund, dass die mit Strafbefehl vom 18.11.2021 verhängte Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach den Urteilsfeststellungen bereits am 17.07.2022 endete, bedarf es allerdings der Aufklärung, ob der Angeklagte inzwischen ggfs. wieder über eine gültige Fahrerlaubnis verfügt.