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§ 17 Abs. 2 des Gesetzes zur Durchführung strafrechtsbezogener Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt in Nordrhein-Westfalen (StrUG NRW) sieht einen freiwilligen Verbleib seinem Wortlaut nach nur in Fällen der Erledigung aus Verhältnismäßigkeitsgründen gem. § 67d Abs. 6 StGB vor. Eine entsprechende Regelung für den Fall der Aussetzung der Maßregel zur Bewährung gem. § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB fehlt. Diese Gesetzeslücke kann im Rahmen der Bewertung, ob die Maßregelvollstreckung nach § 63 StGB bei noch fortbestehender Gefährlichkeit des Untergebrachten unverhältnismäßig und deswegen für erledigt zu erklären ist (§ 67d Abs. 6 S. 1 StGB) eine Rolle spielen, wenn ansonsten eine mögliche Maßregelaussetzung zur Bewährung ausscheidet, weil dem Untergebrachten der dafür notwendige freiwillige Verbleib in der Maßregelvollzugsanstalt nicht im Rahmen einer Führungsaufsichtsweisung auferlegt werden kann.
Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen mit folgender Maßgabe:
Die von der Strafvollstreckungskammer unter Ziffer 5 des Beschlusses vom 30. November 2023 getroffenen Weisungen werden insgesamt wie folgt neu gefasst:
Für die Dauer der Führungsaufsicht steht der Untergebrachten eine Bewährungshelferin oder ein Bewährungshelfer – welche bzw. welcher namentlich noch von der Strafvollstreckungskammer zu benennen ist – helfend und betreuend zur Seite. Zugleich untersteht die Untergebrachte der Führungsaufsichtsstelle bei dem Landgericht Hagen.
Die Untergebrachte meldet sich in höchstens monatlichen Abständen (erstmals spätestens bis zum 31. Mai 2024) persönlich bei ihrer Bewährungshelferin oder ihrem Bewährungshelfer in der Dienststelle des ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz bei dem Landgericht Hagen, Q-Straße ##, ##### K..
Die Untergebrachte stellt sich ab dem 1. Mai 2024 in regelmäßigen Abständen, mindestens zweimal pro Kalendermonat, persönlich bei der forensischen Nachsorgeambulanz der I.-Klinik oder – im Einvernehmen mit der Klinik – einer oder einem auf einer anderen Station oder Abteilung der Klinik tätigen Ärztin oder Arzt, Therapeutin oder Therapeuten vor.
Die Untergebrachte darf keine alkoholischen Getränke zu sich nehmen.
Die Betroffene verbleibt zunächst für ein Jahr (jedoch hinsichtlich eines drei Monate ab Beschlussdatum überschreitenden Zeitraums nur bei Vorliegen einer Kostenzusage i.S.v. § 17 Abs. 2 StrUG NRW) in der Einrichtung I.-Klinik in E.. Ein darüber hinausgehender weiterer Verbleib in der Einrichtung bleibt vorbehalten.
Die Untergebrachte lässt sich im Rahmen der regelmäßigen Vorstellung gem. Buchstabe c. weiter behandeln. Dazu zählen auch die Einnahme oder Verabreichung der zur Behandlung der psychischen Störung oder ihrer Folgen verordneten Medikamente und die Kontrolle des Wirkstoffspiegels durch Blutuntersuchungen.
Verstöße gegen die Weisungen zu Buchstaben b., c. und d. können gem. § 145a StGB mit Geld- oder Freiheitsstrafe bestraft werden. Die Erteilung weiterer Weisungen bleibt der Strafvollstreckungskammer vorbehalten.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Untergebrachten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatkasse zu tragen.
Gründe:
2I.
3Mit Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 11. Mai 2011 wurde die Unterbringung der Untergebrachten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen hat die Maßregel mit Beschluss vom 30. November 2023 für erledigt erklärt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Arnsberg mit ihrer sofortigen Beschwerde. Im Einzelnen:
41.
5Die Untergebrachte wurde am 00.00.0000 in C. geboren und wuchs dort unter schwierigen Familienverhältnissen auf. Ihren arabischstämmigen Vater kennt sie nur flüchtig. Wegen einer psychischen Erkrankung der Mutter lebte sie bis zu ihrem 13. Lebensjahr bei ihrer Großmutter. Bis zum 15. Lebensjahr lebte sie in einem Heim, danach bei ihrer Mutter. Nach der Grundschule besuchte sie die Realschule, wo sie die siebte Klasse wiederholte. Sie wechselte zur Hauptschule, die sie ohne Abschluss abbrach. Den Hauptschulabschluss holte sie bei der Volkshochschule nach und begann im Schwarzwald eine Hotelausbildung, die sie nach einem Jahr abbrach. Einen anschließenden Arbeitsversuch in einem C.er Hotel brach sie wegen Drogenproblemen ab.
6Im Alter von 15 Jahren hatte sie erstmals Kontakt mit Alkohol und illegalen Betäubungsmitteln, u. a. LSD. Mit 18 Jahren konsumierte sie erstmals Heroin. Im Alter von ca. 16 Jahren wurde sie wegen ihres Alkohol- und Drogenkonsums erstmals stationär behandelt. Bis 2008 folgten 29 weitere Psychiatrie-Aufenthalte. Anlass war vielfach fremd- und eigengefährdendes Verhalten. Diagnostiziert wurden u. a. eine chronifizierte hebephrene Psychose mit paranoiden Anteilen, eine schizo-affektive Psychose sowie Polytoxikomanie.
7Ab Februar 2006 war die Untergebrachte betreuungsrechtlich im H. in P. geschlossen untergebracht. Nach mehreren notfallmäßigen, kurzen Aufenthalten in der Akutpsychiatrie war sie ab Dezember 2007 im Bezirkskrankenhaus O. untergebracht. Nachdem sie von einem Ausgang nicht zurückkehrte, wurde sie bis zum 11. Mai 2008 im C.er R.-Stift untergebracht. Dort kehrte sie am 7. Juni 2008 ebenfalls von einem Ausgang nicht zurück, war dann im Juni 2008 einige Tage in einer Klinik in B. und anschließend erneut im R.-Stift. Am 10. März 2009 wurde sie in eine Wohngruppe des LWL-Wohnverbundes in U. verlegt.
8Seinerzeit wurde das sog. Münchhausen-Syndrom diagnostiziert: Die Untergebrachte gab gegenüber Dritten an, an diversen Tumoren sowie an Infektionskrankheiten zu leiden. Tatsächlich war sie an Hepatitis-C, insulinpflichtigem Diabetes und Bluthochdruck erkrankt. Daneben bestand eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen, paranoiden und emotional-instabilen Anteilen.
92.
10Vor dem hier zugrunde liegenden Anlassdelikt ist die Untergebrachte bereits siebzehnmal strafrechtlich in Erscheinung getreten, darunter zehn Verfahren wegen Erschleichens von Leistungen, zwei Verfahren wegen Diebstahls und ein Verfahren wegen versuchten Betrugs und Urkundenfälschung. Sämtliche Verfahren wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt.
113.
12Zur Anlasstat hat das Tatgericht im Wesentlichen festgestellt:
13Die Untergebrachte fühlte sich in der Wohngruppe nicht wohl. Sie fiel durch aggressives, impulsives und teilweise dissoziales Verhalten auf: Sie entwich mehrfach, obwohl sie keinen Schlüssel für die Außentür besaß, und konsumierte dann außerhalb der Einrichtung in erheblichem Umfang Alkohol. Die Geschädigte arbeitete als Erzieherin in der Wohngruppe und verrichtete dort zur Tatzeit Nachtdienst.
14In der Nacht vom 5. auf den 6. November 2010 verlangte die Untergebrachte von der Geschädigten, dass die Geschädigte ihr einen Tee kocht. Als die Geschädigte ihr erklärte, dafür keine Zeit zu haben, drohte die Untergebrachte der Geschädigten Schläge an. Sie deutete dabei Schläge gegen den Kopf und den Oberkörper sowie Tritte in den Unterleib an, fing an zu lachen und entfernte sich. Zu einem späteren Zeitpunkt sprach die Untergebrachte die Geschädigte erneut an und verlangte Abendessen. Die Geschädigte entgegnete, es habe doch Abendbrot gegeben, sie werde der Untergebrachten daher kein Abendessen machen. Daraufhin begab sich die Untergebrachte zum Patiententelefon und berichtete einer dritten Person, die Geschädigte gebe ihr kein Essen.. Sie wandte sich erneut an die Geschädigte und verlangte die Telefonnummer der Polizei. Die Geschädigte antwortete, sie wisse die Nummer nicht. Die Untergebrachte rief die Auskunft an, von der sie die Telefonnummer der Polizeidienststelle erhielt und die sie dann anrief. Sie teilte der Polizei mit, die Geschädigte lasse sie verhungern. Der Beamter rief daraufhin auf der Station an und sprach mit der Geschädigten. Diese setzte sich mit einem Kollegen der Rufbereitschaft für die Wohngruppe in Verbindung und besprach mit diesem die Situation. Gemeinsam entschloss man sich, dass die Geschädigte noch einmal alleine mit der Untergebrachten sprechen solle. In diesem Gespräch ließ sich die Untergebrachte von der Geschädigten beruhigen.
15Die Untergebrachte hatte die Vorstellung entwickelt, dass Personen aus der Wohngruppe unberechtigt Geld von ihrem Konto abbuchen. Deshalb begab sie sich in die Küche der Wohngruppe und nahm dort ein Küchenmesser mit einseitig geschliffener, spitz zulaufender Klinge mit einer Klingenlänge von etwa 20 cm an sich und versteckte es in ihrem Zimmer. Sie wollte damit das nach ihrer Vorstellung zu Unrecht abgebuchte Geld zurückerlangen.
16In der Nacht vom 7. auf den 8. November 2010 versah die Geschädigte wiederum ihren Nachtdienst in der Wohngruppe. Sie hielt sich gegen zwei Uhr morgens in der Küche auf, als sie hörte, dass eine Zimmertür aufgeschlossen wurde, und sah, dass die Untergebrachte an der Küche vorbei zum Raucherraum lief. Der Gang der Untergebrachten war dabei sehr stramm und ihr Gesichtsausdruck angespannt. Hieraus schloss die Geschädigte, dass die Untergebrachte wieder nervös war. Die übrigen Bewohner der Wohngruppe schliefen zu dieser Zeit. Die Geschädigte entschloss sich, die Tür zur Küche zu verschließen, begab sich in den Tagesraum und setzte sich dort auf einen Stuhl vor den Fernseher. Der Raum wurde nur durch den eingeschalteten Fernseher erhellt. Etwa eine Viertelstunde später hörte die Geschädigte, wie die Tür zum Raucherraum geöffnet wurde. Daraufhin kam die Untergebrachte in den Tagesraum und sagte in lautem Tonfall zu der Geschädigten, es reiche jetzt. Die Geschädigte wies die Untergebrachte auf die Nachtruhe hin und forderte sie auf, leise zu sein. Die Untergebrachte drehte sich daraufhin von der Geschädigten weg, die überrascht davon ausging, dass sich die Situation entspannt habe.
17Die Untergebrachte drehte sich jedoch mit einer 180-Grad-Drehung erneut zu der Geschädigten und hielt ihr das entwendete Messer mit der Spitze gegen die linke Seite des Halses. Als die Geschädigte nach unten schaute, konnte sie einen Teil der Klinge und den Griff sehen, an der Farbe des Griffs erkannte sie, dass es sich um ein Küchenmesser aus der Wohngruppe handelte. Die Untergebrachte forderte die Geschädigte auf, ihr das Diensthandy und die Schlüssel der Wohngruppe auszuhändigen. Hierbei drückte sie der Geschädigten weiter die Messerspitze gegen den Hals, ohne die Geschädigte zu verletzen. Die Geschädigte hatte Angst, dass die Untergebrachte zusticht. Deshalb übergab sie ihr ihr privates Handy. Ihr Diensthandy, das sich auf ihrem Schoß befand, steckte sie unbemerkt in ihren Hosenbund. Die Untergebrachte forderte die Geschädigte erneut auf, ihr die Schlüssel auszuhändigen. Die Geschädigte zeigte der Untergebrachten den Schlüsselbund, der mit einem Band an ihrer Hose festgemacht war. Hierbei verdeckte sie mit der Hand den Karabinerhaken, mit dem man den Schlüsselbund hätte lösen können. Sie erklärte der Untergebrachten, dass der Schlüsselbund mit dem Band festgemacht sei und sie ihn nicht abmachen könne. Die Untergebrachte äußerte daraufhin, dass die Geschädigte ihr dann aufschließen müsse. Mit Gesten forderte sie die Geschädigte zum Aufstehen auf. Hierbei nahm sie das Messer vom Hals der Geschädigten und hielt es ihr vor den Oberkörper. Dabei sagte sie „Wo ist das Herz?“ oder „Wo ist das Herzchen?“. Sie erklärte der Geschädigten, dass sie – die Untergebrachte –, nichts zu verlieren habe und die Geschädigte deshalb Angst vor ihr haben solle. Sie habe so etwas schon mal gemacht. Die Geschädigte erwiderte daraufhin, dass zwar vielleicht die Untergebrachte nichts zu verlieren habe, sie – die Geschädigte – jedoch viel. Sie wies auf ihre sieben, teils noch minderjährigen Kinder hin. Die Untergebrachte erklärte daraufhin, dass die Kinder dann halt ins Heim kämen. Unter dem Eindruck des vorgehaltenen Messers begab sich die Geschädigte in den Aufenthaltsraum, wobei ihr die Untergebrachte mit dem Messer folgte. Die Geschädigte gab vor, aus dem Aufenthaltsraum den Schlüssel für die Vorschusskasse holen zu wollen. Sie hoffte, die Untergebrachte ablenken zu können, und gab deshalb vor, den Schlüssel nicht finden zu können. Die Untergebrachte erklärte daraufhin, der Schlüssel werde im Dienstzimmer in der Schublade aufbewahrt. Die Geschädigte öffnete im Aufenthaltsraum noch ihr privates Portemonnaie, das dort in ihrem Korb lag, und zeigte der Untergebrachten, dass sich kein Geld darin befand. Dann gingen sie in das Dienstzimmer, wo die abgeschlossene Vorschusskasse aufbewahrt wurde. Die Geschädigte ging dabei erneut vor der Untergebrachten her, die ihr mit dem Messer in der Hand folgte. Im Dienstzimmer forderte die Untergebrachte die Geschädigte auf, den Schrank und die Vorschusskasse aufzuschließen. Die Geschädigte wies die Untergebrachte darauf hin, dass sie nicht wisse, ob überhaupt Geld in der Vorschusskasse sei. Die Untergebrachte antwortete, sie wisse dies aber. Die Geschädigte öffnete daraufhin die Vorschusskasse. Die Untergebrachte entnahm das vorhandene Geld, einen Betrag von 132 €. Die Untergebrachte steckte das Geld in ihre Tasche, um sich damit später Alkohol zu kaufen. Die Untergebrachte gab der Geschädigten das Handy, das sie zuvor von ihr bekommen hatte, und forderte sie auf, ihr ein Taxi zu rufen. Dabei hielt sie der Untergebrachten weiterhin das Messer vor den Oberkörper. Die Geschädigte wählte daraufhin zwei- bis dreimal die Telefonnummer der Taxizentrale. Es lief jedoch immer nur eine Bandansage. Die Geschädigte erklärte der Untergebrachten, dass die Taxen um diese Zeit anscheinend nicht fahren würden. Die Untergebrachte erwiderte, die Zeugin solle es später noch einmal versuchen. In der Zwischenzeit könne man eine Zigarette rauchen. Gemeinsam begaben sich die Untergebrachte, die weiterhin das Messer in der Hand hielt, und die Geschädigte zum Raucherraum und setzten sich. Die Untergebrachte drehte sich eine Zigarette, während die Geschädigte eine Zigarette aus ihrer Zigarettenschachtel rauchte. Während dieser Zeit hatte die Untergebrachte das Messer entweder auf ihrem Schoss liegen oder in eine ihrer Hosentaschen gesteckt. Die Geschädigte fragte die Untergebrachte, ob sie das ganze Geld für Schnaps brauche. Die Untergebrachte antwortete, sie wolle sich Bier kaufen. Vergeblich versuchte die Geschädigte erneut, ein Taxi zu rufen. Nachdem die Untergebrachte ihre Zigarette geraucht hatte, nahm sie das Messer wieder in die Hand und forderte die Geschädigte unter Vorhalt des Messers auf, mit ihr zu ihrem Zimmer zu kommen. In ihrem Zimmer zog die Untergebrachte eine Jacke, eine Mütze und einen Schal an, während die Geschädigte in der Tür stehen blieb. Die Untergebrachte forderte die Geschädigte unter erneutem Vorhalt des Messers auf, sie aus der Wohngruppe heraus zu lassen. Die Geschädigte schloss der Untergebrachten die Seiteneingangstür auf. Die Untergebrachte blieb in der geöffneten Tür stehen und sagte, die Geschädigte sei ja mit dem Auto zur Arbeit gekommen und könne die Untergebrachte auch fahren. Die Geschädigte schob die Untergebrachte daraufhin aus der Türöffnung heraus und verschloss die Tür hinter der Untergebrachten.
18Die Untergebrachte begab sich zu einer in der Nähe befindlichen Tankstelle, um dort Alkohol zu kaufen. Die Geschädigte rief währenddessen die Bereichsleiterin der Einrichtung an und verständigte die Polizei. Die Untergebrachte wurde festgenommen. Das Geld aus der Vorschusskasse und das Messer konnten bei ihr sichergestellt werden. Aufgrund der psychischen Folgen der Tat war die Geschädigte jedenfalls auch sechs Monate nach der Tat nicht in der Lage, ihren Beruf als Erzieherin in der Wohngruppe weiter auszuüben.
194.
20Aufgrund dieser Tat sprach das Landgericht Arnsberg die Untergebrachte mit Urteil vom 11. Mai 2011 frei und ordnete zugleich ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.
21Rechtlich sah die Kammer den Tatbestand des erpresserischen Menschenraubs gem. § 239a Abs. 1 StGB, der Geiselnahme gem. § 239b Abs. 1 StGB sowie der schweren räuberischen Erpressung gem. §§ 253, 255, 250 Abs. Nr. 1 StGB als erfüllt an. Sie ging davon aus, dass die Untergebrachte zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war.
22Mit sachverständiger Hilfe des Psychiaters W. stellte die Kammer fest, dass bei der Untergebrachten zur Tatzeit eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung mit sowohl dissozialen, paranoiden als auch emotional-instabilen Anteilen vorlag. Die Erkrankung bestimme seit vielen Jahren das Denken, Handeln, Tun und Reagieren der Untergebrachten. Ihr Verhalten sei egozentrisch, sie nehme wenig Rücksicht auf andere, strebe überwiegend die eigene spontane Bedürfnisbefriedigung an und lebe diese aus. Inwieweit andere Personen dadurch negativ betroffen seien, sei ihr gleichgültig. Die Untergebrachte habe eine geringe Frustrationstoleranz. Selbst nach leichten Provokationen könne es zu erheblichen Impulsdurchbrüchen kommen. Die Untergebrachte sei während des Tatgeschehens zumindest phasenweise nicht in der Lage gewesen, das Unrecht ihres Handels zu erkennen, ebenso phasenweise nicht, nach dieser Einsicht zu handeln. Die bei früheren stationären Aufenthalten diagnostizierte hebephrene Psychose mit paranoiden Anteilen, eine schizo-affektive Psychose und eine Polytoxikomanie hätten sich hingegen nicht bestätigt.
235.
24Nachdem die Untergebrachte ab dem 1. Dezember 2010 zunächst vorläufig im LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie in M. untergebracht war, wurde das Urteil ab Eintritt der Rechtskraft am 19. Mai 2011 zunächst dort vollstreckt. Am 27. Juli 2016 wurde die Untergebrachte in die I.-Klinik in E. verlegt, wo sie – unterbrochen von zwischenzeitlichen Beurlaubungen – nach wie vor untergebracht ist.
25Während des Aufenthalts der Untergebrachten in M. beschrieb die Klinik in ihren Berichten durchgängig ein wechselhaftes, sich insgesamt nur langsam stabilisierendes Krankheitsbild. Es traten immer wieder Phasen der Dekompensation mit akustischen Halluzinationen, inhaltlichen und formalen Denkstörungen und Wahnideen auf. Vor allem in diesen Phasen beschimpfte und provozierte die Untergebrachte Mitarbeiter und Mitpatienten, war angespannt, nicht erreichbar und – jedenfalls in den ersten Jahren – schlecht begrenzbar. Auch unter der Gabe von Neuroleptika und Bedarfsmedikation deutete sie alltägliche Vorgänge als bedrohlich und fühlte sich verfolgt. Auch außerhalb dieser Phasen wurden stark schwankende Stimmungen und Aktivitäten beschrieben. Zeitweise war die Untergebrachte nicht gemeinschaftsfähig und bei plötzlicher Ideeneingebung auch nicht absprachefähig. Versuche der Gewährung erweiterter Freiheitsgrade, zum Beispiel durch Unterbringung auf einem Doppelzimmer oder vermehrten Aufenthalt in der Patientengemeinschaft, führten immer wieder zur Dekompensation. Während der gesamten Zeit in M. versuchte die Untergebrachte immer wieder, die Einnahme der erforderlichen Medikamente zu umgehen. 2011 kündigte sie die Begehung eines Überfalls und eines Mordes an; im weiteren Verlauf versuchte sie zweimal, sich das Leben zu nehmen.
26Nachdem ab 2015 kein fremdgefährdendes Verhalten mehr beobachtet worden war, der Zustand der Untergebrachten insgesamt stabiler erschien und die Untergebrachte den Wunsch nach einem Wechsel in die Allgemeinpsychiatrie oder in ein Wohnheim geäußert hatte, wurde sie im Juli 2016 in die I.-Klinik verlegt. Dort gelang der Untergebrachten aufgrund wahnhafter Verarbeitung und verzerrter Wahrnehmung das Einleben zunächst nicht. Im Vordergrund standen eine floride Wahnverarbeitung, durchgehende Krankheitsuneinsichtigkeit und hoher Interventionsbedarf. Auch hier akzeptierte die Untergebrachte die Medikation oft nur unter Druck. Nach einer zeitweiligen Verbesserung flammte die Symptomatik wieder auf, durch eine Optimierung der nach wie vor wenig von der Untergebrachten akzeptierten Medikation konnte erneut eine Stabilisierung herbeigeführt werden. Mehrere Versuche der Deliktbearbeitung scheiterten. Die Untergebrachte beharrte darauf, dass sich das Anlassdelikt niemals zugetragen habe, „und schon gar nicht wie es im Urteil steht“.
27Ab dem 22. Juli 2019 wurde die Untergebrachte in eine geschlossene Wohngruppe des LWL-Wohnverbundes X. beurlaubt. Dort verhielt sie sich oft distanzlos und provokant. Im Oktober 2019 fiel eine Manipulation der oralen Medikation auf. Nach der Aufdeckung lehnte die Untergebrachte die Einnahme von Medikamenten vollständig ab. Vom 10. Oktober 2019 bis zum 4. November 2019 wurde die Untergebrachte deshalb zur Krisenintervention erneut in die I.-Klinik aufgenommen. Nach einem weiteren Aufenthalt im Wohnverbund in S. wurde sie am 23. Dezember 2019 endgültig in die Klinik zurückverlegt, die Langzeitbeurlaubung wurde formal am 14. Januar 2020 beendet. In X. hatte die Untergebrachte die verordneten Medikamente erneut nicht mit der erforderlichen Zuverlässigkeit eingenommen, was zu einer Zunahme psychotischer Wahrnehmungen geführt hatte. Im weiteren Verlauf wurden die Medikamente zunächst nur noch unter strenger Aufsicht mit anschließender Mundkontrolle verabreicht. Eine Deliktbearbeitung war weiter nicht möglich. Auch eine Klärung des dysfunktionalen Verhaltens während der Langzeitbeurlaubung trotz fortbestehender Beurlaubungsmotivation scheiterte. Problematisches Gemeinschaftsverhalten beruhte vor allem darauf, dass sie Mitbewohner für kurze Momente in ihren Wahn einbezog.
28Am 16. Juni 2021 wurde die Untergebrachte in eine Einrichtung der Diakonie F. in K. beurlaubt. Diese Beurlaubung wurde bereits am 14. Juli 2021 abgebrochen. Schon nach zwei Wochen hatten sich psychotische Symptome gezeigt, die Untergebrachte verhielt sich gegenüber den Mitarbeitern bedrohlich und laut, schrie Mitbewohner an und drohte diesen ebenfalls verbal und mit Gesten. U. a. hatte sie einen Nagelknipser mit einer Feile aus ihrer Hosentasche geholt und deutete eine Benutzung als Waffe an. Wiederholt zeigten sich wahnhafte Verkennungen, u. a. beschimpfte sie Mitarbeiter als „unfaire Betrüger“; schlug auf den Tisch und drohte, „alle vom Balkon zu werfen“. Eine adäquate Deeskalation war nicht möglich, ein späteres Aufsuchen mündete in der Drohung „Verschwinden Sie oder ich verprügle hier alle“. Zuletzt konnte sie nur unregelmäßig und erschwert zur Medikamenteneinnahme motiviert werden. Auch nach ihrer Rückverlegung in die Klinik verhielt sich die Untergebrachte zunächst weiterhin deutlich psychotisch, wahnhaft und getrieben. Sie musste begrenzt werden und war kognitiv in so schlechtem Zustand, dass sie teilweise desorientiert war. Ihre Belange verfolgte sie teilweise unangemessen; zum Beispiel hustete sie einen Kollegen beim Mittagessen so an, dass dieser die Nahrung ins Gesicht gespuckt bekam. Insgesamt beschrieben die Behandler das Verhalten der Untergebrachten in ihrem Bericht vom 29. September 2021 als „äußerst dysfunktional, externalisierend und psychotisch, wenn sie sich nicht in der Lage sieht, ihre (verletzten) Bedürfnisse angemessen zu äußern“. Gleichzeitig hoben sie die Fähigkeit und Bereitschaft der Untergebrachten positiv hervor, offen und motiviert Kontakt mit ihr vertrautem Personal aufzunehmen, woraus – innerhalb eines ihr bekannten Settings – eine gesicherte Absprachefähigkeit resultiere.
29Im August 2022 berichtete die Klinik von einer konstant stabilen psychomotorischen Entspannung bei weiterhin selten vorhandenen Wahninhalten mit wechselnder Intensität. Abhängig vom Gemütszustand stellte die Untergebrachte die Medikation weiterhin in Frage; die Medikationsvergabe erfolge weiterhin unter Aufsicht mit anschließender Mundkontrolle. Die Stimmung der Untergebrachten sei im Kontakt weitestgehend stabil. Nur noch phasenweise träten infantile weinerliche Phasen auf. Psychotische Phasen und deliktähnliches Verhalten seien nicht mehr beobachtet worden. Im Stationssetting sei sie voll integriert und etabliert und schöpfe daraus viel Sicherheit und Stabilität. Gelegentlich sei sie eifersüchtig auf Mitpatienten und zeige Konkurrenzverhalten, das sich durch Manipulation und extrem egoistische Bedürfnisorientiertheit sowie Klagsamkeit und infantile Weinerlichkeit kennzeichne. Erhalte sie die gewünschte Aufmerksamkeit – z. B. spiele ein Mitarbeiter Kniffel mit ihr –, sei dieses Verhalten wie in Luft aufgelöst. Gelegentlich zeige die Untergebrachte Empathie, indem sie z. B. Sorge und Verständnis gegenüber anderer Person ausdrücke. Vorherrschend sei aber nach wie vor eine manifeste Bedürfnisorientiertheit. In Interaktionen mit andere zeige sie nach wie vor problematisches Gemeinschaftsverhalten. Dieses kennzeichne sich durch Tendenzen, andere für Gefälligkeiten (z.B. sie auf ihrem Rollator den Berg zur Klinik hinaufschieben, Stationsaufgaben wie Küchendienst zu übernehmen, Besorgungen für sie zu erledigen) auszunutzen oder mit Süßigkeiten oder Zigaretten zu bezahlen. Ab und an komme es zu milderen Auseinandersetzungen, die durch die Behandler deeskaliert werden müssten. Bei aus ihrer Sicht mangelnder Aufmerksamkeit tendiere sie zudem dazu, sich auf ihren Körper zu fixieren und ärztliche Konsile einzufordern, weil sie an schlimmen oder unheilbaren Erkrankungen leide. Bisherige Untersuchungsergebnisse seien ohne pathologischen Befund gewesen. Anscheinend nutze sie körperliche Symptome und ihre klagsame Art als Strategie, um Beziehungen zum Personal aufzubauen, um sich nicht einsam oder unbedeutend zu fühlen. Wahnmomente, in die andere Personen einbezogen wurden, oder aggressive Übergriffe oder Handlungsabsichten seien nicht mehr beobachtet worden.
306.
31Im Verlauf der Unterbringung sind mehrere Prognosegutachten erstattet worden. Diese sind zu folgenden Ergebnissen gelangt:
32Der Sachverständige G. hat in seinem Gutachten vom 2. Dezember 2014 eine chronifizierte hebephrene Schizophrenie und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Der Sachverständiger kam zu der Einschätzung, dass die Untergebrachte im Rahmen eines Ausgangs oder gar einer Entlassung jede Gelegenheit ergreifen werde, um sich rechtswidrig zu verhalten, weil sie die Unterscheidung zwischen erlaubt und verboten wohl ziehen könne, aber nicht in der Lage ist, sich danach zu verhalten.
33Die Sachverständige A. erstattete am 15. April 2017 ein Gutachten. Sie stellte die Diagnosen schizoaffektive Störung, schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen, paranoiden und emotional instabilen Anteilen sowie jeweils anamnestisch psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol im Sinne eines Abhängigkeitssyndroms, gegenwärtig abstinent aber in beschützender Umgebung, und schädlicher Gebrauch von Cannabis und Amphetaminen, gegenwärtig abstinent aber in beschützender Umgebung. Trotz einer wiederholten Psychose-Diagnose werde das Krankheitsbild entscheidend durch die schwere Persönlichkeitsstörung gekennzeichnet. Dabei stünden paranoide und dissoziale Anteile im Vordergrund. Für die prognostische Einschätzung und weitere Behandlungsansätze sei die diagnostische Zuordnung nicht entscheidend. Die Prognose sei ungünstig. Außerhalb des forensischen, eng strukturierten Rahmens sein von rascher Überforderung der Untergebrachten auszugehen und mit Fremdgefährdung und ähnlichen Straftaten wie bei der Anlasstat zu rechnen. Werde ein kontrollierendes steuerndes System mit fachlicher Betreuung und sorgfältiger Überwachung der psychopharmakologischen Medikation installiert, sei die Wahrscheinlichkeit schwerwiegender Delikte gering, wichtig erscheine eine behutsame Überleitung in ein entsprechendes Wohnheim. Erst nach weiterer Stabilisierung in der neuen Umgebung könne eine bedingte Entlassung mit weiterer Begleitung durch eine forensische Nachsorgeambulanz überprüft werden.
34Am 10. April 2019 erstattete der Sachverständige N. ein Gutachten. Er diagnostizierte eine schizophrene Psychose vom paranoiden Prägnanztyp mit unvollständiger Remission und eine Alkoholabhängigkeit, gegenwärtig abstinent in geschützter Umgebung. Differenzialdiagnostisch komme eine schizoaffektive Störung in Betracht. Gegen eine Hebephrenie sprächen die Halluzinationen und Wahnphänomene. Eine Persönlichkeitsstörung könne aufgrund der massiven produktiven Symptome nicht valide diagnostiziert werden. Zusammenfassend erscheint die genaue diagnostische Einschätzung der beschriebenen Psychopathologien ausschließlich von akademischem Interesse. Aufgrund der chronifizierten Erkrankung, der eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten und der insgesamt hohen Rückfallwahrscheinlichkeit kann die Kriminalprognose nur als ungünstig gewertet werden. Die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit der Untergebrachten habe sich bisher nicht deutlich reduziert. Dies gelte in besonderem Maße für ein Leben, das außerhalb der Strukturen des Maßregelvollzugs liegen würde. Es empfehle sich eine mehrmonatige Beobachtung im Rahmen einer Langzeitbeurlaubung in einem Wohnheim unter Beibehaltung der etablierten oder einer optimierten Medikation sowie die Fortführung der Tagesstrukturierung.
35Der Sachverständige L. erstattete am 29. September 2021 ein Gutachten mit den Prognosen paranoide Schizophrenie, psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol sowie Abhängigkeitssyndrom, gegenwärtig abstinent in beschützender Umgebung. Die besonders in früheren Jahren, unter anderem auch im Rahmen der Schuldfähigkeitsbeurteilung festgestellte Persönlichkeitsstörung lasse sich diagnostisch nicht mehr beschreiben, da die gesamte Persönlichkeitsstruktur der Probandin inzwischen durch die chronische Schizophrenie determiniert ist. Es sei zu erwarten, dass die Untergebrachte bei Wegfall der klinischen Bedingungen die Kooperation hinsichtlich der Einnahme der Medikation aufkündige. Allein eine Umgebungsveränderung genüge, um sie psychisch zu labilisieren. Im Ergebnis dieser ungünstigen Konstellation würde sie zeitnah psychotisch entgleisen. Sowohl zur Durchsetzung eigener Bedürfnisse wie auch zur Verteidigung gegen vermeintliches Unrecht oder sogar der Abwendung expliziter Gefahren würde sie ebenfalls ohne größere Verzögerung auch wieder zu verbalen wie tätlichen Aggressionen bereit sein. Die Wahl ihrer Mittel unterliege hierbei keinem Abwägen, sondern sei Resultat spontaner Handlungsbereitschaft unter Auflösung von Frustrationstoleranz und Impulskontrolle. Im Rahmen der Egozentrik der schizophrenen Störung sowie des zuzüglich dissozialen Handlungspotenzials bestünde sowohl für raptusartige tätliche Aggressionen wie auch für aggressive Handlungen aus dem Spektrum der Einweisungsdelinquenz eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades. Eine Langzeitbeurlaubung erscheine unter gewissen Voraussetzungen jedoch forensisch verantwortbar.
366.
37Mit Bericht vom 23. Juni 2023 hat die I.-Klinik für das hier zugrunde liegende Überprüfungsverfahren folgenden Verlauf mitgeteilt:
38Die Untergebrachte sei weiterhin konstant und stabil psychomotorisch entspannt. Es seien keine Wahninhalte mehr beobachtet worden. Nach wie vor stelle die Untergebrachte die Medikation gelegentlich in Frage. Sie sei der Auffassung, die Menge an Tabletten werde sie umbringen. Sie halte sich ausreichend stabil und absprachefähig für eine reguläre Medikamentenvergabe; wegen der Manipulation in der Vergangenheit würden die Medikamente allerdings weiter unter strenger Aufsicht und in gemörserter Form verabreicht.
39Die Untergebrachte lasse sich insgesamt auf Erklärungen des Personals ein und zeige sich schlussendlich kooperativ. Von der Stimmung sei sie im Kontakt weitgehend stabil. Infantil-weinerliche Phasen seien weiter zu beobachten, meist wenn ihr beispielsweise mangelnde Therapiemotivation gespiegelt werde oder sie mit diversen Forderungen an das Team nicht weiterkomme. Im Stationsalltag sei sie voll integriert und etabliert. Daraus schöpfe sie viel Sicherheit und Stabilität im Alltag. Zuletzt habe es keine psychotischen Phasen und kein deliktähnliches Verhalten gegeben.
40Die Untergebrachte profitiere von der langjährigen Betreuung im dortigen Setting. Sie könne die vertrauten Bezugstherapeuten gut einschätzen und kooperiere entsprechend. Alle vier bis sechs Wochen unternehme sie Besuchsfahrten zu ihrer langjährigen Freundin in C.. Sie sei nicht imstande, derartige Besuchsfahrten eigenständig durchzuführen. Im Frühjahr 2023 habe sie sich darauf einlassen können, nach einem Zahnarzttermin eigenständig aus der Stadt mit einem Bus in die Klinik zurückzufahren. Dies habe im Vorfeld viel Motivationsarbeit verlangt.
41Ihre Beziehungen zu anderen mituntergebrachten Personen seien eher oberflächlich. Die Untergebrachte zeige sich eher im Alleingang. Seit dem Frühjahr 2023 sei sie im Doppelzimmer untergebracht, diese neue Konstellation verlaufe bislang unproblematisch. Die Beziehungsgestaltung der Untergebrachten zu anderen Personen sei weiter von manifester Bedürfnisorientiertheit gekennzeichnet und entsprechend geprägt durch manipulative, egoistische und egozentrische Verhaltensweisen. Sie zeige in den Interaktionen mit manchen Mitbewohnern ein eher problematisches Gemeinschaftsverhalten, gekennzeichnet durch Tendenzen, andere mituntergebrachte Personen für diverse Gefälligkeiten auszunutzen oder mit Süßigkeiten oder Zigaretten zu bezahlen. Weil andere diese Tendenz inzwischen durchschauten und sich abgrenzten, ergäben sich zuletzt keine konkreten Konflikte hieraus.
42Die Untergebrachte nutze das Unterstützungssystem der Station kaum, sie nehme nur unregelmäßig an den angebotenen Therapien teil. Im Rahmen der angebotenen Therapiegruppen sei sie oft klagsam und störend. Beiträge in der Gruppe seien oft durch entweder unangebrachte oder situationsunangemessene Kommentare oder konstantes Schweigen gekennzeichnet. Sie erwecke den Eindruck, dass sie oft lediglich die Zeit in den Gruppen absitze. Versuche, ihre Motivation zu steigern, seien gescheitert.
43Zur Behandlungsprognose heißt es in dem Bericht u. a.: Aus der Kommunikation der Untergebrachten mit vertrautem Personal auf der dortigen Station resultiere eine solide Absprachefähigkeit. Diese sei allerdings nur in einem ihr bekannten Rahmen gesichert. Die Untergebrachte sei krankheitsuneinsichtig mit gelegentlichen Diskussionen bezüglich der Medikation. Trotz der Medikation sei eine Zustandsverbesserung nicht zu erwarten. Die Untergebrachte habe keinen Zugang zur Bearbeitung des Delikts und bleibe dabei, dieses habe sich nicht so zugetragen. Es habe keine Momente mehr gegeben, in denen die Untergebrachte andere Personen in ihren Wahn eingebaut oder beschuldigt habe; im geschützten Setting habe es auch keine aggressiven Übergriffe oder Handlungsabsichten mehr gegeben. Bei der Untergebrachten bestehe kein tiefergehendes Problembewusstsein. Sie verfüge weder über Selbstreflexion noch Veränderungsbereitschaft noch über ein ausreichend fundiertes Wissen bezüglich der Umstände und Ursachen, die zu ihrer langjährigen psychischen Instabilität und letztlich zur psychischen Dekompensation im Rahmen des Delikts geführt hätten. Die Prognose für die Behandlung sie aufgrund der Schwere und langjährigen Chronifizierung der psychiatrischen Erkrankung ungünstig.
44Die Sozialprognose schätzt die Klinik wie folgt ein: Die Untergebrachte zeige sich in Gesprächen bezüglich einer Beurlaubung in eine sozialtherapeutische Einrichtung ambivalent. Zwei Langzeitbeurlaubungen seien seitens der Einrichtungen abgebrochen worden. Die Untergebrachte betone einerseits häufig zu hoffen, wieder in einer Einrichtung unterzukommen. Andererseits seien Hospitalisierungstendenzen sichtbar, da sie berichte, sich in E. wohlzufühlen und dort wohnen bleiben zu wollen. Würden die Gründe für die Beendigung der letzten beiden Beurlaubungen thematisiert, blocke sie ab, könne ihren eigenen Anteil nicht reflektieren und teile lediglich mit, sie habe sich in den Einrichtungen sowieso nicht wohlgefühlt. Eine erneute Beurlaubung erfordere viel Geduld und Wissen über den Erkrankungsgrad, um auf ihre Denk- und Verhaltensweisen effektiv eingehen zu können. Die Klinik nehme fortlaufend Kontakt zu Einrichtungen auf. Die Vermittlung sei aufgrund des Deliktes, aufgrund der zurückliegenden misslungenen Transferversuche und der fehlenden Krankheitseinsicht und Medikamentencompliance schwierig. Die Untergebrachte solle im Rahmen des Runden Tisches der LWL-Maßregelvollzugsabteilung vorgestellt werden.
45Zur Legalprognose haben die Behandler mitgeteilt: Es verbleibe weiterhin die Priorität, einen engen und betreuenden Rahmen mit Stationsbezug für die Untergebrachte zu schaffen, in dem sie sich nicht gefährdet sehe. Die Untergebrachte habe sich bereits in der Vergangenheit als nicht ausreichend motiviert gezeigt, sich an die Vorgaben der behandelnden Ärzte zu halten, sondern habe stattdessen eigenmächtig agiert, wodurch zudem die Gefahr bestehe, dass sie ohne gesicherte Umgebung und engmaschige Unterstützung ihre Medikamente absetze. Ohne diesen Ressourcen sichernden Rahmen sei nach wie vor mit einer Ablehnung der Medikamenteneinnahme zu rechnen. Insbesondere das Absetzen der Medikamente werde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einer rapiden Verschlechterung des psychopathologischen Befundes führen, wodurch sich entsprechend die Psychose in ihrer Ausprägung relativ rasch als exarcerbierend und unkontrollierbar darstellen werde. In diesem Zustand, mit einem vordergründig intensiv manifestierten Warnsystem, sei eine Steuerungsfähigkeit der Untergebrachten nicht zu erwarten. In diesem Zustand sei sie nicht mehr in der Lage, in einer tragfähigen Kommunikation zu verbleiben. Sie fühle sich infolgedessen bedroht und als Opfer innerhalb ihres Warnsystems unterschiedlicher Natur. In diesem Zustand seien deliktähnliche Verhaltensweisen und fremdgefährdende Handlungen zu erwarten. Diese könnten über Beleidigung, körperlich aggressive Handlungen wie Schlagen oder Schubsen bis hin zum Gebrauch von naheliegenden Gegenständen reichen. Dabei gelte es jedoch, das fortgeschrittene Alter und die deshalb eingeschränktere Agilität von der Untergebrachten zu berücksichtigen. Alleine sei die Untergebrachte nicht überlebensfähig und somit bestehe eine Gefahr, dass die Untergebrachte infolge ihres Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde, durch welche die potentiellen Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden könnten. Zusammenfassend verbleibe die Untergebrachte weiterhin krankheitsuneinsichtig und das Krankheitsbild chronifiziert, jedoch präsentiert sich die Untergebrachte unter Berücksichtigung der chronifizierten Erkrankung im geschützten Setting auf niedrigem Niveau soweit stabil. Bei einer Entlassung aus dem Maßregelvollzug sei eine Wahrscheinlichkeit für deliktnahe Verhaltensweisen zu befürchten, wenn sie die Medikamente absetze und sich zudem einsam und/oder bedroht fühle. Die Steuerungsfähigkeit sei überwiegend durch die enge Anbindung an das Pflegepersonal und die Therapeuten gesichert. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Untergebrachte die Medikamente absetze, sei nahezu 100%. Eine zeitnahe Exazerbation der Psychose sei ebenso nahezu 100% wahrscheinlich. Ein zeitnahes deliktähnliches Verhalten sei somit auch nahezu 100% wahrscheinlich. Sie würde sich aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters an schwächeren Menschen vergreifen. Hierzu sei die Untergebrachte durchaus in der Lage, schwächere Menschen zu selektieren und zu sehen, wer ist stärker und wer ist schwächer. Daher sei aus fachärztlicher Sicht zum jetzigen Zeitpunkt eine Entlassung aus dem Maßregelvollzug nach wie vor nicht zu empfehlen.
467.
47Die Strafvollstreckungskammer hat für das hiesige Überprüfungsverfahren den Sachverständigen Z., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Forensische Psychiatrie, mit einem Prognosegutachten beauftragt. Der Sachverständige hat die Untergebrachte untersucht und sein schriftliches Gutachten am 22. November 2023 erstattet.
48Der Sachverständige diagnostizierte ebenfalls eine chronifizierte, nicht vollständig remittierte schizophrene Psychose aus dem paranoiden Formenkreis. Eine früher vorhandene Abhängigkeitserkrankung von Alkohol sei zwischenzeitlich durch das schützende Setting der Kliniken in D. und E. aufgegeben.
49Prognostisch gelangte er zu folgender Einschätzung: Die zu beobachtende chronifizierte schizophrene Grunderkrankung der Untergebrachten habe zu erheblich zu nennenden psychosozialen Kompetenzeinbußen geführt. Rein von der klinischen Beobachtungsebene ausgehend sei der Untergebrachten zu bescheinigen, dass sie aufgrund ihrer vieljährigen psychotischen Erkrankung als „versandet, ausgebrannt“ einzuschätzen sei. Auch gebunden an kognitive Einschränkungen sei die Untergebrachte nicht in der Lage, selbständig zu leben und einen notwendigen Tages- beziehungsweise Wochenablauf selbständig zu planen. Hierbei sei es zudem notwendig, auf die vorhandenen körperlichen Grunderkrankungen zu achten; dabei sei der Untergebrachten in der Exploration selbst gar nicht deutlich gewesen, unter welchen diagnostizierten körperlichen Grunderkrankungen sie überhaupt leide. Eine Krankheitseinsicht bezogen auf die psychische Grunderkrankung liege gar nicht erkennbar vor. Die im klinischen Setting immer und immer wieder beschriebenen Kämpfe um die Medikation würde die Untergebrachte mit höchster Wahrscheinlichkeit allein und in Freiheit lebend dahingehend regeln, Medikamente nicht einzunehmen. Dies habe zur Konsequenz, dass psychotische Krankheitsphasen mit möglichen eigen- und fremdaggressiven Verhaltensweisen zunächst unbemerkt erneut eintreten können. Eine günstige Krankheitsprognose könne nur unter engmaschiger pflegerischer Betreuung angenommen werden.
50Zur Sozialprognose sei erneut anzugeben, dass für die Untergebrachte alleine in Freiheit lebend keinerlei sozialer Empfangsraum existiere. Abgesehen von einer möglicherweise imaginären C.er Freundin benenne die Untergebrachte keine Person, die außerhalb des klinischen Settings in irgendeiner Verbindung zu ihr stehe. Der Tagesablauf der Untergebrachten sei seit mehr als einem Jahrzehnt durch das jeweilige klinische Setting geregelt. Durch ihre reduzierte psychosoziale Kompetenz sie die Untergebrachte mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage, auch nur einen Tag selbständig zu planen und zu handeln. Eine irgendwie geartete auch einfache regelmäßige Arbeitstätigkeit sei bei der Untersuchten, die sich zudem bald sowieso im Rentenalter befinde, gar nicht vorstellbar. Die Untergebrachte lebe im Hier und Jetzt, versuche eigene Interessen und spontane Bedürfnisbefriedigungen durchzusetzen.
51Schon an dieser Textstelle solle angemerkt werden, dass seitens des Gutachters massiv der Plan der Mitarbeiter der Klinik in E. unterstützt werde, auf der Basis einer nunmehr zunächst befürworteten Dauerbeurlaubung eine fallbezogene Teamsitzung beim LWL in Y. zu veranlassen, um mit Teilnehmern dieses runden Tisches aus unterschiedlichen Berufsfeldern eine mögliche Wohn- und Lebenssituation für die Untergebrachte zu erarbeiten. Sie selbst habe sich offenbar mit der Tatsache, zukünftig in einer Art „Pflegeheim“ zu leben, auseinandergesetzt. Im Gespräch mit dem Sachverständigen akzeptierte sie diese Perspektive. Nötigenfalls müsse sich die Untersuchte weiterhin auf der Station in E. aufhalten.
52Die Kriminalprognose sei in Abhängigkeit der zukünftigen Lebenssituation der Untersuchten aufzufassen. Gegenwärtig unter den Bedingungen in der E. Klinik sei keine relevante Straffälligkeit zu erwarten. Auch ein Leben in einem zukünftigen professionellen Umfeld mit regelmäßiger Einnahme der Medikation werde voraussichtlich die Gefahr weiterer schwerer, andere Personen gefährdende Straftaten eindämmen. Bei Aufhebung der Unterbringung nach § 63 StGB seien sowohl die Krankheitsprognose als auch die Sozialprognose sowie die Kriminalprognose als infaust einzuschätzen.
53Bei seiner mündlichen Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen am 28. November 2023 hat der Sachverständige ergänzend ausgeführt:
54Wenn die Untergebrachte jetzt allein und ohne Betreuung leben würde, käme es zu einer allgemeinen Vernachlässigung der notwendigen Dinge. Sie würde ihre Neuroleptika nicht einnehmen. Es käme möglicherweise zu psychotischen Fehlwahrnehmungen. Dann bestehe die hohe Wahrscheinlichkeit, dass es eskalieren würde. Es wäre vorstellbar, dass das mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für fremdaggressives Verhalten einhergehe. Eine Bedrohung auch mit Gegenständen zu einer vermeintlichen Abwehr empfundener Gefahren und möglicherweise auch um zu bekommen, was sie haben will, sei denkbar. Das sei nicht sehr wahrscheinlich, aber wahrscheinlicher als unter den geschützten Bedingungen. Außerhalb des Maßregelvollzugs sei die Gefährdung, die von ihr ausgehe, im Vergleich zu früher, als die Anlasstat passiert sei, geringer. Sie werde ja, auch wenn sie in E. entlassen werde, nicht allein sein. Es werde juristische Betreuung geben und eine Übergabe werde stattfinden. Es werde nicht so sein, wie früher in der Situation, als das Anlassdelikt passiert sei. Wenn sie alleine in einer Wohnung leben müsste, so würde sie verwahrlosen und dann auch Straftaten begehen. Welche, sei schwer zu sagen. Bedrohungen, Beleidigungen und einfache Körperverletzungen würde sie vornehmen. Das sei zumindest vorstellbar. Eine gefährliche Körperverletzung mit einem gefährlichen Werkzeug aber, das halte er nicht für vorstellbar, insoweit bestehe keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades. Damals sei es eine Ausnahmesituation gewesen und damals sei sie körperlich viel fitter gewesen. Inzwischen seien über zehn Jahre vergangen. In Anbetracht der Tatsache, dass die hochpsychotische Dynamik über die Jahre abnehme, sei heute zu sagen, dass die Tat von damals in dem Maße heute so deutlich weniger wahrscheinlich sei, aber nicht ausschließbar, eben unwahrscheinlich. Dass die Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs erhebliche Straftaten begehen werde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, halte er für eher unwahrscheinlich.
558.
56Für die Untergebrachte ist eine rechtliche Betreuung mit den Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögensangelegenheiten (diese mit Einwilligungsvorbehalt) und Anhalten und Öffnen von Post eingerichtet und ein Berufsbetreuer als Betreuer bestellt.
579.
58Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, Unterbringungsfortdauer anzuordnen. Die Strafvollstreckungskammer hat die Untergebrachte und den Sachverständigen am 28. November 2023 mündlich angehört. Mit Beschluss vom gleichen Tage hat sie die Unterbringung für erledigt erklärt, die Entlassung der Untergebrachten aus dem Vollzug mit Eintritt der Rechtskraft angeordnet, den Eintritt der Führungsaufsicht mit der Entlassung festgestellt, die Höchstdauer der Führungsaufsicht nicht abgekürzt und einige Weisungen getroffen.
59Die Staatsanwaltschaft Arnsberg hat mit Fax vom 11. Dezember 2023 rechtzeitig sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Beschwerde beigetreten und hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Fortdauer der Unterbringung anzuordnen. Der Senat hat die Untergebrachte und den Sachverständigen am 25. März 2024 mündlich angehört.
60II.
61Die sofortige Beschwerde ist zulässig. In der Sache hat sie – bis auf eine Erweiterung des Weisungskatalogs – keinen Erfolg. Die Maßregel war gem. § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB für erledigt zu erklären.
621.
63Die psychische Störung, die der Unterbringungsanordnung in dem Urteil vom 11. Mai 2011 zugrunde liegt, besteht fort.
64Zwar wurden bei der Betroffenen im Verlauf eine Reihe unterschiedlicher Diagnosen gestellt. So stellte das Tatgericht noch eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen, paranoiden und emotional-instabilen Anteilen fest. Im weiteren Verlauf ordneten die Behandler und Sachverständigen die Erkrankung auch – zum Teil abweichend, zum Teil zusätzlich, zum Teil differentialdiagnostisch – als paranoide oder hebephrene Schizophrenie, schizoaffektive Störung oder Abhängigkeitserkrankung ein oder diagnostizierten eine andere Art der Persönlichkeitsstörung. Seit 2019 gehen Behandler und Sachverständige durchgehend von einer paranoiden Schizophrenie aus.
65Es handelt sich trotz der unterschiedlichen Diagnosen um ein und dieselbe Erkrankung. Der Sachverständige Z. hat in seinem Gutachten vom 23. November 2023 darauf hingewiesen, dass der im Erkenntnisverfahren tätige Sachverständige eine Reihe von Informationen zur Krankheitsvorgeschichte der Untergebrachten ignoriert und sich deshalb auf die im Anlassurteil festgestellte Diagnose kapriziert habe. Erst weitergehende Untersuchungen im Behandlungsverlauf hätten zu der bis heute beibehaltenen Diagnose geführt. Auch der Sachverständige N. hatte bereits in seinem schriftlichen Gutachten vom 10. April 2019 erläutert, warum die zutreffende Diagnose Schwierigkeiten bereitet: Die Psychose sei unvollständig remittiert, gegen eine Hebephrenie sprächen die früher beobachteten Halluzinationen und Wahnvorstellungen, auch die Voraussetzungen einer schizoaffektiven Störung ließen sich nicht vollständig nachweisen, eine Persönlichkeitsstörung könne aufgrund der massiven produktiven Symptome nicht valide diagnostiziert werden und in Bezug auf eine Alkoholabhängigkeit sei die Abstinenz der Betroffenen in geschützter Umgebung zu berücksichtigen. Indes erscheine eine korrekte diagnostische Einordnung ausschließlich von akademischem Interesse. Entscheidend sei, dass bei der Betroffenen über den gesamten Verlauf hinweg eine ausgeprägte Psychopathologie des Denkens, Wahrnehmens und Ich-Erlebens bestehe, die sich in halluzinatorischen und wahnhaften Ideen zeige. An der Richtigkeit dieses Ergebnisses hat der Senat aufgrund der im Urteil und in den Verlaufsberichten mitgeteilten Beobachtungen keine Zweifel.
662.
67Der Senat lässt offen, ob aufgrund dieser Störung nach wie vor die Gefahr i.S.v. § 67d Abs. 6 Satz 3, Abs. 3 StGB besteht, dass die Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
68Die Strafvollstreckungskammer hat dies unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständige Z. verneint. Dieser habe eine solche Gefahr als niedrig eingestuft. Der Schwerpunkt zu erwartender Delinquenz sei nach Einschätzung des Sachverständigen im Bereich von Beleidigungs-, Bedrohungs- und einfachen Körperverletzungsdelikten zu sehen. Die Verwirklichung gefährlicher Körperverletzungsdelikte sei eher unwahrscheinlich. Zwar habe der Sachverständige nicht ausschließen können, dass die Untergebrachte impulsiv bei der Wahl ihrer Mittel ohne nachzudenken griffbereite Gegenstände wähle, um eine vermeintliche Bedrohung abzuwehren oder ihre Bedürfnisse durchzusetzen. Sie sei auch in der Lage, Schwächere zu selektieren. Selbst in einem solchen Fall sei aber, so der Sachverständige, aufgrund der konkreten Begehungsweise keine schwere Schädigung der Opfer zu erwarten.
69An der Richtigkeit dieser Einschätzung hat der Senat gewisse Zweifel. Die Erkrankung der Untergebrachten äußert sich in starker Bedürfnisorientiertheit und fehlender Krankheitseinsicht. Die gescheiterten Langzeitbeurlaubungen zeigen, dass jederzeit und auch in beschützenden Einrichtungen außerhalb des Maßregelvollzugs damit zu rechnen ist, dass sich der psychische Zustand der Untergebrachten in veränderter Umgebung mit zunächst nicht vertrauten Mitbewohnern und Mitarbeitern destabilisiert, sie erneut Alkohol trinkt, die verordneten Medikamente nicht mehr einnimmt und innerhalb absehbarer Zeit einen erneuten Krankheitsschub erleidet. Sowohl während der Langzeitbeurlaubung 2019 als auch während der Langzeitbeurlaubung 2021 war es zu Konflikten der Untergebrachten mit Mitbewohnern gekommen, sie nahm die verordneten Medikamente nicht mehr zuverlässig ein und zeigte zunehmend psychotische Symptome, die 2021 zu erheblich dissozialem und dysfunktionalem Verhalten und zeitweiser Desorientierung führten.
70Anders als der Sachverständige sieht der Senat durchaus noch konkrete und gegenwärtige Anhaltspunkte dafür, dass womöglich in einem solchen Fall mit erheblichen Taten im Sinne von § 67d Abs. 3 StGB zu rechnen ist. So hat die Untergebrachte nicht nur bei der Anlasstat ein Messer verwendet. Noch während der Langzeitbeurlaubung 2021 hat sie sich deliktnah verhalten, als sie einen Nagelknipser präsentiert und angedroht hat, diesen als Waffe einzusetzen. Unabhängig von der Gefährlichkeit der konkreten Situation belegt dies, dass die Idee, Interessen notfalls auch mit Waffengewalt durchzusetzen, bei der Untergebrachten auch nach langjähriger Behandlung nach wie vor präsent war, worauf auch der Sachverständige L. bei seiner Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer am 6. Dezember 2021 hingewiesen hat. Auch bei ihrer Anhörung vor dem Senat hat die Untergebrachte freimütig erklärt, „wenn mir draußen jemand sagt, ich bin asozial, dann würde ich ihm eine reinziehen“. Zu berücksichtigen ist ferner, dass sich die Untergebrachte bei der Begehung der Anlasstat durchaus planvoll eine Waffe verschafft hat, indem sie bereits vorab ein Küchenmesser entwendet, in ihrem Zimmer versteckt und eine Tatgelegenheit abgewartet hat. Es liegt auf der Hand, dass bei der Verwendung eines Messers als Waffe die Gefahr schwerer körperlicher Schäden bei den Opfern besteht. Zugleich zeigt die Anlasstat, in deren Folge die Geschädigte mindestens sechs Monate ihren Beruf nicht mehr ausüben konnte, dass bereits der Einsatz einer Waffe zur Drohung die Gefahr schwerer seelischer Schäden mit sich bringt.
71Dass die Untergebrachte jedenfalls gegenüber körperlich oder geistig schwächeren Personen zu entsprechenden Nötigungs-, Bedrohungs-, Raub- oder Körperverletzungsdelikten nicht mehr in der Lage wäre, sieht der Senat – auch nach dem im Rahmen der mündlichen Anhörung von der Untergebrachten gewonnenen persönlichen Eindruck – nicht. Hinzu kommt die auch nach Einschätzung des Sachverständigen Z. vorhandene Fähigkeit der Untergebrachten, schwächere Personen auszuwählen. Zugleich werden gerade in einer beschützenden Einrichtung, wo die Betroffene nach ihrer Entlassung aus dem Maßregelvollzug auf eigenen Wunsch und nach Einschätzung aller Beteiligten leben sollte, überwiegend körperlich oder psychisch verletzliche Menschen leben, die Angriffen der Untergebrachten eher schutzlos ausgesetzt wären. Zugleich ist gerade in Fällen einer schizophrenen Erkrankung die Fähigkeit, Bedürfnisse aufzuschieben und Konflikte angemessen zu verarbeiten, erheblich reduziert. Vor diesem Hintergrund und aufgrund der starken Bedürfnisorientiertheit der Untergebrachten einerseits und des bei einer Exacerbation absehbaren Verlustes der Erreichbarkeit und Steuerungsfähigkeit andererseits hält der Senat die noch im Dezember 2022 von der behandelnden Ärztin gegenüber der Strafvollstreckungskammer geäußerte Einschätzung für nach wie vor nicht unrealistisch, dass die Untergebrachte in einem akuten Krankheitszustand „alles tun würde, was in ihrer Macht steht, um ihren Willen zu bekommen“. Entscheidende Veränderungen hinsichtlich Gesundheitszustand, Problemeinsicht und Behandlungsbereitschaft sind seitdem nicht eingetreten.
723.
73All dies kann jedoch im Ergebnis dahinstehen. Denn eine weitere Vollstreckung der Maßregel ist – auch bei Erreichen der für eine Fortdauer der Maßregelvollstreckung über zehn Jahre hinaus erforderlichen Gefährlichkeit i.S.v. § 67d Abs. 6 Satz 3, Abs. 3 StGB – jedenfalls unverhältnismäßig im Sinne von § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB.
74a.
75Die Fortdauer der Unterbringung wäre zwar – die Gefährlichkeit i.S.v. § 67d Abs. 6 Satz 3, Abs. 3 StGB unterstellt – an sich erforderlich. Weniger in das Freiheitsgrundrecht der Untergebrachten eingreifende, die Allgemeinheit ebenso wirksam vor ihrer beschriebenen Gefährlichkeit schützende Alternativen stehen jedenfalls zurzeit nicht zur Verfügung.
76Der Senat hat in diesem Zusammenhang für den Fall einer ungünstigen Fortdauerprognose erwogen, die Maßregel gem. § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB zur Bewährung auszusetzen, weil durch das Instrumentarium der Bewährungs- bzw. Führungsaufsicht eine etwaige zur Fortdauer der Maßregelvollstreckung über 10 Jahre hinaus führende Gefährlichkeit auf ein aussetzungsfähiges Maß reduziert werden könnte. Denn der Sachverständige Z. ist in seinem schriftlichen Gutachten zu der Einschätzung gelangt, dass „auch ein Leben in einem zukünftigen professionellen Umfeld mit regelmäßiger Einnahme der Medikation … voraussichtlich weitere schwere, andere Personen gefährdende Straftaten eindämmen“ werde. Bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat hat er dies dahin präzisiert, dass die Untergebrachte, wenn sie in einem Wohnheim oder einer Wohngruppe mit professioneller Betreuung, Alltagsstruktur, Hilfe bei den Mahlzeiten und der Hygiene, regelmäßiger Medikation und Gesundheitsfürsorge lebe, nicht mehr gefährlich sei. Der Senat tritt dieser Einschätzung grundsätzlich bei. Wie sich aus den vorstehend (oben Gliederungspunkt 2.) erörterten Gesichtspunkten ergibt, ist ein erneuter Krankheitsschub im Wesentlichen zu erwarten, wenn die Untergebrachte sich psychisch destabilisiert und/oder Alkohol konsumiert sowie die erforderlichen Psychopharmaka absetzt. In einer entsprechenden Einrichtung und in Verbindung mit regelmäßiger psychiatrischer Nachsorge, der bereits eingerichteten rechtlichen Betreuung und zusätzlicher Unterstützung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers wäre – wie auch die Langzeitbeurlaubungen gezeigt haben – grundsätzlich gewährleistet, dass ein professionelles Umfeld, therapeutische Unterstützung und Kontrolle der Medikation, Tagesstruktur und Unterstützung im Alltag genügen, um Verhaltensänderungen und Destabilisierungen ähnlich wie in der Klinik zu verhindern oder frühzeitig zu erkennen. Die Untergebrachte ist auch damit einverstanden, zukünftig in einem Heim zu leben.
77Allerdings steht ein Platz in einer geeigneten und zur Aufnahme bereiten Einrichtung zurzeit nicht zur Verfügung. Die von der Untergebrachten zuletzt in der Anhörung vor dem Senat erklärte Bereitschaft, freiwillig in der Klinik zu bleiben, bis ein entsprechender Platz gefunden ist, würde eine Bewährungsaussetzung nicht ermöglichen. § 17 Abs. 2 des Gesetzes zur Durchführung strafrechtsbezogener Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt in Nordrhein-Westfalen (StrUG NRW) sieht einen freiwilligen Verbleib seinem Wortlaut nach nur in Fällen der Erledigung aus Verhältnismäßigkeitsgründen gem. § 67d Abs. 6 StGB vor. Eine entsprechende Regelung für den Fall der Aussetzung der Maßregel zur Bewährung gem. § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB fehlt. Es kann offen bleiben, ob die Regelung ggf. analog auch auf Fälle der Maßregelaussetzung zur Bewährung anwendbar wäre. An eine entsprechende Rechtsansicht des Senats im vorliegenden Verfahren wäre der Einrichtungsträger jedenfalls formal nicht gebunden. Nach Rücksprache des Berichterstatters mit dem Leiter der Maßregelvollzugsabteilung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) ist zweifelhaft, ob die Untergebrachte bei einer Maßregelaussetzung zur Bewährung freiwillig in der Klinik bleiben könnte, bis ein Heimplatz zur Verfügung steht: Deshalb ist zu befürchten, dass der LWL wegen in diesem Fall aus seiner Sicht ungeklärter Kostenträgerschaft einem freiwilligen Verbleib nicht zustimmt. Aus gleichem Grund müsste der LWL sich voraussichtlich auch an eine – formal an die Untergebrachte adressierte – Bewährungsweisung, freiwillig in der Klinik zu verbleiben, nicht gebunden sehen, so dass eine solche Weisung praktisch ins Leere liefe.
78Demgegenüber ist eine Erledigung der Maßregel gem. § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB zum Schutz der Allgemeinheit nicht ebenso geeignet wie eine Bewährungsaussetzung, um die Allgemeinheit vor der beschriebenen Gefährlichkeit der Verurteilten zu schützen. Zwar besteht auch in diesem Fall die Möglichkeit, einen Empfangsraum und ein Hilfsnetzwerk wie beschrieben durch entsprechenden Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht zu gewährleisten. Die beiden fehlgeschlagenen Langzeitbeurlaubungen haben allerdings gezeigt, dass trotz beschützender Umgebung außerhalb des Maßregelvollzugs Destabilisierungen eintreten können, die eine erneute stationäre Aufnahme und Behandlung erfordern. Im Rahmen einer Bewährungsaussetzung wird dies durch eine befristete Wiederinvollzugsetzung gem. § 67h StGB ermöglicht. Im Falle einer Erledigung fehlt diese Option. Außerdem waren beide Langzeitbeurlaubungen maßgeblich an der fehlenden Bereitschaft der Untergebrachten gescheitert, die erforderliche Medikation zuverlässig einzunehmen. Muss die Untergebrachte allerdings bei Verstoß gegen eine Bewährungsweisung, die verordneten Medikation einzunehmen, mit dem Widerruf der Bewährung und der erneuten Vollstreckung der Maßregel in einer Klinik rechnen, wird der damit verbundene Druck maßgeblich zu einer verbesserten Medikamentencompliance beitragen. Gleiches gilt für die fortbestehende und auch in der mündlichen Anhörung vor dem Senat erklärte Bereitschaft der Untergebrachten, vermeintliche Interessen notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Auch hier würde der Bewährungsdruck deutlich dazu beitragen, die Untergebrachte von Tätlichkeiten abzuhalten.
79b.
80Der mit einer weiteren Fortdauer der Maßregel verbundene Eingriff in das Freiheitsinteresse der Untergebrachten stünde allerdings in keinem angemessenen Verhältnis mehr zu dem Zuwachs an Sicherheit, den für die Allgemeinheit damit verbunden wäre, dass die Maßregel nicht erledigt, sondern zur Bewährung ausgesetzt würde. Bei dieser Bewertung hat sich der Senat im Rahmen einer Gesamtabwägung insbesondere von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:
81Der Eingriff in das Freiheitsgrundrecht der Untergebrachten hat mittlerweile ein deutliches Gewicht erreicht. Zwar ist die zugrundeliegende Anlasstat ihrerseits im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahre bedroht (§§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1, § 250 Abs. 2 StGB). Die Untergebrachte befindet sich unter Berücksichtigung ihrer vorläufigen Unterbringung inzwischen seit mehr als 13 Jahren im Maßregelvollzug, also seit einem Zeitraum, der bereits in der Nähe des höchstmöglichen Maßes zeitiger Freiheitsstrafen liegt. Zugleich vergrößert sich das Gewicht des Eingriffs mit zunehmender Dauer des Freiheitsentzugs (vgl. (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12 –, juris).
82Hinzu kommt, dass der in der Unterbringung liegende Eingriff in das Freiheitsgrundrecht auch deshalb vergleichsweise schwerwiegend ist, weil er ausschließlich präventiven Zwecken dient und der Untergebrachten im Interesse der Allgemeinheit ein Sonderopfer auferlegt. Zugleich hat der Gesetzgeber aber nicht hinreichend dafür Sorge getragen, dass in Fallgestaltungen wie der hier zu beurteilenden über den unabdingbaren Entzug der äußeren Freiheit hinaus weitere Belastungen vermieden werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2333/08 –, juris, zur Sicherungsverwahrung): Eine Bewährungsaussetzung scheitert hier nicht an Umständen in der Person der Untergebrachten, die sowohl mit einer Aufnahme in eine geeignete Einrichtung als auch mit ihrem Verbleib in der Klinik einverstanden ist. Vielmehr ist eine Bewährungsaussetzung deshalb nicht möglich, weil der Landesgesetzgeber für den Fall der Maßregelaussetzung zur Bewährung keinen freiwilligen Verbleib in der Klinik – entsprechend § 17 Abs. 2 StrUG NRW – vorgesehen hat und deshalb die Gefahr besteht, dass der Einrichtungsträger einen solchen wegen ungeklärter Kostenträgerschaft ablehnt. Hierdurch entfiele der vorhandene, zur Verhinderung neuer Straftaten geeignete und erforderliche Empfangsraum, der dem Senat im Falle einer entsprechenden gesetzlichen Regelung eine Bewährungsaussetzung ermöglicht hätte. Jedenfalls vorliegend, unter Berücksichtigung der nachfolgend weiter aufgeführten Umstände, wird es der Bedeutung des Freiheitsgrundrechts nicht gerecht, dieses letztlich allein wegen offener Kostenfragen zurücktreten zu lassen.
83Weiter war zu berücksichtigen, dass durch die fehlende Möglichkeit des Widerrufs und der Krisenintervention kein unüberschaubares und unvertretbares Risiko entsteht. Im Fall der Erledigung aus Verhältnismäßigkeitsgründen kann die Untergebrachte gem. § 17 Abs. 2 StrUG NRW für zunächst drei Monate freiwillig in der Klinik bleiben. Ein darüber hinausgehender Verbleib hängt dann vom dem Vorliegen einer Kostenzusage ab. Die Untergebrachte hat – zuletzt vor dem Senat – ihre Bereitschaft zu einem freiwilligen Verbleib in der Einrichtung erklärt, so dass ihr dieser als Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht aufgegeben werden kann. Der Senat geht davon aus, dass es binnen drei Monaten – auch mit Hilfe des rechtlichen Betreuers – gelingen wird, entweder einen Platz in einer Einrichtung zu finden, der die von dem Sachverständigen Z. genannten Bedingungen erfüllt, oder eine Kostenzusage einzuholen, auf deren Grundlage die Untergebrachte gem. § 17 Abs. 2 StrUG NRW auch noch länger als drei Monate in der Klinik bleiben könnte. Er hat daher die Weisungen, die bereits in dem angefochtenen Beschluss enthalten waren, um eine entsprechende Weisung (e) ergänzt.
84Zudem fehlt es auch ohne Bewährungsaussetzung nicht völlig an den oben (Gliederungspunkt a.) beschriebenen Möglichkeiten, den psychischen Zustand der Untergebrachten zu beobachten, sie zu unterstützen und namentlich die Einnahme der Medikamente zu überwachen. Nach wie vor können krisenhafte Entwicklungen, die in der Regel mit deutlicher Verhaltensänderung verbunden sind, rechtzeitig erkannt werden. Hierauf kann nach wie vor reagiert werden, notfalls auf ordnungs- oder betreuungsrechtlicher Grundlage, zumal dies bei psychotischer Dekompensation, die zuletzt bis zur Orientierungslosigkeit geführt hat, im Zweifel auch zum Schutz der Betroffenen selbst erforderlich wäre. Der Wegfall des Schutzes, der durch die Möglichkeit zur Krisenintervention und den Bewährungsdruck zusätzlich besteht, ist damit im vorliegenden Fall in seinen Auswirkungen noch überschau- und hinnehmbar.
85Dafür spricht nicht zuletzt auch, dass die Untergebrachte zwar bereits vielfach strafrechtlich aufgefallen, wenn auch mangels Schuldfähigkeit nicht verurteilt worden ist, aber mit Ausnahme der Anlasstat sowie des Vorfalls mit den Nagelknipser im Jahr 2021 bislang keine Personen mit Waffen oder anderen Werkzeugen bedroht hat. Auch hat der Sachverständige Z. darauf hingewiesen, dass sich die Untergebrachte in Falle einer psychotischen Dekompensation so auffällig verhalten würde, dass sie schon hierdurch Distanz zu ihrer Umgebung schafft. Ohnehin ist der Sachverständige Z., der als langjähriger Arzt im Maßregelvollzug und ehemaliger Leiter einer forensischen Klinik über ein hohes Maß an praktischer Erfahrung mit Patienten wie der Untergebrachten verfügt, zu der Einschätzung gelangt, dass bei der Untergebrachten eine der Anlasstat in der Qualität der Folgen vergleichbare Tat auch aufgrund der mit zunehmendem Alter abnehmenden Krankheitsdynamik inzwischen deutlich unwahrscheinlicher als noch in früheren Jahren sei. Auch die körperliche Konstitution der Untergebrachten, welche inzwischen deutlich schlechter ist als bei Begehung der Anlasstat, weswegen sie bei längeren Strecken auf einen Rollator angewiesen ist, spielt nach Darstellung des Sachverständigen in diesem Zusammenhang eine Rolle. Letztendlich wäre die Gefährlichkeitsschwelle des § 67d Abs. 6 Satz 3, Abs. 2 StGB (wenn überhaupt, siehe oben Gliederungspunkt 2) damit nur noch „gerade eben“ überschritten.
864.
87Gem. § 67d Abs. 6 Satz 4 StGB tritt mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung – hier also ab dem Zeitpunkt des freiwilligen Verbleibs in der Klinik – Führungsaufsicht ein.
88a.
89Der Senat hat im Hinblick auf die langjährige Chronifizierung der Erkrankung, die mangelnder Aussicht auf eine durchgreifende Besserung und einen nicht absehbaren entscheidenden Rückgang der störungsbedingten Gefährlichkeit davon abgesehen, gem. § 68c Abs. 1 Satz 2 StGB die Höchstdauer der Führungsaufsicht von fünf Jahren (§ 68c Abs. 1 Satz 1 StGB) zu verkürzen.
90b.
91Die Hilfe und Betreuung durch Aufsichtsstelle und Bewährungshelferin oder Bewährungshelfer beruhen auf § 68a Abs. 1 StGB. Die Strafvollstreckungskammer wird die zuständige Bewährungshelferin oder den zuständigen Bewährungshelfer namentlich benennen, sobald sie oder er namentlich bekannt ist.
92c.
93Die Weisung, sich mindestens in monatlichen Abständen bei der zukünftigen Bewährungshelferin oder dem zukünftigen Bewährungshelfer zu melden, beruht auf § 68b Abs. 1 Nr. 7 StGB. Dies dient der Sicherstellung der erforderlichen Beobachtung und Unterstützung.
94d.
95Diesem Zweck dient auch die Weisung, sich in regelmäßigen Abständen der ambulanten Nachsorgeambulanz oder einer auf einer anderen Station oder Abteilung tätigen Ärztin oder Arzt, Therapeutin oder Therapeuten der Klinik vorzustellen; sie beruht auf § 68b Abs. 1 Nr. 11 StGB. Sollten sich Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Weisung ergeben, wird die Strafvollstreckungskammer diese näher ausgestalten. Wegen der fehlgeschlagenen Langzeitbeurlaubungen hält der Senat jedenfalls in der Anfangszeit eine Frequenz von mindestens zwei Vorstellungen pro Monat für erforderlich, um gegebenenfalls nachteilige Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen. Zugleich geht der Senat davon aus, dass jedenfalls für die Dauer des freiwilligen Verbleibs eine regelmäßige und angemessene ärztliche und therapeutische Begleitung ohnehin gewährleistet ist.
96e.
97Die Weisung, keine alkoholischen Getränke zu sich zu nehmen, beruht auf § 67b Abs. 1 Nr. 10 StGB. Ein klares Alkoholverbot dient der Begrenzung der Gefährlichkeit der Untergebrachten. Sie ist alkoholabhängig, wenn auch in den letzten Jahren abstinent unter den Bedingungen des Maßregelvollzugs. Konsum von Alkohol führt zur Enthemmung, was in Verbindung mit der störungsbedingten Schwierigkeit der Untergebrachten, Bedürfnisse aufzuschieben, ihre Gefährlichkeit zusätzlich erhöht. Auch war bereits die Begehung der Anlasstat durch den Wunsch der Untergebrachten, Alkohol zu kaufen, motiviert. Sollten sich Hinweise darauf ergeben, dass die Untergebrachte gegen diese Weisung verstößt, kann die Strafvollstreckungskammer ergänzend auch Alkoholkontrollen anordnen.
98f.
99Der Senat weist die Untergebrachte darauf hin, dass ein Verstoß gegen die drei vorgenannten Weisungen (Buchstaben b., c. und d. der Beschlussformel) gem. § 145a StGB mit Freiheits- oder Geldstrafe bestraft werden kann.
100g.
101Die Weisung, freiwillig in der I.-Klinik in E. zu verbleiben, beruht auf § 68b Abs. 2 Satz 1 StGB. Der Verbleib in der Klinik ist erforderlich, bis ein Platz in einer Einrichtung außerhalb des Maßregelvollzugs gefunden ist, der die von dem Sachverständigen Z. genannten Bedingungen erfüllt, um die psychische Stabilität der Untergebrachten, die regelmäßige Einnahme der verordneten Medikation und ihren alltäglichen Hilfsbedarf zu beobachten bzw. zu unterstützen. Ohne diese Bedingungen besteht aus den erörterten Gründen (oben Gliederungspunkte 2 und 3) erhöhte Gefahr der psychischen Destabilisierung, ist ein Absetzen der Medikation zu erwarten und wäre ein erneuter, psychotischer Krankheitsschub absehbar. Die Untergebrachte ist mit dem freiwilligen Verbleib gem. § 17 Abs. 2 StrUG NRW einverstanden. Die Strafvollstreckungskammer wird die Weisung abändern, sobald ein geeigneter Platz in einer Einrichtung außerhalb des Maßregelvollzugs zur Verfügung steht oder eine Kostenzusage für einen längeren als drei Monate andauernden Verbleib nicht erlangt wird.
102h.
103Aus gleichem Grund hat der Senat gem. § 68b Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB die Untergebrachte mit ihrem Einverständnis angewiesen, sich die gegen die psychische Störung bzw. deren Folgen verordneten Medikamente verabreichen zu lassen bzw. einzunehmen und den Wirkstoffspiegel regelmäßig mit Blutuntersuchungen kontrollieren zu lassen. Die Kontrollen sind notwendig, weil Untergebrachte bis zuletzt nur unzuverlässig zur Einnahme der Medikamente bereit war und beide Langzeitbeurlaubungen auch deshalb gescheitert sind.
104i.
105Gem. § 68d Abs. 1 StGB kann die Strafvollstreckungskammer bei Bedarf auch nachträglich Weisungen treffen, ändern oder aufheben.
106j.
107Die Übertragung der Belehrung auf die Maßregelvollzugsklinik beruht auf § 463 Abs. 3 Satz 1, § 454 Abs. 4 Satz 2 StPO.
1085.
109Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 und 2 StPO.