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Die sozialhilferechtliche Regelung des § 94 Abs. 1a SGB XII ist nicht geeignet, beim zivilrechtlichen Elternunterhalt systemwidrig auf eine Pauschale abzustellen und individuelle Verhältnisse außer Betracht zu lassen.Es ist geboten, aber auch ausreichend, in 2020 den Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Kindes auf monatlich 2.600 € und des Schwiegerkindes auf monatlich 2.080 € festzusetzen. Dieser Sockelbetrag ist – unter Berücksichtigung von 10% Haushaltsersparnis aufgrund Zusammenlebens – um die Hälfte des den Sockelbetrag übersteigenden Familieneinkommens zu erhöhen.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der am 07.12.2023 verkündete Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Gelsenkirchen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin Unterhalt für Frau Y. T. für die Zeit vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2020 i.H.v. 6.232,74 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 441,96 € seit dem 01.01.2020, weiteren 545,96 € seit dem 01.02.2020, weiteren 547,24 € seit dem 01.03.2020, weiteren 547,24 € seit dem 01.04.2020, weiteren 547,24 € seit dem 01.05.2020, weiteren 547,24 € seit dem 01.06.2020, weiteren 507,86 € seit dem 01.07.2020, weiteren 513,32 € seit dem 01.08.2020, weiteren 513,32 € seit dem 01.09.2020, weiteren 507,12 € seit dem 01.10.2020, weiteren 507,12 € seit dem 01.11.2020 und weiteren 507,12 € seit dem 01.12.2020 zu zahlen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz.
Die Entscheidung ist sofort wirksam.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis 7.000 € festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
2I.
3Gegenstand des Verfahrens sind die auf die antragstellende Stadt F. übergegangenen Unterhaltsansprüche der Mutter des Antragsgegners für die Zeit vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2020. Die Mutter des Antragsgegners lebt in einer Seniorenresidenz in F. und erhält von der Antragstellerin seit dem 19.07.2017 Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII. In 2020 gewährte die Antragstellerin Hilfen i. H. v. insgesamt 6.972,14 €, und zwar im Januar i.H.v. 495,08 €, im Februar i.H.v. 611,58 €, in den Monaten März bis Juni i.H.v. jeweils 613,02 € und in den Monaten Juli bis Dezember i.H.v. jeweils 568,90 €. Mit Schreiben vom 04.09.2017 zeigte die Antragstellerin dem Antragsgegner die Leistungsgewährung an.
4Der Antragsgegner verfügte im Jahr 2020 über ein Jahresbruttoeinkommen von 117.917,36 €, das einem Nettoeinkommen von monatlich 5.804,63 €, mithin insgesamt 69.655,56 €, entsprach. Seine Ehefrau erzielte im Jahr 2020 ein Erwerbseinkommen i.H.v. brutto 114.879,81 €, das einem Nettoeinkommen von monatlich 5.512,08 €, mithin insgesamt 66.144,96 €, entsprach. Es ist eine Steuererstattung zu berücksichtigen, von der im Jahr 2020 anteilig auf den Antragsgegner 2.804,29 € und auf seine Ehefrau 2.662,96 € entfielen. An berufsbedingten Aufwendungen sind bei dem Antragsgegner monatlich 499,87 € und bei seiner Ehefrau 231,60 € zu berücksichtigen. Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zahlte der Antragsgegner i.H.v. 438,28 € und seine Ehefrau i.H.v. 338,06 € monatlich. Für Altersvorsorge zahlte der Antragsgegner monatlich 1.076,61 € und seine Ehefrau monatlich 1.000 €. Der Antragsgegner zahlt einen Kredit i.H.v. monatlich 366,76 € ab. Zu berücksichtigen sind ferner von dem Antragsgegner gezahlte Leasingraten für einen Pkw, die sich in den Monaten Januar bis Juli 2020 auf jeweils 293 € und ab Oktober 2020 auf je 322,16 € belaufen, in den Monaten August und September 2020 fiel die Leasingrate weg.
5Die Eheleute haben eine volljährige, am 00.00.0000 geborene Tochter, die im Jahr 2020 in ihrem Haushalt – einem lastenfreien Einfamilienhaus in F. mit einer Wohnfläche von 110 m² – lebte und der sie zum Unterhalt verpflichtet waren.
6Der Antragsgegner hat zwei Geschwister, die nicht zu Unterhaltszahlungen für die Mutter in Anspruch genommen werden. Die Schwester des Antragsgegners ist nicht leistungsfähig. Der Bruder des Antragsgegners erzielte im Jahr 2020 ein monatliches Nettoeinkommen von 2.710,43 €, dem eine Steuererstattung von anteilig 143,75 € monatlich zuzurechnen war. Seine Ehefrau erhielt eine monatliche Pension i.H.v. 1.796,71 € zzgl. einer anteiligen Steuererstattung i.H.v. 95,83 € monatlich. Abzuziehen sind bei dem Bruder des Antragsgegners berufsbedingte Aufwendungen i.H.v. monatlich 170,75 €, zwei Kredite mit 285 € und 112 € monatlich und Aufwendungen für Besuchsfahrten zum Heim i.H.v. 18,06 € monatlich. Bei seiner Ehefrau sind Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung mit 192,49 € und 13,06 € monatlich zu berücksichtigen. Der Bruder des Antragsgegners wird von der Antragstellerin im Jahr 2020 bei einem bereinigten Einkommen von 2.268,37 € unter Berücksichtigung eines für ihn und seine Ehefrau angesetzten individuellen Familienselbstbehalts von insgesamt 3.759,91 €, von dem 2.156,28 € auf den Bruder des Antragsgegners entfallen, i.H.v. 112,09 € monatlich für leistungsfähig gehalten. Weil sein Bruttoeinkommen unter 100.000 € liegt, wird er aufgrund des § 94 Abs. 1a SGB XII nicht zum Unterhalt herangezogen, wobei die Antragstellerin den rechnerisch ermittelten Unterhaltsanspruch der Leistungsempfängerin gegen den Bruder des Antragsgegners bei der Ermittlung des auf den Antragsgegner entfallenden Unterhalts quotal berücksichtigt hat.
7Erstinstanzlich hat die Antragstellerin für den Antragsgegner aufgrund seines Nettoeinkommens unter Zurechnung eines Wohnwertes und nach Abzug berufsbedingter Aufwendungen, geleisteter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, Altersvorsorge sowie Kredit- und Leasingraten eine Leistungsfähigkeit i.H.v. monatlich mindestens 920,48 € errechnet und ihn für in der Lage und verpflichtet gehalten, von den Heimkosten seiner Mutter Beträge zwischen 441,96 € und 547,24 € monatlich, insgesamt 6.232,74 € zu zahlen. Dabei hat sie die Auffassung vertreten, dass der auf die persönlichen Verhältnisse des unterhaltspflichtigen Antragsgegners ausgelegte, auf ihn entfallende Anteil am Familienselbstbehalt, der mit Beträgen zwischen 5.288,24 € und 5.400,74 € monatlich zu bemessen sei, zwischen 2.371,64 € und 2.540,11 € betrage. Der unterhaltsrechtliche Selbstbehalt habe sich nicht an der durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz seit dem 01.01.2020 sozialrechtlich in § 94 Abs. 1a SGB XII geregelten Einkommensgrenze von 100.000 € zu orientieren, weil eine solche Übertragung der Grenze systemwidrig sei. Auch im Bereich der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sei in § 43 Abs. 5 SGB XII a. F. eine Einkommensfreigrenze geregelt gewesen, dennoch hätten die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte völlig zutreffend deutlich niedrigere Selbstbehalte bestimmt. Bei der Begrenzung des Anspruchsübergangs gemäß § 94 Abs. 1a SGB XII hätten neben der Entlastung der Angehörigen andere Erwägungen, wie z. B. der Personalaufwand bei den Sozialämtern für die Berechnung von Ansprüchen des Elternunterhalts bei schon bestehenden hohen Einkommensfreigrenzen und damit häufig einhergehender Leistungsunfähigkeit der unterhaltsverpflichteten Kinder eine Rolle gespielt. Aus dem Sinn und Zweck des Angehörigen-Entlastungsgesetzes ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Absicht gehabt habe, die über der Einkommensgrenze von brutto 100.000 € liegenden unterhaltsverpflichteten Kinder zu entlasten. Die Heranziehung des Antragsgegners mit einem Einkommen oberhalb der festgelegten Einkommensgrenze stelle keinen Verstoß gegen Art. 3 GG dar. Dem Antragsgegner komme durch die Quotenermittlung der Haftungsanteil seines Bruders zugute. Der Wohnwert sei auf der Grundlage der tatsächlich mit drei Personen bewohnten Fläche von 110 m² zu berechnen, weil diese dem durchschnittlichen Wohnflächenbedarf lt. Statistischem Bundesamt von 37,7 m² pro Person entspreche. Die Geschwister des Antragsgegners verfügten – nach deren eingeholten Auskünften – über kein einsetzbares Vermögen.
8Die Antragstellerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, einen Betrag von 6.232,74 € für den Zeitraum 01.01.2020 bis 31.12.2020 nebst gestaffelten Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz an sie zu zahlen.
9Erstinstanzlich hat der Antragsgegner Zurückweisung beantragt.
10Er hat darauf verwiesen, dass bei der Unterhaltsberechnung nur ein angemessener Wohnwert auf der Grundlage von maximal 100 m² Wohnfläche anzusetzen sei. Zudem müsse sich die gesetzliche Neuregelung durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz auf die anzusetzenden Selbstbehaltssätze im Elternunterhalt auswirken, weil die Norm des § 94 Abs. 1a SGB XII direkten Schutzzweckcharakter habe. Der angemessene Selbstbehalt im Elternunterhalt sei mit einem Nettoeinkommen von rd. 4.850 € monatlich, das sich bei einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 € ergäbe, sowohl für ihn als auch für seine Ehefrau anzusetzen, weil sonst eine erhebliche Ungleichbehandlung der unterhaltsverpflichteten Kinder, die mit ihrem Einkommen knapp oberhalb oder unterhalb der 100.000 €-Grenze liegen, bestünde. Bei Ansatz dieses Betrages sei er leistungsunfähig.
11Das Amtsgericht hat den Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dahinstehen könne, ob die Antragstellerin das der Unterhaltsberechnung zugrunde gelegte Einkommen sowie die zu berücksichtigenden Abzüge des Antragsgegners und seiner Ehefrau zutreffend ermittelt habe, weil der Antragsgegner im Hinblick auf den anzusetzenden Selbstbehalt nicht leistungsfähig sei. Die mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz für den Elternunterhalt erfolgte Einschränkung des Anspruchsübergangs gemäß § 94 Abs. 1a SGB XII auf die Fälle, in denen das Einkommen des Unterhaltspflichtigen die Jahresobergrenze von 100.000 € brutto übersteige, könne nicht ohne Einfluss auf die Frage der Bemessung des Selbstbehalts sein. Die weit überwiegende Anzahl der Oberlandesgerichte habe ihre Leitlinien zum Unterhaltsrecht geändert und Regelungen getroffen, die eine Berücksichtigung der sozialhilferechtlichen Regelungen bei der Bestimmung der Höhe des Selbstbehalts gegenüber den Eltern gebiete. Das Gericht halte vorliegend einen Selbstbehalt i.H.v. 4.850 €, der einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 € und einem Nettoeinkommen von rund 58.000 € entspreche, für angemessen. Daneben müsse für die Ehefrau des Antragsgegners – entsprechend der früheren Regelung von 2.000 € Selbstbehalt für den Unterhaltspflichtigen und 1.600 € Selbstbehalt für den Ehegatten – ein Selbstbehalt in Höhe von 3.880 € angesetzt werden. Bei einem von der Antragstellerin mit 7.351,65 € bezifferten Gesamteinkommen der Ehegatten und einem Familienselbstbehalt von insgesamt 8.730 € ergebe sich eine Leistungsunfähigkeit des Antragsgegners.
12Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts wendet sich die Antragstellerin mit der fristgerecht erhobenen Beschwerde, mit der sie den erstinstanzlichen Zahlungsantrag weiterverfolgt. Dem Ansatz eines Familienselbstbehaltes von 8.730 € könne nicht gefolgt werden, insoweit sei bereits unklar, wie das Gericht ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 58.000 € aus dem Bruttoeinkommen von 100.000 € berechnet habe. Zudem überzeuge der Ansatz, dass neben dem Selbstbehalt für den Antragsgegner i.H.v. 4.850 € ein Betrag von 3.880 € für das Schwiegerkind der Leistungsempfängerin zu berücksichtigen sei, nicht.
13Die Antragstellerin beantragt,
1415unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung den Antragsgegner entsprechend dem erstinstanzlichen Antrag zu verpflichten, an sie einen Betrag von 6.232,74 € für den Zeitraum vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2020 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 441,96 € seit dem 01.01.2020, aus 545,96 € seit dem 01.02.2020, aus 547,24 € seit dem 01.03.2020, aus 547,24 € seit dem 01.04.2020, aus 547,24 € seit dem 01.05.2020, aus 547,24 € seit dem 01.06.2020, aus 507,86 € seit dem 01.07.2020, aus 513,32 € seit dem 01.08.2020, aus 513,32 € seit dem 01.09.2020, aus 507,12 € seit dem 01.10.2020, aus 507,12 € seit dem 01.11.2020 und aus 507,12 € seit dem 01.12.2020 zu zahlen.
Der Antragsgegner beantragt,
1617die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Amtsgericht habe für ihn unter Berücksichtigung der Lebensstandardgarantie und des relativ schwach ausgeprägten Elternunterhalts zu Recht einen Selbstbehalt von 4.850 € angesetzt, weil dieser Betrag ungefähr dem durchschnittlichen Nettoeinkommen bei einem Bruttoeinkommen von 100.000 € entspreche. Nach der Rechtsprechung sei dogmatisch davon auszugehen, dass der Selbstbehalt des Ehegatten des unterhaltsverpflichteten Kindes mindestens genauso hoch sein müsse wie der Selbstbehalt des Kindes, wobei bei dem Familienselbstbehalt eine durch das Zusammenleben anfallende Ersparnis von je 10 % als Synergie-Effekt zu berücksichtigen sei. Ein Sockelselbstbehalt von 4.850 € sei nicht unangemessen, weil der BGH in seiner Rechtsprechung zum Ehegattenunterhalt davon ausgehe, dass bei einem Einkommen bis zum Doppelten der obersten Einkommensstufe der Düsseldorfer Tabelle eine tatsächliche Vermutung für einen vollständigen Einkommensverbrauch bestehe. Damit sei jedenfalls bei einem Familieneinkommen von bis zu 9.000 €, das bei ihm und seiner Ehefrau nicht erreicht sei, der vollständige Verbrauch tatsächlich zu vermuten.
18Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
19II.
20Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Antragstellerin steht gegen den Antragsgegner ein Anspruch auf Zahlung übergegangenen Unterhalts der Mutter des Antragsgegners gemäß den §§ 1601 ff. BGB, 94 Abs. 1 SGB XII in geltend gemachter Höhe zu.
211.
22Der Anspruch der Mutter des Antragsgegners folgt aus den §§ 1601 ff. BGB. Sie ist in Höhe der notwendigen, von ihrem eigenen Einkommen nicht gedeckten Heimkosten, die sich im Jahr 2020 auf 6.972,14 € beliefen, bedürftig (vgl. Grüneberg-von Pückler, BGB, 83. Aufl., § 1601 Rn. 6). Dem Übergang des Anspruchs auf die Antragstellerin steht § 94 Abs. 1a S. 1, 2 SGB XII nicht entgegen, weil das Bruttoeinkommen des Antragsgegners mit 117.917,36 € die Jahreseinkommensgrenze von 100.000 € übersteigt.
232.
24Der Antragsgegner kann sich nicht mit Erfolg auf eine Leistungsunfähigkeit gemäß § 1603 Abs. 1 BGB berufen.
25a) Januar bis Juli 2020
26aa)
27Der Antragsgegner verfügte im Jahr 2020 über ein Nettoerwerbseinkommen i.H.v. 69.655,56 € zzgl. einer von ihm und seiner Ehefrau erhaltenen Steuererstattung, die anteilig mit 2.804,29 € auf den Antragsgegner entfiel. Dem Nettoeinkommen seiner Ehefrau i.H.v. 66.144,96 € ist die Steuererstattung mit anteilig 2.662,96 € zuzurechnen.
28Hinzuzurechnen ist ein angemessener Wohnwert für das von ihm und seiner Familie bewohnte lastenfreie Einfamilienhaus mit mindestens 100 m² à 6,95 €/m², mithin 695 € monatlich, von denen je 347,50 € als Einkommen des Antragsgegners und seiner Ehefrau anzusetzen sind. Ob der angemessene Wohnwert – wie die Antragstellerin mit Bezugnahme auf den durchschnittlichen Wohnflächenbedarf lt. dem Statistischen Bundesamt meint – auf der Grundlage der tatsächlichen Wohnfläche des Einfamilienhauses mit 110 m² zu berechnen ist, kann im Ergebnis dahinstehen, weil sich bereits bei Zurechnung des o. g. Wohnwerts eine Leistungsfähigkeit des Antragsgegners ergibt.
29Nach Bereinigung des Einkommens um berufsbedingte Aufwendungen, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, Altersvorsorge sowie Abzug von Kredit- und Leasingraten für zwei Pkw (insgesamt 2.674,52 €) verbleibt ein bereinigtes Einkommen des Antragsgegners i.H.v. 3.711,30 € monatlich, dem ein bereinigtes Einkommen seiner Ehefrau – nach Abzug der berufsbedingten Aufwendungen, der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung und der Altersvorsorge i.H.v. insgesamt 1.569,66 € monatlich – i.H.v. 4.511,83 € monatlich gegenübersteht.
30Der Bedarf der volljährigen Tochter beträgt 1.145 € abzgl. des Kindergeldes von 204 €, mithin 941 €, von dem der Antragsgegner – entsprechend seinem Anteil am bereinigten Familieneinkommen – 45,13 %, mithin 424,70 € aufzubringen hat. Es verbleiben ein bereinigtes Einkommen des Antragsgegners i.H.v. 3.286,60 € und seiner Ehefrau – nach Abzug von 516,30 € Kindesunterhalt – i.H.v. 3.995,53 €, insgesamt 7.282,13 €.
31bb)
32Bei diesem Einkommen ist der Antragsgegner nicht leistungsunfähig.
33(1)
34Die Verpflichtung zur Zahlung von Verwandtenunterhalt findet nach § 1603 Abs. 1 BGB dort ihre Grenze, wo der Unterhaltspflichtige bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt des Berechtigten zu gewähren. § 1603 Abs. 1 BGB gesteht damit jedem Unterhaltspflichtigen vorrangig die Sicherung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu; ihm sollen grundsätzlich die Mittel verbleiben, die er zur angemessenen Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden allgemeinen Bedarfs benötigt (BGH, Beschluss vom 18.01.2017 – XII ZB 118/16 – juris Rn. 16). Der angemessene Eigenbedarf des Unterhaltspflichtigen ist aufgrund der konkreten Umstände und unter Berücksichtigung der besonderen Lebensverhältnisse, die bei der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt als einem rechtlich vergleichsweise schwach ausgestalteten Anspruch vorliegen, zu ermitteln. Zu berücksichtigen ist, dass der Unterhaltspflichtige grundsätzlich keine spürbare und dauerhafte Senkung seines Lebensstandards hinzunehmen braucht, weshalb ihm im Verhältnis zu seinen Eltern zum einen ein – gegenüber den üblichen Sätzen – höherer Selbstbehalt zusteht. Zum anderen hat es der BGH gebilligt, wenn bei der Ermittlung des für den Elternunterhalt einzusetzenden bereinigten Einkommens allein auf einen – etwa hälftigen – Anteil des Betrages abgestellt wird, der den an sich vorgesehenen Mindestselbstbehalt übersteigt. Durch eine solche Handhabung kann im Einzelfall ein angemessener Ausgleich zwischen dem Unterhaltsinteresse der Eltern einerseits und dem Interesse des Unterhaltspflichtigen an der Wahrung seines angemessenen Selbstbehalts andererseits bewirkt und eine ungerechtfertigte Nivellierung unterschiedlicher Verhältnisse vermieden werden (BGH, Urt. v. 28.07.2010 – XII ZR 140/07 – FamRZ 2010, 1535 ff.; Wendl/Dose-Wönne, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl. 2019, § 2 Rn. 936 ff.). Maßgebend ist beim Elternunterhalt die Lebensstellung, die dem Einkommen, Vermögen und sozialen Rang des Verpflichteten entspricht, mithin der gesamte individuelle Lebensbedarf einschließlich einer angemessenen Altersversorgung (BGH, Beschluss vom 09.03.2016 – XII ZB 693/14 – FamRZ 2016, 887 Rn. 14). Der Familienselbstbehalt des verheirateten Unterhaltspflichtigen bemisst sich grundsätzlich nach dem doppelten angemessenen Selbstbehalt beim Elternunterhalt abzgl. jeweils 10 % als Vorteil des Zusammenlebens. Ausgehend von dem Familienselbstbehalt und den Gesamteinkünften der Ehegatten ist der individuelle Familienbedarf zu ermitteln, zu dem der Unterhaltspflichtige entsprechend dem Verhältnis der Einkünfte beider Ehegatten beizutragen hat (BGH, Beschluss vom 09.03.2016, a. a. O., Rn. 21).
35(2)
36Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und Familiengerichts gebietet der Umstand, dass durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz der Übergang von Ansprüchen unterhaltsberechtigter Eltern auf den Träger der Sozialhilfe gemäß § 94 Abs. 1a SGB XII auf Fälle begrenzt wurde, bei denen das Bruttoeinkommen des zum Unterhalt verpflichteten Kindes die Jahreseinkommensgrenze von 100.000 € übersteigt, den Ansatz eines Selbstbehalts i.H.v. 4.850 € für den Antragsgegner und weiteren 3.880 € für seine Ehefrau nicht. Insoweit ist umstritten und bislang höchstrichterlich ungeklärt, nach welchen Grundsätzen und auf welchen Betrag der angemessene Selbstbehalt zu bemessen ist.
37(2.1) Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass sich sozialhilferechtliche Regelungen nicht unmittelbar auf das Unterhaltsverhältnis zwischen Verwandten auswirken; dieses richtet sich ausschließlich nach dem BGB. Insoweit gab es bereits vor Inkrafttreten des § 94 Abs. 1a SGB XII am 01.01.2020 bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den §§ 41 ff., 43 Abs. 5 SGB XII in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung eine Regelung, nach der Unterhaltsansprüche der Leistungsempfänger gegenüber Kindern und Eltern, soweit deren Einkommen 100.000 € nicht überstieg, unberücksichtigt blieben. Mit der Regelung wollte der Gesetzgeber vor allen eine „verschämte Armut im Alter“ verhindern (vgl. Hauck/Noftz-Kirchhoff, SGB XII, Stand 1. EL 2024, § 94 Rn. 143). Nach Entstehungsgeschichte, Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik der Vorschrift stand § 43 Abs. 3 S. 1 SGB XII der Berücksichtigung von realisierbaren Ansprüchen auf Unterhalt als Einkommen des Leistungsempfängers und damit dem Rückgriff durch den Sozialhilfeträger auf Eltern oder Kinder wegen solcher Unterhaltsansprüche entgegen (BSG, Urteil vom 08.12.2022 – B 8 SO 4/21 R – juris Rn. 19), ohne sich indes auf das familienrechtliche Unterhaltsverhältnis unmittelbar auszuwirken.
38Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/13399 vom 23.09.2019) sollten mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz Kinder und Eltern, die gegenüber Leistungsbeziehern nach dem SGB XII unterhaltsverpflichtet sind, dadurch entlastet werden, dass die Heranziehung mit einem jeweiligen Jahresbruttoeinkommen von bis zu 100.000 € in der Sozialhilfe ausgeschlossen wird. Damit werde ein Signal gesetzt, dass die Gesellschaft die Belastungen von Angehörigen beispielsweise bei der Unterstützung von Pflegebedürftigen anerkenne und insoweit eine solidarische Entlastung erfolge. Die Inanspruchnahme unterhaltsverpflichteter Angehöriger sollte erheblich begrenzt werden, indem die bestehende Regelung, die bisher einen Unterhaltsrückgriff nur für dem Grunde nach Leistungsberechtigte der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bis zur 100.000 €-Grenze ausschloss, in das für alle Leistungen des SGB XII geltende Elfte Kapitel verschoben und angepasst wurde, sodass von der Neuregelung alle gegenüber Leistungsbeziehern nach dem SGB XII unterhaltsverpflichteten Kinder bis zu einem Jahreseinkommen von einschließlich 100.000 € profitieren.
39Aus dieser Zielsetzung folgt, dass es dem Gesetzgeber lediglich um den sozialhilferechtlichen Rückgriff auf dem Grunde nach zum Unterhalt verpflichtete Angehörige geht, ohne dass sich an dem Umstand der zivilrechtlichen Unterhaltsverpflichtung als solcher etwas ändert (ebenso: Rahm/Künkel-Markwardt, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, 3. Kapitel Unterhaltssachen C. Elternunterhalt Rn. 7; Schlegel/Voelzke-Armbruster, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl. 2024, Stand 01.05.2024, § 94 Rn. 49: praktisch bedeutsame Beschränkung des Anspruchsübergangs). Der „Brutto-Einkommensgrenze“ von 100.000 €, die dem Unterhaltsrecht an sich fremd ist und die bei Selbständigen, Freiberuflern, abhängig Beschäftigten sowie Beamten zu völlig unterschiedlichen Nettoeinkommen führt, kommt nur die Funktion einer einfach handhabbaren Nichtüberprüfungsgrenze zu, durch die der weit überwiegende Teil der Bevölkerung nicht mehr durch Unterhaltsansprüche der bedürftigen Eltern belastet werden soll (Doering-Striening/Hauß/Schürmann, Elternunterhalt 2020 – quo vadis?, FamRZ 2020, 137 ff.).
40Auch aus dem Wortlaut des § 94 Abs. 1a S. 1 SGB XII ergibt sich, dass das Entstehen eines zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs weiterhin nicht ausgeschlossen ist, wenn das Einkommen des Unterhaltspflichtigen unter 100.000 € brutto liegt, weil solche Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern beim Übergang auf den Sozialhilfeträger lediglich „nicht zu berücksichtigen“ sind.
41(2.2) In der Literatur ist anerkannt, dass die Zielsetzung des Angehörigen-Entlastungsgesetzes nicht ohne Einfluss auf die Höhe des Selbstbehalts des unterhaltspflichtigen Kindes bleiben kann. Denn der Gesetzgeber habe einen Grenzbereich benannt, bis zu dem er eine Belastung durch den Verwandtenunterhalt als eine nicht mehr zumutbare Einschränkung der eigenen Lebensführung betrachte. Auf der Ebene der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit seien Anpassungen zudem erforderlich, um eine nach Art. 3 GG nicht zu legitimierende Ungleichbehandlung von Geschwisterkindern und ihren Familien mit Einkünften von bis zu 100.000 € und mehr als 100.000 € auszuschließen (Doering-Striening/Hauß/Schürmann, a. a. O.), wobei hinsichtlich Art und Umfang der erforderlichen Anpassung des Selbstbehalts unterschiedliche Modelle diskutiert werden.
42Nach einer Auffassung sei der angemessene Eigenbedarf auf eine Pauschale anzuheben, die – ausgehend von Einnahmen aus sozialversicherungspflichtiger Tätigkeit von 101.000 € – einem Nettoeinkommen von fast 58.000 € entspreche. Ebenso denkbar sei ein der höchsten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle entsprechender Betrag, weil nach der Rechtsprechung des BGH im Sinne einer tatsächlichen Vermutung von einem vollständigen Einkommensverbrauch auszugehen sei, wenn das unterhaltsrelevante Einkommen der Ehegatten 11.000 € – das Doppelte der obersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle – erreiche. Für die Anhebung des angemessenen Eigenbedarfs stritten auch die innerfamiliären Beziehungen, die unmittelbar verfassungsrechtlich geschützt seien, weil es unverständlich sei, wenn von zwei Schwestern mit einem nur um einen Euro unterschiedlichen Bruttoeinkommen (100.000 € vs. 100.001 €) und ohne sonstige Verpflichtungen die eine mit einem Unterhaltsbetrag von ca. 940 € leistungsfähig sei und in Anspruch genommen werden könne, die andere jedoch nicht. Dies trage in hohem Maße Unfrieden in die Familie, was dem gesetzgeberischen Ziel, das sich nicht allein an der Belastung des jeweils Unterhaltspflichtigen orientiere, sondern auf die Auswirkungen für den ganzen Sozialverband „Familie“ ausgerichtet sei, widerspreche. Die Verwendung eines so bemessenen Eigenbedarfs solle dann keiner weiteren Kontrolle unterliegen, weshalb Streitigkeiten über die Anerkennung von Kreditraten, Wohnvorteil, Aufwendungen für kostenträchtige Hobbys, Besuchsfahrten etc. der Vergangenheit angehören könnten (Doering-Striening/Hauß/Schürmann, a. a. O.).
43Demgegenüber haben Schürmann in seinem Aufsatz „Düsseldorfer Tabelle 2021“ (FamRB 2021, 33 ff.) und Niepmann, Denkhaus und Schürmann in ihrem Aufsatz „Die Düsseldorfer Tabelle 2022 – es besteht Handlungsbedarf“ (FamRB 2021, 348 ff.) Bedenken in Bezug auf die Art der Bemessung und die Höhe eines solchen Selbstbehalts angemeldet. Denn zum einen sei die Festlegung auf eine solche Pauschale methodisch fraglich, weil unklar sei, auf welche Lebenssituation diese zugeschnitten und wann eine weitere Anpassung erforderlich sei. Zum anderen sei ein derart hoher angemessener Eigenbedarf nicht mit dem gängigen unterhaltsrechtlichen Einkommen vergleichbar. Auch Christl hat in seinem Aufsatz „Selbstbehalt beim Elternunterhalt und rückgriffsfreie Grundsicherung“ (NZFam 2024, 730 ff.) ausgeführt, dass eine Gleichsetzung der Rückgriffsgrenze durch eine „Nettoumrechnung“ rechtsmethodisch bedenklich sei, weil sie rechtssystematisch wegen der Unterschiede von Sozial- und Unterhaltsrecht nicht zu rechtfertigen und rechtslogisch nicht zu begründen sei. Im Gegensatz zur allgemeingültigen Rückgriffsgrenze im Bereich der Grundsicherung stelle der Selbstbehalt nach § 1603 Abs. 1 BGB in Höhe des eigenen angemessenen Unterhalts eine individuelle Schutzgrenze dar, die nur dann ausnahmsweise absolut werde, wenn das eigene Existenzminimum gefährdet sei.
44(2.3) Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 04.12.2023 – 3 UF 78/23 – nicht entschieden, ob der Selbstbehalt konkret oder pauschal zu bestimmen ist, weil im dortigen Streitfall – bei einem angenommenen Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen i.H.v. 5.000 € und seiner Ehefrau i.H.v. 4.000 € und einem Einkommen des Unterhaltspflichtigen von maximal 6.200 € – seiner Auffassung nach keine Leistungsfähigkeit bestand (FamRZ 2024, 944 ff.).
45Das OLG München hat in seinem Beschluss vom 06.03.2024 – 2 UF 1201/23 – ausgeführt, dass der Selbstbehalt mit 5.500 € monatlich anzusetzen sei, weil dies der Rechtsprechung des BGH zum Ehegattenunterhalt entspreche, wonach im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen sei, dass ein Einkommen bis zum Doppelten des Höchstsatzes der Düsseldorfer Tabelle von Ehegatten konsumiert werde und bis zu einem Unterhaltsbedarf von 5.500 € von dessen vollständigem Verzehr auszugehen sei. Bei Ansatz eines solchen pauschalen Selbstbehalts sei eine weitere Erhöhung um die Hälfte des den Sockel-Selbstbehalt übersteigenden anrechenbaren Einkommens entsprechend dem vom BGH entwickelten Modell nicht mehr angebracht und darüber hinaus fraglich, ob weitere Abzugsposten zu akzeptieren oder dem Unterhaltspflichtigen zuzumuten sei, seinen Lebenszuschnitt auf das Niveau dieses Selbstbehalts einzustellen. Im dort entschiedenen Fall war bei einem Einkommen von maximal 5.349 € im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nach Auffassung des OLG München eine Leistungsfähigkeit nicht gegeben (FamRZ 2024, 940 ff.).
46(2.4) Die Leitlinien der Oberlandesgerichte, bei denen es sich um Richtlinien für eine einheitliche Rechtsprechung handelt und denen keine Bindungswirkung zukommt, haben auf das Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes unterschiedlich reagiert. Zum Teil sehen sie von der Festlegung eines angemessenen Selbstbehaltes beim Elternunterhalt gänzlich ab (so Ziff. 22.3 der Hammer Leitlinien 2023 und 2024, nachdem der Selbstbehalt in den Jahren 2020 bis 2022 noch mit 2.000 € für den Unterhaltspflichtigen und weiteren 1.600 € für dessen Ehegatten bemessen worden war). Teilweise (so z. B. OLG Schleswig in seinen Leitlinien 2024, OLG Dresden und OLG Rostock in ihren Leitlinien für 2023 und 2024) lehnen sie die Höhe des Selbstbehalts des unterhaltspflichtigen Kindes gegenüber seinen Eltern an den Selbstbehalt von Großeltern gegenüber ihren Enkeln an (vgl. BGH, Beschluss vom 20.12.2006 – XII ZR 137/04: Selbstbehaltssätze bei Großelternunterhalt wie beim Elternunterhalt) und bleiben mit Beträgen von 2.500 € im Jahr 2023 und 2.650 € im Jahr 2024 erheblich unter dem vom Amtsgericht angesetzten Betrag von 4.850 €.
47(3)
48Der Senat ist der Auffassung, dass die Leistungsfähigkeit eines unterhaltspflichtigen Kindes gegenüber seinen Eltern weiterhin individuell zu beurteilen ist. Rechtlicher Ausgangspunkt ist § 1603 Abs. 1 BGB, wonach nicht unterhaltspflichtig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Damit stellt das Gesetz – und diesem folgend die Rechtsprechung des BGH – auf die konkreten Lebensumstände des Unterhaltsverpflichteten in Bezug auf sein Einkommen und seine finanziellen Verpflichtungen ab und billigt ihm bei der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt die Beibehaltung seines individuellen Lebensstandards zu. Der Umstand, dass § 94 Abs. 1a SGB XII sozialhilferechtlich eine Beschränkung des Anspruchsübergangs vorsieht, ist nicht geeignet, beim Elternunterhalt systemwidrig auf eine Pauschale abzustellen und individuelle Verhältnisse – die sonstigen Verpflichtungen i.S.d. § 1603 Abs. 1 BGB – außer Betracht zu lassen.
49Auch wirkt sich die sozialhilferechtliche Grenze des Anspruchsübergangs nicht unmittelbar auf das zivilrechtliche Unterhaltsverhältnis aus. Die Jahresbruttoeinkommensgrenze des § 94 Abs. 1a SGB XII ermöglicht dem Sozialhilfeträger eine unkomplizierte und schnelle Prüfung des Anspruchsübergangs, indem ohne Prüfung der individuellen Verhältnisse und einzelner Abzugspositionen schlicht anhand eines Steuerbescheides ein Übergang der (nach dem Wortlaut als bestehend vorausgesetzten) zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche ausgeschlossen werden kann. Eine unterschiedliche Bemessung der Rückgriffsgrenze im Sozialrecht und der Selbstbehaltssätze im Zivilrecht beruht auf unterschiedlichen Strukturen und Zielsetzungen; das Verhältnis vom Staat zum Bürger ist anders zu bewerten als das Verhältnis zwischen zwei Bürgern untereinander.
50Soweit bei zwei Geschwistern einer aus übergegangenem Recht in Anspruch genommen wird, während der andere zwar nach den zivilrechtlichen Selbstbehaltssätzen leistungsfähig ist, aber wegen eines Jahreseinkommens von weniger als 100.000 € nicht in Anspruch genommen wird, belastet dies das in Anspruch genommene Kind nicht. Denn seine Haftungsquote für den Elternunterhalt reduziert sich aufgrund des auf das Geschwisterkind entfallenden Anteils und wird damit im Verhältnis zum Sozialhilfeträger beachtet.
51Dem folgend ist auf die individuellen Verhältnisse abzustellen und für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit von dem oben dargestellten, um die finanziellen Verpflichtungen des Antragsgegners bereinigten Einkommen auszugehen.
52(4)
53Hinsichtlich der Höhe des Selbstbehalts kann nicht ohne weiteres auf die in Ziff. 22.3 der Hammer Leitlinien 2020 festgelegten Beträge abgestellt werden, da diese offensichtlich nicht im Hinblick auf das am 12.12.2019 verkündete Angehörigen-Entlastungsgesetz (BGBl. I 2019, 2135) angepasst wurden. Nach Auffassung des Senats ist es unter Berücksichtigung der Wertung des Angehörigen-Entlastungsgesetzes geboten, aber auch ausreichend, den Selbstbehalt des Antragsgegners gegenüber dem in Ziff. 22.3 der Hammer Leitlinien 2020 festgelegten Betrag von 2.000 € für den Unterhaltspflichtigen und 1.600 € für seine Ehefrau moderat – um 30 % – auf 2.600 € für den Antragsgegner und 2.080 € für seine Ehefrau anzuheben. Dies trägt einerseits dem gesetzgeberischen Ziel Rechnung, die Solidargemeinschaft stärker in die Verantwortung zu nehmen, schränkt aber andererseits den Unterhaltsanspruch der Verwandten in gerader Linie gemäß § 1601 BGB nicht derart ein, dass die Regelung in Bezug auf den Anspruch bedürftiger Eltern gegenüber ihren Kindern praktisch ins Leere läuft.
54Der Rechtsprechung des BGH folgend setzt der Senat zusätzlich zu dem Sockelselbstbehalt des Antragsgegners und seiner Ehefrau i.H.v. 4.680 € die Hälfte des diesen Selbstbehalt übersteigenden Familieneinkommens – insgesamt 7.282,13 € nach Abzug des Kindesunterhalts – unter Berücksichtigung von 10 % Haushaltsersparnis aufgrund des Zusammenlebens an.
55Damit errechnet sich der individuelle Familienselbstbehalt wie folgt:
56(7.282,13 € - 4.680 € Sockelselbstbehalt) = |
2.602,13 € |
abzgl. 10 % verbleiben |
2.341,92 € |
davon ½ = |
1.170,96 €, |
individueller Familienselbstbehalt mithin |
|
Sockelselbstbehalt |
4.680,00 € |
zzgl. |
1.170,96 € |
Summe (individueller Familienselbstbehalt) |
5.850,96 €. |
Davon entfällt – entsprechend dem Anteil des Antragsgegners am bereinigten Familieneinkommen – eine Quote von 45,13 %, mithin ein Betrag von 2.640,54 € auf den Antragsgegner. Damit besteht eine Leistungsfähigkeit des Antragsgegners für den Unterhalt seiner Mutter i.H.v.
58bereinigtes Einkommen (nach Unterhalt i.H.v.424,70 € für die Tochter) |
3.286,60 € |
abzgl. Anteil am Familienselbstbehalt |
- 2.640,54 € |
Differenz |
646,06 €, |
die die von der Antragstellerin für den Zeitraum Januar bis Juli 2020 geltend gemachten Beträge von höchstens 547,24 € übersteigt.
60cc)
61Da das Einkommen des Bruders des Antragsgegners und seiner Ehefrau unstreitig den auch für sie anzusetzenden Mindestselbstbehalt von 4.680 € nicht erreicht, ist von einer Leistungsunfähigkeit des Bruders auszugehen. Im Ergebnis haftet der Antragsgegner allein für den ungedeckten Bedarf der Mutter, wobei seine Verpflichtung gemäß den §§ 113 Abs. 1 FamFG, 308 Abs. 1 S. 1 ZPO durch den Antrag der Antragstellerin begrenzt ist.
62dd)
63Soweit der Antragsgegner auf eine mögliche Unterhaltspflicht seiner Geschwister aus deren Vermögen verweist, hat die Antragstellerin dargelegt, dass sie Auskünfte zu deren Vermögensverhältnissen eingeholt hat, denen zufolge relevantes Vermögen jeweils nicht vorhanden war. Der Antragsgegner, dem aufgrund des gemeinsamen Unterhaltsrechtsverhältnisses ein eigener Auskunftsanspruch gegenüber seinen Geschwistern zusteht (vgl. Grüneberg-von Pückler, a. a. O., § 1605 Rn. 2, 6), hat dies nicht substantiiert bestritten, keine Anhaltspunkte benannt, die eine Unterhaltspflicht der Geschwister aus dem Vermögen möglich erscheinen lassen, und im Übrigen auch sein eigenes Vermögen nicht dargelegt.
64b) August und September 2020
65Durch den vorübergehenden Wegfall des Leasingvertrages erhöht sich das bereinigte Einkommen des Antragsgegners um 293 € monatlich auf 4.004,30 €, was den Anteil des Antragsgegners am Familieneinkommen und an der Unterhaltspflicht für die Tochter auf 47,02 % erhöht.
66Die Leistungsfähigkeit des Antragsgegners errechnet sich wie folgt:
67(7.575,13 € - 4.680 € Sockelselbstbehalt) = |
2.895,13 € |
abzgl. 10 % verbleiben |
2.605,62 € |
davon ½ = |
1.302,81 €, |
mithin Sockelselbstbehalt |
4.680,00 € |
zzgl. |
1.302,81 € |
Summe (individueller Familienselbstbehalt) |
5.982,81 €. |
Davon entfällt eine Quote von 47,02 %, mithin ein Betrag von 2.813,12 € auf den Antragsgegner. Im Ergebnis besteht eine Leistungsfähigkeit des Antragsgegners für den Unterhalt seiner Mutter i.H.v.
69bereinigtes Einkommen (nach Unterhalt i.H.v.442,46 € für die Tochter) |
3.561,84 € |
abzgl. Anteil am Familienselbstbehalt |
- 2.813,12 € |
Differenz |
748,72 €, |
die die von der Antragstellerin für die Monate August und September 2020 geltend gemachten Beträge von jeweils 513,32 € übersteigt.
71c) Oktober bis Dezember 2020
72Durch die infolge des Abschlusses eines neuen Leasingvertrags eingetretene weitere Zahlungsverpflichtung des Antragsgegners i.H.v. 322,16 € monatlich verringert sich sein bereinigtes Einkommen auf nunmehr 3.682,14 €, wodurch sich der Anteil des Antragsgegners am Familieneinkommen und an der Unterhaltspflicht für die Tochter auf 44,94 % verringert.
73Die Leistungsfähigkeit des Antragsgegners errechnet sich jetzt wie folgt:
74(7.252,97 € - 4.680 € Sockelselbstbehalt) = |
2.572,97 € |
abzgl. 10 % verbleiben |
2.315,67 € |
davon ½ = |
1.157,84 €, |
mithin Sockelselbstbehalt |
4.680,00 € |
zzgl. |
1.157,84 € |
Summe (individueller Familienselbstbehalt) |
5.837,84 €. |
Davon entfällt eine Quote von 44,94 %, mithin ein Betrag von 2.623,53 € auf den Antragsgegner. Damit besteht eine Leistungsfähigkeit des Antragsgegners für den Unterhalt seiner Mutter i.H.v.
76bereinigtes Einkommen (nach Unterhalt i.H.v.422,86 € für die Tochter) |
3.259,28 € |
abzgl. Anteil am Familienselbstbehalt |
- 2.623,53 € |
Differenz |
635,75 €, |
die die von der Antragstellerin für die Monate Oktober bis Dezember 2020 geltend gemachten Beträge von jeweils 507,12 € übersteigt.
783.
79Die Inanspruchnahme des Antragsgegners in tenorierter Höhe stellt sich vorliegend nicht als unangemessen dar.
80Soweit der Antragsgegner auf eine mögliche Ungleichbehandlung gegenüber seinem – von der Antragstellerin für teilweise leistungsfähig gehaltenen, aber nicht in Anspruch genommenen – Bruder verweist, liegt bei diesem – wie auch bei der Schwester des Antragsgegners – angesichts der vom Senat vorgenommenen Bemessung des Selbstbehalts auf 2.600 € für den Unterhaltspflichtigen und weiteren 2.080 € für die Ehegattin bereits keine Leistungsfähigkeit vor.
81Das Ergebnis berücksichtigt auch die Wertungen des Angehörigen-Entlastungsgesetzes. Denn dem Antragsgegner standen im Jahr 2020 mit einem Nettoeinkommen i.H.v. von rd. 69.600 € zzgl. einer Steuererstattung i.H.v. rd. 2.800 € insgesamt rd. 72.400 € zur Verfügung. Nach Abzug des auf den Unterhalt der Tochter entfallenden Betrages von rd. 5.130 € und des für den Unterhalt der Mutter zu zahlenden Betrages von rd. 6.230 € verblieben ihm – als unbereinigtes Nettoeinkommen ohne Wohnwert – noch rd. 61.040 €, was den ihm nach verschiedenen, oben dargestellten Auffassungen in der Literatur pauschal zu belassenen Betrag von rd. 58.000 € noch übersteigt.
824.
83Der Zinsanspruch ergibt sich aus Verzug, §§ 286 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 Nr. 1, 288 Abs. 1, 1612 Abs. 3 S. 1 BGB.
845.
85Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 FamFG. Die Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit folgt aus § 116 Abs. 3 FamFG. Der Gegenstandswert der Beschwerde ergibt sich aus § 40 Abs.1 S. 1 FamGKG.
866.
87Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG.
88Rechtsbehelfsbelehrung:
89Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde statthaft. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe einzulegen. Diese muss durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt unterschrieben sein. Dem Anwaltszwang unterliegen nicht Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Beteiligte, die durch das Jugendamt als Beistand vertreten sind. Wegen der weiteren Details wird auf § 10 Abs. 4 Satz 2 FamFG (für Familienstreitsachen i.S.v. § 112 FamFG auf § 114 Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 2 FamFG) Bezug genommen.
90Die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde beträgt ebenfalls einen Monat und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses.
91Die weiteren Einzelheiten zu den zwingenden Förmlichkeiten und Fristen von Rechtsbeschwerdeschrift und Begründung ergeben sich aus §§ 71 und 72 FamFG.