Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Der Teilentzug des elterlichen Sorgerechts zur Aufarbeitung eines Loyalitätskonflikts ist nicht geeignet, wenn die erforderlichen Maßnahmen (therapeutische Anbindung der Kinder) vom Ergänzungspfleger nicht umgesetzt werden.
Zur Abwendung einer Gefährdung des Kindeswohls können konkrete Weisung an den Sorgeberechtigten (Antrag auf Hilfen zur Erziehung in Form einer Erziehungsbeistandschaft) geeignet und erforderlich sein.
Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Höxter vom 23.5.2023 unter Beschwerdezurückweisung im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Das Recht zur Beantragung von Hilfe zur Erziehung gem. §§ 27 ff. SGB VIII und die Gesundheitsfürsorge für die Kinder M. V., geboren am 00.00.2012, und D. V., geboren am 00.00.2012, wird der Kindesmutter zur alleinigen Ausübung übertragen; im Übrigen üben die Kindeseltern die elterliche Sorge weiterhin gemeinsam aus.
Der Kindesmutter wird die Weisung erteilt, einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung in Form eines Erziehungsbeistands zu stellen, auf eine Bescheidung durch das zuständige Jugendamt zu drängen, mit der Person des Erziehungsbeistands zusammen zu arbeiten und diese Hilfe zur Erziehung nicht ohne Rat des Erziehungsbeistands zu beenden.
Der Kindesmutter wird aufgegeben, den Kindesvater unaufgefordert anlässlich des Besuchs eines der genannten Kinder bei einem Arzt oder Therapeuten über den Anlass des Besuchs, die Diagnose sowie die vorgeschlagenen Maßnahmen binnen 2 Wochen zu informieren und ihm binnen gleicher Frist unaufgefordert Arztberichte zu übersenden.
Die Kosten des Verfahrens tragen die beteiligten Kindeseltern jeweils hälftig; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000 € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Die Kindesmutter ist Mutter von insgesamt 5 Kindern. Die Kinder E., geboren am 00.00.1994, und Y., geboren 00.00.1997, deren Vater verstorben ist, und L., geboren am 00.00.2000, deren Vater E. und Y. adoptierte und die nach der Trennung der Eltern zunächst bei ihrem Vater lebten, sind volljährig.
4Die Zwillinge M. und D., geboren am 00.00.2012, leben seit der Trennung der Kindeseltern im Haushalt der Kindesmutter. M. hatte einen angeborenen Klumpfuß, der inzwischen erfolgreich operiert wurde.
5Die Kindesmutter ist als (..) erwerbstätig. Inzwischen lebt Y. mit im Haushalt der Kindesmutter. Der Vater von M. und D. ist vollzeitig erwerbstätig im Schichtbetrieb in einer (..). Die Kindeseltern lernten sich 2010 kennen und leben seit 2014 getrennt.
6Zwischen den Kindeseltern gab es zahlreiche gerichtliche Verfahren betreffend die Umgangskontakte der Kinder mit dem Kindesvater; es gab immer wieder längere Kontaktabbrüche zum Kindesvater. Die Kinder änderten gegenüber der Verfahrensbeiständin mehrfach ihre Position zu Umgangskontakten mit dem Kindesvater. Zuletzt vereinbarten die Kindeseltern vor dem Senat am 14.5.2024, dass der Kindesvater mit beiden Kindern einmal im Monat von 10.00 Uhr bis 13.00 Uhr an jedem 2. Samstag eines Monats Umgang hat; sie sprachen sich für eine Umgangspflegschaft aus, die die Umgangskontakte begleiten soll. Perspektivisch sollen die Umgangskontakte ausgeweitet werden und unbegleitet stattfinden. Der Senat billigte den Vergleich mit Beschluss vom 17.5.2024 und bestellte eine Umgangspflegerin.
7Am 27.9.2019 meldete die Kinderärztin von M. gegenüber dem Jugendamt eine Kindeswohlgefährdung durch die Kindesmutter wegen des Verdachts eines Münchhausen-by-proxy-Syndroms. Zur Begründung führte die Kinderärztin aus, dass M. durch die Kindesmutter im Zeitraum von 2 Jahren wegen Gelenk- und Muskelschmerzen mehrfach vorgestellt worden sei, aber das Ergebnis jeweils unauffällig gewesen sei. Es habe mehrfache Untersuchungen des Kindes in immer abgelegeneren orthopädischen Kliniken zum Ausschluss einer rheumatischen Erkrankung auf ausdrücklichen Wunsch der Kindesmutter gegeben. Die Kindesmutter habe einen Behindertenstatus und einen Rollstuhl für M. beantragt. Sie habe die Verschreibung eines Immunsuppressivum (Medikament, das nur bei schweren rheumatischen Erkrankungen eingesetzt wird) gewünscht. Die Klassenlehrerin von M. habe die von der Kindesmutter beschriebenen gesundheitlichen Einschränkungen nicht bestätigen können. Nach dem Eindruck des Schulleiters und der Klassenlehrerin betreibe die Kindesmutter Ärztetourismus und es bestehe der Verdacht eines Münchhausen-Syndroms. Auch nach Auffassung des Jugendamtes sei die ärztliche Behandlung von M. mit Widersprüchen behaftet und es bestehe der Verdacht, dass die Kindesmutter M. krank mache.
8Die Kindesmutter erstattete am 11.10.2019 Strafanzeige gegen den Kindesvater wegen Beleidigung und Verleumdung, da dieser sie seit der Trennung vor sechs Jahren beleidige und ihr die Fähigkeit abspreche, die Kinder richtig zu erziehen und zu versorgen. Am 29.4.2020 erstattete sie eine weitere Strafanzeige gegen den Kindesvater wegen Körperverletzung zum Nachteil von D., weil der Kindesvater sie zweimal gegen die Dusche geschubst habe, weil ihm das Duschen zu lange gedauert habe; dieses Strafverfahren wurde inzwischen nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
9Der Kindesvater beantragte im Wege der einstweiligen Anordnung und in der Hauptsache die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für beide Kinder auf sich (AG Brakel, 10 F 19/20 und 10 F 20/20), um einen von der Kindesmutter mit den Kindern geplanten Umzug in das Erzgebirge zu verhindern, da er die Einstellung der Umgangskontakte befürchtete. Im Wege eines Vergleichs erklärte die Kindesmutter, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zum Aufenthaltsbestimmungsrecht von einem Umzug abzusehen. Die Kindesmutter hatte beabsichtigt, im Erzgebirge ihre eigene erkrankte Mutter zu unterstützen, die aber nun in ihre Nähe gezogen ist, so dass die Umzugspläne aufgegeben wurden.
10Nach einem Streit über eine Umgangsabweichung erstattete der Kindesvater am 17.9.2020 eine Anzeige gegen die Kindesmutter wg. Kindeswohlgefährdung. Am 12.10.2020 teilte die Schule erhebliche Fehlzeiten der Kinder mit: M. 129 Stunden (davon 53 Std. unentschuldigt) in der Zeit von 9/19 – 3/20 und 42 entschuldigte Fehlstunden in der Zeit von 8/20 – 9/20 sowie D. 67 Std. (davon 25 unentschuldigt in der Zeit vom 9/19 – 2/20 und 37 entschuldigte Fehlstunden in der Zeit von 8/20 – 9/20); durch die erheblichen Fehlzeiten sei die Versetzung der Kinder in die nächste Schulklasse konkret gefährdet. Teilweise seien die Kinder nicht pünktlich vom Hort abgeholt worden.
11Das vorliegende Verfahren wurde am 12.12.2019 von Amts wegen durch Erlass eines Beweisbeschlusses zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der elterlichen Sorge eingeleitet, nachdem das Jugendamt und die Verfahrensbeiständin in einem Termin zum Umgang erklärt hatten, dass sich die Kinder aus ihrer Sicht in einem Loyalitätskonflikt befänden; sie schätzten die Aussagen der Kinder zur Ablehnung von Umgangskontakten mit dem Kindesvater als sehr strukturiert formuliert und nicht emotional geprägt ein.
12Nach Einleitung des vorliegenden Verfahrens hat die Kindesmutter am 29.7.2022 beantragt, ihr die Gesundheitsfürsorge allein zu übertragen (AG Brakel, 10 F 27/22), da sich der Kindesvater geweigert habe, einem für den 25.7.2022 vorgesehenen Operationstermin für M. zur Verbesserung der Sprunggelenksbeweglichkeit und Korrektur der Beinachse zuzustimmen. Der Kindesvater wandte ein, er habe, nachdem er sich an die behandelnde Ärztin gewandt habe, der Kindesmutter am 7.7.2022 eine Vollmacht zur Durchführung der geplanten Maßnahme erteilt. Das Familiengericht hat diesen Antrag wegen anderweitiger Rechtshängigkeit des Sorgerechtsverfahrens zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat die Kindesmutter auf Hinweis des Senats zurückgenommen.
13Das Jugendamt hat erstinstanzlich empfohlen, den Kindeseltern die Gesundheitsfürsorge und das Recht auf Beantragung öffentlicher Hilfen zu entziehen und auf einen Ergänzungspfleger zu übertragen.
14Zur Begründung hat es ausgeführt, dass M. nach Allianzbildung mit der Kindesmutter aus fachlicher Sicht eine therapeutische Anbindung und eine Unterstützung durch eine sozial-pädagogische Familienhilfe (SPFH) benötige, um ihre Lebensgeschichte aufzuarbeiten und sie sozial und emotional zu stärken und einer weiteren Parentifizierung entgegenzuwirken. D. benötige zur Aufarbeitung ihrer belastenden Lebenssituation ebenfalls eine therapeutische Anbindung und eine neutrale Vertrauensperson außerhalb ihres familiären Umfeldes. Beide Kindeseltern seien aktuell nicht in der Lage, gemeinsame Entscheidungen zur Gesundheitsfürsorge und zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen zu treffen, wobei eine pädagogische Arbeit allein mit den Kindern als nicht ausreichend angesehen werde.
15Die Kindesmutter hat erstinstanzlich beantragt, ihr die elterliche Sorge zu belassen und entgegenstehende Anträge abzuweisen.
16Das Familiengericht hat nach Einholung von Sachverständigengutachten, auch zur Klärung der medizinischen Fragen im Zusammenhang mit der Erkrankung von M., und Anhörung der Beteiligten einschließlich der Kinder, den Kindeseltern das Recht auf Beantragung von Hilfen zur Erziehung und die Gesundheitsfürsorge für beide Kinder entzogen und das Jugendamt des Kreises W. zum Ergänzungspfleger bestellt.
17Die Entscheidung hat es auf § 1666 BGB gestützt. Es gebe zwar keine gravierenden Einschränkungen in der kognitiven und sozialen Entwicklung von M., sie sei aber aufgrund der elterlichen Auseinandersetzungen emotional hoch belastet und fühle sich für ihre Mutter verantwortlich (Parentifizierung) und stehe dem Vater kompromisslos ablehnend gegenüber. Bei D. sei eine deutliche Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Affektregulation und des Selbstwertgefühls bei instabiler emotionaler, kognitiver und sozialer Entwicklung und Verunsicherung in der Mutter-Kind-Beziehung gegeben; es bestehe ein hoher Förderbedarf, der von der Kindesmutter in der Vergangenheit nicht angemessen erfüllt worden sei. Die Kindesmutter sei nur eingeschränkt förderfähig, da bei ihr auch Alltagsstruktur fehle und ein regelmäßiger Schulbesuch nicht sichergestellt sei. Die Abwendung beider Kinder vom Kindesvater sei als Strategie zu Stressbewältigung bei erheblichem Loyalitätskonflikt und der Orientierung an der mütterlichen Ablehnung des Kindesvaters (Überdistanzierung) zu werten. Öffentliche Hilfemaßnahmen zur Schadensbegrenzung und zur Komplizierung der sich aus dem elterlichen Verhalten ergebenen Konflikte mit der Schaffung entsprechender psychotherapeutischer Angebote seien notwendig. Insbesondere seien eine fachliche Unterstützung von D. durch Zurverfügungstellung einer kompetenten Vertrauensperson und unterstützende Maßnahmen zur Beseitigung der körperlichen Probleme von M. (Ernährungsempfehlungen, sportliche Aktivitäten, therapeutische Unterstützungsmaßnahmen), die von der Kindesmutter nicht umgesetzt werden, notwendig. Gemeinsame Entscheidungen der Kindeseltern über die zur Gefahrabwendung notwendigen Maßnahmen im Bereich der Gesundheitsfürsorge und der Beantragung von Hilfen zur Erziehung erscheinen vor dem Hintergrund ausgeschlossen, dass die Kinder den Kindesvater gänzlich ablehnen und die Kooperationsbereitschaft der Kindesmutter aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur mit dem Bedürfnis alleiniger elterlicher Machtausübung und der fehlenden Bindungstoleranz deutlich eingeschränkt sei.
18Dagegen wendet sich die Kindesmutter mit der Beschwerde und begehrt die Rückübertragung der elterlichen Sorge für die entzogenen Teilbereiche auf sich allein.
19Zur Begründung führt sie aus, dass sie sich bewusst sei, dass die Kinder aus dem Elternkonflikt herausgehalten werden müssen; sie habe sie jedoch zu keinem Zeitpunkt bewusst in den Loyalitätskonflikt verwickelt und gegen den Kindesvater aufgebracht. Die Feststellung der Sachverständigen, dass M. körperliche und kognitive Einschränkungen habe, die gefördert werden müssten, sei durch nichts belegt. Die Kindesmutter habe sich im Hinblick auf die Gesundheitsfürsorge für M. nichts vorwerfen zu lassen, da sie auf die Angaben der behandelnden Ärzte vertraut und sich das Vorliegen eines Münchhausen-by-proxy-Syndroms letztlich nicht bestätigt habe. Infolge des Entzugs der Gesundheitsfürsorge für M. könne sie keine Entscheidungen treffen, wenn das Kind medizinisch versorgt werden müsse, wobei zu berücksichtigen sei, dass das Kind einen Behinderungsgrad von 50 habe. M. habe entgegen der Feststellung der Sachverständigen auch keinen besonderen Förderbedarf, was sich an ihren guten Schulnoten zeige. Sie sei zur bedingungslosen Zusammenarbeit mit den Fachhelfern und zu gemeinsamen Beratungsgesprächen zwischen den Kindeseltern bereit.
20Der Kindesvater verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und beantragt Beschwerdezurückweisung.
21Die Verfahrensbeiständin hat angeregt, die Beschwerde zurück zu weisen.
22Dem Senat lagen die Akten des AG Brakel zu den Aktenzeichen 10 F 7/19, 10 F 36/19, 10 F 19/20, 10 F 20/20, 10 F 34/20, 10 F 38/21, 10 F 43/21 und 10 F 27/22 vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Die Kindeseltern und die Kinder sowie Vertreter des Jugendamtes, die Verfahrensbeiständin, der Ergänzungspfleger und die Sachverständige wurden mündlich angehört.
23II.
241.
25Die Beschwerde der Kindesmutter ist zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt wurde.
262.
27Die Beschwerde der Kindesmutter ist insoweit begründet, als ihr und dem Kindesvater keine Teile des Sorgerechts gemäß §§ 1666, 1666a BGB zu entziehen sind. Der Kindesmutter ist gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB das Sorgerecht im Bereich der Gesundheitssorge und des Rechts auf Beantragung von Hilfen zur Erziehung zur alleinigen Ausübung zu übertragen und ihr sind in diesen Bereichen Weisungen zu erteilen.
28a)
29Eine Gefährdung des Kindeswohls, die den Entzug des Sorgerechts auch nur in Teilbereichen rechtfertigt, liegt nicht vor.
30Voraussetzung für ein Einschreiten des Familiengerichts ist eine Gefährdung des Wohls oder des Vermögens des Kindes. Überdies dürfen die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sein, die Gefahr abzuwenden, wobei die Gründe hierfür unerheblich sind.
31Die Aufzählung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls in § 1666 BGB zeigt, dass das in der Entwicklung befindliche Kind umfassend zu schützen ist, damit es zu einer selbständigen und verantwortungsbewussten Person heranwachen kann, die zum Zusammenleben in der Gemeinschaft fähig ist. Umfasst sind daher die grundlegenden, unverzichtbaren Lebensbedürfnisse des Kindes, auf deren Erfüllung es nach seinem Entwicklungsstand angewiesen ist. Dabei gewinnt auch der Kindeswille mit zunehmendem Alter an Bedeutung. Die Gefährdung muss gegenwärtig und in solchem Maße vorhanden sein, dass bei weiterer Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des Kindeswohls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Diese Prognose muss auf konkreten Tatsachen beruhen. Eine nur abstrakte, latente, eine erst mittel- bis langfristig drohende Gefährdung oder eine nur allgemeine Schädlichkeit eines bestimmten Verhaltens genügt nicht. Jedoch kann sich die Gefährdung aus einer Vielzahl von Einzelaspekten ergeben, die erst in der Summe die Gefährdungsschwelle überschreiten. Das erforderliche Maß der Gefahr ist im Einzelfall nach Abwägung aller Umstände zu konkretisieren, da es sich nicht abstrakt generell festlegen lässt. Dabei genügt ein umso geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit, je größer und gewichtiger der drohende Schaden ist. Zu berücksichtigen ist auch das Alter des Kindes, da Defizite in den Erziehungskompetenzen eines Elternteils für einen Säugling ein höheres Gefährdungspotential darstellen als bei einem älteren Kind. Die zu besorgende Schädigung muss nachhaltig und schwerwiegend sein, da nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit zu einem Eingriff in die von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte elterliche Sorge berechtigt. Nicht ausreichend ist ein bloßer Verdacht, die Befürchtung, eine positive Kindesentwicklung könnte Rückschritte erleiden oder allein die Amtsbekanntheit eines Elternteils. Ebenso wenig genügen bloße Zweifel an der Erziehungseignung oder der fehlende Nachweis der Erziehungseignung seitens der Eltern selbst. Die Gefährdung ergibt sich in der Regel aus einem früheren Verhalten des Elternteils, wenn eine Wiederholung zu befürchten ist. (Döll in: Erman BGB, Kommentar, 17. Auflage 2023, § 1666 BGB, Rdnr. 4 ff. m.w.N.)
32aa)
33Eine Gefährdung des Wohls von M. im Bereich der Gesundheitssorge, die das für den Entzug des Sorgerechts in diesem Teilbereich erforderliche Maß erreicht, kann nicht festgestellt werden. Aktuell führt die Kindesmutter die empfohlene Ergotherapie mit M. durch und nicht erforderliche Maßnahmen unterbleiben. Damit ist der Entzug der Gesundheitssorge für M. gegenüber der Kindesmutter nicht notwendig.
34Eine Gefährdung des Wohls von M. im Bereich der Gesundheitssorge wurde in der Vergangenheit gesehen, weil die Kindesmutter M. immer wieder bei verschiedenen Ärzten vorgestellt habe, ohne dass von diesen eine Krankheit festgestellt werden konnte, die mit – nebenwirkungsbehafteten – Medikamenten hätte behandelt werden müssen. Gleichwohl habe die Kindesmutter auf die Verschreibung der Rheumamedikation gedrängt. Die Kindesmutter habe erst nach langer Zeit ihren Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung von M. aufgegeben.
35Nach dem Ergebnis des medizinischen Sachverständigengutachtens des N. zum Gesundheitszustand von M. kann eine rheumatische Erkrankung ausgeschlossen werden. Als Vorerkrankung bestehe ein Klumpfuß rechts, der in den Jahren 2015 und 2017 operativ versorgt worden sei, wobei M. für längere Strecken einen Rollstuhl benutzt habe, außerdem eine Orthese. Nach Einschätzung des Sachverständigen bestehe eine auffällige Diskrepanz zwischen der oberflächlichen klinischen Untersuchung ohne Durchführung angezeigter Untersuchungen (Arthrosonografie) und fehlender Dokumentation eine Arthritis in der klinischen Untersuchung auf der einen Seite und den durchgeführten therapeutischen Maßnahmen nach Therapieintensivierung auf Wunsch der Kindesmutter auf der anderen Seite. Die Behandlung mit Basistherapeutika sei wegen der Nebenwirkungen (immunsuppressiv) kritisch zu beurteilen.
36Nach dem Ergebnis des psychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. besteht bei beiden Kindern ein tiefgreifender Loyalitätskonflikt aufgrund der seit vielen Jahren bestehenden hochbelasteten Situation. Die Kinder hätten eine Überidentifikation mit der Kindesmutter und eine feindselige Überdistanzierung zum Kindesvater als maladaptive Bewältigungsstrategie aus dem Loyalitätskonflikt und den daraus resultierenden schweren psychischen Belastungen entwickelt. Die damit einhergehende Entfremdung vom Kindesvater führe zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres psychischen Wohlbefindens und ihrer sozial-emotionalen Entwicklung und der Identitätsbildung. Es bestünde ein nachhaltiger und stabiler Wunsch beider Kinder, im Haushalt der Kindesmutter aufwachsen zu wollen, wobei sich beide Kinder den von der Kindesmutter induzierten Willen inzwischen zu eigen gemacht haben; die Missachtung des geäußerten Willens könnte bei den Kindern zu erheblichen Gefährdungen in Form von Resignation, Hilflosigkeit und Destabilisierung ihres Selbstwertgefühls zur Folge haben und zu einer nicht mehr heilbaren Belastung der Vater-Kind-Beziehung führen, den sie für eine Herausnahme aus dem mütterlichen Haushalt verantwortlich machen würden. M. sei psychisch gesund entwickelt mit einem insgesamt altersentsprechenden Entwicklungsstand trotz erheblicher Belastung durch den Loyalitätskonflikt und der mütterlichen Krankheitsfixierung, wobei nicht auszuschließen sei, dass sich entsprechende Folgen erst langfristig zeigen werden. Es zeigten sich deutliche Anzeichen einer Parentifizierung und die Übernahme der Vorgaben der Kindesmutter aufgrund besonders enger Verbundenheit mit ihr als Hauptbezugsperson mit der Folge der Allianzbildung und Überidentifikation mit der Kindesmutter. Die hochbelastete feindselige Haltung gegenüber dem Kindesvater beeinträchtige ihr Selbstwertgefühl und ihre Identitätsbildung. Bei beiden Kindern seien Hilfsmaßnahmen zur Schadensbegrenzung und zur Veränderung der manifesten familiären Beziehungsstörung dringend erforderlich, damit sich beide Kinder langfristig aus der entwicklungsschädlichen Überidentifikation und Überdistanzierung befreien können.
37Die Kindesmutter weist nach den Feststellungen der Sachverständigen H. einen unausgeglichenen Persönlichkeitszustand auf. Sie sei grundlos und unreflektiert davon ausgegangen, dass viele der mit der Familiensache befassten Personen die Herausnahme der Kinder aus ihrem Haushalt anstrebten. Das Ergebnis des medizinischen Gutachtens und insbesondere den Ausschluss einer rheumatischen Erkrankung bei M. habe die Kindesmutter nur eingeschränkt akzeptieren können und erst nach Einholung einer weiteren Meinung die Gabe der Rheumamedikation eingestellt. Für eine abschließende Beurteilung, ob bei der Kindesmutter von einem Münchhausen-by-proxy-Syndrom ausgegangen werden muss, fehle es an ausreichenden Hinweisen, die eine psychiatrische Einordnung zulassen. Die übertriebene mütterliche Krankheitsfixierung müsse daher mit hoher Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit der Persönlichkeitsstruktur der Kindesmutter und den damit einhergehenden kognitiven Verzerrungen gesehen werden. Hinsichtlich der Förderfähigkeit und Förderbereitschaft gebe es Einschränkungen bei der Kindesmutter, da sie für einen regelmäßigen Schulbesuch der Kinder keine ausreichende Sorge getragen habe; jedoch seien im Verlauf der Begutachtungen keine weiteren Beschwerden mehr vorgetragen worden, so dass insoweit von einer Verbesserung auszugehen sei. Die Kindesmutter verfüge über ausgeprägte kindorientierte Fähigkeiten und könne den Kindern mit liebevoller Zuwendung empathisch und anerkennend begegnen und altersgerechte Anregungen und eine hinreichende Strukturierung des Alltags anbieten. Sie sei auch in der Lage, die Kinder angemessen zu versorgen. Deutliche Einschränkungen bestünden bei der mütterlichen Erziehungsfähigkeit, insbesondere im Bereich der Bindungstoleranz und Kooperationsbereitschaft mit dem Kindesvater, sowie bei der Kooperationsbereitschaft mit Dritten und der Orientierung an kindlichen Bedürfnissen, soweit diese mit den eigenen Vorstellungen der Kindesmutter nicht in Einklang stehen. Auch wenn nicht auszuschließen sei, dass es sich lange Zeit um eine beiderseitige Streitigkeit zwischen den Kindeseltern gehandelt habe, müsse inzwischen von primär konfliktführendem und insbesondere entfremdendem mütterlichen Verhalten ausgegangen werden. Die Kindesmutter schreibe dem Kindesvater keinerlei Kompetenzen im Umgang mit den Kindern zu und möchte diesen aus dem Leben der Töchter ausschließen, wobei der von ihr geäußerte Wunsch, sich mit ihm zu verständigen, nicht authentisch sei, sondern im Zusammenhang mit ihrer Befürchtung gesehen werden müsse, dass andere Personen den Aufenthalt der Kinder in ihrem Haushalt infrage stellen. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob die Kindesmutter vor dem Hintergrund ihrer Persönlichkeitsstruktur und der fehlenden Bereitschaft, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren, bereit und in der Lage sei, sich auf fachlich unterstützte Entwicklungsprozesse einzulassen, die nicht ihren persönlichen Vorstellungen entsprechen. Die Kindesmutter verfüge über kein einheitliches Problembewusstsein hinsichtlich der familiären Belastungssituation, was verbunden mit einer konträren Motivlage zu deren Bewältigung verhindere, dass Hilfemaßnahmen von ihr zuverlässig und dauerhaft in Anspruch genommen werden.
38Dieses Ergebnis der Sachverständigen ist überzeugend und nachvollziehbar begründet. Das Gutachten hält explizit die Qualitätsstandards für familienpsychologische Sachverständigengutachten ein. Die Sachverständige entwickelte aus der gerichtlichen Fragestellung psychologische Fragen und wertete die Gerichtsakten aus. Sie führte Gespräche, Explorationen der Kinder und der Kindeseltern sowie eine Interaktionsbeobachtung der Kinder mit der Kindesmutter durch; eine Interaktionsbeobachtung der Kinder mit dem Kindesvater ermöglichte die Kindesmutter nicht. Die Sachverständige befragte weitere Fachpersonen aus dem Umfeld der Kinder (Beraterin der Beratungsstelle, Kinderarzt, Lehrer, Betreuer der Ganztagsschule, Schulleiter, Personal der stationären Behandlung). Aufgrund der Untersuchungen ermittelte die Sachverständige ihren Befund und beantwortete sodann die gerichtliche Fragestellung.
39Danach wurde M. über einen längeren Zeitraum ein Rheuma-Medikament verabreicht, welches mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein kann, ohne dass eine medizinische Indikation vorlag; vielmehr war eine Rheumaerkrankung bei M. bereits im August 2017 explizit ausgeschlossen worden. Aufgrund der eingeschränkten Fähigkeit der Kindesmutter, fachliche Diagnosen zu akzeptieren, die nicht mit ihren eigenen Vorstellungen übereinstimmen, ist davon auszugehen, dass sie auch in Zukunft aufgrund übertriebener mütterlicher Krankheitsfixierung nicht sachgerechte Entscheidungen im Bereich der Gesundheitssorge treffen wird. Denn die Kindesmutter hat Fehler in der Vergangenheit bislang nicht einräumen können, sondern beruft sich darauf, lediglich ärztlichen Ratschlägen gefolgt zu sein.
40Jedoch ist hinsichtlich der Einnahme des Rheumamedikaments trotz entgegenstehender Diagnose, die mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein kann, eine (körperliche) Schädigung von M. nicht dokumentiert. Aktuell übt die Kindesmutter (im Rahmen ihrer Zuständigkeit) die Gesundheitssorge angemessen aus. Sie informiert den Ergänzungspfleger über wesentliche Entscheidungen und befolgt ärztlichen Rat: In nächster Zeit steht eine erneute Operation am Fuß an. Die empfohlene Ergotherapie führt die Kindesmutter durch und M. beginnt, langsam ihr Gewicht zu reduzieren.
41M. wünscht nicht, dass eine dritte Person Entscheidungen im Bereich der Gesundheitssorge trifft.
42bb)
43Eine Gefährdung des Wohls von M. im Bereich des Rechts zur Beantragung von öffentlichen Hilfen, die das für den Entzug des Sorgerechts in diesem Teilbereich erforderliche Maß erreicht und der durch einen Entzug wirksam begegnet werden kann, kann ebenfalls nicht festgestellt werden.
44Nach dem Ergebnis des Gutachtens der Sachverständigen H. sind bei M. Hilfen zur Erziehung angezeigt, die zuverlässig und dauerhaft beantragt werden müssen. In der Vergangenheit sei die Kindesmutter in der Lage gewesen, konstruktiv mit Fachleuten zusammen zu arbeiten, solange diese ihre Haltung uneingeschränkt übernehmen und ihre Strategien unterstützen, insbesondere den Kindesvater auszugrenzen. Eine kritische Sichtweise habe die Kindesmutter nicht akzeptieren können, was in ihrer Persönlichkeitsstruktur verankert sei. Die Kindesmutter sei längerfristig zur Ausübung der elterlichen Sorge auf fachkompetente Unterstützungsmaßnahmen angewiesen. Nach den ergänzenden Ausführungen der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung bremst die starke, auch emotionale Verantwortlichkeit von M. für ihre Mutter deren eigene Entwicklung aus. In einer solchen Konstellation sei die Wahrscheinlichkeit für Entwicklungsschädigungen relativ hoch, allerdings sei auch denkbar, dass eine unterbliebene Entwicklung nachgeholt werde. Bei M. komme aber zusätzlich belastend der enorme Loyalitätskonflikt hinzu, der bislang nicht hat aufgelöst werden können. Die Kinder werden älter, kommen in die Pubertät und entwickeln normalerweise Autonomiebestrebungen; das werde in dem aktuellen Familienleben sehr stark eingeschränkt.
45Damit ist die psychische Entwicklung von M. zumindest gefährdet. M. benötigt in ihrer emotionalen Entwicklung und Stärkung ihrer Persönlichkeit eine therapeutische Anbindung. Der Teilentzug des Sorgerechts war jedoch nicht geeignet, diese sicher zu stellen. Seit Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung hatte der Ergänzungspfleger die Möglichkeit, Entscheidungen zur Unterstützung von M. zu treffen; er hat zwar einen Antrag auf Hilfe durch einen Erziehungsbeistand gestellt, diesen aber nicht weiterverfolgt.
46cc)
47Eine Gefährdung des Wohls von D. im Bereich der Gesundheitssorge, die das für den Entzug des Sorgerechts in diesem Teilbereich erforderliche Maß erreicht, kann nicht festgestellt werden. Auch wenn die emotionale Entwicklung von D. gefährdet ist, sind besondere Anforderungen an die körperliche Gesundheitssorge nicht bekannt. Es lässt sich auch nicht feststellen, dass die Kindesmutter insoweit angezeigte Therapien bei D. nicht eingeleitet und umgesetzt hat.
48Für ihre emotionale Entwicklung und Stärkung ihrer Persönlichkeit benötigt D. eine therapeutische Anbindung. Der Teilentzug des Sorgerechts im Bereich der Gesundheitssorge war aber nicht geeignet, diese sicher zu stellen. Die Möglichkeiten des Ergänzungspflegers seit der erstinstanzlichen Entscheidung, erforderliche Maßnahmen einzuleiten, wurden nicht (effektiv) genutzt.
49Nach dem Ergebnis des psychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. besteht auch bei D. ein tiefgreifender Loyalitätskonflikt mit Überidentifikation mit der Kindesmutter und eine feindselige Überdistanzierung zum Kindesvater. Dies führe auch bei D. zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres psychischen Wohlbefindens und ihrer sozial-emotionalen Entwicklung und der Identitätsbildung. Bei ihr sei eine instabile emotionale kognitive und soziale Entwicklung bei deutlich beeinträchtigter Fähigkeit zur Affektregulation und beeinträchtigtem Selbstwertgefühl infolge des anhaltenden Loyalitätskonflikts festzustellen. Ihr Förderbedürfnis sei in der Vergangenheit durch die fehlende Sicherstellung eines regelmäßigen Schulbesuchs nicht erfüllt worden. Auch sei ihr Bedürfnis nach Sicherheit und Verbundenheit in der Mutter-Kind-Beziehung nicht immer hinreichend befriedigt worden ist, mit der Folge, dass eine ungestörte positive psychische und seelische Entwicklung nicht möglich gewesen sei. Die Beziehung zur Kindesmutter sei verunsichert; die Sicherheit der Zugehörigkeit zur Kindesmutter sei lediglich sehr gering ausgebildet. D. habe die mütterlichen Vorgaben und Vorstellungen trotz Verunsicherung der Beziehung zu ihr übernommen. Aufgrund ihrer emotionalen Belastung sei D. auf eine fachliche Unterstützung durch eine kompetente Vertrauensperson angewiesen, von der sie sich wahrgenommen fühlen könne. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die seelische Widerstandskraft von D. nicht ausreiche, die Bedingungen ihrer belastenden Lebenssituation ohne intensive Unterstützung von außen zu kompensieren.
50Auch D. wünscht nicht, dass eine dritte Person Entscheidungen im Bereich der Gesundheitssorge trifft.
51dd)
52Gleiches gilt für das Recht zur Beantragung von Erziehungshilfe bzgl. D.: Etwaig erforderliche Maßnahmen wurden bislang trotz Teilentzugs nicht umgesetzt und dieser war nicht geeignet, die erforderliche therapeutische Anbindung sicher zu stellen. Seit Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung hatte der Ergänzungspfleger die Möglichkeit, Entscheidungen zur Unterstützung von D. zu treffen; er hat zwar einen Antrag auf Hilfe durch einen Erziehungsbeistand gestellt, diesen aber nicht weiterverfolgt.
53Nach dem Ergebnis der Sachverständigen H. sind auch bei D. Hilfen zur Erziehung angezeigt, die zuverlässig und dauerhaft beantragt werden müssen. Noch deutlicher als M. ist D. in ihrer emotionalen Entwicklung beeinträchtigt und benötigt zur Stärkung ihrer Persönlichkeit eine therapeutische Anbindung.
54b)
55Bei dem Kindesvater liegen die Voraussetzungen des Entzugs von Teilbereichen der elterlichen Sorge gemäß § 1666 BGB nicht vor. Eine Kindeswohlgefährdung in Teilbereichen des Sorgerechts durch den Kindesvater kann nicht festgestellt werden und wurde auch in der Vergangenheit nicht explizit benannt; die Vorwürfe der Kindesmutter und ihre Strafanzeigen gegen den Kindesvater dürften eher Ausdruck des Elternkonflikts sein und wurden letztlich nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
56Nach dem Ergebnis des psychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. sind Angaben zur väterlichen Erziehungsfähigkeit aufgrund des langjährigen Kontaktabbruchs und der Verhinderung der Interaktionsbeobachtung durch die Kindesmutter nicht möglich, wobei die von ihm allgemein formulierten Erziehungsziele als hinreichend kindorientiert beurteilt werden können. Beim Kindesvater bestehe ein grundlegendes Misstrauen gegenüber der Kindesmutter mit einer damit verbundenen Vorwurfshaltung und einer gleichzeitig bekundeten Bereitschaft, sich zum Wohle der Kinder auf eine Kommunikation mit der Kindesmutter einlassen zu wollen. Darüber hinaus bekundete der Kindesvater, langfristig den zukünftigen Lebensmittelpunkt der Kinder in seinem Haushalt anzustreben, aber jedenfalls die Kinder nicht gegen ihren Willen aus ihrem bisherigen Leben herausreißen zu wollen. Der Kindesvater sei – ebenso wie die Kindesmutter – längerfristig zur Ausübung der elterlichen Sorge auf fachkompetente Unterstützungsmaßnahmen angewiesen.
57c)
58Der Kindesmutter sind die Teilbereiche der Gesundheitssorge und das Recht zur Beantragung von Hilfe zur Erziehung für beide Kinder gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB zu übertragen.
59Nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ist einem Antrag auf Übertragung der Alleinsorge nur dann stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil dem Wohl der Kinder am besten entspricht. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nur eine positive Beziehung zu beiden Elternteilen günstige Auswirkungen auf die Lebensqualität der Kinder hat. Deshalb liegt der Vorzug der gemeinsamen elterlichen Sorge darin, dass die Bindungen der Kinder zu beiden Eltern besser aufrechterhalten werden und dass das Verantwortungsgefühl und die Verantwortungsbereitschaft beider Eltern gegenüber den Kindern erhalten bleiben bzw. gestärkt werden können (Johannnsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 4. Auflage, § 1671 Rdz. 34; OLG München FamRZ 1999, 1006, 1007). Die Übertragung der Alleinsorge kommt demnach nur in Betracht, wenn ihr unter dem Gesichtspunkt der am wenigsten schädlichen Alternative für das Kind gegenüber der gemeinsamen Sorge der Vorzug zu geben ist (OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1209). Das Recht der elterlichen Sorge in § 1671 BGB enthält kein Regel-Ausnahme-Verhältnis in dem Sinne, dass eine Priorität zu Gunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht und die Alleinsorge eines Elternteils etwa nur in Ausnahmefällen als ultima ratio in Betracht komme (BGH FamRZ 1999, 1646).
60aa)
61Das gemeinsame Sorgerecht für die Zwillinge ist in den genannten Teilbereichen aufzuheben, da die Kindeseltern nicht zu einer gemeinsamen Ausübung des Sorgerechts in der Lage sind, aber Entscheidungen anstehen.
62Im Rahmen der elterlichen Sorge sind die getrennt lebenden Partner zur Konsensfindung verpflichtet, solange ihnen dies zumutbar ist. Es obliegt den Eltern, die mit der Trennung für die Entwicklung ihrer Kinder verbundene Schädigung so weit wie möglich zu mildern und die Kinder so wenig wie möglich mit ihren eigenen Konflikten zu belasten. Dem Antrag auf Zuweisung des alleinigen Sorgerechts kann nur stattgegeben werden, wenn aufgrund des destruktiven Verhältnisses der Eltern zueinander die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge ausscheidet. Mangelnde Kooperationsbereitschaft gebietet daher nicht zwangsläufig und nicht als Regelfall die Aufhebung des gemeinsamen Sorgerechts. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob hierdurch kindliche Belange berührt werden. Bei Konflikten in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge ist entscheidend, welche Auswirkungen die mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl der Kinder haben wird. Kommt es zwischen den Eltern lediglich in Nebenfragen zu Streitigkeiten, besteht kein Anlass, von der gemeinsamen elterlichen Sorge abzugehen. Sie ist erst dann aufzulösen, wenn die Eltern in grundsätzlichen Erziehungsfragen unterschiedlicher Meinung sind und ihr tiefgreifendes Zerwürfnis sie hindert, die Belange der Kinder wahrzunehmen (Götz in: Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 83. Auflage 2024, § 1671 Rdz. 15 ff. m.w.N.).
63Die Kindeseltern streiten seit langer Zeit und auch unter Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe insbesondere um das Umgangsrecht. Es gab über einen Zeitraum von mehr als 2 Jahren keinerlei Umgangskontakte der Kinder mit dem Kindesvater. Der anhaltende Streit hatte Auswirkungen auf beide Kinder, die sich in einem Loyalitätskonflikt befinden und sich mit der Kindesmutter überidentifizieren und sich gegenüber dem Kindesvater überdistanzieren, was zu schweren psychischen Belastungen bei beiden Kindern führte. In dem Bereich Umgang sind die Kindeseltern nicht in der Lage zu kommunizieren und zu kooperieren.
64Auch wenn die Kindeseltern bislang wenig Konflikte in den Bereichen Recht zur Beantragung von Hilfen zur Erziehung und Gesundheitssorge auszutragen hatten (der Kindesvater stimmte jeweils letztlich den Entscheidungen der Kindesmutter zu), sind beide Kindeseltern nach dem Ergebnis der psychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. zu einer konstruktiven Auseinandersetzung hinsichtlich ihrer Elternrollen und zur gemeinsamen Ausübung elterlicher Verantwortung nicht bzw. nur unzureichend in der Lage. Beiden Kindeseltern sei es nicht möglich, bestehende Konflikte ohne Schuldzuweisungen zu bewältigen. Auch in dem Bereich der gesundheitlichen Versorgung der Kinder sei nicht zu erwarten, dass es den Kindeseltern in absehbarer Zeit gelingen werde, einvernehmliche Entscheidungen zu treffen. Es sei wichtig, dass im Bereich der Gesundheitsfürsorge eine andere Instanz konfliktentschärfend wirken könne. Damit die bereits stattgefundene Annäherung zwischen den Kindeseltern nicht überfrachtet werde, solle dieser zentrale Konfliktpunkt ausgelagert werden.
65Bei der Entscheidung darüber, ob die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben ist, ist auch von Bedeutung, ob in absehbarer Zeit sorgerechtsrelevante Entscheidungen gemeinsam zu treffen sind (OLG Brandenburg FamRZ 2002, 565). Entscheidungen stehen für beide Kinder hinsichtlich ihrer therapeutischen Anbindung an, die sowohl die Gesundheitssorge als auch das Recht zur Beantragung von Hilfen zur Erziehung betreffen.
66bb)
67Der Kindesmutter sind die genannten Teilbereiche der elterlichen Sorge zu übertragen. Allerdings ist der Kindesvater – entsprechend seinem Wunsch – regelmäßig von der Kindesmutter über die gesundheitliche Situation der Kinder gemäß § 1686 BGB zu informieren.
68Teilbereiche des Sorgerechts sind gemäß § 1671 Abs. 1 S. 2 Ziff. 2 BGB auf ein Elternteil zu übertragen, wenn dies dem Wohl der Kinder am besten entspricht. Dabei ist auf folgende Kindeswohlkriterien abzustellen: (1) Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl gebotenen Erziehung und Betreuung (Förderungsgrundsatz), (2) Stetigkeit der Entwicklung und Erziehung des Kindes (Kontinuitätsgrundsatz), (3) Bindung des Kindes an Eltern und Geschwister, (4) Kindeswille, soweit er beachtlich und mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Diese Kriterien stehen aber nicht wie Tatbestandsvoraussetzungen kumulativ nebeneinander, so dass jedes einzelne im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam sein kann. Maßgeblich sind daher die konkreten Verhältnisse des Kindes (Döll in: Erman BGB, Kommentar, 17. Auflage 2023, § 1671 BGB, Rn. 19).
69Die Kinder leben im Haushalt der Kindesmutter, die ihre Hauptbezugsperson darstellt. Die Sachverständige empfiehlt trotz erheblicher Bedenken, den Lebensmittelpunkt der Kinder bei der Kindesmutter zu belassen. Der Kindesvater hat nach einer mehrjährigen Unterbrechung erst seit wenigen Monaten wieder Umgangskontakte mit den Kindern. Die Kinder wünschen, weiterhin bei der Kindesmutter im Haushalt zu leben, die die Entscheidungen für sie treffen soll.
70d)
71Der Kindesmutter sind gemäß § 1666 Abs. 1 und 3 Nr. 1 BGB Weisungen zur Ausübung ihres Sorgerechts im Bereich der Gesundheitssorge und des Rechts zur Beantragung öffentlicher Hilfen zu erteilen.
72Generell ist für Maßnahmen nach § 1666 BGB erforderlich, dass eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls vorliegt, zu deren Abwendung die sorgeberechtigten Personen nicht gewillt oder in der Lage sind. Erst wenn eine Kindeswohlgefährdung feststeht, stellt sich die Frage nach der erforderlichen und geeigneten Maßnahme und nach deren Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6.2.2019 - XII ZB 408/18 - FamRZ 2019, 598 Rn. 18 und BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 13 ff. m.w.N.; BGH, Beschluss vom 21.9.2022 – XII ZB 150/19 –, Rn. 21, juris). Einer ziemlichen Sicherheit des Schadenseintritts im Sinne einer höheren Schadenswahrscheinlichkeit bedarf es unter Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit nicht, soweit es um eine der in § 1666 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BGB exemplarisch normierten Kinderschutzmaßnahmen unterhalb der Schwelle der Sorgerechtsentziehung geht (BGH, Beschluss vom 21.09.2022 - XII ZB 150/19, Rn. 21; BGH, FamRZ 2019, 598, Rn. 18 f., 34; BGH, FamRZ 2017, 212, Rn. 13 ff., 27). Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss die anzuordnende Maßnahme zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung effektiv geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Die Erforderlichkeit beinhaltet dabei das Gebot, aus den zur Erreichung des Zweckes gleich geeigneten Mitteln das mildeste, die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigende Mittel zu wählen (BGH, FamRZ 2014, 543, Rn. 20).
73Nach diesem Maßstab sind gegenüber der Kindesmutter Weisungen gemäß § 1666 Abs. 1 und 3 BGB zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung geboten.
74aa)
75Beide Kinder benötigen für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung eine therapeutische Anbindung, die die Kindesmutter – und ihr folgend die Kinder – bislang nicht bereit war, anzunehmen.
76Nach dem Ergebnis des psychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. besteht bei beiden Kindern ein tiefgreifender Loyalitätskonflikt aufgrund der seit vielen Jahren bestehenden hochbelasteten Situation zwischen den Kindeseltern, die zu einer Überidentifikation mit der Kindesmutter und einer Überdistanzierung zum Kindesvater geführt hat. Die Entfremdung vom Kindesvater führe zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres psychischen Wohlbefindens und ihrer sozial-emotionalen Entwicklung und der Identitätsbildung. Beide Kinder benötigten in ihrer emotionalen Entwicklung und Stärkung ihrer Persönlichkeit eine therapeutische Anbindung. Insbesondere bei D. reiche die seelische Widerstandskraft nicht aus, die Bedingungen ihrer belastenden Lebenssituation ohne intensive Unterstützung von außen zu kompensieren.
77Dieses Ergebnis ist – wie bereits dargestellt – überzeugend. Um die therapeutische Anbindung sicherzustellen, gilt es zunächst, der Kindesmutter und damit auch den Kindern die Notwendigkeit und Nützlichkeit dieser Maßnahme zu verdeutlichen und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu erwecken. Geeignetes Mittel ist ein Erziehungsbeistand als konkrete Ansprechperson, die bei der tatsächlichen Umsetzung der therapeutischen Maßnahme Bedenken ausräumen und Hilfe leisten kann. Langfristiges Ziel ist es, die Ablehnung der Kinder gegenüber dem Kindesvater zu überwinden sowie ihre Entwicklung zu eigenständigen Persönlichkeiten zu fördern.
78Ohne eine therapeutische Anbindung der Kinder ist – wie bereits dargestellt – zu befürchten, dass diese in ihrer Autonomieentwicklung eingeschränkt sind und sich der Loyalitätskonflikt aufgrund der elterlichen Dynamik weiter verfestigt. Der Umgang der Kinder mit dem Kindesvater entspricht deren Wohl. Dies ergibt sich zum einen aus der Umgangsvereinbarung zwischen den Kindeseltern vom 14.5.2024, die vom Senat mit Beschluss vom 17.5.2024 gebilligt wurde und nach der der Kindesvater mit beiden Kinder einmal im Monat für 3 Stunden begleiteten Umgang hat. Zum anderen zeigt die Entwicklung der Umgangskontakte, dass die Kinder sich sehr wohl auf den Kindesvater freuen und die Zeit mit ihm genießen können. So begrüßten sie ihn bei dem ersten Umgangstermin nach einer längeren Umgangspause herzlich. Die Kindesmutter hingegen vermittelte den Kindern ihre eigene kritische Haltung gegenüber den Umgangskontakten und hinderte die Kinder damit an der Entwicklung einer eigenständigen Position. Deutlich wurde dies bei dem zweiten Umgangstermin der Kinder mit dem Kindesvater, in dem sich die Kinder deutlich ablehnend zeigten, ohne dass dies durch ein Verhalten des Kindesvaters verursacht worden sein kann, da es keinerlei Kontakt des Kindesvaters zu den Kindern zwischen den beiden Umgangsterminen gegeben hatte.
79Neben einer therapeutischen Anbindung ist es zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung erforderlich, dass eine weitere Person über die Entscheidungen der Kindesmutter im Bereich der (körperlichen) Gesundheitssorge umfassend informiert ist. Denn – wie bereits dargestellt – traf die Kindesmutter in der Vergangenheit im Bereich der Gesundheitssorge nicht sachgerechte Entscheidungen, indem sie M. ein nicht notwendiges, aber verschreibungspflichtiges Medikament verabreichte, das mit gravierenden Nebenwirkungen verbunden sein kann. Dabei folgte die Kindesmutter zum einen einem ärztlichen Rat, indem sie das von einem Arzt verschriebene Medikament verabreichte, und setzte sich zum anderen über einen ärztlichen Rat hinweg, indem sie den Ausschluss der Rheumadiagnose bei M. nach umfangreichen Untersuchungen während eines mehrtägigen stationären Aufenthalts überging und auf die Medikation drängte. Damit ist es notwendig, die Entscheidungen der Kindesmutter gegebenenfalls kritisch zu hinterfragen und zumindest den Kindesvater umfassend zu informieren (§ 1686 BGB).
80Der Annahme einer Kindeswohlgefährdung und die Erteilung von Weisungen und Auflagen stehen auch nicht die Willensäußerungen der Kinder entgegen, die äußerten, dass ihre Mutter alle Entscheidungen allein treffen solle und sie den Vater nicht sehen wollen. Denn diese Äußerungen resultieren erkennbar aus einer Überidentifikation mit der Kindesmutter. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Kinder zumindest während des Umgangstermins in der Interaktion mit dem Kindesvater positive Verhaltensweisen zeigten, und sich regelmäßige Umgangstermine noch nicht etabliert haben. Es ist davon auszugehen, dass sich eine positive Einstellung der Kindesmutter zu der Hilfe eines Erziehungsbeistands und eine therapeutische Anbindung auf die Kinder übertragen wird.
81Die Kindesmutter erklärte in ihrer mündlichen Anhörung durch den Senat, dass sie mit einem Erziehungsbeistand einverstanden sei und mit diesem zusammen arbeiten werde. Auch werde sie den Kindesvater umfassend im Bereich der Gesundheitssorge informieren. Da sie in der Vergangenheit nicht immer eine Zusammenarbeit mit Fachkräften dauerhaft umgesetzt hat, ist ihr zur Sicherstellung der Umsetzung insoweit eine Weisung zu erteilen. Gleiches gilt für die Information des Kindesvaters im Bereich der Gesundheitssorge.
82bb)
83Die Weisungen sind zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung geeignet.
84Nach dem Ergebnis des Gutachtens der Sachverständigen H. setzt die gebotene therapeutischen Anbindung der Kinder voraus, dass die Kindesmutter diese zumindest nicht ablehnt. Dazu gilt es, deren Bereitschaft für die therapeutische Anbindung der Kinder zu wecken und ihr die Notwendigkeit der Maßnahme zu verdeutlichen. Dies könne – in einem ersten Schritt – durch eine Erziehungsbeistandschaft geschehen, die die Befürchtungen der Kindesmutter aufgreifen und sie entkräften kann. Da die Kindesmutter nun ihre Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit erklärt hat, sieht der Senat die Chance, dass die Kindesmutter sich zum Wohl ihrer Kinder auf eine fachliche Beratung einlassen und entsprechende Hilfen annehmen kann. Auch hat sich die Kindesmutter mit der Vereinbarung vom 14.5.2024 auf Umgangstermine des Kindesvaters mit den Kindern eingelassen. Das genügt für eine positive Prognose dahin, dass sie – unter dem Eindruck von Weisungen – einen Erziehungsbeistand beantragen und mit diesem zusammenarbeiten wird und ihr eine Reflektion ihrer Einstellung zu Bindungen der Kinder zum Kindesvater möglich sein wird.
85Bei einer umfassenden Information des Kindesvaters im Bereich der Gesundheitssorge ist sichergestellt, dass insbesondere M. nicht über einen längeren Zeitraum einer medizinischen Behandlung ausgesetzt ist, deren Notwendigkeit zumindest fraglich erscheint.
86cc)
87Zur Erreichung dieses Zwecks ist die Weisung auch erforderlich und angemessen. Insbesondere ist aktuell kein milderes Mittel zur Abwendung der dargestellten Kindeswohlgefährdung ersichtlich. Da die Kindesmutter zwar ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Fachkräften bekundet hat, aber gegenüber dem Jugendamt bislang einen Erziehungsbeistand abgelehnt hat, ist ihre dauerhafte Mitwirkung ohne eine Weisung nicht sichergestellt. So stellte die Kindesmutter bislang ihre Mitwirkung ein, sobald ihr eine Sichtweise vermittelt wurde, die von ihrer Position abwich. In der Vergangenheit hat die Kindesmutter den Kindesvater nicht immer zeitnah über ärztliche Diagnosen informiert und ihm Arztberichte übersandt. Dabei ist zu beachten, dass es hier lediglich um den niedrigschwelligen Sorgerechtseingriff einer Auflage nach § 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB geht.
88dd)
89Konkret und bestimmt war der Kindesmutter die Weisung zu erteilen, einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung in Form eines Erziehungsbeistands zu stellen, auf eine Bescheidung durch das zuständige Jugendamt zu drängen, mit der Person des Erziehungsbeistands zusammen zu arbeiten und diese Hilfe zur Erziehung nicht ohne Rat des Erziehungsbeistands zu beenden. Die zeitnahe Information des Kindesvaters über ärztliche Diagnosen und die Übersendung von Arztberichten war ihr ebenfalls aufzuerlegen.
90An die Bestimmtheit eines Gebots zur Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen und der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt nach § 1666 Abs. 3 BGB sind nur geringe Anforderungen zu stellen. Denn solche Gebote haben typischerweise nicht primär den Zweck, vollstreckt zu werden, sondern zielen auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, indem sie einen stärkeren Eingriff in das Sorgerecht, etwa eine (Teil-)Sorgerechtsentziehung, erübrigen können. Bei Nichtbefolgung der Gebote ist vorrangig nicht deren zwangsweise Durchsetzung in Betracht zu ziehen. Vielmehr sind angesichts fehlender Kooperation der Eltern weitergehende Sorgerechtsmaßnahmen zu prüfen. Die Weisung muss aber inhaltlich so bestimmt sein, dass die Eltern eindeutig erkennen können, welches konkrete Verhalten von ihnen verlangt wird (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4.1.2023 – II-1 UF 112/22 –, Rn. 10 - 23, juris m.w.N.)
91Aus den erteilten Weisung und Auflagen kann die Kindesmutter ohne Weiteres erkennen, was von ihr verlangt wird. Dabei kann es gegebenenfalls – nach Rücksprache mit dem Jugendamt – ausreichend sein, den bereits gestellten Antrag des bisherigen Ergänzungspflegers auf einen Erziehungsbeistand weiter zu verfolgen und gegenüber dem Jugendamt deren Bescheidung einzufordern.
92e)
93Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG und die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 45 Abs. 1 FamGKG.
94Rechtsbehelfsbelehrung:
95Diese Entscheidung ist unanfechtbar.