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Der Bescheid der Gemeinde über die Ausübung des Vorkaufsrechts gem. §§ 24, 28 BauGB stellt einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt dar. Dieser führt dazu, dass unmittelbar ein neuer Kaufvertrag zwischen der ausübenden Gemeinde und dem Verkäufer begründet wird (im Anschluss an BGH, Urteil vom 5. Mai 1988 – III ZR 105/87 -, juris).
Macht der Verkäufer geltend, dass ein Vorkaufsrecht der Gemeinde nicht bestehe, weil in Abweichung vom Inhalt der notariellen Urkunde eine gemischte Schenkung vereinbart worden sei, muss er den Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts anfechten. Denn in einem gerichtlichen Verfahren, das Ansprüche aus dem aufgrund der Ausübung des Vorkaufsrechts entstandenen Kaufvertrag zwischen Gemeinde und Verkäufer zum Gegenstand hat, gehen von dem Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts Bindungswirkungen aus; es unterliegt danach nicht mehr der Prüfungskompetenz des Zivilgerichts, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts einen (reinen) Kaufvertrag gem. § 433 BGB zum Gegenstand hat. Dies gilt nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts gem. § 44 VwVfG NRW nichtig ist, weil er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das am 15. Juli 2024 verkündete Urteil des Landgerichts Bochum gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil er davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Es wird Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von 3 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses gegeben.
Gründe:
2I.
3Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Übereignung des nachfolgend bezeichneten Grundstücks auf der Grundlage eines von ihr ausgeübten gemeindlichen Vorkaufsrechts.
4Das Grundstück Gemarkung D., Flur N01, Flurstück N02, W.-straße 2a in D. stand und steht im Eigentum des Beklagten. Es liegt im Bereich des Bebauungsplans der Klägerin mit der Nr. N03 vom 27.08.1991.
5Mit Beschluss vom 02.04.2020 hat der Rat der Klägerin den Beginn der vorbereitenden Untersuchungen zur Prüfung der Sanierungsbedürftigkeit im Bereich der S.-straße in D. Süd gemäß § 141 Abs. 3 BauGB festgesetzt. Am selben Tag hat der Rat der Klägerin für den Bereich der S.-straße in D. Süd eine Vorkaufssatzung im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB erlassen, um eine geordnete städtebauliche Entwicklung zu sichern. Hiervon ist auch der Kreuzungsbereich S.-straße/W.-straße erfasst.
6Das streitgegenständliche Grundstück liegt im Bereich der Vorkaufssatzung.
7Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 06.12.2022 (UR-Nr. N04 der Notarin G.) verkaufte der Beklagte an seinen Cousin, den Zeugen R., das streitgegenständliche Grundstück. Der von dem Zeugen R. für das Grundstück zu zahlende Kaufpreis betrug 40.000.00 €. Der Vertrag wurde zunächst von der Ehefrau des Beklagten, Frau Q., abgeschlossen. Der Beklagte genehmigte das Geschäft am 09.12.2022.
8Für die weiteren Einzelheiten wird auf den notariellen Vertrag (Bl. 14 ff. erstinstanzliche Akte, nachfolgend: d.A.) Bezug genommen.
9Mit an den Beklagten gerichteten und förmlich zugestellten und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid vom 06.03.2023 erklärte die Klägerin die Ausübung des Vorkaufsrechts bezüglich des streitgegenständlichen Grundstücks (Bl. 30 ff. d.A.). Rechtsmittel gegen den Bescheid legte der Beklagte nicht ein.
10Der Beklagte lehnte mit E-Mail vom 15.08.2023 (Bl. 38 d.A.) das vorgerichtliche Begehren der Klägerin auf Übereignung des streitgegenständlichen Grundstücks ab.
11Unter Berufung auf das ausgeübte Vorkaufsrecht hat die Klägerin die Übereignung des Grundstücks Zug-um-Zug gegen Zahlung von 40.000 € und die Feststellung des Annahmeverzugs beantragt.
12Der Beklagte hat Klageabweisung mit der Behauptung beantragt, es sei eine gemischte Schenkung vereinbart worden, weshalb – so hat er gemeint – das Vorkaufsrecht der Klägerin nicht bestehe. Der Bescheid der Klägerin über die Ausübung des Vorkaufsrechts sei gem. § 44 VwVfG nichtig.
13Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme der Klage vollumfänglich mit der Begründung stattgegeben, zur Überzeugung der Kammer sei ein Kaufvertrag ohne Schenkungsanteil vereinbart worden.
14Wegen der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, der erstinstanzlich gestellten Anträge und der rechtlichen Ausführungen wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 121 ff. d.A.) verwiesen.
15Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrages der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
16Mit der Berufung begehrt der Beklagte die Abweisung der Klage. Er ist der Auffassung, dass das Landgericht das Ergebnis der Beweisaufnahme unter Verletzung materiellen Rechts unzutreffend gewürdigt habe. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 23.09.2024 Bezug genommen (Bl. 84 ff. zweitinstanzliche Akte, nachfolgend: GA).
17Der Beklagte beantragt,
18unter Abänderung des am 15.07.2024 verkündeten Urteils des Landgerichts Bochum (Az. I-5 O 467/23) die Klage abzuweisen.
19Die Klägerin beantragt,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Ihren Berufungsantrag hat die Klägerin bislang nicht begründet.
22II.
23Die zulässige Berufung des Beklagten ist offensichtlich unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, dem Beklagten günstigere Entscheidung, § 513 ZPO.
24Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage als begründet erachtet.
251.
26Der Klägerin steht ein Anspruch auf Übereignung des streitgegenständlichen Grundstücks zu. Der Beklagte ist – wie vom Landgericht ausgeurteilt – gem. § 433 Abs. 1 BGB verpflichtet, die Auflassung und die Bewilligung zur Eintragung ins Grundbuch zur erklären.
27Zwischen den Parteien ist ein Kaufvertrag über das streitgegenständliche Grundstück aufgrund der wirksamen Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts gem. §§ 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB in Verbindung mit den erlassenen Satzungen vom 02.04.2020 zustande gekommen. Entgegen der Ansicht des Beklagten steht in Übereinstimmung mit der Auffassung des Landgerichts fest, dass der Beklagte einen Kaufvertrag (ohne einen schenkungsrechtlichen Anteil) über das streitgegenständliche Grundstück zum Kaufpreis von 40.000 € abgeschlossen hat. Hiervon ist aufgrund des bestandskräftigen und nicht gem. § 44 VwVfG NRW nichtigen Bescheids der Klägerin über die Ausübung des Vorkaufsrechts vom 06.03.2023 auszugehen.
28a)
29Der Bescheid der Klägerin vom 06.03.2023 über die Ausübung des Vorkaufsrechts führt dazu, dass ein Kaufvertrag zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu den Bedingungen des notariellen Kaufvertrages vom 06.12.2022 entstanden ist.
30Die Klägerin hat auf der Grundlage der Vorkaufsrechtssatzung vom 02.04.2020 und dem Beschluss des Rates der Klägerin vom 02.04.2020 zur Prüfung der Sanierungsbedürftigkeit das Vorkaufsrecht ausgeübt. Die §§ 24 Abs. 1 Nr. 3, 25 Abs. 1 Nr. 2 BauGB sind hierfür die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.
31Die Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß § 28 Abs. 2 BauGB stellt einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt dar (BVerwG, Beschluss vom 30. November 2009 – 4B 52/09 –, Rn. 5 juris). Der bestandskräftige Verwaltungsakt führt dazu, dass unmittelbar ein neuer Kaufvertrag zwischen der ausübenden Gemeinde und dem Verkäufer begründet wird, mit dem Inhalt, wie er zwischen dem Verpflichteten und dem Käufer besteht (BGH, Urteil vom 05. Mai.1988 – III ZR 105/87 –, Rn. 13 juris; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Stock, 154. EL April 2024, BauGB § 28 Rn. 35, 36 mwN, beck-online).
32Der Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts ist bestandskräftig geworden.
33Denn der Beklagte hat trotz Rechtsbehelfsbelehrung keine Rechtsbehelfe gegen den Verwaltungsakt eingelegt.
34b)
35Der bestandskräftige Verwaltungsakt umfasst rechtlich bindend die Feststellung, dass über das streitgegenständliche Grundstück ein Kaufvertrag (ohne schenkungsrechtliche Anteile) abgeschlossen worden ist.
36Die Ausübung des Vorkaufsrechts nach dem BauGB (§§ 24 ff. BauGB) setzt unter anderem voraus, dass im Sinne § 463 BGB, auf den in § 28 Abs. 2 S. 2 BauGB unter anderem verwiesen wird, ein das Vorkaufsrecht auslösender wirksamer Kaufvertrag geschlossen wurde.
37Dementsprechend hat die Gemeinde bei der Prüfung, ob ein Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts erlassen werden darf, die privatrechtliche Vorfrage des Bestehens eines Kaufvertrages einzubeziehen (Schrödter, Baugesetzbuch, BauGB § 28 Rn. 59, beck-online). Daher gehört es unter anderem zur gerichtlichen Überprüfung eines Bescheides gemäß § 28 BauGB, ob ein (reiner) Kaufvertrag vorliegt oder die Existenz eines gemischten Schenkungsvertrages der Ausübung des Vorkaufsrechts entgegensteht (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. Januar 2013 – 4 LA 173/12 –, Rn. 5 - 6, juris; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 20. Juni 2003 – 3 UE 371/03 –, Rn. 25, juris).
38c)
39Aus dem vorbeschriebenen Umfang der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass des privatrechtsgestaltenden Verwaltungsaktes folgt die entsprechende Bindungswirkung für das hier gegenständliche zivilgerichtliche Verfahren. Im allgemeinen zivilgerichtlichen Verfahren wird dementsprechend nur über die inhaltlichen Rechtsfolgen der vorausgesetzten wirksamen Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts befunden (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 14. Juli 1995 – V ZR 31/94 -, beck-online).
40d)
41Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Bescheid vom 06.03.2023 nicht gem. § 44 Abs. 1 VwVfG NRW unwirksam, weshalb der Senat aufgrund der von ihm ausgehenden Bindungswirkung von dem Bestehen eines Kaufvertrages auszugehen hat.
42Ein Verwaltungsakt ist gem. § 44 Abs. 1 VwVfG NRW ausnahmsweise nur dann nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Offenkundigkeit bedeutet, dass die schwere Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts für einen unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten, verständigen Beobachter ohne Weiteres ersichtlich sein, sich geradezu aufdrängen muss (OVG Münster Beschl. vom 21. Februar 2020 – 8 A 3269/18- mwN, BeckRS 2020, 10186 Rn. 7, beck-online).
43aa)
44Der gegenständliche Bescheid vom 06.03.2023 leidet nicht an einem besonders schwerwiegenden Fehler.
45Die Klägerin konnte und durfte nach Maßgabe der ihr vorgelegten notariellen Urkunde vom 06.12.2022 davon ausgehen, dass ein Kaufvertrag über das streitgegenständliche Grundstück abgeschlossen wurde. Hierfür sprechen sowohl die Bezeichnung („Kaufvertrag“) des beurkundeten Rechtsgeschäfts als auch der Inhalt der Urkunde. Denn diese enthielt bezüglich der dort getroffenen rechtsrelevanten Regelungen allein die Elemente eines Kaufvertrages. Die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Vertragsurkunde (vgl. hierzu etwa BGH, Urt. v. 6.3.2020 – V ZR 2/19-; Beschluss vom 31.10.2002 – V ZR 100/02 -, jeweils juris) streitet dafür, dass neben den niedergelegten kaufvertraglichen Bestimmungen keine weitere Vereinbarung zwischen den Parteien dahingehend getroffen wurde, dass ergänzend hinsichtlich eines den vereinbarten Kaufpreis übersteigenden objektiven Verkehrswertes des Grundstücks eine unentgeltliche Zuwendung gem. § 516 Abs. 1 BGB vorliegt.
46Die von dem Beklagten behauptete Divergenz zwischen Kaufpreis und Verkehrswert des Grundstücks sowie der im Notarvertrag enthaltene Hinweis der beurkundenden Notarin, dass eine Schenkungssteuerpflicht bestehen könne (Bl. 26 d.A.), begründet jedenfalls nicht einen besonders schweren Fehler im oben genannten Sinne. Denn wie das Landgericht zutreffend im angefochtenen Urteil ausgeführt hat, bedeutet vor dem Hintergrund der für eine Schenkung erforderlichen Einigung über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung eine Abweichung zwischen objektivem Verkehrswert und Kaufpreis nicht zwangsläufig, dass eine Schenkung im Rechtssinne vorliegt.
47Es geht nach alledem zu Lasten des Beklagten, dass er im Verwaltungsverfahren keine Gründe vorgetragen hat, die zu einer von der Urkunde abweichenden Einschätzung der Rechtsnatur des Vertrages hätte führen können, und er auch keinen Rechtsbehelf gegen den Bescheid vom 06.03.2023 eingelegt hat.
48Im Übrigen merkt der Senat an, dass der vom Beklagten behauptete Verkehrswert des Grundstücks nicht dem objektiven Verkehrswert des Grundstücks entsprechen dürfte (§ 194 BauGB). Denn die Behauptung des Klägers gründet allein auf dem Vergleichswert der einschlägigen Bodenrichtwertzone laut der Datenerhebung des Gutachterausschusses für die Ermittlung von Grundstückwerten (§ 193 BauGB). Dabei wird außer Acht gelassen, dass nach den eigenen Angaben des Beklagten das aufstehende Gebäude keinen jedenfalls relevanten Wert zum Wertermittlungsstichtag (Datum des Kaufvertrages) aufwies, weshalb er allein auf den Grundstückswert abstellt. Der von ihm vorgetragene Zustand des aufstehenden Gebäudes hat zur Folge, dass § 8 Abs. 3 Nr. 3 ImmowertV relevant wird, wonach bauliche Anlagen, die nicht mehr wirtschaftlich nutzbar sind und zur alsbaldigen Freilegung anstehen, zu einer Verminderung des Wertes des Grundstücks führen, weil der Wirtschaftsverkehr die zur Beseitigung des Gebäudes entstehenden Kosten vom Wert des Grundstücks absetzt.
49bb)
50Der nach Auffassung des Beklagten gegebene Fehler ist zudem nicht im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG offensichtlich.
51Denn in Anbetracht der unter oben aa) angeführten Entscheidungsgrundlage in der Form der notariellen Kaufvertragsurkunde und der aus seinem Inhalt folgenden Rechtswirkungen musste es sich einem verständigen Beobachter nicht aufdrängen, dass die Einschätzung der Klägerin bezüglich des Vorliegens eines Kaufvertrages schwerwiegend fehlerhaft war.
522.
53Da der Beklagte sich trotz des angebotenen Betrages von 40.000 € weigerte, das streitgegenständliche Grundstück zu übereignen, hat das Landgericht nach Maßgabe der §§ 293, 298 BGB zu Recht den Annahmeverzug des Beklagten festgestellt.
54III.
55Auf die Kostenprivilegierung im Falle der Berufungsrücknahme wird hingewiesen (GK, KV 1222).
56Nach diesem Hinweis ist die Berufung zurückgenommen worden.