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In der durch § 69 Abs. 4 BZRG angeordneten Anwendung der §§ 34, 46 BZRG in der ab dem 01.07.2022 geltenden Fassung auf nicht gelöschte Eintragungen im Zentralregister liegt kein Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot bzw. gegen allgemeine Vertrauensschutzgesichtspunkte oder gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 GG.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheides sowie nach Maßgabe der zutreffenden Ausführungen in der dem Betroffenen bekannt gemachten Gegenerklärung des Bundesamtes für Justiz vom 29.08.2024 auf Kosten des Betroffenen (§ 22 GNotKG i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 19 GNotKG) als unbegründet verworfen.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten wird als unbegründet zurückgewiesen, da die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 29 Abs. 3 EGGVG, 114 ff. ZPO).
Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§ 36 Abs. 3 GNotKG i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 19 GNotKG).
Zusatz:
2Das Bundesamt für Justiz hat die für den Betroffenen im Zentralregister eingetragene Verurteilung durch das Amtsgericht Hamburg vom 21.02.2006 (Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern gem. §§ 176 Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 1, 176a Abs. 2, § 52 StGB a.F. zu Recht in das erweiterte Führungszeugnis vom 19.04.2024 aufgenommen (§§ 34 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 S. 2, 36 Satz 1, 69 Abs. 4 BZRG in der ab dem 01.07.2022 bzw. ab dem 09.12.2022 geltenden Gesetzesfassung).
3Sofern der Betroffene meint, er sei durch eine nachträgliche „Änderung der Löschungsfrist“ in seinen Rechten verletzt, was einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot darstelle bzw. gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes verstoße, wonach er sich „auf die zum Zeitpunkt der Verurteilung geltenden Löschungsfristen verlassen“ könne, unterliegt er einem Missverständnis. Die hier gegenständliche Eintragung im Zentralregister war zu keinem Zeitpunkt gelöscht bzw. getilgt, sie wurde lediglich nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 S. 1 BZRG in der bis zum 30.06.2022 geltenden Gesetzesfassung nach zehn Jahren zuzüglich der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten, insgesamt also 12 Jahren und vier Monaten, ab dem 21.02.2006 (vgl. § 36 S. 1 BZRG in der bis zum 30.06.2024 geltenden Fassung) nicht mehr in das der Auskunft über Eintragungen im Zentralregister dienende erweiterte Führungszeugnis aufgenommen. Die Frist für die Tilgung von Eintragungen im Zentralregister ist demgegenüber in § 46 BZRG geregelt. Nach § 46 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3 BZRG in der bis zum 30.06.2022 – und auch in der zum Zeitpunkt der Verurteilung durch das Amtsgericht Hamburg am 21.02.2006 vom 01.09.2005 bis zum 24.04.2006 geltenden Fassung - geltenden Gesetzesfassung betrug die Tilgungsfrist für die hier gegenständliche Eintragung im Zentralregister 20 Jahre zuzüglich der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten, beginnend ab dem Tag des ersten Urteils (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 36 Abs. 1 Satz 1 BZRG in der bis zum 30.06.2022 geltenden Fassung). Vor Ablauf dieser Frist und Entfernung der Eintragung aus dem Zentralregister ist am 01.07.2022 das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.06.2021 in Kraft getreten, mit dem die Aufnahmefrist für das erweiterte Führungszeugnis (§ 34 Abs. 2 Nr. 2 BZRG) für die hier gegenständliche Eintragung – entsprechend der Tilgungsfrist - auf 20 Jahre – jeweils zuzüglich der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr (vgl. §§ 46 Abs. 3 S. 1 bzw. § 34 Abs. 3 S. 2 BZRG) - verlängert wurde (vgl. dazu auch Senat, Beschluss vom 06.11.2023 zu III-1 VAs 72/23).
4In der durch § 69 Abs. 4 BZRG angeordneten Anwendung der §§ 34, 46 BZRG in der ab dem 01.07.2022 geltenden Fassung auf die hier gegenständliche Eintragung im Zentralregister liegt kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) und auch kein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG). In Bezug auf die Anwendung des § 46 BZRG schon deshalb, weil die Gesetzesänderung an der Tilgungsfrist - wie ausgeführt - in Bezug auf die hier verfahrensgegenständlichen Delikte nichts geändert hat. Im Übrigen schon deswegen, weil die Ausdehnung der verlängerten Aufnahmefrist auf im Zentralregister vorhandene Eintragungen wegen der in § 34 Abs. 2 Nr. 2 BZRG näher bezeichneten Delikte keine „Bestrafung“ im Sinne des Art. 103 Abs. 2, Abs. 3 GG darstellt, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (vgl. Senat, Beschluss vom 06.11.2023 zu III-1 VAs 72/23; Senat, Beschluss vom 22.04.2024 zu III-1 VAs 2/24 – juris). Denn als Bestrafung i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG ist jede staatliche Maßnahme anzusehen, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten enthält und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängt, das dem Schuldausgleich dient (vgl. BeckOK, Grundgesetz, 56. Ed., 15.8.2023, Art. 103 Rn. 19 f., m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Ausdehnung der Aufnahmefrist von 20 Jahren auf Verurteilungen wegen besonders kinder- und jugendschutzrelevanter Straftaten soll einen umfassenden Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt gewährleisten (vgl. BT-Drs. 19/23707, S. 1 f., S. 49 f.). Es handelt sich hierbei auch unter Berücksichtigung des mit der Aufnahme in das erweiterte Führungszeugnis womöglich einhergehenden Tätigkeitsausschlusses nach § 72a SGB VIII nicht um eine vergeltende Sanktion im o.g. Sinne. Aus demselben Grund ist auch der Schutzbereich des Art. 103 Abs. 3 GG nicht eröffnet, der zudem - anders als Art. 103 Abs. 2 GG - nur erneute Sanktionen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze erfasst.
5Entgegen der Auffassung des Betroffenen liegt in der durch § 69 Abs. 4 BZRG angeordneten Anwendung der §§ 34, 46 BZRG in der ab dem 01.07.2022 geltenden Fassung auf die hier gegenständliche Eintragung im Zentralregister auch kein Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot bzw. gegen allgemeine Vertrauensschutzgesichtspunkte oder gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 GG. Die allgemeine Erwartung eines Bürgers, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt. Vor dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes bedarf es einer besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, die bezüglich der Verlängerung der Aufnahmefrist für besonders kinder- und jugendschutzrelevanter Delikte in dem umfassenden Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt und dem Interesse an ihrer ungestörten Entwicklung und ihrem ungestörten Aufwachsen (vgl. BT-Drs. 19/23707, S. 1 f., S. 49 f.) zu sehen ist. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Betroffene uneingeschränkt auf den Fortbestand der bis zum 30.06.2022 geltenden Rechtslage vertrauen durfte und gemessen hieran durch die Anwendung der ab dem 01.07.2022 geltenden Neuregelung in einem schutzwürdigen Vertrauen enttäuscht worden wäre. Denn bereits in der Vergangenheit ist es zu Fristenänderungen bzw. der Einführung neuer Fristen in Bezug auf § 34 BZRG, insbesondere gerade im Zusammenhang mit der Einführung des erweiterten Führungszeugnisses nach § 30a BZRG, gekommen (vgl. das Fünfte Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes, BGBl. I 2009 Nr. 42). Selbst wenn man dies vor dem Hintergrund des dem Betroffenen am 03.06.2022 (nach der bis zum 30.6.2022 geltenden Rechtslage) erteilten eintragungsfreien Führungszeugnisses anders sehen wollte, was der Senat für sehr zweifelhaft hält, ginge der umfassenden Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt und das Interesse an deren ungestörter Entwicklung und ungestörtem Aufwachsen, den die Verlängerung der Aufnahmefrist für besonders kinder- und jugendschutzrelevanter Straftaten gewährleisten soll (vgl. BT-Drs. 19/23707, S. 1 f., S. 49 f.), vor. Vor diesem Hintergrund scheidet auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes aus, da sie jedenfalls durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist.