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Auch in den Fällen, in denen der Frachtführer lediglich im Rahmen der Haftungshöchstgrenzen des § 431 Abs. 1, 4 HGB haftet oder lediglich in dieser Höhe in Anspruch genommen wird, kann sich ein Mitverschulden des Absenders, der eine Wertdeklaration unterlässt, obwohl er zumindest wissen muss, dass der Frachtführer die Sendung bei dieser Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandelt, ergeben, wenn der auf den Gesamtschaden bezogene Haftungsanteil betragsmäßig hinter der Haftungssumme des § 431 HGB zurückbleibt (wie BGH, Urteil vom 23.07.2020, Az. I ZR 119/19, RdTW 2020, S. 366, Rn. 70; anders Koller, RdTW 2020, S. 450ff., unter Ziff. II.).
Der im Fall des Verlustes von Transportgut zu leistende Schadensersatz bestimmt sich primär nach dem Marktpreis (§ 429 Abs. 3 S. 1 HGB); maßgeblich ist insoweit der Verkäuflichkeitswert auf der Handelsstufe des Veräußerers. Das gilt auch, wenn der Verlust noch nicht verkauften Gutes auf einem Transport zu einem Lager des Absenders eingetreten ist.
Eine Absetzung von Beförderungskosten (§ 429 Abs. 3 S. 2 HGB) kommt nicht in Betracht, wenn der Absender unwidersprochen darlegt, dass er gegenüber seinen Kunden stets Frankopreise verlangt.
Die Berufung der Beklagten gegen das am 4.1.2023 verkündete Urteil des Landgerichts Detmold wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage gegen den Beklagten zu 1), soweit sie auf Freistellung der Klägerin von vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtet ist, gänzlich abgewiesen wird.
Die Kosten der Berufung tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für die Berufungen der Beklagten: Je 117.323,70 €; Gesamtstreitwert 117.323,70 €
Gründe:
2A.
3Die Klägerin ist alleiniger Verkehrshaftungsversicherer der K. SE (Versicherungsnehmerin).
4Die K. SE beauftragte den Beklagten zu 1) mit dem Transport von Bauchemie-Produkten (insbes. Kleb- und Dichtstoffe im Gesamtgewicht von 11.684 kg) der R. GmbH (Versenderin) von deren Sitz in E. (Q.) zum Lager der K. SE in D.. Dort nahm bzw. nimmt die R. GmbH eine Zwischenlagerung ihrer Produkte für den Absatz u.a. im Benelux-Bereich vor.
5In den Bedingungen der Versicherungsnehmerin (Ziff. 7 Allgemeine Geschäftsbedingungen Ladeauftrag) war eine Haftung für Güterschäden in Höhe von „40 Rechnungseinheiten je kg des Rohgewichtes des in Verlust geratenen … Gutes“ vorgesehen.
6Der Beklagte zu 1) beauftragte seinerseits den Beklagten zu 2) bezüglich des (Weiter-)Transports des Aufliegers von seinem Sitz in Z. nach D.; die schriftliche Vereinbarung enthielt u.a. eine Haftungsbegrenzung auf 40 SZR/kg.
7Über den Inhalt der Sendung oder deren Wert erhielt der Beklagte zu 1) von der Versicherungsnehmerin der Klägerin im Rahmen der Auftragserteilung keine Informationen.
8Der Fahrer des Beklagten zu 2) übernahm den beladenen Auflieger am Sitz des Beklagten zu 1) in der G.-straße in Z. (Landkreis P.) am Abend des 16.7.2021 (Freitag) und verbrachte ihn in Absprache mit dem Beklagten zu 1) auf dessen umzäunten und mit einem doppelflügeligen Eingangstor versehenen Abstellplatz T.-straße 00. Mit der abgekoppelten Zugmaschine verließ er den Abstellplatz. Von dort wurde der Auflieger in der Nacht auf Montag, den 19.7.2021, entwendet. Die Versenderin nahm die K. SE auf Zahlung von 196.808,15 € in Anspruch, die daraufhin ihrerseits den Beklagten zu 1) zum Ausgleich aufforderte.
9Die Klägerin hat behauptet, der Warenwert des entwendeten Gutes habe bei 196.808,15 € gelegen. Sie habe in der Folgezeit den Transportverlustschaden des Versenders (auf der Basis einer Haftung von 8,33 SZR/kg) in Höhe von 117.323,70 € reguliert. Die K. SE habe ihre Ansprüche gegenüber den Beklagten an sie mit Erklärung vom 30.6.2022 abgetreten. Dem Beklagten zu 1) sei die Weitergabe des Transportauftrags nicht gestattet gewesen.
10Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagten hafteten gem. §§ 424, 431, 437, 435 HGB auf den Schaden in regulierter Höhe.
11Die Klägerin hat beantragt,
12die Beklagten zu verurteilen,
131. als Gesamtschuldner an sie 117.323,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.05.2022 zu zahlen,
142. sie von Kosten der X. Rechtsanwälte in Höhe von 2.904,70 € freizuhalten.
15Die Beklagten haben beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie haben die Aktivlegitimation der Klägerin in Abrede gestellt und die Auffassung vertreten, der Diebstahl stelle ein für sie unvermeidbares Ereignis dar. Sie haben behauptet, das Tor zu dem Abstellplatz, auf dem der Fahrer S. des Beklagten zu 2) den Auflieger am Abend des 16.7.2021 abgestellt habe, sei in der Tatnacht mit einer Kette und einem Vorhänge-Zahlenschloss verschlossen gewesen. Der Beklagte zu 1) habe den Abstellplatz/ das Betriebsgelände noch am Abend des 18.7.2021 gegen 22.25 Uhr begangen und keine Auffälligkeiten bemerkt. S. habe den Verlust am Morgen des 19.7.2021 gegen 4.45 Uhr festgestellt, als er den Auflieger habe weiterbefördern wollen.
18Das Landgericht hat der Klage nach umfangreicher Beweisaufnahme mit der Einschränkung stattgegeben, dass es nur den Beklagten zu 1) zur Freistellung der Klägerin von vorgerichtlichen Anwaltskosten verurteilt hat. Zur Begründung hat es – bezüglich der Hauptforderung - ausgeführt, die Klägerin sei infolge der Regulierung (§ 86 Abs. 1 S. 1 VVG) oder der Abtretung Inhaberin der Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten aus dem Verlust des Gutes, für den die Beklagten gem. § 425 HGB einstehen müssten. Sie könnten sich nicht auf § 426 HGB berufen. Aus der Aussage des Zeugen I. ergebe sich auch, dass der Wert der Sendung 196.808,15 € betragen habe.
19Mit ihren Berufungen verfolgen die Beklagten die Klageabweisung weiter.
20Sie meinen, die Voraussetzungen des § 426 HGB (Haftungsausschluß) seien erfüllt; das Landgericht habe die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Unabwendbarkeit überspannt.
21Der Beklagte zu 1) führt aus, die vom Landgericht erörterten alternativen Sicherungsmaßnahmen hätten den Diebstahl ebenfalls nicht verhindert. Da es sich nicht um diebstahlsgefährdetes und um für Kriminelle schwer zu vermarktendes Gut gehandelt habe, sei davon auszugehen, dass Diebe mit einem entsprechenden Abnehmerkreis gezielt auf diesen Auflieger zugegriffen hätten, was sich nicht habe vermeiden lassen.
22Der Beklagte zu 1) meint, das Landgericht habe ferner sein rechtliches Gehör verletzt und eine Überraschungsentscheidung getroffen, indem es auf den nicht erörterten Umstand abgestellt habe, dass sich der Abstellplatz in unmittelbarer Nähe zu den Autobahnen N01 und N02 sowie zum A. Dreieck befunden habe. Überdies hätte das Landgericht nicht von einer Vernehmung des Fahrers des Beklagten zu 2), des als Zeugen benannten L., absehen dürfen.
23Ferner hätte das Landgericht die bestrittene Schadenshöhe nicht als nachgewiesen ansehen dürfen. Die von der Klägerin vorgelegten Lieferscheine bzw. die Preisliste (Anl K5 und K6 zur Klageschrift) seien zum Nachweis nicht geeignet.
24Der Beklagte zu 2) trägt des Weiteren vor, im Fall der Kenntnis des hohen Warenwertes für ein Abstellen des Aufliegers auf dem überwachten Betriebsgelände der F. GmbH & Co. KG in Y. gesorgt zu haben.
25Der Beklagte zu 2) vertritt ebenfalls die Auffassung, der Verlust des Gutes sei für ihn unvermeidbar gewesen. Er verweist darauf, der Auflieger habe sich (immerhin) auf einem umzäunten Gelände hinter einem verschlossenen Tor befunden; auch sei „das Betriebsgelände“ regelmäßig befahren bzw. besucht worden. Ein Abstellen von Aufliegern in Wohngebieten sei ohnehin nicht möglich; auf die Nähe eines Abstellplatzes zur nächsten Autobahn könne es nicht ankommen, da in Deutschland ein dichtes Fernstraßennetz existiere.
26Er meint, der Klägerin falle es zur Last, dass die Absenderin bzw. die K. SE die „erhöhte Schadenstauglichkeit“ der Sendung nicht mitgeteilt habe. Es sei Sache des Auftraggebers, dem Frachtführer „durch klare Angaben im Frachtauftrag die objektiv gegebene besondere Gefahrenlage bei der Durchführung des Transports zu verdeutlichen“. Da es sich hier nicht um besonders diebstahlsgefährdetes Gut gehandelt habe, seien jedoch auch keine besonderen Sicherungsmaßnahmen zu treffen gewesen.
27Auch der Beklagte zu 2) hält die von der Klägerin vorgelegten Lieferscheine und die die darin enthaltenen Preise nicht für eine ausreichende Grundlage zur Schadensfeststellung.
28Die Beklagten beantragen,
29unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Detmold die Klage vollständig abzuweisen.
30Die Klägerin beantragt,
31die Berufungen zurückzuweisen,gegenüber dem Beklagten zu 1) mit der Maßgabe, dass er hilfsweise anstelle der Verurteilung zur Freistellung von den Kosten der X. Rechtsanwälte in Höhe von 2.293,70 € zur Zahlung von 2.293,70 € verurteilt wird.
32Sie verteidigt das Urteil und hält den Vortrag der Beklagten in der Berufungsinstanz in Bezug auf nächtliche Kontrollen des Abstellplatzes für unsubstantiiert und unerheblich. Sie bestreitet solche Kontrollen seitens des Beklagten zu 1) im fraglichen Zeitraum ebenso wie die Behauptung, die Beklagten hätten den Auflieger in Kenntnis des Warenwerts auf einem Platz in Y. abgestellt. Es gebe auch keine „Organisation“ bei den Beklagten, wonach ab einem bestimmten Warenwert „andere Parkplätze“ angefahren würden.
33Sie vertritt die Auffassung, ein Mitverschulden ihrer Versicherungsnehmerin komme ohnehin nicht in Betracht, weil ein Frachtführer stets damit rechnen müsse, innerhalb der Haftungshöchstbeträge in Anspruch genommen zu werden.
34Im Übrigen sei die Überzeugung des Landgerichts vom Sendungswert fehlerfrei zustande gekommen und daher auch für die Berufungsinstanz bindend.
35Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat den Beklagten zu 1) angehört; seine sowie die Erklärungen der Mitarbeiterin des Beklagten zu 2), Frau M., sowie des Sohnes V. des Beklagten zu 1) ergeben sich aus dem Berichterstatter-Vermerk.
36B.
37Die zulässigen Berufungen der Beklagten bleiben in der Hauptsache ohne Erfolg; lediglich die Verurteilung des Beklagten zu 1) zur Freistellung der Klägerin von den vorgerichtlichen Anwaltskosten hat keinen Bestand.
38I. Der Klägerin steht gegen beide Beklagte als Gesamtschuldner ein Schadensersatzanspruch wegen des Verlustes des am 16.7.2021 von der R. GmbH übernommenen Gutes auf Zahlung von 117.323,70 € zu.
391. Die Klägerin ist Inhaberin dieses Anspruchs.
40Sie ist infolge der Abtretung der Ansprüche seitens der K. SE vom 30.6.3022 Anspruchsinhaberin geworden. Diese Abtretung ist gem. den nicht angegriffenen Feststellungen im Urteil des Landgerichts im Laufe des Verfahrens unstreitig geworden.
41Es ist davon auszugehen, dass diese Abtretung vor der vom Landgericht ebenfalls festgestellten Regulierung des Schadens der R. GmbH durch die Klägerin in Höhe von 117.323,70 € (bereits) mit Zugang bei der Klägerin (§ 151, S. 1 BGB) wirksam geworden ist (die von der Klägerin als Anl. K15 zur Klageschrift vorgelegte Überweisungsübersicht weist als „Buchungsdatum“ den 5.7.2022 aus, wobei es sich dabei um das Datum der Belastung des Kontos der Klägerin handeln dürfte, weil nicht ersichtlich ist, dass sie über den Zeitpunkt der Buchung auf dem Zielkonto informiert ist).
42Die Frage, ob die Anspruchsinhaberschaft der Klägerin auf einer rechtsgeschäftlichen Abtretung oder auf dem gesetzlichen Forderungsübergang (§ 86 Abs. 1 S. 1 VVG) beruht, kann im Übrigen an dieser Stelle offenbleiben.
432. Der Anspruch der Klägerin (aus übergegangenem Recht der K. SE) ergibt sich dem Grunde nach gegenüber dem Beklagten zu 1) aus §§ 407, 425 Abs. 1, 429 HGB, gegenüber dem Beklagten zu 2) aus den vorgenannten Vorschriften in Verbindung mit § 437 Abs. 1 S. 1 HGB.
44Sollte es im Verhältnis zwischen der Versicherungsnehmerin und dem Beklagten zu 1) („Frachtführer“) zu einer – wirksamen - Haftungserweiterung (durch Anhebung der Haftungshöchstgrenze auf 40 SZR/kg) gekommen sein, würde sie den Beklagten zu 2) („ausführender Frachtführer“) gleichfalls binden, weil er sich mit dem Beklagten zu 1) auf eine entsprechende Haftungserweiterung verständigt hat (Ebenroth/Boujong/Schaffert, HGB, 5. Aufl., § 437 Rn. 27).
45Die gesamtschuldnerische Haftung beider Beklagter ist in § 437 Abs. 3 HGB angeordnet.
46a) Es ist ein Verlust des Transportgutes in der Obhutszeit der Beklagten zu 1) und 2) eingetreten.
47Der Auflieger mit dem Gut wurde durch den Beklagten zu 1) selbst bzw. einen seiner Fahrer von der R. GmbH an deren Sitz in E. am 16.7.2021 übernommen; der Verlust trat ein, als sich der Auflieger auf seinem (damaligen) Betriebsgelände in Z. befand.
48Aber auch in der Person des Beklagten zu 2) lagen die Voraussetzungen des §§ 425 Abs. 1, 437 Abs. 1 S. 1 HGB vor. Der Auflieger stand trotz des Abstellens auf einem Betriebsgelände des Beklagten zu 1) auch in der Obhut des Beklagten zu 2). Dafür ist es nicht von Bedeutung, ob dieses Gelände durch ein (Zahlen-)Schloss gesichert war, wie die Beklagten behaupten. Denn der Beklagte zu 2) konnte jederzeit auf den Auflieger zugreifen. Seinem Fahrer war, wie der Beklagte zu 1) selbst – vom Beklagten zu 2) unwidersprochen – vorträgt, der Code des Zahlenschlosses bekannt und er war intern berechtigt, den Auflieger jederzeit zur Weiterbeförderung nach D. abzuholen.
49b) Die Beklagten können sich nicht auf einen Fall der Unabwendbarkeit des Verlustes (§ 426 HGB) berufen.
50aa) Die Unabwendbarkeit des Schadens – hier des Verlustes infolge des Diebstahls – ist anhand des Maßstabs eines „idealen“ Frachtführers zu bestimmen, der eine über den gewöhnlichen Durchschnitt erheblich hinausgehende Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Umsicht sowie ein geistesgegenwärtiges und sachgemäßes Handeln im Rahmen des Menschenmöglichen an den Tag legt (BGH, Urt. vom 13.12.1990, BGHZ 113, S. 164, 165). Dies bedeutet, dass der Schaden auch bei Anwendung der äußersten nach den Umständen möglichen und zumutbaren Sorgfalt unabwendbar sein musste (z.B. BGH, Urt. vom 18.1.2001, Az. I ZR 256/98, zum gleichlautenden Art. 17 Abs. 2, 4. Alt. CMR).
51bb) Dass die Beklagten diesem Sorgfaltsmaßstab bzw. dieser Umsicht genügt hätten, ist nicht ersichtlich.
52(1) Es ist unstreitig, dass der beladene Auflieger auf einem lediglich durch ein Vorhänge-Zahlenschloss (mit Kette) gesicherten Platz von der Zugmaschine des Beklagten zu 2) abgekoppelt und ohne jegliche bordeigenen Sicherungsvorkehrungen (etwa in Gestalt eines sog. Königszapfenschlosses oder eines GPS-Trackers) dort über das Wochenende auf Montag, den 19.7.2021 zurückgelassen wurde. Der Platz selbst und dessen Zufahrt waren weder elektronisch noch durch regelmäßige Kontrollen überwacht. Auch der Beklagte zu 1) behauptet nicht, dass regelmäßige nächtliche Kontrollen stattgefunden hätten. Der Code des Zahlenschlosses war den Mitarbeitern des Beklagten zu 1), aber auch Dritten, wie u.a. dem Fahrer des Beklagten zu 2) bekannt.
53(2) Die äußerste nach den Umständen mögliche Sorgfalt hätte es jedoch erfordert, sich über den Inhalt der Sendung und deren (Verkaufs-)Wert zu informieren und sodann einem – gegenüber dem „Ausräumen“ des Aufliegers an Ort und Stelle besonders unauffälligen - Abtransport des Aufliegers durch eine mitgeführte Zugmaschine entgegenzuwirken, und zwar entweder durch die Installation und Vornahme wirksamer Überwachungsmaßnahmen auf dem Platz (namentlich durch Kameras), durch ein Unterlassen des Abkoppelns der Zugmaschine des Beklagten zu 2) oder durch Verbringung des Aufliegers auf einen gesicherten Abstellplatz.
54Sollte die Behauptung der Beklagten zutreffen, wonach Sicherungsmaßnahmen am Auflieger selbst („Königszapfenschloss“ bzw. elektronischer Sender) überwindbar gewesen wären und heute als nutzlos gälten, hätte für einen „idealen“ Frachtführer umso dringenderer Anlass bestanden, die vorgenannten Sicherungsvorkehrungen zu treffen.
55Das – nach Darstellung der Beklagten – vorhandene Schloss bot hingegen erkennbar keinen nennenswerten Diebstahlsschutz, weil es – abgesehen von der Weitergabe des Codes an eine Vielzahl von Personen - mit einem einfachen Werkzeug (Bolzenschneider) in Sekundenschnelle überwunden werden konnte.
56Für die Frage der Unabwendbarkeit kommt es im Übrigen letztlich nicht auf die Belegenheit des Platzes im Wahrnehmungsbereich benachbarter Gewerbeflächen, an auch nachts (hinlänglich) frequentierten Straßen oder in der Nähe von Autobahnen an. Konkrete Eigenschaften des Geländes T.-straße 00, die den Zugriff von Dieben auf dort abgestellte Auflieger bzw. deren Ladung objektiv erschwert hätten, sind jedenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich.
57Soweit der Beklagte zu 1) nunmehr vorträgt, der Platz sei „mehrfach nachts bzw. auch in den Morgenstunden … durch Mitarbeiter … angefahren worden“, vermag auch dies die Unabwendbarkeit nicht zu begründen. Es ist nicht erkennbar, dass und in welcher Häufigkeit der Abstellplatz auch in der betreffenden Tatnacht von – berechtigten – Fahrern aufgesucht worden ist und dass diese den Abtransport des Aufliegers durch Diebe hätten bemerken müssen. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Vortrag gem. § 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen ist.
58(3) Dieser Sorgfaltsmaßstab schwächt sich auch nicht im Hinblick auf die – unstreitig – fehlende allgemeine Diebstahlsgefährdung des Gutes ab. Mögen Produkte der Bauchemie auch nicht dieselbe Verwertbarkeit auf dem Schwarzmarkt haben wie Zigaretten oder Unterhaltungselektronik, musste ein idealer Frachtführer gleichwohl in Rechnung stellen, dass im Hinblick auf solche Täter, die den Inhalt der Ladung kennen und über Wege ihrer Verwertung verfügen, eine spezielle Diebstahlsgefährdung existierte.
59bb) Schließlich stellte auch das Unterbleiben einer Vernehmung des Zeugen S. keinen Verfahrensfehler des Landgerichts dar. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Umstände, für die der Fahrer benannt worden ist (nämlich für die Daten des Abstellens des Aufliegers und seines Erscheinens am Abstellort am Morgen des 19.7.2021 bzw. für eine erfolglose „Nachschau“), Bedeutung für die Frage der Unabwendbarkeit haben.
60c) Der Schadensersatzanspruch ist nicht durch ein Mitverschulden der Versicherungsnehmerin der Klägerin (§ 425 Abs. 2 HGB) gemindert worden.
61Ein solches Mitverschulden könnte sich im vorliegenden Fall nur daraus ergeben, dass die K. SE gegenüber dem Beklagten zu 1) – unstreitig - keine Angaben zum Wert der Sendung gemacht hat, worauf sich auch der Beklagte zu 2) berufen könnte (§ 437 Abs. 2 HGB).
62Das Unterlassen einer Wertdeklaration kann einen Fall des Mitverschuldens (§§ 425 Abs. 2 HGB, 254 Abs. 1 BGB) begründen, und zwar unter zwei Aspekten, die hier beide nicht eingreifen:
63aa) Zum einen kann der Absender in einen nach § 425 Abs. 2 HGB, § 254 Abs. 1 BGB beachtlichen Selbstwiderspruch geraten, wenn er Kenntnis davon hatte oder hätte haben müssen, dass der Frachtführer die Sendung bei zutreffender Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandelt, jedoch von einer Wertdeklaration absieht und bei Verlust gleichwohl vollen Schadensersatz verlangt. Von einem Kennenmüssen der Anwendung höherer Sorgfalt bei korrekter Wertangabe kann etwa dann ausgegangen werden, wenn sich aus den Beförderungsbedingungen des Frachtführers ergibt, dass er für diesen Fall bei Verlust oder Beschädigung des Gutes höher haften will, weil zur Vermeidung der versprochenen höheren Haftung erfahrungsgemäß höhere Sicherheitsstandards gewählt werden (BGH, Urt. vom 23.7.2020, Az. I ZR 119/19, RdTW 2020, S. 366, Rn. 66).
64(1) Zwar kann sich auch in den Fällen, in denen der Frachtführer lediglich im Rahmen der Haftungshöchstgrenzen des § 431 Abs. 1, 4 HGB haftet oder - wie im vorliegenden Fall – lediglich in dieser Höhe in Anspruch genommen wird, ein Mitverschulden auswirken, nämlich dann, wenn der auf den Gesamtschaden bezogene Haftungsanteil betragsmäßig hinter der Haftungssumme des § 431 HGB zurückbleibt (BGH, a.a.O., Rn. 70; anders Koller, RdTW 2020, S. 450ff., unter Ziff. II.). Sollte sich der „Gesamtschaden“ infolge des Verlustes der Sendung gem. dem insoweit einschlägigen § 429 HGB also im Rahmen der Haftungshöchstbeträge des § 431 HGB bewegen, so kann sich danach also ein jegliches Mitverschulden des Absenders auf die Höhe des Schadensersatzanspruchs auswirken.
65(2) Das Unterlassen einer Wertdeklaration gegenüber dem Beklagten zu 1) war jedoch nicht pflichtwidrig.
66Das übernommene Gut war wegen des beschränkten und üblicherweise nicht auf dubiose Beschaffungswege zurückgreifenden Abnehmerkreises (Bauunternehmer bzw. Bauhandwerker) unstreitig nicht besonders diebstahlgefährdet.
67Ferner durfte die Versicherungsnehmerin der Klägerin davon ausgehen, der Beklagte zu 1) werde ohnehin damit rechnen, dass der Wert transportierter Produkte der Bauchemie die Haftungshöchstbeträge des § 431 HGB ausschöpfen könne bzw. dass er im Verlustfall (jedenfalls) in dieser Höhe in Anspruch genommen werde. Angesichts des jedenfalls bekannten Sendungsgewichts von über 11.000 kg konnte der Beklagte zu 1) daher einen möglichen Wert der Sendung im Fall der Ausschöpfung der Höchstbeträge gem. § 431 HGB ohne Weiteres überschlägig ermitteln und mithin im Bereich von über 100.000,00 € ansiedeln.
68Dafür spricht im vorliegenden Fall insbesondere, dass in Ziff. 7 der „Allgemeine Geschäftsbedingungen Ladeauftrag“ sogar ein Haftungshöchstbetrag von 40 SZR/kg vereinbart war. Auf die Frage der Wirksamkeit der vorgenannten Klausel (nach den Maßstäben des § 449 Abs. 2 HGB) kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
69(3) Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass die Versicherungsnehmerin der Klägerin wusste oder jedenfalls wissen musste, dass der Beklagte zu 1) im Fall der Kenntnis vom (tatsächlichen) Sendungswert den Auflieger anders transportiert, ihn namentlich über das Wochenende auf den 19.7.2021 auf einem gesicherten Platz abgestellt hätte, wie der Beklagte zu 1) behauptet hat.
70Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass die Versicherungsnehmerin angesichts der Vereinbarung eines Haftungshöchstbetrags von 40 SZR/kg in Ziff. 7 „Allgemeine Geschäftsbedingungen Ladeauftrag“ vielmehr Anlass für die Annahme hatte, der Beklagte zu 1) stelle sich darauf ein, dass der Wert der Sendung die Haftungshöchstbeträge gem. § 431 Abs. 1 HGB eventuell sogar erheblich überschritt.
71bb) Zum anderen kann den Absender ein Mitverschulden unter dem Aspekt des Unterlassens eines Hinweises auf einen ungewöhnlich hohen Schaden treffen (§§ 425 Abs. 2 HGB, 254 Abs. 2 S. 1 BGB).
72Insoweit kommt es nicht – wie unter aa) - darauf an, ob der Absender Kenntnis davon hatte, dass der Frachtführer das Gut mit größerer Sorgfalt behandelt hätte, wenn er den tatsächlichen Wert gekannt hätte. Stattdessen geht es um die allgemeine Obliegenheit, auf einen außergewöhnlichen Schaden hinzuweisen, um dem Vertragspartner die Möglichkeit zu geben, geeignete Maßnahmen zu treffen.
73Die ungewöhnliche Höhe eines Schadens ergibt sich nicht allein aus einem bestimmten Wert des Gutes oder aus einer bestimmten Wertrelation; vielmehr kann die Frage, ob ein ungewöhnlich hoher Schaden droht, regelmäßig nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Dabei ist maßgeblich auf die Sicht des Schädigers abzustellen und auch zu berücksichtigen, welche Höhe vergleichbare Schäden erfahrungsgemäß – also nicht nur selten – erreichen. Vor allem von Bedeutung ist, in welcher Höhe der Schädiger Haftungsrisiken vertraglich eingeht und andererseits von vornherein auszuschließen bemüht ist. Angesichts der Haftungsbegrenzung in § 431 Abs. 1 HGB erscheint es naheliegend, im Frachtrecht die Gefahr eines besonders hohen Schadens im Sinne von § 254 Abs. 2 S. 1 BGB in solchen Fällen anzunehmen, in denen der Wert der Sendung den zehnfachen Betrag der Regelhaftung gem. § 431 Abs. 1 HGB übersteigt (BGH, Urt. vom 23.7.2020, Az. I ZR 119/19 ., Rn. 53f.; auch BGH, Urt. vom 13.6.2012, Az. I ZR 87/11, NJW 2012, S. 3774).
74Nach diesen Maßstäben ist hier nicht von der Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens auszugehen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der Beklagte zu 1) davon ausgehen konnte, der Wert des Gutes schöpfe noch nicht einmal den Haftungshöchstbetrag des § 431 Abs. 1 HGB aus. Er hat auch gegenüber der Versicherungsnehmerin der Klägerin nicht zu erkennen gegeben, Verlustrisiken im Umfang der gesetzlichen Höchstbetragshaftung nicht übernehmen zu wollen, vielmehr ist er mit einer erheblichen Anhebung des Höchstbetrags in den „Allgemeinen Geschäftsbedingungen Ladeauftrag“ konfrontiert worden, ohne dem zu widersprechen.
75Raum für die Annahme eines außergewöhnlich hohen Schadens bestünde im vorliegenden Fall deshalb allenfalls dann, wenn der Wert der Sendung des 10-fachen Höchstbetrag gem. § 431 Abs. 1, 4 HGB überschritt. Das ist bei weitem nicht der Fall, selbst wenn die Wertangaben der Absenderin zugrunde gelegt würden.
76cc) Die vorgenannten Erwägungen gelten auch im Verhältnis zum Beklagten zu 2).
77Es kann offenbleiben, ob der ausführende Frachtführer im Sinne des § 437 Abs. 2 HGB dem Empfänger gegenüber einwenden kann, sein unmittelbarer Auftraggeber habe gem. § 425 Abs. 2 HGB einen Beitrag zum Schaden – hier also in Form unterbliebener Wertangaben – geleistet. Das wäre der Fall, wenn ihm mit der Regelung in § 437 Abs. 1 S. 1 HGB eine Direkthaftung nur insoweit zugemutet wird, als er selbst oder seine Hilfspersonen den Schaden zu verantworten haben (so z.B. Koller, a.a.O., § 437 Rn. 19, Ebenroth/Boujong/Schaffert, a.a.O., § 437 Rn. 14; Oetker/Paschke, HGB, 8. Aufl., § 437 Rn. 2; möglicherweise auch BeckOK HGB/Kirchhof, § 437 Rn. 14, Stand 01.04.2024).
78Sollte diese Auffassung zutreffen, könnte sich der Beklagte zu 2) der K. SE bzw. Klägerin (§ 404 BGB) gegenüber dennoch nicht auf ein Fehlverhalten des Beklagten zu 1) berufen. Denn auch der Beklagte zu 1) war gegenüber dem Beklagten zu 2) nicht gehalten, ihn über die Werthaltigkeit der Sendung zu informieren. Die vorgenannten Erwägungen, die das Verhältnis der Versicherungsnehmerin der Klägerin zum Beklagten zu 1) betreffen, gelten hier entsprechend. Insbesondere hatte auch der Beklagte zu 1) keine Anhaltspunkte dafür, der Beklagte zu 2) wolle noch nicht einmal die Haftung im Rahmen des § 431 Abs. 1, 4 HGB übernehmen.
79d) Da die Klägerin lediglich Ansprüche im Rahmen der Haftungshöchstbeträge gem. § 431 Abs. 1, 4 HGB verfolgt, kommt es nicht darauf an, ob die Beklagten an dem Diebstahl ein qualifiziertes Verschulden (§ 435 HGB) trifft.
803. Die Einwendungen der Beklagten gegen die Höhe des verlangten und zugesprochenen Schadensersatzes verhelfen den Berufungen der Beklagten im Ergebnis ebenfalls nicht zum Erfolg.
81a) Im Fall des Verlustes von Transportgut ist Schadensersatz in Höhe des Wertes am Ort und zur Zeit der Übernahme zur Beförderung zu leisten (§ 429 Abs. 1 HGB). Der Wert des Gutes bestimmt sich nach dem Marktpreis, sonst nach dem gemeinen Wert von Gütern gleicher Art und Beschaffenheit (§ 429 Abs. 3 S. 1 HGB).
82Marktpreis ist der bei regelmäßigem Absatz der Güter gleicher Art und Beschaffenheit zum Zeitpunkt der Übernahme zur Beförderung im Handelsverkehr erzielte Durchschnittspreis. Wird ein Gut am Ort der Übernahme auf unterschiedlichen Handelsstufen gehandelt, ist der Verkäuflichkeitswert auf der Handelsstufe des Veräußerers maßgeblich (Koller, Transportrecht, 11. Aufl., § 429 HGB Rn. 4; Ebenroth/Boujong/Schaffert, a.a.O., § 429 Rn. 3; s.a. BGH, Urt. vom 27.2.2003, Az. I ZR 145/00, NJW-RR 2003, S. 1344 zu §§ 429f. HGB a.F.).
83b) Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, dass das in Verlust geratene Gut noch nicht verkauft worden war, sondern dem externen Lager der R. GmbH bei der Versicherungsnehmerin der Klägerin zugeführt werden sollte, so dass es keine Rechnungen mit der Vermutungswirkung gem. § 429 Abs. 3 S. 2 HGB gab.
84Auch in einem solchen Fall (s. Koller, a.a.O. Rn. 8) ist jedoch ein Beschaffungswert anzusetzen, der sich an Verkaufspreisen der jeweiligen Handelsstufe orientiert, der Ersatzanspruch beschränkt sich hingegen nicht auf die bloßen „Produktionskosten“ für die Neuherstellung des verlorenen Gutes ohne jegliche Handelsspanne. Das folgt aus § 429 Abs. 3 S. 1 HGB, der nicht – ggf. in Abweichung vom allgemeinen Schadensrecht – auf die dem Geschädigten entstehenden Wiederbeschaffungskosten abstellt, sondern auf den Marktpreis, mithin auf den Verkäuflichkeitswert auf der betreffenden Handelsstufe. Dieser Wert enthält regelmäßig auch Gewinnelemente (Ebenroth/Boujong/Schaffert, a.a.O.; s.a. BGH, Urt. vom 4.11.1955, Az. IZR 14/54, VersR 1955, S. 756 zur KVO und zu § 430 Abs. 1 HGB a.F., wonach in einem gleich gelagerten Fall die „Großhandelspreise für Palmin und Margarine nach der … unstreitig gültigen Preisliste …“ heranzuziehen seien).
85Danach ergibt sich für den maßgeblichen Zeitpunkt der Übernahme des Gutes zur Beförderung am 16.7.2021 ein Wert von (zumindest) 118.067,45 € (netto).
86aa) Zugrunde zu legen war zunächst der Vortrag der Klägerin zum Umfang und zu den Listenpreisen des verschwundenen Gutes.
87(1) Diese Angaben hat bereits der Zeuge I. vor dem Landgericht bestätigt, indem er bekundet hat, dass die verloren gegangene Sendung aus den in dem Lieferschein (Anl. K5) aufgeführten Positionen bestand und dass sich unter Anwendung der „Kundenpreisliste“ Stand 1.7.2021 (die gem. den am Schluss aufgeführten „Allgemeinen Informationen“ Netto-Preise ausweist) daraus ein (Verkaufs-)Wert von insgesamt 196.808,15 € (netto) errechnete. Das Landgericht hat die Aussage für glaubhaft gehalten.
88(2) Konkrete Anhaltspunkte, aus denen sich Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der darauf gründenden Feststellungen des Landgerichts ergäben, die zu einer Wiederholung der Beweisaufnahme nötigten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), sind nicht dargelegt oder sonst ersichtlich.
89Der Hinweis des Beklagten zu 1) in der Berufungsbegründung (Bl. II-173), wonach sich zwei Positionen im Lieferschein (nämlich „C. U. 310ML N03 Beige“ und „C. N. – BASIS - N04 WEISS 290ML“) nicht in der (auch) vom Zeugen erwähnten Preisliste fänden, trifft für „C. U.“ nicht zu, doch ist in der Tat das Produkt „C. N. …“ in der vorgelegten Preisliste nicht aufgeführt (es geht um 600 Packungen zu je 290 ml zum Einzelpreis von 13,33 €, Gesamtpreis (netto) also 7.998,00 €, s. Bl. I-24).
90Dies steht der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen I. jedoch nicht entgegen. Er hat bekundet, die im Lieferschein enthaltenen Preise (es geht um die Version „LIEFERSCHEIN MIT WARENWERT“; Bl. I-21ff.) beruhten auf den Listenpreisen; die Preise seien von den „Kollegen aus der Rechnungsabteilung“ eingesetzt worden. Diese Aussage ist im Kern zutreffend, auch wenn ein im Lieferschein erwähnter Artikel mit seiner konkreten Bezeichnung in der vorgelegten Preisliste keine Erwähnung fand. Die Nichterwähnung des Produkts „C. N. …“ in der Preisliste ist ein Detail, dessen Nichterwähnung durch den Zeugen unerheblich ist und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage im Übrigen nicht berührt, weil sie erst auf einen gezielten Abgleich der Positionen im Lieferschein mit der umfangreichen Preisliste aufgefallen wäre, die von dem Zeugen als Lager- und Logistikleiter nicht zu erwarten war. Maßgeblich ist, dass der Zeuge dargelegt hat, die R. GmbH habe den Haftungsfall nicht zum Anlass genommen, überhöhte Verkaufspreise zu deklarieren.
91Der Senat geht im Übrigen davon aus, dass der Preis für das Produkt „C. N. …“ ebenfalls aufgrund der den betreffenden Mitarbeitern der Produzentin vorliegenden Unterlagen bzw. internen Vorgaben – und unabhängig vom Haftungsfall – genannt worden ist, mag insoweit auch nicht direkt auf die Preisliste zurückgegriffen worden sein. Das ergibt sich aus der Bekundung des Zeugen I. zur Ermittlung der übrigen Preise und daraus, dass sich der Preis für eine Verpackungseinheit „C. N.“ im Rahmen der für sonstige „C.“-Produkte aufgerufenen Listenpreise bewegte (z.B. für den Montageklebstoff „C. N05“ 13,66 €/310 ml-Gebinde).
92bb) Da die Klägerin keine konkrete Aussage zur Handelsstufe treffen konnte, auf der eine Veräußerung des verlorenen Gutes erfolgen sollte, war die von der Klägerin vorgelegte „Rabatt-Tabelle“ (Bl. II-319) heranzuziehen, deren Existenz und Richtigkeit die Beklagten sowie die Streithelferin nicht widersprochen haben.
93Zu Ungunsten der Klägerin war davon auszugehen, dass ein Verkauf des Gutes nur an die „Händler-Zielgruppe“ im Bereich „Bau International“ erfolgt wäre. Für diese Zielgruppe weist die Tabelle die höchsten Rabatte aus, nämlich für die
94B.-Dichtstoffe 5 – max. 40 %,
95C.-Klebstoffe 5 – max. 40 %,
96W. System 5 – max. 41 %,
97H. PU-Schäume 5 – max. 55 % und für
98weitere Produkte (z.B. Primer, Pistolen, Bänder) 5 – max. 41 %.
99Die Sendung (Gesamtlistenpreise: 196.808,15 €) enthielt B.-Produkte im Umfang von 177.406,40 €, aus der Produktgruppe C. Waren im Umfang von 17.658,00 € sowie aus der Gruppe der Primer/Cleaner 1.743,75 €.
100Werden die Maximalrabatte von je 40 % für die Produktgruppen B. und C. abgesetzt, ergeben sich dort Beträge von 106.443,84 € (B.) und 10.594,80 € (C.), für die restlichen Produkte – dort 41 % - verbleiben 1.028,81 €. Mithin beläuft sich der maximal rabattierte Warenwert auf zusammen 118.067,45 €.
101cc) Im Übrigen besteht keine Veranlassung zur Kürzung dieses Warenwertes um einen etwa darin enthaltenen Transport- oder Lagerungsaufwand. Wird das Gut im gesamten Markt zu einem einheitlichen Preis, also nur zusammen mit einer eventuellen Transportleistung, angeboten, kommt im Rahmen des § 429 Abs. 1 HGB eine Kürzung um die kalkulatorisch im Preis enthaltenen Transport- bzw. Beförderungskosten (im weiteren Sinne) nicht in Betracht (Koller, a.a.O., § 429 Rn. 4, 13; Ebenroth/Boujong/Schaffert, a.a.O., § 429 Rn. 3). So liegt es hier, weil die R. GmbH in Deutschland und Österreich sog. Frankopreise verlangt, die vom Ort der Übernahme durch den Käufer unabhängig sind (s. Preisliste im Abschnitt „Allgemeine Informationen“; bei Lieferungen ins Ausland (außer Österreich) behält sich der Produzent die gesonderte Geltendmachung von „Versandspesen“ vor.).
102Sollte sich aus § 429 Abs. 3 S. 2 HGB („abzüglich darin enthaltener Beförderungskosten“) eine auch im Rahmen des § 429 Abs. 1 HGB geltende Vermutung ergeben, dass „Listenpreise“ eines Herstellers stets Beförderungskosten enthalten (so ev. BeckOK HGB Häublein/Hoffmann-Theinert/Kirchhof, § 429 Rn. 5 – Stand 01.04.2024), so hätte die Klägerin diese Vermutung mit der Aussage des Zeugen I. entkräftet, aus der sich ergibt, dass zwar die Listenpreise als solche verhandelbar („ … sind dies die Preise, mit denen wir Kunden gegenüber ‚ins Rennen‘ gehen. …“), aber nicht vom Sitz des Käufers bzw. dem Ort der Warenübergabe abhängig sind.
103c) Der geltend gemachte Betrag übersteigt die in § 431 Abs. 1, 4 HGB festgelegte Haftungshöchstgrenze von 8,33 SZR/kg des Rohgewichts nicht. Das Rohgewicht schließt das Gewicht der Verpackung ein (z.B. Koller, a.a.O., § 431 Rn. 4). Das „Bruttogewicht“ der Sendung betrug 11.684 kg (Übernahmequittung Bl. I-38). Ein SZR betrug am 10.5.2024 genau 1,22535 €; daraus errechnet sich ein Gesamtbetrag von (8,33 SZR/kg x 11.684 kg x 1,22535 €/SZR =) 119.260,52 €.
104Die Frage, ob im Verhältnis zu den Beklagten zu 1) und 2) wirksam ein darüberhinausgehender Haftungshöchstbetrag vereinbart wurde, kann daher offenbleiben.
105II. Die Klägerin kann ferner – wie vom Landgericht zugesprochen - Zinsen auf die Hauptforderung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.5.2022 aus §§ 286, 288 Abs. 1 S. 2 BGB verlangen.
106Der Geltendmachung eines Verzugsschadens steht § 432 S. 2 HGB nicht entgegen (BGH, Urt. vom 29.7.2009, Az. I ZR 171/08, NJW 2009, S. 3239).
107Die Beklagten haben sich am 21.5.2022 in Verzug befunden.
108Der Beklagte zu 1) ist bereits unter dem 28.3.2022 von der Klägerin – auch im Namen der K. SE – zur Schadensersatzleistung in Höhe von 196.808,15 € „innerhalb von 14 Tagen“ aufgefordert worden. In der einseitigen Bestimmung eines Zahlungsziels durch den Gläubiger liegt eine Mahnung, wenn der Gläubiger den Schuldner auffordert, die Rechnung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu begleichen, und damit die für eine Mahnung erforderliche eindeutige Leistungsaufforderung zum Ausdruck bringt (BGH, Urt. vom 12.6.2007, Az. X ZR 157/05, NJW 2006, 3271 Rn. 10). Die Frist berechnet sich ab dem Datum der Mahnung und war am 21.5.2022 längst abgelaufen.
109Unschädlich ist, dass die Versicherungsnehmerin den Beklagten zu 1) auf den Betrag von 196.808,15 € in Anspruch genommen hat. Eine Zuvielforderung stellt die Wirksamkeit der Mahnung und damit den Verzug hinsichtlich der verbleibenden Restforderung nicht in Frage, wenn der Schuldner die Erklärung des Gläubigers nach den Umständen des Falls als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen muss und der Gläubiger zur Annahme der gegenüber seinen Vorstellungen geringeren Leistung bereit ist (BGH, a.a.O., Rn. 16). Diese Voraussetzungen liegen vor, namentlich ist nicht ersichtlich, dass die Versicherungsnehmerin eine sich aus ihrer Sicht als Teilleistung darstellende Zahlung von 117.320,70 € abgelehnt hätte.
110Auch der Beklagte zu 2) wurde mit anwaltlichem Schreiben der Versicherungsnehmerin der Klägerin vom 6.5.2022 zur Zahlung von 196.808,15 € bis zum 20.5.2022 aufgefordert.
111III. Eine Verpflichtung des Beklagten zu 1) zur Freistellung der Klägerin von den vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 2.293,70 € besteht indes nicht.
1121. Der Beklagte zu 1) hat mit seiner Berufung auch seine Verurteilung zur Freistellung gem. § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO wirksam angefochten, auch wenn sich die Berufungsbegründung nicht ausdrücklich mit diesem Anspruch befasst. Denn auch der Schadensersatzanspruch eines Klägers, der sich aus seiner Belastung mit dem Gebührenanspruch eines Anwalts aus dessen vorgerichtlicher Geltendmachung der Hauptforderung ergibt, steht und fällt mit der Existenz dieser Hauptforderung (s.a. BGH, Urt. vom 9.3.2012, Az. V ZR 147/11, NJW 2012, S. 2796, Rn. 16f.).
1132. Die Berufung des Beklagten zu 1) ist in diesem Umfang auch begründet.
114a) Die Klägerin hat keinen Befreiungsanspruch aus eigenem Recht.
115Als Anspruchsgrundlage für den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten infolge der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs aus § 425 Abs. 1 HGB bzw. auf Freistellung von diesen Kosten kommt außerhalb des Tatbestands des § 435 HGB, für den keine ausreichenden Anhaltspunkte vorliegen, nur ein Anspruch auf Verzugsschadensersatz (§§ 280 Abs. 2, 286 BGB) in Betracht, der von § 432 S. 2 HGB nicht ausgeschlossen wird (BGH, Urt. vom 17.9.2015, Az. I ZR 212/13, RdTW 2015, S. 409, Rn. 41).
116Voraussetzung dafür ist, dass sich der Beklagte zu 1) im Zeitpunkt der Einschaltung der Anwälte durch die Klägerin ihr gegenüber bereits mit dem Ausgleich der (berechtigten) Forderung in Verzug befand. Das ist nicht feststellbar. Zwar dürfte das Schreiben der Klägerin vom 28.3.2022 (mit der dortigen Fristsetzung von 14 Tagen) (auch) im eigenen Namen – und nicht nur namens der Versicherungsnehmerin – erfolgt sein, doch war die Klägerin weder im Zeitpunkt des Schreibens selbst noch des Fristablaufs Inhaberin des Schadensersatzanspruchs. Diesen hat sie erst mit Erhalt der auf den 30.6.2021 datierten Abtretungserklärung bzw. der – nachfolgenden (s.o.) – Regulierung erworben.
117War sie aber im Zeitpunkt des 6.5.2022, als die anwaltliche Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs auch in ihrem Namen erfolgte (Anl. 14 zur Klageschrift), noch nicht Inhaberin dieses Anspruchs, kann ihr auch ein eigener Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens in Gestalt der vorgerichtlichen Anwaltskosten nicht zustehen.
118b) Die Klägerin kann sich auch nicht auf einen Befreiungsanspruch aus abgetretenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin, der K. SE, berufen.
119Zwar mag die K. SE aufgrund des Schreibens der Klägerin vom 28.3.2021, das (jedenfalls auch) in ihrem Namen erfolgte, und der nach Verzugseintritt des Beklagten zu 1) vorgenommenen Einschaltung der X. Rechtsanwälte einen Schadensersatzanspruch in Gestalt eines Befreiungsanspruchs von den Gebührenforderungen der Anwälte erworben haben.
120Dieser Befreiungsanspruch, der ebenfalls nicht an § 432 S. 2 HGB scheitert, wenn er infolge des Verzugs des Schuldners mit dem Ausgleich des von ihm geschuldeten Schadensersatzes wegen des Verlusts des Transportguts eingetreten ist (BGH, Urt. vom 17.9.2015, a.a.O.), ist auch „an den Versicherer, der (bei Schadenshaftung) für den Schaden einzustehen hat“, abtretbar (BGH, Urt. vom 14.3.1985, Az. I ZR 168/82, VersR 1985, S. 753; Münchener Komm. BGB/Keiniger, 9. Aufl., § 399 Rn. 16).
121Doch wandelt sich infolge der Abtretung der Befreiungsanspruch in einen Zahlungsanspruch um (BGH, Urt. vom 14.3.1985, a.a.O.). Die Klägerin kann deshalb im vorliegenden Fall nicht Freistellung von Verbindlichkeiten (eigener oder solcher ihrer Versicherungsnehmerin), sondern nur noch Zahlung verlangen.
1223. Gleichwohl kann die Klägerin auch mit dem diesbezüglichen nunmehr gestellten Hilfsantrag, gerichtet auf Zahlung von 2.293,70 €, nicht durchdringen.
123Diese Umstellung des Anspruchs wäre nur im Rahmen einer Anschlussberufung möglich gewesen, zu der es nicht gekommen ist. Zwar handelt es sich bei der infolge der Abtretung eintretenden Umwandlung von einem Befreiungs- in einen Zahlungsanspruch nicht um eine Klageänderung (§ 264 Nr. 3 ZPO), doch kann die Klägerin die Umstellung des Antrags in zweiter Instanz nur dann ohne Einlegung einer Anschlussberufung vornehmen, wenn der maßgebliche Umstand erst im Rahmen der Berufungsinstanz eingetreten ist (BGH, Beschl. vom 18.2.2011, Az. V ZR 197/10, juris Rn. 12; BGH, Urt. vom 7.5.2015, Az. VII ZR 145/12, NJW 2015, S. 2812 Rn. 29) Daran fehlt es hier, weil die Abtretung bereits vorprozessual stattgefunden hatte.
124C.
125Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2, 100 Abs. 4 ZPO; die gesamtschuldnerische Haftung betrifft auch die Kosten eines erfolglosen Rechtsmittels der gesamtschuldnerisch in Anspruch genommenen Beklagten (z.B. OLG Brandenburg, Beschl. vom 19.6.2019, Az. 11 U 157/18; BeckOK ZPO/Vorwerk/Wolf/Jaspersen, § 100 Rn. 22). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
126Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung; auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (das Urteil des OLG Stuttgart vom 5.9.2001, Az. 3 U 30/01, betrifft einen Fall des § 429 Abs. 3 S. 2 HGB, der hier nicht vorliegt) rechtfertigen eine Befassung des Bundesgerichtshofs nicht.