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Die Verweigerung einer Medikation durch einen in einer Justizvollzugsanstalt tätigen Anstaltsarzt kann eine Verletzung der Amtspflicht zur Gewährung einer gem. § 45 StVollzG gebotenen medizinischen Versorgung eines Inhaftierten darstellen und einen Amtshaftungsanspruch begründen.
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 09.06.2023 wird der Beschluss des Landgerichts Essen vom 02.06.2023 abgeändert.
Dem Antragsteller wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt U. aus P. zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts Prozesskostenhilfe für folgende Klageanträge bewilligt:
1. Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger wegen seiner in der Zeit von 30.09.2021 bis 17.12.2021 in der JVA X. unterbliebenen medikamentösen Behandlung mit Psychopharmaka eine Geldentschädigung in Höhe von 3.950,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.07.2022 zu zahlen.
2. Das beklagte Land wird verurteilt, den Kläger in Höhe von 453,87 € von seinen vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten gegenüber Rechtsanwalt U. aus P. freizustellen.
Im Hinblick auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers zum Zeitpunkt der Antragstellung wird von der Anordnung einer ratenweisen Zahlung der Prozesskosten zunächst abgesehen.
Sollten sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ändern, kann dieser Beschluss gemäß § 120a Abs. 1 ZPO abgeändert werden.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe:
2I.
3Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der er das antragsgegnerische Land mit dem Vorwurf, im Strafvollzug in der Zeit vom 30.09.2021 bis 17.02.2021 amtspflichtwidrig nicht medikamentös mit Psychopharmaka behandelt worden zu sein, auf Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 3.950,- € nebst Verzugszinsen seit dem 12.07.2022 sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 453,87 € in Anspruch nehmen will.
4Der Antragsteller wurde im Jahr 1999 bei einem Erdbeben in der H. verschüttet. Aufgrund dieses Erlebnisses litt er an starken Angststörungen, wegen derer er in den folgenden 20 Jahren Psychopharmaka einnahm. Ab dem 00.00.2015 verbüßte der Antragsteller zunächst im geschlossenen Vollzug in den Justizvollzugsanstalten M., X. und V. eine Gesamtfreiheitsstrafe wegen des Verstoßes gegen das BtMG in Höhe von 10 Jahren und 6 Monaten. Mitte 2018 wurde er in den offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt I. verlegt. Während der gesamten Zeit wurde der Antragsteller mit Psychopharmaka behandelt. Mit Medikamentenplan der Psychiaterin K. vom 09.07.2021 wurden dem Antragsteller wegen Schlaflosigkeit, Platzangst und Depressionen die Medikamente L. 37,5 mg und Y. 25 mg verordnet, wobei das zuletzt genannte Medikament später nach Rücksprache mit dem Psychiater S. in der JVA I. durch ein anderes Medikament ersetzt wurde.
5Am 17.09.2021 wurde der Antragsteller zur Durchführung von Quarantänemaßnahmen in den geschlossenen Vollzug der JVA D. verlegt und von dort am 24.09.2021 in den geschlossenen Vollzug der JVA X. weiterverlegt, wo er den Medikamentenplan vorlegte.
6In der Zeit vom 30.09.2021 bis zum 17.12.2021 erhielt der Antragsteller in der JVA X. keine Psychopharmaka mehr. Während dieses Zeitraumes wurde er am 30.09., 05.10., 19.10., 26.10. und 07.12.2021 bei der Anstaltsärztin vorstellig.
7Am 17.12.2021 wurde der Antragsteller wieder in den offenen Vollzug der JVA I. verlegt, wo er sofort wieder medikamentös mit Psychopharmaka behandelt wurde.
8Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.06.2022 forderte der Antragsteller das antragsgegnerische Land wegen der in der Zeit vom 30.09.2021 bis 17.12.2021 in der JVA X. unterbliebenen medikamentösen Behandlung mit Psychopharmaka erfolglos unter Fristsetzung bis zum 11.07.2022 zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 3.950,- € auf.
9Der Antragsteller meint, dass seine zeitweise Nichtbehandlung in der JVA X. mit Psychopharmaka amtspflichtwidrig gewesen sei. Am 30.09.2021 sei ihm – was insoweit unstreitig ist – von der Anstaltsärztin der JVA X. die weitere medikamentöse Versorgung mit Psychopharmaka mit der Begründung verweigert worden, dass er deren Einnahme bereits in der JVA D. verweigert habe. Letzteres sei aber unzutreffend. Er habe die Entgegennahme der ihm in der JVA D. angebotenen Medikamente zunächst allein deshalb abgelehnt, weil er noch über restliche Tabletten aus der JVA I. verfügt habe, die er zunächst habe aufbrauchen wollten. Hierauf habe er auch den ihm die Tabletten anbietenden Vollzugsbeamten der JVA D. hingewiesen. Erst später habe er in der JVA D. die restlichen Tabletten abgeben müssen und fortan die Medikamente unter Aufsicht der Beamten erhalten. Auch in der JVA X. seien ihm die Psychopharmaka zunächst laut Medikamentenplan verabreicht worden. Er habe die Anstaltsärztin am 30.09.2021 und auch nachfolgend noch mehrfach darauf hingewiesen, dass er auf die Medikamente angewiesen sei, weil er sehr wenig schlafe und unter starken Angststörungen leide, seitdem er im Jahr 1999 in der H. verschüttet worden sei. Er habe die Medikation dennoch nicht wiedererhalten. Er habe sich deswegen auch erfolglos an die Vollzugsmitarbeiter E., R. und F. gewandt. Ferner habe er sich zweimal an die Anstaltspsychologinnen O. und J. gewandt, die dann jeweils mit der Anstaltsärztin gesprochen hätten, welche dann aber bei seinen anschließenden Wiedervorstellungen die Medikation weiterhin verweigert habe. Auch seinem Antrag auf Vorführung beim Anstaltspsychiater habe die Anstaltsärztin nicht entsprochen. Außerdem hätten die Medikamente zur Vermeidung von Entzugserscheinungen nicht einfach abgesetzt werden dürfen, sondern hätten ausgeschlichen werden müssen. Wegen des Absetzens der Medikamente und der dreimonatigen Nichtbehandlung habe er täglich unter erheblichen körperlichen Symptomen wie mehrmaligem Erbrechen, Kopfschmerzen, Panikattacken, Luftnot und Platzangst sowie unter Alpträumen, Traurigkeit und starkem Schwitzen gelitten. Zum Ausgleich der von ihm erlittenen immateriellen Nachteile halte er eine Geldentschädigung in Höhe von täglich 50,- € und damit für den Zeitraum vom 30.09.2021 bis 12.07.2021 in Höhe von insgesamt 3.950,- € für angemessen.
10Das antragsgegnerische Land ist dem Klagebegehren mit dem Behaupten entgegengetreten, dass eine Indikation für die angefragte Medikation nicht vorgelegen habe. Gemäß einem Eintrag der Anstaltsärztin der JVA D., Frau A., vom 20.09.2021 sei die Medikation mit L. und N. vom Antragsteller bereits in der JVA D. verweigert und daraufhin dort abgesetzt worden. Darüber sei der Antragsteller von der Anstaltsärztin der JVA X. auch am 30.09., 05.10. und 19.10.2021 noch einmal aufgeklärt worden. Die Vitalzeichen des Antragstellers seien jeweils gut gewesen. Auffälligkeiten im Hinblick auf die antragstellerseits vorgetragenen Symptome hätten nicht bestanden. Zudem sei der Antragsteller mit dem von ihm geltend gemachten Entschädigungsanspruch gemäß § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, weil er es pflichtwidrig unterlassen habe, die unterbliebene Medikation mit einem Rechtsmittel anzufechten. Der Justizvollzugsbeamte F. habe den Antragsteller darauf hingewiesen, dass ihm bei Ablehnung seiner Medikation der Beschwerdeweg offen stünde und er sein Anliegen schriftlich an die Abteilungsleitung zu richten habe. Ein entsprechender schriftlicher Antrag habe jedoch nicht vorgelegen. Auch ein schriftlicher Antrag für ein Gespräch mit der Anstaltsleiterin habe nicht vorgelegen.
11Das Landgericht hat die Gesundheitsakte des Antragstellers beigezogen und sodann mit Beschluss vom 02.06.2023 den Prozesskostenhilfeantrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass der vom Antragsteller beabsichtigten Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg zukomme. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand sei nicht ersichtlich, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren den ihm obliegenden Nachweis für eine Antragstellung auf Wiederaufnahme der Medikation erbringen könne, weshalb er mit dem für sein Klagebegehren allein in Betracht kommenden Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gemäß § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen sei. Nach dem Gespräch mit dem Justizvollzugsbeamten E. habe dem Antragsteller klar sein müssen, dass eine Antragstellung nur bei der für die Medikation zuständigen Anstaltsärztin erfolgen konnte. Dass bei den unstreitig am 30.09., 05.10. und 19.10.2021 mit der Anstaltsärztin geführten Gespräche vom Antragsteller mündlich die Wiederaufnahme der Medikation beantragt worden sei, gebe die Gesundheitsakte nicht her, obgleich andere mündliche Anfragen und Anträge hinsichtlich der Medikation darin vermerkt worden seien. Außerdem hätte sich der Antragsteller mit dem entsprechenden Rechtsbehelf nach § 109 StVollzG zur Wehr setzen können. Der Antragsteller habe insoweit auch schuldhaft gehandelt, weil es ihm zumutbar gewesen wäre, sich bei dem Anstaltspersonal oder Mitgefangenen über die ihm zustehenden Rechtsmittel zu informieren und notfalls auch einen Anwalt zu konsultieren. Das Verschulden des Antragstellers sei auch nicht etwa wegen fehlender Kausalität der unterbliebenen Antragstellung für die Fortdauer der Rechtsverletzung unbeachtlich. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass auch auf einen Antrag des Antragstellers hin die Notwendigkeit der Medikation beklagtenseits nicht überprüft und nicht wiederaufgenommen worden wäre. Vielmehr sei mangels gegenteiliger Indizien davon auszugehen, dass sich das antragsgegnerische Land insoweit rechtmäßig verhalten hätte, insbesondere bei Stellung eines Antrags gem. § 109 StVollzG die Justizvollzugsanstalt die Medikation unverzüglich überprüft und bei Bedarf wiederaufgenommen hätte.
12Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde vom 19.06.2023. Er rügt, dass er zu den Einträgen in der Gesundheitsakte nicht habe Stellung nehmen können. Weiter vertritt er unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens die Ansicht, dass ein Haftungsausschluss nach § 839 Abs. 3 BGB nicht in Betracht komme. Insoweit macht er insbesondere geltend, dass er selbst keinerlei Einfluss auf die Eintragungen in der Gesundheitsakte gehabt habe. Die Medikamente seien von der Anstaltsärztin abgesetzt worden, ohne dass er untersucht worden sei. Es sei nicht ansatzweise dargelegt, warum er die Medikamente nach der Verlegung in die JVA X. nicht mehr benötigt habe. Entsprechende Psychopharmaka dürften auch nicht einfach abgesetzt werden. Seiner Ansicht nach spreche eine Vermutung dafür, dass das Absetzen der Medikamente durch die Anstaltsärztin und die zeitlich unmittelbar danach erfolgten ärztlichen Konsultationen in einem Zusammenhang gestanden hätten. Sämtliche Termine hätten dazu gedient, die Anstaltsärztin davon zu überzeugen, die Medikation wiederaufzunehmen. Er habe mit Schriftsatz vom 21.02.2023 dargelegt und unter Beweis gestellt, über die Anstaltspsychologinnen versucht zu haben, eine Wiederaufnahme der Medikation zu erreichen. Ergänzend beantragt er hierzu seine eigene Parteivernehmung. Über einen von ihm gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG hätte die Strafvollstreckungskammer nicht aus eigener Anschauung entschieden, sondern bestenfalls zur Aufklärung des Sachverhalts ein Sachverständigengutachten eingeholt, da sich weder erschließe, noch seitens des antragsgegnerischen Landes dargelegt worden sei, weshalb die Anstaltsärztin auf einen solchen Antrag hin ihre Meinung hätte ändern sollen. Der für die Einholung des Sachverständigengutachtens erforderliche Zeitraum hätte den Zeitraum der Nichtbehandlung überschritten.
13Das Landgericht hat mit Beschluss vom 30.06.2023 entschieden, der Beschwerde nicht abzuhelfen, und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es unter anderem ergänzend ausgeführt, dass der Antragsteller mit gerichtlichen Schreiben vom 13.03.2023 ausdrücklich auf die Beiziehung der Gesundheitsakte hingewiesen worden sei und ihm danach ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden hätte, Einsicht in diese zu beantragen. Zwar sei streitig, ob die Medikation bereits am 20.09.2021 wegen ihrer Verweigerung durch den Antragsteller abgesetzt worden sei. Die Anstaltsärztin der JVA X. habe aber davon ausgehen müssen, sodass für sie zumindest zunächst kein Anlass bestanden habe, die entsprechende Medikation zu verordnen. Bei einer förmlichen Antragstellung durch den Antragsteller hätte zeitnah – auch ohne ein Gutachten – geklärt werden können, ob es in der JVA D. eine Verweigerung der Medikation durch den Antragsteller und vor diesem Hintergrund ein Absetzen der Medikation gegeben habe. Doch selbst wenn man eine Amtspflichtverletzung in Form einer unterlassenen Medikation annehmen wollte, wäre derzeit nicht feststellbar, dass der Antragsteller dadurch auch einen Gesundheitsschaden erlitten habe. Hinsichtlich der von ihm lediglich sehr pauschal geschilderten täglichen Beschwerden sei nicht ersichtlich, wie sich diese im Nachhinein noch feststellen lassen können sollten, zumal sich solche nicht aus der Gesundheitsakte ergeben würden. Selbst in der JVA I., in der die Medikation später wiederaufgenommen worden sei, sei für den Tag der Verlegung (17.12.2021) dokumentiert worden, dass es dem Antragsteller gesundheitlich gut gehe.
14II.
15Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 19.06.2023 ist gemäß §§ 127 Abs. 2 S. 2 ZPO, 567 Abs. 2 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere vom Antragsteller rechtzeitig innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist des § 127 Abs. 3 S. 3 ZPO eingelegt worden. Der prozesskostenhilfeversagende Beschluss des Landgerichts wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers am 09.06.2023 zugestellt. Die sofortige Beschwerde vom 19.06.2023 ging bereits am 21.06.2023 beim Landgericht Essen ein.
16Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der vom Antragsteller beabsichtigten Rechtsverfolgung kann entgegen dem Landgericht nicht die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht abgesprochen werden.
17A.Der Antragsteller hat die Voraussetzungen für einen ihm wegen seiner unstreitig in der Zeit vom 30.09.2021 bis 17.12.2024 in der JVA X. unterbliebenen Behandlung mit Psychopharmaka zustehenden Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG in hinreichender Weise dargelegt und unter Beweis gestellt.
181.Soweit der Antragsteller entsprechend seinem Behaupten in der Zeit vom 30.09.2024 bis 17.12.2024 zur Behandlung von Schlaflosigkeit, Depressionen und Angststörungen auf die (weitere) Einnahme der ihm jedenfalls bis zum 20.09.2012 verabreichten Psychopharmaka angewiesen gewesen sein und er hierauf die Anstaltsärztin der JVA X. auch hingewiesen haben sollte, diese aber dem Antragsteller die Medikation gleichwohl verweigert haben sollte, wäre hierin eine haftungsbegründende Verletzung der dem antragsgegnerischen Land gemäß § 45 Abs. 1 StVollzG NRW gegenüber dem Antragsteller obliegenden Amtspflicht zur Gewährung der notwendigen, ausreichenden und zweckmäßigen medizinischen Versorgung zu sehen.
19Die Anstaltsärztin der JVA X. hätte jedenfalls dann unabhängig von den beiden von ihr angeführten, in der Gesundheitsakte des Antragstellers befindlichen Voreintragungen der JVA I. vom 19.09.2021 und der JVA D. vom 20.09.2021 die medizinische Notwendigkeit der weiteren Behandlung des Antragstellers mit den ihm zuletzt verabreichten Psychopharmaka überprüfen müssen, wenn der Antragsteller die Anstaltsärztin entsprechend seinem Behaupten am 30.09.2021 und bei seinen weiteren Wiedervorstellungen am 05.10., 19.10. und 26.10.2021 unter Schilderung der von ihm behaupteten Beschwerden um die Weiterverabreichung der Psychopharmaka gebeten haben sollte. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten hat, dass nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht ersichtlich sei, dass dem Antragsteller in der Hauptsache hierfür der Beweis gelingen könnte, vermag der Senat dem nicht folgen, weil das Landgericht insoweit nicht den gesamten unstreitigen wie auch streitigen und unter Beweis gestellten Sachvortrag des Antragstellers berücksichtigt hat.
20Das Landgericht hat seine Bewertung allein auf die in der Gesundheitsakte des Antragstellers enthaltenen Einträge gestützt. Insoweit weist der Antragsteller mit seiner Beschwerde aber zu Recht darauf hin, dass er auf deren Inhalt keinen Einfluss hatte. Abgesehen davon hatte der Antragsteller außer seinem Antrag auf Beiziehung seiner Gesundheitsakte durch zeugenschaftliche Benennung der Justizvollzugsbeamten E., F. und R. auch Beweis dafür angetreten, sich an diese mit dem Anliegen gewandt zu haben, die Medikamente wiederzuerhalten, was vom antragsgegnerischen Land mit Schreiben vom 07.12.2022 hinsichtlich des Zeugen F. sogar ausdrücklich eingeräumt wurde. Danach soll der Zeuge F. aufgrund eines vom Antragsteller schriftlich gestellten Antrages mit diesem am 02.12.2021 ein Gespräch geführt haben, in dem der Antragsteller dem Zeugen F. mitgeteilt haben soll, dass er dringend seine Medikation benötige, weil er sonst nicht einschlafen könne, und dass er (der Antragsteller) diesbezüglich schon mit der Anstaltsärztin gesprochen habe. Darüber hinaus hat der Antragsteller durch zeugenschaftliche Benennung der Anstaltspsychologinnen O. und J. Beweis für seine Behauptung angetreten, sich nach dem am 30.09.2021 mit der Anstaltsärztin geführten Gespräch an die beiden Anstaltspsychologinnen gewandt zu haben und diesen seine Symptome und die Notwendigkeit der weiteren Medikation geschildert zu haben, woraufhin es durch Vermittlung der beiden Zeuginnen zu weiteren Vorstellungen bei der Anstaltsärztin gekommen sei, welche dann aber jeweils weiterhin eine Wiederaufnahme der Medikation mit den Psychopharmaka abgelehnt habe. Falls die Vernehmung der vom Antragsteller benannten Zeugen aber im Hauptsacheverfahren die Richtigkeit des Sachvortrages des Antragstellers bestätigen sollten, würde dies nach Auffassung des Senats bei lebensnaher Betrachtung durchaus vermuten lassen, dass der Antragsteller bei seinem Gespräch am 30.09.2021 und seinen weiteren Wiedervorstellungen bei der Anstaltsärztin diese tatsächlich unter Schilderung seiner Symptome zur Wiederaufnahme seiner Behandlung mit Psychopharmaka aufgefordert hat. Hierfür sprechen zudem auch die vom antragsgegnerischen Land mit Schreiben vom 11.11.2022 in Bezug genommenen Ausführungen der Anstaltsärztin vom 23.09.2022, wonach sie den Antragsteller am 30.09., 05.10. und 19.10.2021 noch einmal explizit über die Gründe der Aufhebung der Medikation aufgeklärt haben will (Blatt 30 der LG-Akten). Denn es ist weder vom antragsgegnerischen Land schlüssig dargelegt worden, noch sonst ersichtlich, aus welchen anderen Gründen als die vom Antragsteller behaupteten wiederholten Bitten um Wiederaufnahme der Behandlung mit Psychopharmaka diese mehrfachen Aufklärungshinweise erfolgt sein sollten.
21Eine Amtspflichtverletzung lässt sich vorliegend auch nicht von vornherein damit verneinen, dass die vom Antragsteller beantragte weitere Medikation mit Psychopharmaka aus medizinischen Gründen gar nicht notwendig gewesen ist. Diese Frage ist zwar zwischen den Parteien streitig. Allerdings hat der Antragsteller sich zum Beweis der Beschwerden, unter denen er infolge der unterbliebenen Medikation gelitten haben will, auf die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens berufen. Auch diesem Beweisantritt wird im Hauptsacheverfahren nachzugehen sein. Denn auch wenn es insoweit keine für den Sachverständigen auswertbaren Dokumentationen in der Gesundheitsakte des Antragstellers gibt, kann nicht von vorherein ausgeschlossen werden, dass der Sachverständige nach einer persönlichen Untersuchung des Antragstellers und Auswertung seiner gesamten Krankengeschichte und ggfls. auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Medikamente unstreitig abrupt ohne Ausschleichen abgesetzt wurden, zumindest belastbare Aussagen dazu machen kann, ob und mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit der Antragsteller während des Zeitraums seiner Nichtbehandlung mit Psychopharmaka an den von ihm beklagten Beschwerden gelitten haben könnte. Es erscheint nicht ausgeschlossen, sondern durchaus möglich, dass dies in Verbindung mit den Zeugenaussagen sowie dem Ergebnis einer persönlichen Anhörung des Antragstellers hierzu für eine Überzeugungsbildung ausreicht, dass der Antragsteller infolge der unterbliebenen Medikation zumindest in einem gewissen Umfang unter den von ihm beklagten Beschwerden gelitten hat und deswegen seine Weiterbehandlung mit den Psychopharmaka medizinisch notwendig gewesen wäre. Hierfür könnte schließlich indiziell auch der Umstand sprechen, dass nach Verlegung des Antragstellers in die JVA I. die Medikation sogleich wiederaufgenommen wurde.
222.Aus den gleichen Erwägungen lässt sich der vom Antragsteller geltend gemachte Amtshaftungsanspruch entgegen der Ansicht des Landgerichts auch nicht etwa von vornherein damit verneinen, dass sich heute jedenfalls ein vom Antragsteller erlittener Schaden nicht mehr feststellen lässt.
233.Der vom Antragsteller geltend gemachte Amtshaftungsanspruch lässt sich schließlich auch nicht von vornherein mit einem Anspruchsausschluss gemäß § 839 Abs. 3 BGB verneinen.
24Denn aus den bereits vorstehend unter Ziffer 1. dargelegten Gründen hat der Antragsteller in hinreichender Weise dargetan und unter Beweis gestellt, sich am 30.09.2021 und bei seinen weiteren Wiedervorstellungen bei der Anstaltsärztin diese wiederholt auf seine Beschwerden und die Notwendigkeit einer Wiederaufnahme seiner Behandlung mit Psychopharmaka hingewiesen zu haben.
25Zwar hat der Antragsteller unstreitig nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, gemäß § 109 StVollzG bei der zuständigen Strafvollstreckungskammer einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu stellen. Allerdings lässt sich nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht sicher feststellen, dass ein solcher Antrag dazu geführt hätte, dass – was im Übrigen vom antragsgegnerischen Land darzulegen und beweisen wäre – noch vor der am 17.12.2021 erfolgten Weiterverlegung des Antragstellers in die JVA I., wo er die Psychopharmaka wiedererhielt, in der JVA X. die Medikation wiederaufgenommen worden wäre. Denn selbst bei Stellung eines Eilantrages hätte die Strafvollstreckungskammer mangels eigener Sachkunde über diesen nicht sofort entscheiden können, sondern wäre hierfür auf sachverständige Hilfe angewiesen gewesen. Denn insofern wäre von der Strafvollstreckungskammer auch in Betracht zu ziehen gewesen, dass die Einnahme der Medikamente aufgrund ihrer Wirkung und Nebenwirkungen möglicherweise zwingend unterbleiben muss, wenn der Patient nicht an dem die Medikation rechtfertigenden Beschwerdebild leidet, was vorab zu klären gewesen wäre. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann auch nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass allein schon die Stellung eines (Eil-)Antrages auf gerichtliche Entscheidung zeitnah zu einer Wiederaufnahme der Medikation der JVA X. geführt hätte. Denn sollte die im Hauptsacheverfahren durchzuführende Beweisaufnahme ergeben, dass die Anstaltsärztin der JVA X. trotz wiederholter Beschwerdeschilderungen und Bitten des Antragstellers, die Medikation mit Psychopharmaka wiederaufzunehmen, diese abgelehnt hat, so würde dieses aus Sicht des Senats vielmehr die Annahme nahelegen, dass die Anstaltsärztin auch im Falle der Stellung des Eilantrages hieran weiter festgehalten hätte.
264.Auch hinsichtlich der Höhe des vom Antragsteller begehrten Schmerzensgeldes kann der beabsichtigten Rechtsverfolgung nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden. Denn die Höhe des Schmerzensgeldanspruchs würde sich maßgeblich nach dem Umfang und der Schwere der vom Antragsteller infolge der unterbliebenen Medikation erlittenen immateriellen Nachteile, über die im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach noch Beweis zu erheben ist, richten. Bei Zugrundelegung der vom Antragsteller behaupteten täglichen körperlichen Beschwerden in Gestalt mehrfachen Erbrechens, Kopfschmerzen, Panikattacken, Luftnot und Platzangst erscheint dem Senat der geltend gemachte Betrag von 3.950,- € auch nicht von vorherein offensichtlich übersetzt, wenngleich eine taggenaue Berechnung des Schmerzensgeldes nicht angängig ist (vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2022, VI ZR 937/20 – Rz. 13 ff. juris).
27B.Aus den vorstehenden Erwägungen lässt sich auch für den Klageantrag zu 2.), mit dem der Antragsteller der Sache nach die Freistellung von seinen vorgerichtlichen Kosten begehrt, die hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO nicht verneinen. Denn soweit sich in der Hauptsache der vom Antragsteller geltend gemachte Amtshaftungsanspruch als begründet erweisen sollte, stünde ihm aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG auch ein Anspruch auf Freistellung von seinen vorgerichtlichen Kosten zu, wobei sich die Höhe der ersatzfähigen Rechtsanwaltskosten allerdings nach dem Betrag (= Gegenstandswert) berechnen würde, mit dem sich der Schmerzensgeldanspruch letztlich als begründet erweist.
28III.
29Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO und Nr. 1812 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG.