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I.
Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Unna vom 28.06.2021 (12 F 537/20) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1.
Der Kindesmutter wird aufgegeben,
a).
ihre Tochter C.,*00.00.2020, bis zu ihrem Umzug in den mütterlichen Haushalt in der Obhut der Pflegeeltern zu belassen und C. bis zur endgültigen Rückführung zum 20.12.2024 nach jedem Kontakt an die Pflegeeltern wieder herauszugeben;
b).
unverzüglich eine Sozialpädagogische Familienhilfe für ihren Haushalt zu beantragen und mit dieser zusammenzuarbeiten;
c).
an der künftigen Hilfeplanung aktiv mitzuwirken.
II.
Von der Erhebung der Kosten wird abgesehen. Die außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.
III.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 8.000 € festgesetzt.
I.
2Die am 00.00.1990 geborene und damit aktuell 34- jährige Kindesmutter wendet sich gegen den genannten Beschluss des Amtsgerichts Unna, mit welchem ihr wesentliche Teile der elterlichen Sorge entzogen worden sind. Die Kindesmutter hat die elterliche Sorge für C. allein ausgeübt. Der Kindesvater ist namentlich nicht bekannt, eine (rechtliche) Vaterschaft ist nicht festgestellt.
3Das Sorgerechtsverfahren begann mit einer Meldung nach § 8a SGB VIII des Jugendamtes M. an das Amtsgericht Unna vom 20.08.2020, noch vor C.s Geburt.
4Damals stand die zu diesem Zeitpunkt schwangere Kindesmutter aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts – Betreuungsgericht – Unna vom 22.08.2018 unter Betreuung. Ihr Betreuer war Herr B.. Dieser hatte sich an das Jugendamt der Stadt M. gewandt und berichtet, die Kindesmutter leide an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung sowie an einem Mutismus. Die Kindesmutter absolvierte damals eine Therapie bei Frau S.. Nach deren – von der Kindesmutter damals im Wesentlichen bestätigten – Angaben habe sich die Kindesmutter im Ausstieg aus einem satanistischen Verbund befunden. Sie, die Kindesmutter, sei bereits als Kind massiv, auch sexuell missbraucht worden. Im Rahmen eines satanistischen Rituals sei auch ein „ungeborenes“ Kind der Kindesmutter geopfert worden. Die Therapeutin hatte sich bereits telefonisch an das Jugendamt gewandt und dabei auf einen notwendigen Schutz des noch ungeborenen Kindes hingewiesen. Die Kindesmutter war damals bisweilen kooperativ, wollte aber zunächst z.B. den damals geplanten Kaiserschnitttermin nicht mitteilen. Zum Beweis, dass die Schwangerschaft mit C. ihre erste war, hatte die Kindesmutter dem Jugendamt eine ärztliche Stellungnahme der G. aus M. (Fachärztin für Frauenheilkunde) vorgelegt, nach der Nachweise einer Sectio oder vaginaler Geburtsverletzungen nicht vorhanden gewesen seien.
5Bereits am 26.08.2020 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Familiengericht Unna statt. Für die damals ungeborene C. war schon damals der auch jetzige Verfahrensbeistand L. bestellt und anwesend. Ferner waren die Kindesmutter mit ihrem damaligen Verfahrensbevollmächtigten, 3 Mitarbeiterinnen vom Jugendamt und der Betreuer der Kindesmutter anwesend.
6Die Kindesmutter erklärte damals, sie erwarte ihr erstes Kind. Der Vater des Kindes sei unbekannt. Sie traue sich zu, für das Kind zu sorgen und nehme ambulante Hilfen an. Sie habe sich um eine Hebamme gekümmert. Mit einer Einsichtnahme in die Betreuungsakte war die Kindesmutter damals nicht einverstanden. Sie teilte nun als Kaiserschnitttermin den 00.00.2020 mit. Mit einer vom Jugendamt vorgeschlagenen Mutter-Kind-Einrichtung war sie nicht einverstanden, aber mit ambulanten Maßnahmen, auch mit der Installation einer SPFH. Sie sei seit 2010 „weg von den Kontakten“, die Satanskult betrieben hätten. Der Betreuer erklärte, die Kindesmutter sei seit einem Jahr stabil. Das Jugendamt berichtete, die Kindesmutter habe bereits im September/Oktober 2019 erklärt, schwanger zu sein.
7Am 28.08.2020 erließ das Amtsgericht in dem damaligen Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einen Beweisbeschluss mit Fragen zum Krankheitsbild der Kindesmutter und zu etwaigen daraus resultierenden Gefahren für das Kind. Die bestellte Sachverständige, Frau W. vom Sozialpsychiatrischen Dienst des Kreises M., reichte schon am 04.09.2020 eine „gutachterliche Stellungnahme“ zu den Akten, wies aber darauf hin, dass der Auftrag nur bedingt in ihr Fachgebiet falle.
8Zwischenzeitlich hatte das Jugendamt eine ergänzende Stellungnahme vorgelegt. Danach sei der Erstkontakt im September 2019 über den Betreuer entstanden, dem die Kindesmutter erklärt habe, sie sei schwanger und wünsche Hilfe. Die Kindesmutter weigere sich allerdings, einen Frauenarzt aufzusuchen. Diese vermeintliche Schwangerschaft wurde nie bestätigt. Im Februar 2020 meldete sich die Therapeutin, Frau S., direkt beim Jugendamt und teilte mit, die Kindesmutter sei erneut schwanger, nun durch Mutterpass belegt. Es bestehe eine Gefahr für das ungeborene Kind, das womöglich durch einen sexuellen Missbrauch entstanden sei. Mutter und Kind müssten vor diesem „Täter“ geschützt werden. Die Kindesmutter weise eine Persönlichkeitsstörung mit täterloyalen Anteilen auf und könne diesen Schutz nicht selbst leisten.
9Mit Beweisbeschluss vom 01.09.2020 gab das Amtsgericht – nunmehr unter dem Hauptsacheaktenzeichen – ein psychiatrisches Sachverständigengutachten bei Frau I. und ein familienpsycholgisches Sachverständigengutachten bei Frau A. in Auftrag. Die Gutachten wurden am 01.02.2021 (I.) und am 25.03.2021 (A.) schriftlich vorgelegt. I. sprach sich gegen eine Betreuung des Kindes durch die Kindesmutter aus. A., sah keine Schädigung C.s, hielt aber den Schutz vor Tätern für erforderlich.
10Mit Beschlüssen vom 03.09.2020 und vom 07.09.2020 entzog das Amtsgericht – Familiengericht – Unna noch im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung der Kindesmutter wesentliche Teilbereiche der elterlichen Sorge für das ungeborene Kind. C. wurde am 00.00.2020 geboren. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde der Kindesmutter wies der Senat mit Beschluss vom 26.11.2020 zurück.
11Nach der Geburt lebte die Kindesmutter gemeinsam mit C. in einer Mutter-Kind-Einrichtung (V.-Jugendhilfe in F.). Gegenüber der psychologischen Sachverständigen berichtete die Einrichtung, dass die Alltagsbetreuung des Kindes durch die Kindesmutter völlig beanstandungslos sei. Das Kind habe sich gut entwickelt. Die Kindesmutter selbst sei zurückgezogen, insgesamt aber eher unauffällig.
12Die damalige Ergänzungspflegerin, Frau K. (SKF), berichtete am 01.03.2021, dass sie die Kindesmutter und das Kind wiederholt besucht habe und dabei die Kindesmutter als liebevoll, empathisch und fürsorglich wahrgenommen habe. Sie sprach sich gegen eine Trennung von Mutter und Kind aus.
13Mit Beschluss vom 28.06.2021 entzog das Amtsgericht der Kindesmutter auch im Hauptsacheverfahren wesentliche Teile der elterlichen Sorge. Tragender Grund der Entscheidung war deren belastende Sozialisation in einem satanistischen Umfeld und der möglicherweise fehlende Schutz vor diesem Umfeld. Ergänzend nahm das Amtsgericht aber auch auf das Gutachten der A. Bezug, die ausgeführt hatte, die Kindesmutter könne nicht ausreichend für sich selbst sorgen und daher möglicherweise Bedürfnisse des Kindes mit zunehmenden Autonomiestreben nicht erkennen.
14Mit Schreiben vom 08.09.2021 teilte die Ergänzungspflegerin Frau K. mit, dass C. seit dem 16.08.2021 bei der Pflegefamilie Y. in H. lebt. Die Familie Y. war der Kindesmutter aus früherer Zeit bekannt. Die Pflegestelle wurde durch das Jugendamt überprüft und für geeignet erachtet. Die Kindesmutter ist C. später nach H. gefolgt und lebt seitdem dort.
15Gegen den Beschluss vom 28.06.2021 richtet sich die Beschwerde der Kindesmutter, die mit ihrer Beschwerdebegründung vom 15.10.2021 erstmals vorbringt, die Angaben zu ihren Erlebnissen in einem satanistischen Milieu seien nicht erlebnisbasiert, sondern seien ihr eingeredet worden. Tatsächlich sei sie im Alter von 18 Jahren in X. von ihrem leiblichen Vater sexuell missbraucht worden. Im Zeitraum zwischen 2015 und 2018 sei sie von ihrem damaligen Ehemann vergewaltigt worden. Sie beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – Unna vom 28.06.2021, ihr die elterliche Sorge in den Teilbereichen Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Beantragung von Hilfen zur Erziehung gem. § 27 ff. SGB VIII für das minderjährige Kind C., geboren am 00.00.2020, zurück zu übertragen.
16Die Ergänzungspflegerin hat Stellung genommen und betont, dass die Versorgung des Kindes grundsätzlich gewährleistet gewesen sei.
17Zwischenzeitlich erfolgte ein Wechsel der Ergänzungspflegschaft nach H..
18Während des Beschwerdeverfahrens hat das Bistum P. die „Beratungsstelle (..)“ nach einer Mitteilung vom 15.03.2023 geschlossen. Zur Begründung führt das Bistum in der genannten Mitteilung aus, es gebe keinen Beleg für die Existenz ritueller Netzwerke. Leiterin dieser Beratungsstelle war die Therapeutin S.. Auf eine Beschwerde der Kindesmutter hat die Psychotherapeutenkammer E. ein Berufsvergehen der Therapeutin festgestellt.
19Der Senat hat mit Beweisbeschluss vom 06.12.2022 Frau Z. mit der Erstellung eines Gutachtens zu ergänzenden psychiatrischen Fragestellungen und mit Beweisbeschluss vom 02.01.2024 Frau U. mit der Erstellung eines Gutachtens zu ergänzenden familienpsychologischen Fragestellungen beauftragt. Die schriftlichen Gutachten sind am 02.09.2023 bzw. am 26.06.2024 vorgelegt worden.
20Das Amtsgericht H. hat mit Beschluss der Bezirksnotarin vom 08.03.2023 die Betreuung für die Kindesmutter aufgehoben und ist dabei einem Bericht der Betreuungsbehörde des Landratsamtes D.-Kreis vom 19.09.2022 gefolgt.
21Der Antrag der Kindesmutter vom 25.05.2023, den Vollzug der angefochtenen Entscheidung einstweilen einzustellen, um die gemeinsame Aufnahme in eine Mutter-Kind-Einrichtung zu ermöglichen, ist mit Senatsbeschluss vom 04.07.2023 zurückgewiesen worden.
22Der Senat hat die Kindesmutter, die Ergänzungspflegerin, die Mitarbeiterin des Jugendamtes und den Verfahrensbeistand in den Senatsterminen vom 12.12.2023 und vom 12.09.2024 jeweils persönlich angehört. Im Senatstermin vom 12.12.2023 sind auch die Pflegeeltern, die Eheleute Y. persönlich angehört worden.
23Z. hat ihr Sachverständigengutachten am 12.12.2023 mündlich erläutert und ergänzt. U. hat ihr Sachverständigengutachten am 12.09.2024 mündlich erläutert und ergänzt. C. ist am 26.09.2024 im Beisein des Verfahrensbeistandes durch den Berichterstatter als beauftragten Richter in Räumlichkeiten des Jugendamtes in H. angehört worden.
24Die Kindesmutter regt zuletzt an, die Rückführung des Kindes in ihren Haushalt zügig anzuordnen.
25Der Verfahrensbeistand und das Jugendamt des D.-Kreises regen an, den Verbleib C.s im Haushalt der Pflegeeltern anzuordnen.
26II.
271.
28Die nach § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde ist zulässig und insbesondere gemäß §§ 63, 64 FamFG form- und fristgerecht eingelegt worden.
29In der Sache hat die Beschwerde überwiegend Erfolg.
302.
31Mit Blick auf die aktuell kooperationsfähige und -willige wie erziehungsbereite und –fähige Kindesmutter ist ein Entzug oder Teilentzug ihrer elterlichen Sorge nicht mehr erforderlich. Es ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung erforderlich, aber auch ausreichend, der Kindesmutter die aus dem Tenor ersichtlichen Auflagen zu erteilen.
32a).
33Gemäß § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes gefährdet wird und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Als derartigen Maßnahmen kommen Gebote und/oder Verbote gegenüber den Eltern sowie insbesondere der Entzug oder Teilentzug der elterlichen Sorge in Betracht, wenn die bestehende Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Diese müssen zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein (vgl. BGH, Beschluss vom 06.02.2019 - XII ZB 408/18, juris Rn. 33).
34Die Erziehung obliegt gemäß Artikel 6 Abs. 2 S. 1 GG zuvörderst den Eltern, deren Recht zur Pflege und Erziehung des Kindes dem Kindeswohl dient, das zugleich oberste Richtschnur für die Ausübung der elterlichen Verantwortung ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 - 1 BvR 2681/07, juris Rn. 17). Im Hinblick auf das durch Artikel 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Elternrecht ist der Staat im Rahmen des ihm durch Artikel 6 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG übertragenen Wächteramts nicht dazu berufen, eine den Fähigkeiten und Interessen des Kindes optimal entsprechende Förderung sicherzustellen. Vielmehr kommt ein staatlicher Eingriff in das auch durch Artikel 8 EMRK geschützte Familienleben nur dann in Betracht, wenn die weitere Entwicklung des Kindes unter Berücksichtigung der milieubedingten Gegebenheiten als nachhaltig gefährdet anzusehen ist. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse der Eltern und deren Lebensführung rechnen dabei regelmäßig zum allgemeinen Lebensrisiko des Kindes; hieraus resultierende Fehlentwicklungen sind unterhalb der von Artikel 6 Abs. 3 GG vorgegebenen Gefährdungsschwelle hinzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.01.2010 - 1 BvR 374/09, juris Rn. 46.).
35Um eine dauerhafte Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, die den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht darstellt, muss das elterliche Fehlverhalten daher ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist. Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt daher voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.06.2020 - 1 BvR 572/20, juris Rn. 22; BVerfG, Beschluss vom 23.04.2018 - 1 BvR 383/18, FamRZ 2018, 1084 ff., juris Rn. 16; BGH, Beschluss vom 23.11.2016 - XII ZB 149/16, juris Rn. 11).
36Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass nach § 1666 a Abs. 1 BGB Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur zulässig sind, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Die staatlichen Stellen müssen vorrangig versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der Eltern gerichtete Maßnahmen ihr Ziel - die Abwendung der Kindeswohlgefährdung - zu erreichen (vgl. BGH, Beschluss vom 23.11.2016 - XII ZB 149/16, juris Rn. 27). Vor einem Entzug oder Teilentzug der elterlichen Sorge sind deshalb vorrangig die zur Verfügung stehenden öffentlichen Hilfen auszuschöpfen. Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit verpflichtet und berechtigt den Staat, die Eltern von der Pflege und Erziehung auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen; vielmehr ist stets dem grundsätzlichen Vorrang der Eltern vor dem Staat Rechnung zu tragen (vgl. BT-Drucks. 16/6815, S. 7). Die Eltern haben ein Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG), die Kinder haben ein gegen den Staat gerichtetes Recht auf elterliche Pflege und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG), beide sind gemäß Art. 6 Abs. 3 GG besonders dagegen geschützt, voneinander getrennt zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.02.2017 - 1 BvR 2569/16, juris Rn. 43; BGH, Beschluss vom 06.02.2019 - XII ZB 408/18, juris Rn. 15).
37Davon ausgehend gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grad des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Der Staat muss daher nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 - 1 BvR 2681/07, juris Rn. 19; BVerfG, Beschluss vom 23.04.2018 - 1 BvR 383/18, juris Rn. 16).
38b).
39Nach diesem Maßstab war der durch die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts angeordnete Teilentzug nicht weiter aufrechtzuerhalten.
40Inzwischen hat sich die persönliche und familiäre Situation der Kindesmutter entscheidend verändert. Tragendes Argument des angefochtenen Beschlusses vom 28.06.2021 war die damals auch maßgeblich durch die Angaben der Kindesmutter selbst gestützte Annahme, sie (die Kindesmutter) könne aufgrund ihrer eigenen Biografie und Herkunft aus einem pathologischen Familiensystem sowie ihrer schweren psychiatrischen Erkrankung, verbunden mit der Aufspaltung in multiple Persönlichkeiten, das Kind nicht sicher und zuverlässig vor einem satanistischen Zirkel und Täterkreis zu schützen. Damit gingen weitreichende Gefahren für die physische wie psychische Gesundheit des Kindes und seiner emotionalen Entwicklung einher. Zudem sei die – damals noch unter Betreuung stehende – Kindesmutter selbst hochbelastet und daher selbst auf umfassende Alltagshilfen angewiesen. Es stehe zu befürchten, dass die Kindesmutter aufgrund der eigenen Vulnerabilität und Instabilität nicht in der Lage sei, ein adäquates Erziehungsangebot zu machen.
41Diese Gefährdungsszenarien sind entweder ausgeräumt oder aber haben sich erheblich reduziert.
42aa).
43Die Annahme, die Kindesmutter sei in einem satanistischen Bund sozialisiert, dort als Kind und Jugendliche schwer missbraucht und misshandelt worden und unterhalte noch Kontakte zu „Tätern“ oder aber könne sich – möglicherweise krankheitsbedingt – nicht langfristig von diesem Zirkel loslösen, ist im Laufe des Beschwerdeverfahrens ausgeräumt worden. Objektive Anknüpfungstatsachen für eine solche Annahme haben nie bestanden. Diese Feststellungen beruhten maßgeblich auf den eigenanamnestischen Angaben der Kindesmutter sowie auf Berichten der damaligen Therapeutin, Frau S.. Die Kindesmutter hat sich im Laufe des Beschwerdeverfahrens auch von ihren früheren Eigenangaben distanziert. Die Sachverständige Z. hat in ihrem schriftlichen Gutachten vom 02.09.2023 (Gutachten S. 86) das Vorliegen einer multiplen Persönlichkeitsstörung ausgeschlossen und die Annahme, die Kindesmutter könnte ihr Kind einem religiösen Kult opfern als „maliziöses narratives Konstrukt einer verfehlten Therapie“ bezeichnet. Dissoziative Zustände könnten nicht verifiziert werden. Es sei überhaupt nicht nachvollziehbar, weshalb die normal intelligente, zu warmherzigen Gefühlen befähigte Kindesmutter ihre Tochter nicht betreuen und erziehen könne.
44Beide Sachverständige, Z. und U. haben festgestellt, dass gegenwärtig bei der Kindesmutter allein vom Vorliegen eines selektiven Mutismus (ICD-10 F 94) auszugehen sei. Die frühere Feststellung der I. aus dem schriftlichen Gutachten vom 01.02.2021 (Gutachten S. 135), die Kindesmutter leide an einer multiplen Persönlichkeitsstörung (ICD-10:F44.81) sowie an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F94.0) kann daher nicht aufrechterhalten werden.
45Insgesamt ist daher eine Gefährdung des Kindeswohls aufgrund einer krankheitsbedingten Herabsetzung der Erziehungs- und Förderfähigkeit der Kindesmutter nicht mehr anzunehmen.
46bb).
47Ausweislich der Beurteilung der Sachverständigen U. in ihrem schriftlichen Gutachten vom 25.06.2024, das methodisch nachvollziehbar und in sich schlüssig aufgebaut ist und den "Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht" (Arbeitsgruppe Familienrechtliche Gutachten 2019 im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, 2. Auflage) entspricht, ist die Erziehungseignung der Kindesmutter nicht eingeschränkt bzw. aufgehoben. Zwar haben in der Vergangenheit schwerwiegende psychische Erkrankungen der Kindesmutter vorgelegen, die Kriterien für eine Depression oder posttraumatische Belastungsstörung seien aber seit über drei Jahren nicht mehr als beständig anzusehen. Die Kindesmutter habe sich in den letzten Jahren erheblich stabilisiert, demonstriere eine positive Selbstfürsorge, führe eine stabile Paarbeziehung und zeige eine hohe Kooperationsbereitschaft in Bezug auf die Annahme fachlicher Hilfen. Schließlich habe die Kindesmutter nach der Fremdunterbringung C.s eine stabile und Rückschläge überdauernde Motivation hinsichtlich der Rückführung ihrer Tochter C. gezeigt. Angesichts der nunmehr seit Jahren andauernden Stabilisierung der Kindesmutter lägen Einschränkungen in der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter nicht mehr vor.
48Dieser Einschätzung schließt sich der Senat nach kritischer Würdigung und aufgrund eigener Anschauung an. Die Kindesmutter hat sich im Laufe des Verfahrens erheblich stabilisiert und verselbständigt. Sie ist, um in C.s Nähe zu leben, nach H. verzogen und hat sich ganz überwiegend unter Hintanstellung eigener Wünsche und Bedürfnisse den Vorschlägen und Regelungen des Jugendamtes und der Ergänzungspflegerin zu Umgangsfragen untergeordnet.
49Die räumlichen Voraussetzungen für eine Rückführung sind gegeben. Die Wohnung der Mutter bietet ausreichend Platz. Die Kindesmutter wünscht die Rückführung und hat bislang (z.B. auch im Zusammenhang mit der zwischen den Beteiligten teilweise umstrittenen Kindergartenanmeldung) bewiesen, dass sie sich auch um alltagsorganisatorische Belange des Kindes zu kümmern vermag. Sollte die gegenwärtige Wohnung daher perspektivisch zu wenig Raum bieten, wird die Kindesmutter anderen Wohnraum suchen und finden können.
50Für eine Rückführung bestehen zudem nach den Feststellungen der Sachverständigen U. auch ausreichende Bindungen zwischen der Kindesmutter und C.. Die Umgangskontakte zwischen Kind und Kindesmutter verliefen und verlaufen auch aktuell nach übereinstimmenden Äußerungen aller Beteiligten positiv. Auch die Interaktionsbeobachtung der Sachverständigen vom 28.02.2024 stützt die bereits zuvor durchweg geschilderte positive Beschreibung der Umgangskontakte. Die Kindesmutter wird durchgängig als dem Kind positiv zugewandt beschrieben, die Kontaktaufnahme ist stets angemessen, der Kontakt auch wechselseitig innig. Mit erheblichen Anpassungsproblemen ist daher auch bei Verlust der Pflegemutter als Hauptbezugsperson nicht zu rechnen.
51cc).
52Nach diesen Maßstäben sind die aus dem Tenor ersichtlichen sorgerechtlichen Maßnahmen gem. § 1666 Abs. 3 BGB anzuordnen.
53Der Senat hat der Empfehlung der Sachverständigen folgend einen konkreten, zeitnahen Termin für die Rückführung des Kindes in den Haushalt der Kindesmutter bestimmt. Die Regelung, das Kind bis dahin in der Obhut der Pflegeeltern zu belassen, ist als Einschränkung der elterlichen Sorge der Kindesmutter erforderlich und geboten, um einerseits dem mit Bekanntgabe der Entscheidung an die Beteiligten (wieder) bestehenden Sorgerecht der Kindesmutter Geltung zu verschaffen, andererseits aber auch einen planbaren und geordneten Übergang zu ermöglich, der C. – soweit unter den gegebenen Umständen möglich – wenig belastet und insbesondere eine überstürzte Herausnahme aus der Obhut der Pflegeeltern verhindern soll. Dabei geht der Senat mit den Ausführungen der Sachverständigen U. davon aus, dass die Belastungen für C. eher durch eine zügige Rückführung gering gehalten werden können.
54Der Senat hat keine Zweifel, dass sofort und umgehend unbegleitete Kontakte zwischen C. und der Kindesmutter stattfinden können. Da im vorliegenden Verfahren vollstreckbare Umgangsregelungen nicht getroffen werden können und für eine förmliche Regelung des Umgangs das Beschwerdegericht auch nicht zuständig wäre, hätte sich die Kindesmutter im Falle des Nichtgewährens der Kontakte sofort an das Familiengericht mit entsprechenden Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Umgangsanordnung zu wenden. Des Weiteren könnte das Familiengericht auch von Amts wegen ein Umgangsverfahren einleiten.
55Nach Abschluss der Rückführung wird auch die Kindesmutter Umgangskontakte zwischen C. und den Pflegeeltern gewähren müssen. Auch diese wären nach vorheriger Beratung durch das Jugendamt ggf. in einem gerichtlichen Umgangsverfahren zu titulieren.
563.
57Der Senat hat das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB geprüft, diese liegen aber im Ergebnis nicht vor. Gemäß § 1632 Abs. 4 GBG kann das Familiengericht anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und soweit das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde und das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege lebt.
58Ein allein sorgeberechtigter Elternteil, hier die Kindesmutter, hat nach § 1632 Abs. 1 BGB das Recht, die Herausgabe des Kindes von jedem zu verlangen, der es ihm widerrechtlich vorenthält. Das folgt aus der Befugnis, den Aufenthalt des Kindes gemäß § 1631 Abs. 1 BGB zu bestimmen. Dieser Herausgabeanspruch wird durch § 1632 Abs. 4 BGB dahingehend modifiziert, dass die Herausnahme des Kindes aus einer Pflegefamilie zur Unzeit vermieden werden soll, um sein persönliches, insbesondere seelisches Wohl nicht zu gefährden (vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 40, 52). Die Vorschrift enthält keine schematische Beschränkung der elterlichen Rechte, sondern macht die Entscheidung der Gerichte von den Verhältnissen des einzelnen Falles abhängig. Sie entspricht daher dem Grundsatz, dass individuelle Maßnahmen zur Abwehr einer Gefährdung der Kinder den Vorrang vor generellen Regelungen haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987 - 1 BvR 332/86 -, BVerfGE 75, 201-223, zitiert nach juris).
59Bei einer Entscheidung nach § 1632 Abs. 4 BGB verlangen die Grundrechte eine Auslegung der Regelung, die sowohl dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG als auch der Grundrechtsposition des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung trägt (BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987 - 1 BvR 332/86 -, BVerfGE 75, 201-223, zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - II-10 UF 189/15 -, zitiert nach juris). Im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen dem Interesse des allein sorgeberechtigten Elternteils an der Herausgabe des Kindes und dem Kindeswohl ist bei der Auslegung von gesetzlichen Regelungen im Bereich des Art. 6 Abs. 2 GG in gleicher Weise wie bei Entscheidungen des Gesetzgebers zu beachten, dass das Wohl des Kindes (§ 1697 a BGB) letztlich bestimmend sein muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987 - 1 BvR 332/86 -, BVerfGE 75, 201-223, zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - II-10 UF 189/15 -, zitiert nach juris). Auch wenn die Trennung von seiner unmittelbaren Bezugsperson für das Kind regelmäßig eine erhebliche psychische Belastung bedeutet, darf dies allein nicht genügen, die Herausgabe des Kindes zu verweigern, weil andernfalls die Zusammenführung von Kind und Eltern immer dann ausgeschlossen wäre, wenn das Kind seine "sozialen Eltern" gefunden hätte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987 - 1 BvR 332/86 -, BVerfGE 75, 201-223, zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - II-10 UF 189/15 -, zitiert nach juris). Das schließt indessen nicht aus, dass § 1632 Abs. 4 BGB selbst Entscheidungen ermöglichen muss, die aus der Sicht der Kindeseltern nicht akzeptabel sind, weil diese sie in ihrem Elternrecht beeinträchtigen (BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987 - 1 BvR 332/86 -, BVerfGE 75, 201-223, zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - II-10 UF 189/15 -, zitiert nach juris).
60Mit Blick auf das betroffene Kindeswohl ist vielmehr zu differenzieren, ob das Kind von der Pflegefamilie in den Haushalt seiner Eltern - beziehungsweise ihnen grundrechtlich gleichgestellter Personen - oder in eine andere Pflegestelle wechseln soll (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987 - 1 BvR 332/86 -, BVerfGE 75, 201-223, zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - II-10 UF 189/15 -, zitiert nach juris). Danach bestimmt sich das Maß der Unsicherheit über mögliche Beeinträchtigungen des Kindes, das unter Berücksichtigung seiner Grundrechtsposition hinnehmbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987 - 1 BvR 332/86 -, BVerfGE 75, 201-223, zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - II-10 UF 189/15 -, zitiert nach juris). Die Risikogrenze ist generell weiter zu ziehen, wenn die leiblichen Eltern oder ein Elternteil wieder selbst die Pflege des Kindes übernehmen wollen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987 - 1 BvR 332/86 -, BVerfGE 75, 201-223, zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - II-10 UF 189/15 -, zitiert nach juris).
61Unter Anwendung dieses strengen Prüfungsmaßstabs geht der Senat auf Basis der Begutachtungen und der Gesamtumstände davon aus, dass bei einer Herausnahme von C. aus der Pflegefamilie und einer Rückführung in den mütterlichen Haushalt mit hinreichender Sicherheit eine Gefährdung seines Kindeswohls ausgeschlossen werden kann, während die Aufrechterhaltung des status quo das Kind wegen des Bestehens eines „pathologischen Dreiecks“ im Verhältnis Kind, Pflegeeltern und Mutter unsachgemäß belasten würde. Die Sachverständige U. hat hierzu ausgeführt, dass zwischen der Kindesmutter und C. eine positive und tragfähige Beziehung bestehe und diese einen wesentlichen Schutzfaktor zur Vermeidung einer Kindeswohlgefährdung darstelle. Die Kindesmutter sei im inneren Beziehungserleben des Kindes präsent und positiv konnotiert.
62Diesen überzeugenden Feststellungen schließt sich der Senat an. Konkret greifbare Anhaltspunkte für eine Gefährdung im o.g. Sinne von C. im mütterlichen Haushalt liegen auch nicht vor.
63Eine Kindeswohlgefährdung ergibt sich vorliegend auch nicht aus dem vom Kind geäußerten Willen, zuletzt gegenüber dem Verfahrensbeistand, dahin, dass sie „hierbleiben“ wolle bzw. „hier leben wolle“. Unzweifelhaft war damit sinngemäß gemeint, den Lebensmittelpunkt bei der Pflegefamilie beibehalten zu wollen.
64Grundsätzlich ist der Kindeswille auch bei einer Entscheidung über eine Verbleibensanordnung zu berücksichtigen. Denn die eigene Willensbildung ist Ausdruck der Individualität und Persönlichkeit des Kindes, die ihrerseits dem grundrechtlichen Schutz nach Art. 1, 2 GG unterliegen. Zur Persönlichkeitsentwicklung gehört auch, dass der wachsenden Fähigkeit eines Kindes zu eigener Willensbildung und selbstständigem Handeln Rechnung getragen wird, das Kind dies erfährt und sich so zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit entwickeln kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2008 – 1 BvR 311/08 –, Rn. 32, zitiert nach juris).
65Der vom Kind geäußerte Wille hat bei kleineren Kindern vornehmlich Erkenntniswert hinsichtlich seiner persönlichen Bindungen, ist mit zunehmendem Alter jedoch auch als Ausdruck der Entwicklung des Kindes zu einer eigenständigen Persönlichkeit bedeutsam. Allerdings ist der Kindeswille nur insoweit zu berücksichtigen, als er dem Kindeswohl entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2019 – XII ZB 511/18 –, juris Rn. 19). Ein Kindeswille ist beachtlich, wenn bestimmte Mindestanforderungen an die Willensbildung erfüllt sind, die allgemein mit den Merkmalen Zielorientierung, Intensität, Stabilität und Autonomie umschrieben werden. Dabei wird das Merkmal der Zielorientierung als handlungsleitende Ausrichtung auf erstrebte Zustände bei vorhandener Ziel- und Mittelintention beschrieben (im Gegensatz zu stimmungsabhängigem Leidensdruck und ungerichteten Veränderungstendenzen). Das Merkmal der Intensität ist erkennbar am Beharrungsvermögen bei Hindernissen und Widerständen sowie der Nachdrücklichkeit und Entschiedenheit, mit der ein Ziel angestrebt wird. Das Merkmal Stabilität ist erfüllt im Fall der Beibehaltung einer Willenstendenz über eine angemessene Dauer gegenüber verschiedenen Personen und unter verschiedenen Umständen. Das Merkmal der Autonomie liegt vor, wenn der Wille als Ausdruck der individuellen, selbst initiierten Strebung, quasi als Baustein zur Selbstwerdung des Kindes, Bestätigung des Subjektseins und Beweis für Selbstwirksamkeitsüberzeugungen des Kindes angesehen werden kann, auch wenn Fremdeinflüsse an der Formulierung des Willens beteiligt waren. Das Gewicht des Kindeswillens als Kriterium des Kindeswohls ist umso größer, je ausgeprägter diese vier Merkmale sind (vgl. zum Ganzen Harry Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, Psychologische und rechtliche Aspekte, 5. Auflage Nr. 4.2.2).
66Nach Einschätzung der Sachverständigen U. (Gutachten: S. 112) ist C. altersbedingt noch nicht in der Lage, einen stabilen wie autonomen Kindeswillen zu bilden. Die geschilderte Verweigerungshaltung und Belastungsreaktionen im Zusammenhang mit den Umgangskontakten ließen jedoch den Schluss zu, C. wünsche sich aus dieser – sie belastenden – Konstellation entlassen zu werden.
67Der Senat kann unter Zugrundelegung der o.g. Maßstäbe und der sachverständigen Feststellungen der U. keine Feststellungen dahin treffen, dass C. überdauernd und autonom als Ausdruck echter Zielorientierung den Wunsch und Willen gebildet hat, unter Ausschluss der Betreuung durch ihre Mutter bei den Pflegeeltern zu leben. Für eine solche Feststellung bieten die dargestellten Willensäußerungen schon aufgrund des Alters des Kindes und der gesamten konstellativen Faktoren der Äußerungen (im Haushalt bzw. auf dem Anwesen der Pflegeeltern) keinen Raum.
68Die Äußerungen C.s sind daher als zu respektierende, psychische Lebenswirklichkeit bei der Entscheidung zu berücksichtigen, vermögen jedoch im Verhältnis zu den übrigen Kindeswohlkriterien im Streitfall allein eine Verbleibensanordnung nicht zu begründen.
69Einer potenziellen Belastung des Kindes durch den Verlust der Pflegeeltern als derzeit wichtige Bezugspersonen kann nach Überzeugung des Senats durch die getroffenen sorgerechtlichen Anordnungen ausreichend entgegengewirkt werden.
703.
71Die vorliegende Entscheidung wird gemäß § 40 Abs. 1 FamFG mit Bekanntgabe an die Beteiligten wirksam. Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass die elterliche Sorge damit allein der Mutter obliegt. Einer ausdrücklichen Rückübertragung der elterlichen Sorge bedarf es nicht.
724.
73Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 80, 81 FamFG. Im vorliegenden Verfahren auf Prüfung einer Kindeswohlgefährdung entspricht es billigem Ermessen, von der Erhebung der Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren abzusehen und anzuordnen, dass außergerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren nicht erstattet werden.
74Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4, Abs. 3 FamGKG.
75Rechtsbehelfsbelehrung:
76Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
77Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordert (§ 70 Abs. 2 FamFG).