Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Beschwerde der Beteiligten A. (= Beschwerdeführerin) gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Recklinghausen vom 7. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf (…) € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Die Beteiligten streiten um die Erteilung eines von der Antragstellerin beantragten Erbscheins nach dem am 00.00.2019 im Alter von N03 Jahren verstorbenen Erblasser L. (= Erblasser). Dieser hat zwei leibliche Töchter, die Antragstellerin
4U. sowie die Beschwerdeführerin A.. Die Antragstellerin meint, der Erblasser sei im Hinblick auf eine Demenzerkrankung zu den vorliegend maßgeblichen Zeitpunkten jeweils nicht mehr in der Lage gewesen, wirksame testamentarische Verfügungen zu erlassen, sodass er nach gesetzlicher Erbfolge beerbt worden sei. Dem tritt die Beschwerdeführerin entgegen.
5Der Erblasser hinterließ insgesamt vier testamentarische Verfügungen.
6Am 00.00.1972 errichtete er mit seiner damaligen Ehefrau C., der Mutter der Antragstellerin, ein gemeinschaftliches Testament vor dem Notar O., UR-Nr. N01 in R.. Die damaligen Eheleute setzten sich in dem Testament gegenseitig zu Erben ein. Das Testament enthält keine Regelung über die Fortgeltung im Falle einer Ehescheidung. Die Ehe zwischen dem Erblasser und C. wurde durch das Amtsgericht – Familiengericht – N am 00.00.2007 rechtskräftig geschieden.
7Am 00.00.2005 formulierte der Erblasser ein Testament zugunsten seiner damaligen Lebensgefährtin F.. Dieses Testament vernichtete der Erblasser Anfang des Jahres 2009, nachdem die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin zuvor beendet worden war.
8In den Jahren 2006 und 2007 ließ sich der Erblasser ärztlich untersuchen, weil er befürchtete, ebenso wie seine Mutter und sein älterer Bruder an einer Alzheimer- Demenz erkranken zu können. Ab dem Jahr 2010 ließ er sich in der D. in W., u.a. durch die Zeugen M. und H., behandeln.
9Am 00.00.2011 ließ der Erblasser ein notarielles Einzeltestament (UR-Nr. N02 des Notars S. in P.; Bl. 168-172 GA II) zugunsten seiner Ehefrau K., welche er kurz zuvor im 00.2011 geheiratet hatte, beurkunden. Bei dem Notartermin waren u.a. der behandelnde Arzt des Erblassers, der Zeuge M., und der behandelnde „(…)“, der Zeuge H., zugegen. Dieses Testament, das dem Amtsgericht – Nachlassgericht – Recklinghausen im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens noch nicht vorgelegen hatte und dessen exakter Inhalt auch nicht bekannt geworden war, hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
10„Der Erschienene erscheint in Begleitung des ihn behandelnden Arztes, des Herrn M., geb. am 00.00.0000, G.-straße, W., der nicht Urkundsbeteiligter ist.
11Der Erschienene erklärte, ein Testament zu notariellem Protokoll errichten zu wollen. Aufgrund der Sacherörterung ergab sich zur Überzeugung des beurkundenden Notars die volle Testierfähigkeit des Erschienenen. Herr Y. bestätigte den beurkundenden Notar in dieser Ansicht. Er erklärte, dass er den Erschienenen vor der Beurkundung eingehend untersucht und festgestellt hat, dass der Erschienene zu Zeit, Ort und Person in vollem Umfang orientiert ist, seinen Willen ohne fremde Beeinflussung frei zu bilden und gemäß dieser Einsicht zu handeln im Stande ist.
12[…]
13I.
14Vorbemerkung
15[…]
16II.
17Erbeinsetzung
18Ich setze hiermit
191.) meine Ehefrau K. geb. E., geb. am 00.00.0000, z.Zt. wohnhaft
20B.-straße N03 in P.
21- zu 3/4 Anteil - und
222.) meine Tochter A., geb. am 00.00.0000, z.Zt. wohnhaft I.-straße in V.
23- zu 1/4 Anteil - als Erben ein.
24Sollte meine Ehefrau nicht zur Erbfolge gelangen, bestimme ich als Ersatzerbin meine Tochter A..
25Sollte meine Tochter A. den Erbfall nicht erleben, bestimme ich als Ersatzerben meine Ehefrau K..
26[...]
27III.
28Vermächtnisse, Teilungsanordnung, Auflagen
29[…]
30IV.
31Sonstiges
32Weitere Bestimmungen will ich heute nicht treffen.
33Nach Hinweis auf das gesetzliche Pflichtteilsrecht erkläre ich, dass ich außer meiner
34Ehefrau und meinen beiden Töchtern A und U keine weiteren pflichtteilsberechtigten Angehörigen habe.
35Sollte meine Tochter U. bzw. einer ihrer Abkömmlinge den Pflichtteil geltend machen, ist die Pflichtteilslast im Verhältnis zwischen meinen Erben allein von meiner Ehefrau K. bzw. ihren Ersatzerben zu tragen.
36Ich trage die Kosten dieser Urkunde und ihrer amtlichen Verwahrung.
37Ich bitte um Erteilung einer beglaubigten Abschrift. Eine weitere Abschrift soll bei dem amtierenden Notar verbleiben. Sie kann offen aufbewahrt werden. Ich wünsche die Verwahrung des Testaments durch das Amtsgericht N..“
38Dieses Testament gab der Urkundsnotar, der Zeuge S., sodann in die amtliche Verwahrung des zuständigen Nachlassgerichts. Von dort wurde es jedoch wenige Monate später, am 00.00.2011, durch den Erblasser wieder zurückgenommen und vernichtet.
39Mittlerweile war die Ehe zwischen K. und dem Erblasser in eine Krise geraten. Mitte 00.2011 verließ der Erblasser das zuvor gemeinsam bewohnte Haus in N. und lebte fortan in dem Haushalt der Antragsgegnerin in WH..
40Am 00.00.2012 errichtete der Erblasser vor dem Notar XB. in P. erneut ein Einzeltestament (UR-Nr. N04), mit welchem er unter Widerruf früherer Verfügungen von Todes wegen nunmehr die Beschwerdeführerin zur Alleinerbin einsetzte. Der Wert des vorhandenen Vermögens des Erblassers wurde mit „(…)“ € angegeben. Bezüglich des übrigen Inhaltes wird auf das zu den Akten gereichte Testament Bezug genommen (Bl. 29-31 der Beiakte 9a IV 351/23 Amtsgericht – Nachlassgericht – DF.).
41Bei dem Erblasser war bereits im Jahr 2010 eine beginnende Alzheimer-Demenz diagnostiziert worden, wobei das Ausmaß der Erkrankung im Zeitraum der Jahre 2010 bis Anfang 2012 zwischen den Verfahrensbeteiligten streitig ist. Trotz dieser dementiellen Erkrankung wurde die Ehe zwischen dem Erblasser und K. rechtskräftig durch Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. August 2013 geschieden (OLG Hamm, Beschluss vom 16. August 2013 – II-3 UF 43/13 –, juris).
42Die Demenzerkrankung des Erblassers war Gegenstand unter anderem einer in den Jahren 2011 und 2012 produzierten Fernsehsendung mit dem Titel
43„(…)“. Sie wurde im Rahmen der ZDF-Sendereihe „N05“ ausgestrahlt. Darüber hinaus veröffentlichte die Beschwerdeführerin im September 2014 das Buch
44„(xxx)“ , in dem sie die Zeit der Betreuung ihres demenzerkrankten Vaters schilderte. Sowohl die Fernsehproduktion als auch das Buch sind von dem Senat in Bezug auf die Fragen der Testierfähigkeit des Erblassers ausgewertet worden.
45Der Erblasser verstarb am 00.00.2019.
46Sodann beantragte die Antragstellerin am 6. August 2019 einen Erbschein, der sie sowie die Beschwerdeführerin, also die beiden Töchter des Erblassers, zu gesetzlichen Erbinnen zu je ½ ausweist. Dabei nahm die Antragstellerin Bezug auf das gemeinschaftliche Testament vom 00.00.1972 und auf das Einzeltestament vom 00.00.2012, die aus ihrer Sicht aus unterschiedlichen Gründen unwirksam seien. Dazu hat die Antragstellerin vorgebracht, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung des notariellen Testaments vom 00.00.2012 nicht mehr testierfähig gewesen sei. Bei ihm habe zu diesem Zeitpunkt eine schwere, rasch progrediente Demenz vorgelegen. Angesichts dessen könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Erblasser fähig gewesen sei, die Tragweite eines Testaments zu erfassen. Schließlich habe auch die Beteiligte A. in dem von ihr selbst verfassten Buch „(xxx)“ ausgeführt, dass der Erblasser bereits in der Zeit zwischen 2006 und 2011 nicht mehr in der Lage gewesen sei, Geldgeschäfte eigenverantwortlich vorzunehmen. Der Testierunfähigkeit stünde auch nicht die Annahme des beurkundenden Notars XB. entgegen, der Erblasser sei geschäfts- und testierfähig gewesen. Es sei durchaus denkbar, dass für einen medizinischen Laien ein an Alzheimer-Demenz Erkrankter noch geistig klar wirken könne.
47Die Beschwerdeführerin ist dem entgegengetreten. Sie hat sich darauf berufen, dass sie aufgrund des Testaments vom 00.00.2012 wirksam zur Alleinerbin bestimmt worden sei. Im Zeitpunkt der Testamentserrichtung sei der Erblasser noch in vollem Umfang testierfähig gewesen. Der beurkundende Notar XB. habe sich eindeutig und ernsthaft von der Testierfähigkeit überzeugt und dies auch in der Urkunde festgehalten. Darüber hinaus weise auch die ärztliche Stellungnahme des behandelnden „(…)“ M. in dem vormaligen Scheidungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Hamm auf eine Testierfähigkeit hin. Diese habe die Fähigkeit des Erblassers ergeben, seinen Trennungs- und Scheidungswillen unbeeinträchtigt äußern zu können. Aus dem im Jahr 2011 erstellten Testament ergebe sich außerdem, dass es schon damals der Wille des Erblassers gewesen sei, dass die Antragstellerin nicht Erbin werden solle. In einem handschriftlichen Testament aus dem Jahr 2005, das im Wesentlichen die damalige Lebensgefährtin des Erblassers, die „(…)“ F., bedacht habe, sei die Antragstellerin nur mit einem Anteil bedacht worden, der ihrem Pflichtteil entsprochen habe. Angesichts dessen sei hinreichend erkennbar, dass die Nichtberücksichtigung der Antragstellerin dem wahren Willen des Erblassers entsprochen hätte.
48Das Amtsgericht – Nachlassgericht – Recklinghausen hat hinsichtlich der Frage der gesundheitlichen Verfassung des Erblassers im zeitlichen Umfeld der Errichtung des notariellen Testaments vom 00.00.2012 Beweis erhoben, indem es zum einen durch Beschluss vom 14. Mai 2020 Stellungnahmen der Behandler des Erblassers – M., H. und LC. – zu der Frage der Testierfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung des notariellen Testaments eingeholt hat. Die gemeinsame Stellungnahme von M. und H. vom 10. Juli 2020 (Bl. 129-131 GA I) gelangte dabei zu dem Ergebnis, dass in der Gesamtschau der von ihnen erhobenen Befunde der Erblasser in dem fraglichen Zeitpunkt nicht testierfähig gewesen sei. Die Stellungnahme von LC. vom 9. September 2020 (Bl. 144/145 GA I) gelangte zu keinem eindeutigen Ergebnis. Er führte aus, dass Aussagen zur Testierfähigkeit anhand der vorliegenden Dokumentation nicht valide abgegeben werden könnten.
49Darüber hinaus hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – Recklinghausen ergänzend Beweis erhoben hinsichtlich der Frage der gesundheitlichen Verfassung des Erblassers im zeitlichen Umfeld der Errichtung des notariellen Testaments vom 00. 00.2012 durch Vernehmung des Zeugen XB. (Notar) in der nichtöffentlichen Sitzung vom 1. März 2021 (Bl. 181-185 GA I) sowie der Zeugen S. (Notar – Bl. 256/257 GA I), NY. (langjährige Sekretärin des Erblassers – Bl. 258-260 GA I), RJ. (Ehemann der Antragstellerin – Bl. 260/261 GA I), MN. (frühere Lebensgefährtin des Erblassers – Bl. 262/263 GA I) und IO. (Bekannter des Erblassers – Bl. 264/265 GA I) in der nichtöffentlichen Sitzung vom 26. Juli 2021. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf die jeweiligen Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
50Ergänzend hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – Recklinghausen durch Beschluss vom 3. August 2021 Beweis erhoben dazu, ob sich aus den Aussagen der vernommenen Zeuginnen und Zeugen und aus den bislang vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen Rückschlüsse darauf ziehen lassen, ob der Erblasser am 00.00.2012 dem Zeitpunkt der Abfassung des Testaments, testierfähig gewesen sei, wobei sich der Sachverständige auch zu der Frage äußern sollte, ob ein sogenannter „lichter Moment“ möglich gewesen sei. Mit der Erstellung des Gutachtens hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – Recklinghausen den Sachverständigen XC. beauftragt, welcher sein schriftliches Gutachten am 8. Februar 2022 vorgelegt hat. Darin ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Erblasser eine Demenz vom Alzheimer-Typ vorgelegen habe, deren Anfänge auf das Jahr 2007 zurückgehen würden. Der Erblasser sei in dem fraglichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung im 00.2012 mit hoher gutachterlicher Sicherheit testierunfähig gewesen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen (Bl. 298-322 GA I, sodann Anlagen). Darüber hinaus hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – Recklinghausen den Sachverständigen XC. persönlich angehört. Diesbezüglich wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 5. September 2012 Bezug genommen (Bl. 442-446 GA I).
51Im Anschluss an diese Beweisaufnahme hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – Recklinghausen. mit dem am 7. Oktober 2022 erlassenen Beschluss die Tatsachen, die zur Begründung des Antrags der Antragstellerin erforderlich sind, für festgestellt erachtet. Das Gericht beabsichtige, dem Antrag zu entsprechen und einen Erbschein zu erlassen, der die Antragstellerin und die Beteiligte A. als Erbinnen zu je ½ ausweise. Der Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelungen stünde nicht das Testament vom 00.00.1976, das der Erblasser gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau C. errichtet hatte, entgegen. Durch die Entscheidung des Amtsgerichts vom 00.00.2007 sei diese Ehe geschieden worden, weshalb das Testament unwirksam sei.
52Keine Auswirkungen auf die gesetzliche Erbfolge habe außerdem das Testament vom 00.00.2011, in dem der Erblasser seine damalige Ehefrau K. sowie die Beschwerdeführerin als Erbinnen eingesetzt habe. Dieses Testament sei aus der amtlichen Verwahrung des Amtsgerichts – Nachlassgericht – P. entnommen worden und nicht mehr vorhanden. Darüber hinaus sei das Testament auch unwirksam, da die Ehe zwischen dem Erblasser und Frau K. rechtskräftig geschieden worden sei.
53Die gesetzliche Erbfolge werde auch nicht durch das notarielle Testament vom 00. 00.2012 ausgeschlossen. Das Gericht sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Beurkundung dieses Testaments nicht testierfähig gewesen sei. Dieses Ergebnis beruhe vorrangig auf den medizinischen Erkenntnissen. Aus den in der Akte befindlichen ärztlichen Diagnosen und Befunden werde erkennbar, dass der Erblasser bereits seit dem Jahr 2006 an Alzheimer-Demenz erkrankt gewesen sei. Darüber hinaus hätten ärztliche Stellungnahmen von M. und H. sowie das Gutachten von XC. ergeben, dass der Erblasser seinerzeit testierunfähig gewesen sei. Die ärztliche Stellungnahme von M. und H. habe ergeben, dass im Dezember 2011 der Erblasser unter einer leicht- bis mittelschweren Demenz vom Typ Alzheimer gelitten habe. Diese habe sich im März 2012 zu einer mittelschweren Form fortentwickelt. Im Januar 2012 und zu keinem späteren Zeitpunkt sei der Erblasser in der Lage gewesen, sich im Rahmen einer Testamentserrichtung an Sachverhalte und Ereignisse zu erinnern, Informationen aufzunehmen, Zusammenhänge zu erfassen und Abwägungen vorzunehmen. Daraus ergebe sich auch kein Widerspruch zu der festgestellten Trennungsfolge im Scheidungsverfahren. Zwar sei eine natürliche Willensbekundung zu der Trennung von seiner Ehefrau möglich gewesen. Für die Annahme einer Testierfähigkeit reiche eine derartige emotionale Werterhaltung des Erblassers jedoch nicht aus, er müsse vielmehr in der Lage sein, die für und gegen eine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe abzuwägen und sich aus eigener Überlegung, frei von Einflüssen Dritter, also selbständig und aus eigener Kraft ein Urteil zu bilden. An diesen Voraussetzungen habe es im 00.2012 gefehlt. Das durch das Nachlassgericht eingeholte Gutachten des Sachverständigen XC. habe in umfassender Form sämtliche in der Akte befindliche Diagnosen, Befunde und Berichte analysiert. Der Sachverständige sei in seiner Schlussfolgerung ebenfalls zu dem eindeutigen Ergebnis gelangt, dass eine Demenz vom Typ Alzheimer vorgelegen habe. Aufgrund der vorliegenden und referierten ärztlichen Stellungnahmen, Untersuchungsergebnisse und Befunde könne mit Sicherheit beurteilt werden, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Abfassung des Testaments nicht testierfähig gewesen sei. Der Betroffene sei nicht in der Lage gewesen, mit einem freien, eigenverantwortlichen oder unbeeinflussten Willen zu entscheiden. Ein lichter Moment sei ausgeschlossen.
54Diesen Resultaten schließe sich das Nachlassgericht an. Die einzelnen Einwände gegen das Gutachten seien nicht durchgreifend. Für eine Testierunfähigkeit des Erblassers würden die Bekundungen der Zeugen RJ., MN. und IO. sprechen. Gegen eine Testierunfähigkeit könnten zwar die Zeugenaussagen der beiden Notare XB. und S. sowie von NY., der langjährigen Sekretärin des Erblassers, sprechen. Dies sei aber im Ergebnis nicht durchgreifend. Die Aussage des Zeugen S. spreche zwar auch in gewissem Umfang für eine Testierfähigkeit des Erblassers, sie stütze sich dabei aber auf Beobachtungen bei der Beurkundung des vormaligen Testaments im 00.2011. Hier sei zu berücksichtigen, dass zu diesem Zeitpunkt noch Testierfähigkeit auch ärztlicherseits angenommen worden sei, da M. bei diesem Termin anwesend gewesen sei. Der Krankheitsverlauf habe sich bis zum Beurkundungstermin im 00. 2012 aber stark fortentwickelt. Auch die Aussage der Zeugin NY. stünde der Feststellung nicht entgegen. Das folge aus der Gegenüberstellung ihrer Angaben mit den überzeugenden Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen XC..
55Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Beschwerdeführerin. Nachdem diese zunächst nicht begründet worden war, hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – Recklinghausen der Beschwerde mit Beschluss vom 3. Januar 2023 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Hamm zur Entscheidung vorgelegt.
56Im Nachgang dazu hat die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde begründet. Sie wendet sich gegen die Erteilung des beantragten Erbscheins und ist im Übrigen unter näherer Darstellung weiterhin der Ansicht, Alleinerbin des Erblassers geworden zu sein. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, das Amtsgericht – Nachlassgericht – Recklinghausen sei auf Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen XC. von der Testierunfähigkeit des Erblassers ausgegangen. Dies sei jedoch unzutreffend, was sich unter anderem aus einer Stellungnahme von LC. ergebe, der von einer Testierfähigkeit des Erblassers ausginge. Darüber hinaus werde von M. ein Testergebnis einer Mini Mental State Examination (MMSE) aus Dezember 2011 erwähnt, welches „(…)“ aufgezeigt habe. Im Dezember 2011 sei der Erblasser danach zweifelsfrei testierfähig gewesen, auch ein MMSE-Testergebnis aus März 2012 sei „(…)“ altersgerecht und nicht auffällig. Im Übrigen habe der Sachverständige XC. insbesondere im Termin zur Erörterung des Gutachtens vor dem Nachlassgericht die ihm gegenüber aufgeworfenen Fragen nicht zufriedenstellend beantwortet. Zu der Frage, inwieweit eine derart progrediente Verschlechterung von der Testamentserrichtung im Jahr 2011 bis zu der Testamentserrichtung im Jahr 2012 vorgelegen haben könne, habe der Gutachter nur mitgeteilt, dass dies möglich sei, sei aber eine weitere Auskunft dazu, warum dies gerade bei dem Erblasser der Fall gewesen sein soll, schuldig geblieben. Die Testergebnisse hätten darüber hinaus auch auf eine zu starke Gabe von Sedativa zurückgeführt werden können. Ein lichter Moment bei einer Alzheimer-Demenz sei keineswegs ausgeschlossen, was in Bezug auf den Erblasser näher ausgeführt wird. Ihre – der Beschwerdeführerin – Aussagen und Darstellungen in ihrem eigenen Buch „(xxx)“ stünden dem nicht entgegen, sie sei von der Testierfähigkeit des Erblassers überzeugt. Die Feststellungen der Notare zur Testierfähigkeit des Erblassers sowohl im 00.2011 als auch im 00.2012 habe das Nachlassgericht nicht hinreichend gewürdigt, zumal diese – anders als der Sachverständige – auf einem persönlichen Eindruck des Erblassers beruhten.
57Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,
58den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Recklinghausen vom 7. November 2022 aufzuheben und das Amtsgericht anzuweisen, den beantragten gemeinschaftlichen Erbschein für Frau U. und Frau A. zu je ½ Anteilen nicht zu erlassen.
59Die Antragstellerin beantragt,
60die Beschwerde zurückzuweisen.
61Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Ausführungen zu der Ansicht von LC. seien unerheblich, weil dieser noch mit schriftlicher Stellungnahme vom 9. September 2020 dargelegt habe, dass er anhand der ihm vorliegenden Dokumentation Aussagen zu der Testierfähigkeit des Erblassers nicht mehr treffen könne. Hinzu komme, dass LC. selbst am 16. Januar 2012 bei dem Erblasser eine schwere rasch progrediente Demenz festgestellt habe. Im Übrigen verteidigt die Antragstellerin unter näherer Begründung das eingeholte Gutachten des Sachverständigen XC..
62In dem Beschwerdeverfahren vor dem Senat sind sodann die bereits erwähnten zwei weiteren Testamente vom 00.00.2005 und vom 00.00.2011 mit ihrem exakten Inhalt bekannt geworden. Das Testament zugunsten von F. vom 00.00.2005 wurde an das Nachlassgericht unter anderem durch deren Steuerberaterin und auch durch den zwischenzeitlich eingesetzten Nachlasspfleger im Februar 2023 übersandt. Auf Nachfrage des Senats, wie F. in Bezug auf das hier laufende Beschwerdeverfahren betreffend die Wirksamkeit des notariellen Testaments vom 00.00.2012 weiter vorgehen wolle, hat sie mit Schreiben vom 24. Mai 2023 mitgeteilt, dass sie „auf den Antrag, dem anhängigen Verfahren als Beteiligte hinzugezogen zu werden, verzichte“ (Bl. 87 GA II).
63Darüber hinaus ist das Testament vom 00.00.2005 durch das Amtsgericht – Nachlassgericht – Recklinghausen am 26. Juni 2023 eröffnet und bei dem Vorstand des BQ. e.V. angefragt worden, ob sich dort noch das Original der Testamentskopie befinde. Für den Verein war der Erblasser langjährig in leitenden Positionen tätig gewesen. Mit Schreiben vom 5. Juli 2023 hat der BQ. e.V. mitgeteilt, dass sich das Original-Testament des Erblassers nicht bei dem Vorstand des Vereins bzw. in den dortigen Geschäftsräumen befinde. Man hätte in den Geschäftsräumen an allen Stellen (Tresor etc.) gesucht, an denen ein solches Dokument üblicherweise aufbewahrt werden könnte (Bl. 75 der Akte 9a IV 351/23).
64Der Senat hat darüber hinaus mit Verfügung vom 9. Oktober 2023 über den Direktor des Amtsgerichts P. eine Abschrift des – im Original durch den Erblasser vernichteten – notariellen Testaments des Erblassers vom 00.00.2011 erbeten. Eine solche war dort hinterlegt, weil der beurkundende Notar S. nach der altersbedingten Aufgabe seines Notaramtes die aufbewahrungspflichtigen Unterlagen ordnungsgemäß bei dem örtlichen Amtsgericht abgeliefert hatte. Die Abschrift des Testaments ist dem Senat im Oktober 2023 übermittelt worden. Danach haben die Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten dazu ergänzend Stellung genommen. Die Antragstellerin hat unter anderem ausführen lassen, dass der Erblasser auch am 00.00.2011 nicht mehr testierfähig gewesen sei.
65Der Senat hat die Beteiligten angehört. Im Übrigen ist Beweis erhoben worden durch ergänzende Anhörung des Sachverständigen XC., ferner durch Vernehmung der sachverständigen Zeugen M. und H. sowie des Zeugen Notar a.D. S. am 26. September 2023 und 16. Mai 2024. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahmen wird Bezug genommen auf die jeweiligen Berichterstattervermerke vom 28. September 2023 (Bl. 128-136 GA II) und 17. Mai 2024 (Bl. 301-313 GA II).
66Die Akten 9a VI 838/19 (Nachlasspflegschaft) und 9a IV 351/23 (Testament), jeweils Amtsgericht – Nachlassgericht – Recklinghausen, sind beigezogen worden und haben vorgelegen.
67II.
68Die Beschwerde der Beschwerdeführerin hat keinen Erfolg.
69Das Rechtsmittel ist zwar zulässig, jedoch unbegründet.
70Die Annahme des Amtsgerichts, wonach der Erblasser gesetzlich von seinen beiden Töchtern zu je ½-Anteil beerbt worden ist, hat sich nach ergänzender Beweisaufnahme im Beschwerdeverfahren als richtig erwiesen. Keines der vier von dem Erblasser errichteten Testamente war im Zeitpunkt des Erbfalls wirksam bzw. noch wirksam, sodass es im Ergebnis letztlich bei der gesetzlichen Erbfolge verbleibt. Hierzu im Einzelnen:
711.
72Das während der Ehe des Erblassers mit C. errichtete gemeinschaftliche Testament vom 00.00.1972 (UR.-Nr. N01 des Notars O. in R.) ist infolge der rechtskräftigen Ehescheidung unwirksam. Die Ehe ist am 00.00.2007 durch das Amtsgericht – Familiengericht – N. wirksam geschieden worden, sodass das gemeinschaftliche Testament, in welchem der Erblasser und seine damalige Ehefrau sich gegenseitig zu Erben einsetzten, gemäß §§ 2267, 2268 Abs. 1, 2077 BGB seinem ganzen Inhalt nach unwirksam ist.
732.
74Ein mögliches handschriftliches Testament zugunsten von F. vom 00.00.2005 ist zur sicheren Überzeugung des Senats – in Übereinstimmung mit den gemeinsamen Angaben der Verfahrensbeteiligten und ihrer Bevollmächtigten – Anfang des Jahres 2009 nach der Beendigung der Beziehung durch den Erblasser vernichtet („geschreddert“) worden und damit wirksam widerrufen worden. Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser im Jahr 2009 schon testierunfähig gewesen sei könnte, finden sich nicht. Die Darstellung, dass ein Testament zu Gunsten der Lebensgefährtin nach dem Ende der gemeinsamen Beziehung wieder vernichtet wird, erscheint lebensnah. Der Senat hat entsprechend der Angaben der Beschwerdeführerin in der Senatssitzung vom 26. September 2023 keine Zweifel daran, dass das Testament in ihrer Anwesenheit Anfang 2009 vernichtet worden ist, zumal eine durch das Nachlassgericht erfolgte Rückfrage bei dem Verein BQ. e.V. keine Hinweise auf eine Existenz des Testaments erbracht hat.
753.
76Aus dem notariellen Einzeltestament vom 00.00.2011 folgt keine abweichende erbrechtliche Folge, weil dieses Testament zur vollen Überzeugung des Senates bereits im Zustand der Testierunfähigkeit des Erblassers verfasst worden ist. Deshalb kommt es auf den Umstand, dass die spätere Rücknahme dieses Testaments aus der amtlichen Verwahrung im 00.2011 im Hinblick auf eine zu diesem Zeitpunkt bestehende Testierunfähigkeit keinen wirksamen Widerruf darstellen konnte, nicht an (vgl. zur erforderlichen Testierfähigkeit in diesem Zeitpunkt OLG Köln, Beschluss vom 12. Juli 2013 – I-2 Wx 177/13 –, Rn. 5, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 1. August 2012 – I-15 W 266/12 –, Rn. 4, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 9. März 2005 – 1Z BR 108/04 –, Rn. 8, juris; MüKoBGB/Sticherling, 9. Auflage 2022, BGB § 2256 Rn. 6; Bauermeister in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Auflage, § 2256 BGB (Stand: 1. Juli 2023), Rn. 8; Staudinger/Baumann (2022) BGB § 2256, Rn. 20).
77a)
78Testierunfähig ist nach § 2229 Abs. 4 BGB, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Das trifft beispielsweise auf Personen zu, die nicht in der Lage sind, sich über die Folgen einer letztwilligen Verfügung ein eigenes, frei von Einflüssen Dritter geschaffenes Urteil zu bilden (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 28. Dezember 2021 – 10 W 125/19 –, Rn. 65, juris). Das Gesetz verbindet danach nicht mit jeder Geisteskrankheit oder -schwäche die Testierunfähigkeit, sondern sieht die Fähigkeit des Erblassers, die Bedeutung der letztwilligen Verfügung zu erkennen und sich bei seiner Entscheidung von normalen Erwägungen leiten zu lassen, als maßgebend an. Eine geistige Erkrankung des Erblassers steht der Gültigkeit seiner letztwilligen Verfügung nicht entgegen, wenn diese von der Erkrankung nicht beeinflusst ist. Entscheidend ist, ob die psychischen Funktionen des Auffassens, des Urteilens und des kritischen Stellungnehmens durch die Geisteskrankheit oder -schwäche so sehr beeinträchtigt sind, dass der Erblasser nicht mehr fähig ist, die Bedeutung seiner letztwilligen Verfügung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, ob krankhafte Empfindungen und Vorstellungen die Bestimmbarkeit des Willens durch normale, vernünftige Erwägungen aufgehoben haben (BayObLG, Beschluss vom 24. März 2005 – 1Z BR 107/04 –, Rn. 15-16, juris; Staudinger/Baumann (2022) BGB § 2229, Rn. 54 m.w.N.). Abzustellen ist folglich darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist und ob umgekehrt von einer freien Willensbildung deshalb nicht mehr gesprochen werden kann, weil etwa infolge der Geistesstörung die Einflüsse dritter Personen den Willen des Erblassers übermäßig beherrschen oder weil die Willensbildung durch unkontrollierbare Triebe oder Vorstellungen ausgelöst wird (OLG Hamm, Urteil vom 13. Juli 2017 – I-10 U 76/16 –, Rn. 63, juris, Bauermeister in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Auflage, § 2229 BGB, Stand: 1. Juli 2023, Rn. 13 mit weiteren Nachweisen). Zu beachten ist dabei, dass es keine nach Schwierigkeitsgrad des Testaments abgestufte Testierfähigkeit gibt. Die Fähigkeit zur Testamentserrichtung ist entweder gegeben oder fehlt ganz (BayObLG, Beschluss vom 30. Juni 2005 – 1Z BR 100/04, BeckRS 2005, 44199 Rn. 56, beck-online; OLG München, Beschluss vom 14. August 2007 – 31 Wx 16/07 –, Rn. 18, juris; OLG Hamm, Urteile vom 6. März 2014 – I-10 U 76/13 –, Rn. 81, juris und vom 13. Juli 2017 – I-10 U 76/16 –, Rn. 64, juris; kritisch Staudinger/Baumann (2022) BGB § 2229, Rn. 33 ff.).
79Bei dem Krankheitsbild einer Altersdemenz sind Feststellungen nur aufgrund des Gesamtverhaltens und des Gesamtbildes der Persönlichkeit zur Zeit der Testierung möglich. Bei einer fortschreitenden mittelschweren Demenz, die degenerativer und nicht nur vaskulärer Art ist, liegt die Annahme einer eingeschränkten Einsichtsfähigkeit im Sinne von § 2229 Abs. 4 BGB im Regelfall nahe (Weidlich in Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 83. Auflage, § 2229 Rn. 9). Ein etwaiges luzides Intervall ist praktisch ausgeschlossen bei chronisch-progredienten Störungen der Geistestätigkeit mit einem degenerativen fortschreitenden Abbauprozess, so wie er bei einer Demenz vom Alzheimertyp gegeben ist (OLG München, Beschluss vom 1. Juli 2013 – 31 Wx 266/12 –, Rn. 19, juris; Bauermeister in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Auflage, § 2229 BGB, Stand: 1. Juli 2023, Rn. 17; Staudinger/Baumann (2022) BGB § 2229, Rn. 71; MüKoBGB/Sticherling, 9. Auflage 2022, BGB § 2229 Rn. 43; OLG Hamm, Urteil vom 13. Juli 2017 – I-10 U 76/16 –, Rn. 65, juris)
80b)
81Gemessen an diesen Anforderungen ist es zur Überzeugung des Senates feststellbar, dass der Erblasser bei Errichtung des Testaments am 00.00.2011 testierunfähig gewesen ist. Denn es kann ausgeschlossen werden, dass er im 00.2011 noch in der Lage war, mit einfachen Worten aus eigener Überlegung frei von Einflüssen Dritter sich ein Urteil zu bilden, das keinen Zweifel daran lässt, wem er sein Vermögen habe zuwenden wollen.
82aa)
83Dass der Erblasser an einer Alzheimer-Demenz litt und diese schon im 00.2011 zu einer Testierunfähigkeit führte, ist durch das eingeholte Sachverständigengutachten – ergänzt um die Ausführungen des Sachverständigen in der Senatssitzung vom 16. Mai 2024 – zur Überzeugung des Senats sicher belegt.
84Die Annahme des Sachverständigen XC., dass bei dem Erblasser die Diagnose Alzheimer-Demenz gestellt und sorgfältig begründet worden ist, lässt sich mit den aus den Akten erhobenen Befundberichten in Übereinstimmung bringen. Am 00.00.2010 diagnostizierte der sachverständige Zeuge M. im Anschluss an weitere Untersuchungen bei dem Erblasser eine beginnende Demenz vom Alzheimertyp, was er im Rahmen seiner Anhörung als Zeuge vor dem Senat bestätigte. Dem war eine Untersuchung des Erblassers vom 00.00.2010 vorausgegangen, wobei ein durchgeführter Syndrom-Kurztest mit „(…)“ einen leichtgradig pathologischen Befund erbrachte. Bei einem durchgeführten Uhrentest konnte der Erblasser im ersten Versuch lediglich „(…)“, erst bei umfassender Unterstützung gelang es ihm dann, „(…)“ (Bl. 336 GA I). Neben dieser klinischen und in den Arztberichten beschriebenen Symptomatik ist auch eine Liquor-Punktion (Entnahme von Nervenflüssigkeit) durchgeführt worden. Die Untersuchung hat ergeben, dass „(…)“ (Bl. 338 GA I). Im Zusammenhang mit den nachfolgend noch näher dargestellten weiteren Befundberichten im Zeitraum Mai 2010 bis in das Jahr 2012 hinein hat der Senat keine vernünftigen Zweifel an dieser Diagnose.
85bb)
86Der Erblasser war nach der ergänzenden Beweisaufnahme vor dem Senat – in welcher der Sachverständige XC. zu der Testierfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt des 00.00.2011 befragt worden ist – im Hinblick auf diese nachgewiesene Alzheimer-Demenz nicht mehr in der Lage, sich an Sachverhalte und Ereignisse zu erinnern, Informationen aufzunehmen, Zusammenhänge zu erfassen und eine Abwägung des Für und Widers bei dem maßgeblichen Testament vom 00.00.2011 sachgerecht vorzunehmen. Der Senat ist angesichts der Gesamtwürdigung aller erhobenen Beweise – maßgeblich gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen XC. – davon überzeugt, dass der Erblasser damit bereits am 00.00.2011 testierunfähig war.
87Dafür sprechen die Ausführungen des Sachverständigen im Rahmen seiner ergänzenden sachverständigen Befragung vor dem Senat im Termin vom 16. Mai 2024. So sei bei Gesamtwürdigung der Testergebnisse vom 26. Mai 2010, Januar 2011, Mai 2011 „(…)“ und September 2011 sowie unter Berücksichtigung der Zeugenaussage des sachverständigen Zeugen Y. mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Erblasser die in dem Testament enthaltenen Regelungen nicht mehr habe verstehen können. Eine Untersuchung am 26. Mai 2010 ergab bei einem durchgeführten Mini Mental Status Test bereits lediglich ein Ergebnis von „(…)“ Punkten, was einen leichtgradig auffälligen Wert darstellte. Darüber hinaus wurde unter anderem auch ein Uhrentest durchgeführt, der mit „(…)“ eine hochgradig gestörte räumlich konstruktive Kompetenz ergab (Bl. 338 GA I). Etwas über ein halbes Jahr später, am 00.00.2011, erreichte der Erblasser bei einer erneuten ambulanten Untersuchung ein Resultat von „(…)“ Punkten bei dem durchgeführten Mini Mental Status Test, der Uhrentest ergab „(…)“, was eine leichtgradig gestörte räumlich-konstruktive Kompetenz zeigte (Bl. 314 der GA I).
88Im Rahmen der Senatssitzung vom 16. Mai 2024 konnte darüber hinaus in Erfahrung gebracht werden, dass im Mai 2011 ein – bis dahin noch nicht aktenkundiger – weiterer Uhrentest durchgeführt worden war, der „(…)“ hochgradig pathologisch ausfiel. Diese Feststellung stimmt überein mit der Berichterstattung in der ZDF-Fernsehproduktion mit dem Titel „(…)“ im Rahmen Sendereihe „N05°“, in der ein solcher Test aus dem Mai 2011 bildlich festgehalten worden war.
89Dafür, dass der Erblasser bereits im 00.2011 nicht mehr in der Lage war, das Für und Wider einer testamentarischen Verfügung hinreichend abzuwägen, sprechen auch die glaubhaften Schilderungen der sachverständigen Zeugen M. und H.. Nach Einschätzung von M. war der Erblasser im fraglichen Zeitraum zwar noch emotional in der Lage, schwingungsfähig zu sein und einfache Sachverhalte zu erfassen. Zu differenzierteren Regelungen war er nach dieser Würdigung hingegen im 00.2011 nicht mehr in der Lage, weil ihm zu diesem Zeitpunkt bereits die Fähigkeit abhandengekommen war, zukunftsorientierte Überlegungen anzustellen. Bestätigt worden ist dies durch die Einschätzung des in die Behandlung des Erblassers in der D. in W. eingebundenen „(…)“ H. und dessen Aussage vor dem Senat. Er hat unter anderem ausgeführt, dass im Zeitpunkt 00.2011 bereits erhebliche kognitive Einschränkungen bei dem Erblasser zu bemerken gewesen seien. Gerade das Denken in alternativen Szenarien sei deutlich eingeschränkt gewesen. Angesichts dieser Einschätzungen der die unmittelbare Behandlung verantwortenden sachverständigen Zeugen M. und H. zum Gesundheitszustand des Erblassers im fraglichen Zeitraum hat der Senat keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Alzheimer-Demenz des Erblassers im 00.2011 deutlich vorangeschritten war und die kognitiven Einschränkungen, gerade was das Erinnerungsvermögen des Erblassers anbelangte, so weit fortgeschritten waren, dass dies eine Testierfähigkeit ausschloss. Dafür sprechen nicht nur die Zeugenaussagen, sondern auch das Testergebnis des Uhrentests aus 00.2011, bei welchem der Erblasser lediglich „(…)“ erreichte. Wenngleich nicht verkannt wird, dass dieser Uhrentest nach Einschätzung des Sachverständigen XC. für die Testierfähigkeit lediglich untergeordnete Bedeutung hat, so zeigt er jedenfalls einen hochgradig pathologischen Zustand der konstruktiv-visuellen Fähigkeiten des Erblassers in diesem Zeitpunkt, die es – so das praktische Beispiel des Sachverständigen – sogar ausschloss, dass der Erblasser noch zum selbständigen Eindecken eines Tisches in der Lage gewesen wäre. In dieser Hinsicht dokumentiert der Test auch aus Sicht des Sachverständigen XC. einen weitergehenden progredienten Verlauf der Erkrankung.
90Unter dieser Prämisse, dass die kognitiven Fähigkeiten des Erblassers im 00.2011 derart eingeschränkt waren, ist mit hinreichender Sicherheit von seiner Testierunfähigkeit im 00.2011 auszugehen. Anderslautende Einschätzungen der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf andere Behandler des Erblassers teilt der Senat im Hinblick auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen XC. nicht. Der Senat hat im Hinblick auf die sachverständigen Zeugenaussagen von M. und H., den nachgewiesenen progredienten Verlauf der Erkrankung des Erblassers sowie den hochgradig pathologischen Uhrentest aus Mai 2011 keine vernünftigen Zweifel, dass der Erblasser im 00.2011 nicht mehr frei von Einflüssen Dritter in der Lage war, sich ein Urteil zu bilden. Es war ihm insgesamt nicht möglich, das Für und Wider hinsichtlich der einzelnen testamentarischen Regelungen einzuordnen, weshalb es auf die Frage, ob es eine relative Testierfähigkeit hinsichtlich einzelner Verfügungen überhaupt geben kann, hier streitentscheidend nicht ankommt.
91cc)
92Der Überzeugung hinsichtlich der Testierunfähigkeit des Erblassers zum 00.00.2011 steht nicht entgegen, dass der Sachverständige XC. noch zu Beginn seiner ergänzenden mündlichen Gutachtenerstattung im Senatstermin am 16. Mai 2024 ausführte, er könne die Beweisfrage zur Testierfähigkeit an diesem Tag nicht mit Sicherheit beantworten, weil für ihn sowohl Aspekte für eine Testierunfähigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt als auch solche feststellbar seien, die gegen eine Testierunfähigkeit sprechen würden. Diese – im Ergebnis offene – Antwort des Sachverständigen beruht jedoch auf einem Missverständnis des Sachverständigen hinsichtlich der vom Senat vorgenommenen Würdigung der Zeugenaussagen. Der zu Beginn der Ausführungen geäußerten Einschätzung des Sachverständigen lag nämlich – wie sich im weiteren Verlauf der Befragung ergeben hat – eine von dem Senat nicht geteilte und im Übrigen auch nicht dem Sachverständigen obliegende Würdigung der Aussagen sowohl des sachverständigen Zeugen M. als auch des Zeugen S. zugrunde. Der Sachverständige XC. war hierzu bei seiner Bewertung zu Unrecht von den Prämissen ausgegangen, dass der Zeuge S. ein detailliertes Gespräch mit dem Erblasser geführt hätte und dass der sachverständige Zeuge M. während der Beurkundung interveniert hätte, wenn ihm in deren Verlauf Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers gekommen wären.
93Dementgegen geht der Senat gerade nicht davon aus, dass der das Testament beurkundende Notar S. ein detailliertes Gespräch über den Testamentsinhalt mit dem Erblasser geführt hat, aus welchem sich irgendwelche Hinweise auf dessen Testierfähigkeit ergeben könnten. Dies hat hingegen der Sachverständige XC. zunächst noch seinem Gutachtenergebnis unterstellt, was sich jedoch mit der Aussage des Zeugen nicht in Einklang bringen lässt. So will der Zeuge S. zwar eine „Diskussion“ mit dem Erblasser geführt haben, dieser soll dem Notar auch „gefolgt“ sein. Eine Vorbesprechung des Testaments mit dem Erblasser habe bei ihm jedoch nicht stattgefunden. Vielmehr sei der Zeuge S. von einem anderen Rechtsanwalt darum gebeten worden, die Beurkundung vorzunehmen. Konkrete Erinnerungen bezüglich des Ablaufs hatte der Zeuge lediglich noch an eine Äußerung des Erblassers nach Verlesen des Testaments, bei welcher dieser sich an seine damalige Ehefrau DC. gewandt haben soll mit den Worten: „Sollen wir das so machen?“ Auch wenn der Erblasser nach entsprechender Intervention durch den Zeugen S., wonach es sich um sein Testament handele, seine Frage auf die im Testament enthaltene Pflichtteilsregel verstanden wissen wollte, hat der Sachverständige diese Verhaltensweise des Erblassers als ein für eine Demenz typisches Ausweichverhalten eingeschätzt. Die einzig dem Zeugen S. in Erinnerung gebliebene Frage des Erblassers spricht damit nicht für, sondern gegen die Testierfähigkeit. Diese Einschätzung hat der Sachverständige XC. dann auch bestätigt, indem er unter der vom Senat als Prämisse vorgegebenen Einschätzung der Zeugenaussage ausgeführt hat, dass dann von einer Testierunfähigkeit des Erblassers auszugehen sei.
94Entsprechendes gilt hinsichtlich der Einschätzung des Sachverständigen XC. zu dem Umstand, dass der Zeuge M. bei der Testamentserrichtung im 00.2011 nicht eingeschritten sei, obwohl seine Aufgabe an diesem Tag gerade in der Beurteilung der Testierfähigkeit des Erblassers gelegen haben soll. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass der sachverständige Zeuge M. sowohl nach heutigen Maßstäben als auch zum damaligen Zeitpunkt die kognitive Fähigkeit des Erblassers zum Erfassen der im Testament geregelten Sachverhalte als nicht mehr ausreichend beurteilte, gleichwohl aber bei der Beurkundung nicht einschritt. Dies hat nämlich der sachverständige Zeuge selbst so gegenüber dem Senat eingeräumt: Er hat im Verlauf der Anhörung durch den Senat ausdrücklich betont, dass er mit seinem Wissenstand von heute bei dem damaligen Beurkundungstermin hätte eingreifen müssen. Angesichts dessen hat der Sachverständige XC. sodann auch insoweit seine zunächst geäußerte Einschätzung aufgegeben und sich dahingehend festgelegt, dass der Erblasser allenfalls noch einfache Sachverhalte erfassen konnte, was hingegen für eine Testierfähigkeit nicht ausreicht (vgl. zu diesem Maßstab: OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Dezember 2019 – 14 U 99/17 –, Rn. 46, juris).
95dd)
96Der Sachverständige XC. hat seine Feststellungen zu dem verschlechterten Gesundheitszustand des Erblassers von 2011 bis 2012 ausreichend begründet. Er hat die Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Erblassers anhand der dokumentierten Tests hinreichend deutlich gemacht, aus welchen sich die progrediente Verschlechterung ablesen lässt. Das ergibt sich nicht nur aus den bereits zitierten Testergebnissen aus Januar 2011 und Mai 2011, sondern auch aus den zeitlich nachfolgenden Untersuchungen:
97So wurde, nur wenige Wochen nach der Testamentserrichtung vom 00.00.2011, am 00.00.2011 eine weitere ambulante Testung des Erblassers vorgenommen, die – verglichen mit der Befunderhebung aus Januar 2011 – eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Sinne einer nachgewiesenen Progredienz ergab.
98„– Von der Darstellung des nachfolgenden Textes zum Gesundheitszustand wird abgesehen –“.
99Danach ist sowohl das Vorfeld der Testamentserrichtung im Juli 2011 als auch der weitere Verlauf im Anschluss daran hinreichend deutlich von dem Sachverständen anhand der Befundlage untersucht worden. Daraus ergibt sich eindeutig eine zunehmende Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Erblassers bis in das Jahr 2012 hinein.
100ee)
101Befunde, die gegen die Feststellung der Testierunfähigkeit des Erblassers im Juli 2011 sprechen könnten, sind nicht zutage getreten. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus einem in der erstinstanzlichen schriftlichen Stellungnahme von M. vom 10. Juli 2020 (dort Seite 2; Bl. 130 GA I) gegenüber dem Amtsgericht – Nachlassgericht Recklinghausen erwähnten angeblichen Mini Mental Status Test aus Dezember 2011, bei welchem ein Wert von „(…)“ erreicht worden sein soll. Ferner soll es dem Erblasser bei einem Wert von „(…)“ damals noch gelungen sein, „(…)“. Ein solcher Test, bei welchem der Erblasser noch im Dezember 2011 einen gegenüber der Untersuchung im September 2011 um „(…)“ Punkte verbesserten Wert erreicht haben könnte, ist zur sicheren Überzeugung des Senats tatsächlich niemals durchgeführt worden. Ein derartiges Testergebnis – welches angesichts der danach angeblich eingetretenen zwischenzeitlichen deutlichen Verbesserung der medizinischen Befunde den Abläufen einer Alzheimer-Demenz grob widersprechen würde – hat es nicht gegeben. Hierüber befinden sich keine Unterlagen bei den Akten bzw. im Besitz der sachverständigen Zeugen. Vielmehr liegt hier eine Verwechslung der Daten vor. Tatsächlich stammten die referierten Resultate aus einem Test im Januar 2011. Das folgt aus den nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen XC. unter Bezugnahme auf seine Rückfragen bei M. und H. gerade im Hinblick auf einen solchen, in ihrer Stellungnahme vom 10. Juli 2020 zwar erwähnten, in den Unterlagen aber nicht vorhandenen Test. Danach ist dem Sachverständigen mitgeteilt worden, dass ein solcher Test nicht existiert hat. Es ist deshalb sicher davon auszugehen, dass es sich bei den gegenteiligen Ausführungen in der Stellungnahme vom 10. Juli 2020 durch M. und H. um ein Schreibversehen gehandelt hat und sich die Ausführungen auf den tatsächlich bereits im Januar 2011 absolvierten Test mit den exakt gleichen Resultaten beziehen. Diese Einschätzung entspricht – teilweise wörtlich – den Angaben der sachverständigen Zeugen in dem Arztbrief vom 00.00.2011 und ihrer darin enthaltenen Mitteilung der Testergebnisse des Erblassers vom 00.00.2011 (Bl. 340 GA I).
102ff)
103Die auch im Rahmen der nichtöffentlichen Sitzung vor dem Senat thematisierte Einwendung der Beschwerdeführerin zu den Auswirkungen der Medikation auf das Testergebnis aus September 2011 begründet keine vernünftigen Zweifel an der Feststellung der Testierunfähigkeit im 00.2011. Der Senat schließt sicher aus, dass eine von der Beschwerdeführerin angesprochene Überdosierung von Medikamenten im Jahr 2011 Auswirkungen auf das Testergebnis eines Mini Mental Status Test in Januar 2011, eines Uhrentests in Mai 2011 oder eines weiteren Mini Mental Status Test in September 2011 gehabt haben könnte. Eine Überdosierung von Medikamenten, wie sie der Erblasser unter anderem zur Linderung von Verhaltensstörungen einnahm (beispielsweise …), hat nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen XC. auf das Testergebnis in der Regel keinen Einfluss. In Ausnahmefällen kann es zwar bei einer Überdosierung zu einer gesteigerten Form von Unruhe bei dem Probanden kommen. Das beeinflusst dann jedoch – so der Sachverständige weiter – nicht das Testergebnis als solches, sondern bereits die Durchführbarkeit des Tests. In diesem Fall wird die Durchführung des Tests abgebrochen, weil eine Zusammenarbeit mit dem Patienten nicht möglich ist. Im Hinblick darauf, dass der Mini Mental Status Test nicht auf Schnelligkeit ausgelegt ist und ein breit gefächertes Spektrum (beispielsweise Orientierung, Rechnen) abdeckt, haben Medikamente mit sedierender Wirkung bei Durchführbarkeit des Tests keine Auswirkungen auf das Testergebnis als solches. Gleiches gilt für den Uhrentest. Anders als beispielsweise im Rahmen einer Fahreignungsprüfung kann sich der Patient so viel Zeit für die Antworten nehmen, wie er benötigt.
104gg)
105Einen lichten Moment, den der Erblasser im 00.2011 bei der Beurkundung des Einzeltestaments erfahren haben könnte, schließt der Senat zur sicheren Überzeugung aufgrund der sachverständigen Ausführungen von XC. aus. Es ist medizinisch ausgeschlossen, dass bei einer Alzheimer-Demenz ein lichter Augenblick (lucidum intervallum) mit der Folge vorgelegen haben könnte, dass der Erblasser am 00.00.2011 etwa doch ein wirksames Testament hätte errichten können. Der Sachverständige ist diesbezüglich ausdrücklich um seine Einschätzung ersucht worden und hat sich mit hoher Deutlichkeit darauf festgelegt, es entspreche „allgemeiner einhelliger Meinung in der medizinischen Wissenschaft“, dass es lichte Augenblicke bei einer Alzheimer-Demenz nicht gebe und auch nicht geben könne, da diese davon geprägt sei, dass Nervenzellen irreversibel untergehen (Bl. 445 GA I). Im Übrigen entspricht die Aussage des Sachverständigen der Erfahrung des Senates aus vergleichbaren Fällen der Beurteilung der Testierfähigkeit bei einer festgestellten Alzheimer-Erkrankung sowie auch der Kommentarliteratur. Die heutige medizinische Wissenschaft hält „lichte Augenblicke“ in den meisten Fällen krankhafter Störungen der Geistestätigkeit und insbesondere bei Geistesschwäche grundsätzlich für nicht möglich. Wer in den Zustand dauerhafter Demenz eingetreten ist, erlebt danach keine zur Testierfähigkeit ausreichenden Zeiträume (vgl. Staudinger/Baumann (2022) BGB § 2229, Rn. 71 mit weiteren Nachweisen). Dem schließt sich der Senat im Hinblick auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen an.
106hh)
107Ebenfalls keine vernünftigen Zweifel zu begründen vermögen die Ausführungen der Beschwerdeführerin zu einer Dokumentation über den Erblasser, welche in der ZDF-Reihe „N05“ ausgestrahlt worden ist. Aus dieser Sendung lassen sich zur sicheren Überzeugung des Senats keine Hinweise darauf entnehmen, dass das gutachterliche Ergebnis zur Testier(un)fähigkeit unzutreffend sein könnte. Der Senat hat sich die Sendung zweimal angesehen, und zwar insbesondere mit Blick auf die für die Testamente des Erblassers maßgeblichen Zeitpunkte im 00.2011 und im 00.2012. Hinweise auf Verhaltensweisen des Erblassers, die der Befunderhebung ab Mai 2010 widersprechen könnten, fanden sich in dieser Sendung nicht, was auch der Sachverständige XC. bestätigte. Dieser hat auf konkrete Nachfrage zu der Fernsehproduktion ausgeführt, die Sendung eingehend danach durchgesehen zu haben, ob an irgendeiner Stelle ein Widerspruch zu der Befundlage auftrete. Einen solchen gebe es hingegen nicht. Es ließen sich aus diesem Beitrag weder aus den Antworten noch aus dem Verhalten des Erblassers auch nur andeutungsweise Hinweise ableiten, dass die Befundlage tatsächlich besser gewesen sein könnte. Die Antworten hätten lediglich den Charakter von Phrasen. Es gebe in keiner Minute der ZDF-Produktion einen Hinweis darauf, dass bei dem Erblasser eine kognitive Fähigkeit vorhanden gewesen sein könnte, die besser gewesen sei als bei den jeweils erhobenen Befunden. Es würden zwar Fragen gestellt, es folgten aber nie Antworten des Erblassers, die auch nur ansatzweise einen Hinweis auf ein Faktenwissen zulassen würden. Dieser Einschätzung des Sachverständigen schließt sich der Senat nach eigener Sichtung der Dokumentation auch für den hier maßgeblichen Zeitpunkt 00.2011 an. Im Ergebnis unterstreicht gerade auch die Fernsehsendung sowohl nach den Eindrücken des medizinischen Laien als auch in der fachkundigen Einschätzung des Sachverständigen die Überzeugung von der Testierunfähigkeit des Erblassers zu allen vorliegend maßgeblichen Zeitpunkten.
108ii)
109Dass der Erblasser noch am 00.00.2012 in der Lage gewesen sei soll, das Vorwort seiner Autobiografie selbst einzulesen, wobei es sich um eine mehrere Minuten lange Aufnahme gehandelt haben soll, steht dem Ergebnis der Testierunfähigkeit weder im 00.2011 noch später entgegen. Der Sachverständige XC. hat dazu überzeugend ergänzend ausgeführt, dass auch ein fortgeschritten an Alzheimer Erkrankter noch in der Lage sein könne, Texte zu lesen. Dass der Erblasser dies vermocht habe, stünde der Annahme der Testierunfähigkeit im maßgeblichen Zeitpunkt nicht entgegen, auszuschließen sei lediglich, dass der Erblasser den vorgelesenen Text noch inhaltlich erfasst haben könnte.
110jj)
111Kein anderes Ergebnis folgt aus den Zeugenaussagen der vernommenen Notare S. und XB.. Schon im Ansatz ist der Aussage von Personen, die – wie z.B. ein Notar, der eine erbrechtlich relevante Beurkundung vorgenommen hat – zur Zeit der Vornahme des in Rede stehenden Rechtsgeschäfts mit der betroffenen Person in bloßem sozialen Kontakt standen, mangels fachlicher Qualifikation zur Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen grundsätzlich kein besonderer Beweiswert zuzumessen (so zu der Frage der Geschäftsfähigkeit: OLG Hamm, Urteil vom 13. Juli 2021, Aktenzeichen 10 U 5/20). So mag es zwar sein, dass sowohl der Notar S. im 00.2011 als auch der Notar XB. im 00.2012 subjektiv von der Testierfähigkeit des Erblassers ausgingen und vor diesem Hintergrund jeweils die Beurkundung der notariellen Einzeltestamente durchführten. In dieser Vorgehensweise liegt jedoch kein Widerspruch zu dem angenommenen Ergebnis der Testierunfähigkeit des Erblassers im 00.2011. Zum einen waren die Notare nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BeurkG nicht berechtigt, bei Zweifeln über die Testierfähigkeit die Beurkundung abzubrechen, sondern hätten lediglich ihre Zweifel in der Urkunde zu vermerken gehabt (BeckOGK/Bord, 1. April 2024, BeurkG § 11 Rn. 21; BeckOGK/Grziwotz, 1. April 2024, BeurkG § 28 Rn. 8). Zum anderen liefern weder die Ausführungen des Notars S. vor dem Senat noch die protokollierten Angaben des erstinstanzlich vernommenen Notars XB. Anhaltspunkte dafür, dass das hier gefundene Ergebnis von der Testierunfähigkeit des Erblassers unzutreffend sein könnte. In Bezug auf den Notar S. ist zu berücksichtigen, dass er sich auf die Einschätzung des anwesenden behandelnden Arztes M. verließ, was sich – auch nach Ausführung von M. gegenüber dem Senat – im Nachhinein als unzutreffend herausstellte. Ungeachtet dessen geben die Aussagen der Zeugen keine Anhaltspunkte für Antworten des Erblassers, die mit einer anzunehmenden Testierunfähigkeit nicht in Einklang zu bringen sind.
112Diese Einschätzung hat der Sachverständige XC. sowohl in Bezug auf die protokollierte Zeugenaussage des Zeugen XB. bestätigt, als auch nach entsprechender Klarstellung in Bezug auf die in seiner Anwesenheit durchgeführte Zeugenaussage des Zeugen S.. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass die Befragung des Zeugen XB. keine Hinweise ergeben habe, welche die sachverständige Feststellung zur fehlenden Testierfähigkeit in Frage stellen könnte (Seite 21 seines Gutachtens, Bl. 318 GA I). Der Zeuge XB. habe vielmehr lediglich Aussagen und Verhaltensweisen des Erblassers geschildert, welche auch von einem dementen Menschen vorgenommen werden könnten, wenn dieser – so wie der Erblasser – aufgrund eines früher hohen Intelligenzleistungsniveaus und einer hohen sozialen Kompetenz noch in der Lage sei, für eher phrasenhafte Aussagen eine gewisse Fassade aufrecht zu erhalten. Im Übrigen hat der Notar XB. sich ausweislich seiner protokollierten Angaben an Einzelheiten nicht mehr erinnern können, auch an eine Vorbesprechung des Termins nicht. Er hat lediglich angegeben, „ein längeres Gespräch mit ihm“ geführt zu haben, „was ohne weiteres möglich“ gewesen sei (Bl. 183 GA I). Auch an den konkreten Gesprächsverlauf während der Beurkundung habe er keine detaillierten Erinnerungen mehr. Angesichts dessen geben die Ausführungen des Zeugen XB. keinerlei Anhaltspunkte, die an den gutachterlichen Feststellungen Zweifel aufkommen lassen könnten. Der Senat hat es im Rahmen der Amtsaufklärung auch nicht für geboten erachtet, in Anwesenheit des Sachverständigen den Notar XB. erneut zu vernehmen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Notar anders als erstinstanzlich protokolliert zu dem Gespräch mit dem Erblasser anlässlich der notariellen Beurkundung im 00.2012 aussagen wird.
113Entsprechendes gilt im Ergebnis auch für die Zeugenaussage des Notars S.. Soweit der Sachverständige XC. den Inhalt dieser Zeugenaussage zunächst anders verstanden haben will (s.o.), ist das nicht maßgeblich. Der Zeuge S. konnte sich an keine konkreten Gesprächsinhalte mehr erinnern, mit Ausnahme der bereits zitierten Rückfrage des Erblassers an seine damalige Ehefrau DC., seiner, des Notars, entsprechenden Intervention gerichtet an den Erblasser und der durch diesen erfolgten Klarstellung. Diese Aussagen des Erblassers haben hingegen auch nach Einschätzung des Sachverständigen aus den bereits dargestellten Gründen keinen Wert in Bezug auf die Annahme einer Testierfähigkeit.
114kk)
115Keinen Widerspruch zu den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen XC. stellt die in dem vormaligen familiengerichtlichen Ehescheidungsverfahren getroffene Feststellung dar, dass der Erblasser in der Zeit der Trennung am 00.00.2011 und jedenfalls bei seiner Anhörung im Betreuungsverfahren am 00.00. 2012 trotz gesundheitlicher Einschränkungen noch über einen hinreichend klaren natürlichen Trennungs- und Scheidungswillen verfügte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16. August 2013 – II-3 UF 43/13 –, Rn. 42, juris). Der Sachverständige XC. hat sich dazu näher erklärt und unter anderem schlüssig ausgeführt, es sei vielleicht möglich, dass bei einem konstant geäußerten Willen eine an Alzheimer-Demenz erkrankte Person dennoch zumindest einen natürlichen Trennungswillen habe. Es stellt den Ausführungen des Sachverständigen folgend damit keinen Widerspruch dar, einerseits einen natürlichen Trennungswillen anzunehmen, andererseits aber dem Erblasser die Testierfähigkeit im gleichen maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung im 00.2011 und später auch im 00.2012 abzuerkennen. Dies kann in einem besonderen Ausnahmefall aufgrund der unterschiedlichen Maßstäbe anzunehmen sein. Deshalb bedurfte es dazu auch keiner weitergehenden Untersuchungen, insbesondere nicht durch Auswertung weitergehender Zeugenaussagen aus dem Umfeld des Erblassers. Es kommt für die Frage der Testierfähigkeit nicht darauf an, ob der Erblasser noch über einen natürlichen Trennungswillen im 00.2011 oder später verfügen konnte.
1164.
117War der Erblasser bereits im 00.2011 (krankheitsbedingt irreversibel) testierunfähig, konnte er erst Recht kein wirksames Testament mehr errichten im 00.2012, weshalb auch dieses Testament unwirksam ist (§ 2229 Abs. 4 BGB). Dieses Ergebnis hat der Sachverständige in seinem Ursprungsgutachten zu der Frage der Testierfähigkeit im 00.2012 vor allem plausibel damit begründet, dass eine Besserung des Gesundheitszustandes bei einer Alzheimer-Demenz niemals eintritt und durch das Testergebnis im 00.2011 eine derart hohe Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten des Erblassers dokumentiert sei, dass eine Testierfähigkeit bereits zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen gewesen ist. War der Erblasser sowohl im 00.2011 als auch im 00.2011 nicht mehr in der Lage, Gesichtspunkte zu erkennen, die für oder wider eine Angelegenheit sprechen und eine Abwägung vorzunehmen, konnte er auch im 00.2012 kein wirksames Testament mehr errichten. Dem liegt die von dem Sachverständigen XC. näher begründete und überzeugende Prämisse zugrunde, dass ein Krankheitsverlauf einer Alzheimer-Demenz nach derzeitigem medizinischen Erkenntnisstand nie rückläufig ist, es mithin bei einer einmal eingetretenen Verschlechterung nicht wieder zu einer Besserung, sondern entweder zu einem Plateau der Defizite oder zu einer schleichenden progredienten Verschlechterung kommt (Seite 19 des schriftlichen Gutachtens, Bl. 316 GA I).
1185.
119Sind damit beide Testamente aus 00.2011 und 00.2012 mangels Testierfähigkeit des Erblassers unwirksam, kommt es nicht darauf an, ob deren Inhalt dennoch dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Erblassers entsprochen haben könnte (vgl. allgemein zu den Rechtsfolgen der Nichtigkeit BeckOGK/Grziwotz, 1. April 2024, BGB § 2229 Rn. 33). Mangels sonstiger wirksamer Testamente richtet sich die Erbfolge damit nach dem Gesetz, sodass die Tatsachen, die zur Begründung des auf die gesetzliche Erbfolge beruhenden Antrags der Antragstellerin erforderlich sind, für festgestellt zu erachten sind.
120III.
1211.
122Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Danach soll das Gericht dem Beteiligten, der ein erfolgloses Rechtsmittel eingelegt hat, die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auferlegen. Der Senat hat in diesem Fall Anlass gesehen, die Kostenfolge nach billigem Ermessen im Rahmen der Möglichkeit des § 81 Abs. 1 FamFG abweichend zu bestimmen, weil erst durch die weitere Sachaufklärung im Hinblick auf das Testament vom 00.00.2011 hinreichende Klarheit über die gesetzliche Erbfolge erlangt worden ist und dies zuvor von keinem der Beteiligten, auch nicht der Antragstellerin, bis zu diesem Zeitpunkt in Erwägung gezogen worden war.
1232.
124Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG nicht vorliegen. Es handelt sich vielmehr um eine Einzelfallentscheidung zur Bestimmung der Erbinnen und der Frage der Testierfähigkeit aufgrund einer Alzheimer-Demenz, mithin maßgeblich um Fragen der Würdigung im Tatsächlichen.
1253.
126Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Erbscheinsverfahren beruht auf § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GNotKG. Der Gegenstandswert beläuft sich auf den Wert des Nachlasses, welcher angesichts der Angaben der Beteiligten im Rahmen der nichtöffentlichen Sitzung insbesondere zum möglicherweise noch in die Erbmasse gehörenden Immobilienvermögen auf (…) € eingeschätzt worden ist.