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Ein Erbschein ist grundsätzlich im Sinn des § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB unrichtig, wenn er von einem unzuständigen Rechtspflegeorgan (Rechtspfleger statt Richter) erteilt worden ist.
Der Richter ist anstelle des Rechtspflegers funktional zuständig, wenn die Anwendung ausländischen Rechts, wenn auch nur bezüglich der Vorfragen (z.B. eheliches Güterrecht ), in Betracht kommt.
Hat der Rechtspfleger ein ihm weder übertragenes noch übertragbares Geschäft wahrgenommen, so ist das Geschäft unwirksam.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Das Amtsgericht - Nachlassgericht – Recklinghausen wird angewiesen, den Erbschein vom 14.12.2021 einzuziehen.
Die Gerichtskosten für beide Instanzen werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
2I.
3Gegenstand des Verfahrens ist die Einziehung eines am 14.12.2021 erteilten Erbscheins.
4Der Beteiligte zu 1) war der Ehemann, die Beteiligten zu 2) und 3) die Brüder und die übrigen Beteiligten Neffen und Nichten der Erblasserin. Die Beteiligten zu 1) – 3) beantragten zunächst die Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge, der für den Beteiligten zu 1) eine Erbquote von ¾, für die Beteiligten zu 2) und 3) eine Erbquote von jeweils 1/16 und für die übrigen Beteiligten Erbquoten von jeweils 1/48 Anteil ausweisen sollte.
5Nachdem der Rechtspfleger durch Verfügung vom 04.11.2021 darauf hingewiesen hatte, dass bei der in Jamaika geschlossenen Ehe zwischen der Erblasserin und dem aus Jamaika stammenden Beteiligten zu 1) nicht ersichtlich sei, dass das deutsche Güterrecht Anwendung finde, stellte der Beteiligte zu 2) am 06.12.2021 einen abgeänderten Erbscheinsantrag. Der daraufhin am 14.12.2021 antragsgemäß von dem Rechtspfleger erlassene Erbschein weist den Beteiligten zu 1) als Miterben der Erblasserin zu ½, die Beteiligten zu 2) und 3) als Mitererben zu je 1/8 und die Beteiligten zu 4) – 9) als Miterben zu je 1/24 Anteil aus.
6Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 04.04.2023 regte der Beteiligte zu 1) die Einziehung des Erbscheins an und trug zur Begründung vor, der Erbschein sei unrichtig, weil seine Erbquote nicht ½, sondern ¾ betrage. Obwohl seine Ehe mit der Erblasserin in Jamaika geschlossen worden sei, gelte das deutsche Ehestatut. Danach hätten die Eheleute im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt, so dass §§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB anzuwenden seien.
7Dem sind die übrigen Beteiligten entgegengetreten und haben vorgetragen, es habe kein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Eheleute in Deutschland gegeben. Es sei deshalb an den Ort der Eheschließung, mithin Jamaika, anzuknüpfen.
8Durch den angefochtenen Beschluss ist die Einziehung des Erbscheins abgelehnt worden. Zur Begründung hat der Rechtspfleger ausgeführt, der Erbschein sei nicht unrichtig, da die richtige Erbquote des Erblassers ausgewiesen sei. Das deutsche Ehegüterrecht sei nicht anwendbar, da der Ort der Eheschließung maßgeblich sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 29.09.2023 Bezug genommen.
9Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1), die damit begründet wird, dass in dem Verfahren auf Erteilung des Erbscheins ein gravierender Verfahrensfehler unterlaufen sei. Der Erbschein sei von dem funktionell unzuständigen Rechtspfleger erteilt worden. Gemäß § 16 Abs. 1 Ziff. 6 RPflG sei der Richter funktional zuständig gewesen, da ausländisches Recht zur Anwendung gekommen sei. Es sei der jamaikanische Marriage Act maßgeblich gewesen. Im Übrigen trägt der Beteiligte zu 1) unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen vor, dass der Erbschein unrichtig sei, weil die Eheleute die Absicht gehabt hätten, in Deutschland einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Verfahrensstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
11Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache durch Beschluss vom 17.01.2024 dem Oberlandesgericht Hamm zur Entscheidung vorgelegt.
12II.
13Die gegen die Ablehnung der Einziehung des Erbscheins gerichtete, nach §§ 342 Abs. Nr. 6, 58 FamFG statthafte und gemäß §§ 63 ff. FamFG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Beteiligten zu 1) hat in der Sache Erfolg. Dies führt zu der Anweisung des ausschließlich dafür zuständigen Amtsgerichts, den Erbschein vom 14.12.2021 einzuziehen.
14Ein erteilter Erbschein ist gemäß § 2361 BGB einzuziehen, wenn er unrichtig ist. Die Unrichtigkeit des Erbscheins kann sich aus formellen oder materiellen Aspekten ergeben. Beruht der Erbschein auf erheblichen Verfahrensverstößen im
15Erbscheinerteilungsverfahren, ist er formell rechtsunwirksam und deshalb einzuziehen. Die Vorschrift des § 2361 BGB ist dazu analog anzuwenden, denn das Rechtsstaatsprinzip gebietet es, dass ein Erbschein, der unter Verstoß gegen elementare Verfahrensregeln erlassen wurde, von Amts wegen wieder aus dem Rechtsverkehr gezogen wird (Mayr in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 2361 BGB (Stand: 01.07.2023) Rn. 10).
16Ein einziehungsrelevanter Verfahrensverstoß folgt hier daraus, dass der Rechtspfleger den Erbschein erteilt hat. Ein Erbschein ist grundsätzlich im Sinn des § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB unrichtig, wenn er von einem unzuständigen Rechtspflegeorgan (Rechtspfleger statt Richter) erteilt worden ist (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28. April 1997 – 1Z BR 86/97 –, juris m.w.Nw.).
17Der Rechtspfleger war hier für die Erteilung des Erbscheins nicht zuständig. Zwar sind dem Rechtspfleger gemäß § 3 Nr. 2 c) RPflG auch die Nachlasssachen nach § 342 Abs. 1, 2 Nr. 2 FamFG übertragen, wozu gemäß § 342 Abs. 1 Nr. 6 auch die Erteilung von Erbscheinen gehört. Diese Übertragung erfolgt jedoch gemäß § 3 Nr. 2 RPflG vorbehaltlich der in den §§ 14 bis 19 b des RPflG aufgeführten Ausnahmen. Hier greift der Richtervorbehalt gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG. Danach ist der Richter anstelle des Rechtspflegers u.a. dann funktional zuständig, wenn die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht kommt.
18Wie schon aus dem angefochtenen Beschluss hervorgeht, ist das hier der Fall. Zwar richtet sich die Erbfolge im vorliegenden Fall aufgrund des Art. 21 Abs. 1 EuErbVO nach deutschem Recht, weil die Erblasserin in Deutschland im Zeitpunkt ihres Todes ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Rahmen der Feststellung der gesetzlichen Erbfolge und der Erbquoten der Beteiligten kommt bezüglich des Güterrechts der im Jahr 2010 in Jamaika geschlossenen Ehe die Anwendung ausländischen Erbrechts in Betracht, denn Art. 1 Abs. 2 lit. d EuErbVO nimmt Fragen des ehelichen Güterrechts ausdrücklich von dem Anwendungsbereich der Verordnung aus. Die Kollisionsnormen der EuGüVO finden gemäß § 69 Abs. 3 EuGüVO auf die vor dem 29.01.2019 geschlossene Ehe der Erblasserin und des Beteiligten zu 1) indessen keine Anwendung, so dass die bestehenden Abgrenzungsfragen zwischen Erb- und Güterstatut unter Zugrundlegung der Art. 14, 15 EGBGB a.F. gelöst werden müssen. Danach bestimmt sich das eheliche Güterrecht vorbehaltlich einer Rück- oder Weiterverweisung nach objektiven Anknüpfungspunkten, in erster Linie der Staatsangehörigkeit, ersatzweise dem gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten bzw. die Verbundenheit der Ehegatten zu einem Staat.
19Wie der Rechtspfleger in dem angefochtenen Beschluss nachvollziehbar ausgeführt hat, kommt danach in Betracht, dass sich das eheliche Güterrecht nach dem jamaikanischen Marriage Act, mithin ausländischem Recht, richtet.
20Da § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG nicht zwischen ausländischem Erbrecht und sonstigem ausländischem Recht differenziert, eine solche Differenzierung aber auch dem Sinn
21und Zweck der Vorschrift widersprechen würde, weil die mit der Anwendung ausländischen Rechts verbundenen Schwierigkeiten, die für die funktionelle Zuständigkeit des Richters sprechen, in der Regel auch dann auftreten, wenn nur bezüglich der Vorfragen ausländisches Recht in Betracht bzw. zur Anwendung kommt, greift der Richtervorbehalt ein, so dass die Zuständigkeit des Rechtspflegers nach § 3 Nr. 2 c) RPflG entfällt (OLG Köln, Beschluss vom 18. Mai 2020 – I-2 Wx 89/20 –, juris; Rellermeyer in: Arnold/Meyer-Stolte/Rellermeyer/Hintzen/Georg, Rechtspflegergesetz, § 16 Rn. 33).
22Im vorliegenden Fall greift auch die Regelung des § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Aufhebung von Richtervorbehalten und zur Übertragung von Aufgaben des Rechtspflegerdienstes auf die Urkundsbeamtinnen und Urkundsbeamten der Geschäftsstelle NRW vom 25. November 2021 (RichtVorAufhebV NW) in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Nr. 5 RPflG nicht ein, denn nach § 1 Abs. 2 dieser Verordnung ist der Richtervorbehalt erst für Verfahren, die nach dem 31.12.2021 anhängig geworden sind, also nicht für das hier am 28.10.2021 eingeleitete Erbscheinverfahren, aufgehoben worden.
23Die Erteilung des Erbscheins war auch nicht auf den Rechtspfleger übertragbar, so dass hier nicht die Ausnahme von der Unwirksamkeit der Erbscheinerteilung gemäß
24§ 8 Abs. 4 S. 1 RPflG eingreift. Geschäfte, die der Richter nach dem RPflG auf den Rechtspfleger übertragen kann, sind auch dann wirksam, wenn sie der Rechtspfleger wahrgenommen hat, obwohl eine richterliche Übertragungsverfügung nicht vorlag oder eine solche Verfügung zwar vorlag, aber ihre Voraussetzungen nicht gegeben waren (Hintzen in: Arnold/Meyer-Stolte/Rellermeyer/Hintzen/Georg, Rechtspflegergesetz, § 8 Rn. 13).
25Die Voraussetzungen für eine Übertragung lagen jedoch nicht vor. Zwar kann der Richter gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 1 RPflG dem Rechtspfleger die Erteilung eines Erbscheins übertragen. Voraussetzung ist dafür jedoch, dass trotz Vorliegens einer Verfügung von Todes wegen die gesetzliche Erbfolge maßgeblich ist und deutsches Erbrecht anzuwenden ist. Die Möglichkeit der Übertragung scheidet daher bereits dann schon aus, wenn es – wie hier - an einer Verfügung von Todes wegen fehlt (OLG Köln, Beschluss vom 18. Mai 2020 – I-2 Wx 89/20 –, juris). Hat aber der Rechtspfleger ein ihm weder übertragenes noch übertragbares Geschäft wahrgenommen, so ist das Geschäft unwirksam, § 8 Abs. 4 RPflG (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Dezember 2019 – 3 W 129/19 –, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. Dezember 2018 – 209 AR 12/18
26–, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. März 2018 – III-2 Ws 94/18 –, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. September 2013 – 5 WF 205/13 –, juris; Hintzen in: Arnold/Meyer-Stolte/Rellermeyer/Hintzen/Georg, Rechtspflegergesetz, § 8 Rn. 16). In diesem Fall muss der von ihm erteilte Erbschein
27- ohne Rücksicht auf dessen sachliche Richtigkeit - eingezogen werden.
28III.
29Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 S. 1 und 2 FamFG. Es entspricht den Grundsätzen billigen Ermessens vorliegend am besten, wenn für das Einziehungsverfahren keine Gerichtskosten erhoben werden und wenn jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
30Da Gerichtskosten nicht erhoben werden, ist eine Wertfestsetzung nicht veranlasst.
31Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor.