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Erfüllt der Testamentsvollstrecker einen in einem späteren Testament des Erblassers widerrufenen und deshalb in Wirklichkeit nicht bestehenden Vermächtnisanspruch, so verfügt er unentgeltlich i.S.d. § 2205 S. 3 BGB.
Das Bestreiten der Echtheit eines Testaments ist unsubstantiiert, wenn die behauptete Unechtheit weder auf das Schriftbild, die Unterschriften des Erblassers oder das sonstige Erscheinungsbild der testamentarischen Verfügungen gestützt wird.
Ein gutgläubiger Erwerb gem. § 892 BGB kann ausgeschlossen sein, wenn der Erwerber sich der Erkenntnis einer Grundbuchunrichtigkeit bewusst verschließt, obwohl sich diese aus den ihm bekannten Tatsachen geradezu aufdrängen musste. Von der Kenntnis des Erwerbers vom Bestehen des Rechtsmangels ist auszugehen, wenn er über die Unrichtigkeit des Grundbuches in einer Weise aufgeklärt worden ist, dass ein redlich und vom eigenen Vorteil unbeeinflusst Denkender sich der Überzeugung von der Unrichtigkeit nicht entziehen würde.
Das ist der Fall, wenn der langjährig als Rechtsanwalt tätige Testamentsvollstrecker ein Testament in juristisch nicht mehr vertretbarer Weise auslegt und weitere Indizien hinzukommen, die geeignet sind, seine Kenntnis von der Unwirksamkeit des Vermächtnisses zu belegen.
Auf die Berufung des Klägers wird das am 13.07.2023 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, ihre Zustimmung zur Berichtigung des - im Grundbuch des Amtsgerichts Essen von G., Blatt #, verzeichneten 247/1000 Miteigentumsanteils an dem Grundstück G01, Gebäude- und Freifläche, U.-straße *, unter der in Abteilung I laufenden Nummer 4 der Eintragungen eingetragenen - Rechts der Beklagten „Eigentümer M. S. geb. L., geboren am 00.00.1967“ insofern zu erteilen, als sie nicht alleinige Eigentümerin beider hälftigen Miteigentumsanteile an dem Grundstück ist, sondern ein hälftiger Anteil des Miteigentumsanteils an dem Grundstück zu gleichen Teilen im Eigentum der Erbengemeinschaft - bestehend aus dem Kläger, der Beklagten und Frau Dr. W. L. - aufgrund Erbfolge steht, so dass es dann im Grundbuch in Abteilung I, Spalte ,,Eigentümer" wie folgt lautet:
1) M. S., geb. L., geboren am 00.00.1967, zu ½ Anteil
2) D. L., geboren am 00.00.1965, Dr. W. L. geb. L., geboren am 00.00.1963, M. S., geb. L., geboren am 00.00.1967, in Erbengemeinschaft zu ½ Anteil.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
2I.
3Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs, hilfsweise Schadensersatz.
4Die Parteien sind Geschwister. Sie haben eine weitere Schwester, Frau Dr. W. L., und einen Bruder, N. L., die an dem hiesigen Rechtsstreit nicht beteiligt sind. Die Beklagte ist als Rechtsanwältin in H. tätig.
5Die Mutter der Parteien, F. R., und der gemeinsame Stiefvater der Parteien, der Erblasser I. R., waren zu je ½ Eigentümer eines 247/1000 Miteigentumsanteils an dem Grundstück U.-straße * in A-G.. Dieses Grundstück ist mit einer Wohnungseigentumsanlage bebaut. Das Miteigentum der Mutter der Parteien und des Erblassers bezog sich auf eine dieser Eigentumswohnungen (Grundbuch-Auszug, Bd. I, Bl. 14 ff).
6Der Erblasser errichtete am 14.02.2007 ein notariell beurkundetes Testament vor dem Notar I. K. in A. Darin setzte er seine drei Stiefkinder als Erben zu gleichen Teilen ein und ordnete (Voraus-) Vermächtnisse betreffend seine Immobilien und sein Barvermögens zu Gunsten dieser Erben und seiner Ehefrau an. Wegen des weiteren Inhalts wird auf die Testamentsurkunde (AG Essen, 158 IV 1510/17, Bl. 16 ff) verwiesen.
7Nach dem Tod des Erblassers am 00.00.2016 eröffnete das Nachlassgericht zwei weitere letztwillige Verfügungen. In einem handschriftlichen Testament vom 05.12.2013 heißt es:
8„Betr. Vermächtnis
9ergänzend zu dem von mir errichteten Testament mache ich hiermit folgendes Vermächtnis:
10Die Wohnung in A, U.-straße *, erste Etage (bzw. den auf mich entfallenden Eigentumsanteil) erhalten meine (Stief-) Enkelkinder Z., E. und P. S. gemeinsam zu jeweils gleichen Teilen. Sämtliche Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Eigentum an dieser Wohnung bedürfen der Zustimmung meiner (Stief-) Tochter M. S., geborene L., so lange, bis P. S. das 25. Lebensjahr vollendet hat.
11Meinen Hund O. erhalten ebenfalls meine drei vorgenannten Enkelkinder verbunden mit meinem Wunsch, dass diese sich in meinem Sinne um den Hund kümmern werden und für eine geeignete und liebvolle Unterbringung innerhalb der Familie sorgen werden“. (Bd.I, Bl. 79).
12Ein weiteres handschriftliches Testament vom 01.05.2015 lautet:
13„Mein Testament:
14Dieses soll mein Testament ersetzen, welches ich vor dem Notar I. K. abgeschlossen habe und das beim Amtsgericht Essen hinterlegt wurde. Vorsorglich widerrufe ich sämtliche Verfügungen von Todes wegen, die ich bisher errichtet habe.“
15Im Folgenden ist darin bestimmt, dass die drei Stiefkinder Erben zu gleichen Teilen sein sollen. Es werden weiter zum Teil anderslautende Vermächtnisse betreffend die Immobilien und das Barvermögens angeordnet, wobei die Eigentumswohnung in A, U.-straße *, nicht erwähnt wird. Zuletzt wird die Beklagte als Testamentsvollstreckerin eingesetzt. Wegen des genauen Inhalts wird auf die Kopie der Testamentsurkunde verwiesen (Bd. I BI. 11).
16Am 31.07.2017 erteilte das Nachlassgericht den drei Stiefkindern einen Erbschein, der sie zu Miterben zu je 1/3 auswies und einen Vermerk zu der Testamentsvollstreckung enthielt. Am 25.10.2017 erteilte das Nachlassgericht der Beklagten ein Testamentsvollstreckerzeugnis.
17Mit Vertrag vom 03.06.2020 übertrug die Beklagte den hälftigen Miteigentumsanteil an der Immobilie U.-straße unentgeltlich an ihre Mutter. Das Grundbuchamt lehnte eine Eintragung in das Grundbuch unter Hinweis auf ein Vermächtnis zu Gunsten der Stiefenkelkinder ab. Nach weiterer Korrespondenz zwischen dem Grundbuchamt und dem von der Beklagten beauftragten Notariat nahm die Beklagte ihren Antrag auf Eigentumsübertragung im November 2020 zurück.
18Am 14.12.2020 schloss die Beklagte in ihrer Funktion als Testamentsvollstreckerin mit ihren drei Kindern Z., E. und P. S. vor dem Notar J. Y. in H. einen Vertrag, durch welchen das Vermächtnis aus dem Testament vom 05.12.2013 erfüllt werden sollte. Zu diesem Zweck erklärten die Erbengemeinschaft, vertreten durch die Beklagte, sowie ihre drei Kinder die Einigung über den Übergang des Eigentums an dem hälftigen Miteigentumsanteil auf die Kinder der Beklagten nebst Auflassung (Urkundenrolle N01/2020; Bd. I, Bl. 23 ff). Die Kinder der Beklagten wurden am 09.02.2021 als Eigentümer des hälftigen Miteigentumsanteils ins Grundbuch eingetragen (Bd. I BI. 15).
19Unmittelbar im Anschluss an diesen notariellen Vertrag schloss die Beklagte vor dem Notar J. Y., handelnd für sich selbst, in ihrer Funktion als Testamentsvollstreckerin und als vollmachtlose Vertreterin für die Mutter der Parteien einen Wohnungskaufvertrag mit der Mutter und den drei Kindern über den Erwerb des gesamten Eigentums an der vorgenannten Eigentumswohnung bzw. dem 247/1000 Miteigentumsanteil an dem Grundstück U.-straße * in A zu einem Kaufpreis von 65.000,- €. Die Vertragsparteien erklärten zudem die Auflassung (Urkundenrolle N02/2020; Bd I Bl. 31 ff). Die Mutter der Parteien genehmigte diesen Vertragsschluss durch Erklärung vom 25.01.2021 (Bd. I, Bl.45). Am 13.07.2021 wurde die Beklagte als alleinige Eigentümerin der Eigentumswohnung im Grundbuch eingetragen (Bd I BI. 35).
20Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger von der Beklagten die Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs betreffend den hälftigen Miteigentumsanteil an der Eigentumswohnung in A, U.-straße *, dahingehend begehrt, dass Eigentümer die Erbengemeinschaft nach dem Erblasser ist.
21Er hat die Auffassung vertreten, dass das Grundbuch im Hinblick auf den Miteigentumsanteil an der Eigentumswohnung, welcher ursprünglich dem Erblasser gehört habe, unrichtig sei. Denn die Übertragung des Miteigentumsanteils an die Kinder der Beklagten sei als unentgeltliche Verfügung einer Testamentsvollstreckerin nichtig und ohne Rechtsgrund erfolgt. Der Erblasser habe mit seinem letzten Testament sämtliche vorangegangenen letztwilligen Verfügungen widerrufen, mithin auch das Vermächtnis vom 05.12.2013 zu Gunsten der Stiefenkelkinder. Zudem verstießen die Rechtsgeschäfte vom 14.12.2020 gegen die guten Sitten und seien gem. § 138 BGB nichtig.
22Die Beklagte hat vorgetragen, mit der Übertragung des Miteigentumsanteils an ihre Kinder habe sie nur ihre Pflichten als Testamentsvollstreckerin erfüllt. Das Testament vom 01.05.2015 sei dahin auszulegen, dass das im Testament vom 05.12.2013 angeordnete Vermächtnis zugunsten ihrer Kinder nicht habe widerrufen werden sollen. Jedenfalls habe sie durch Erwerb des Miteigentumsanteils von ihren Kindern das Eigentum hieran gutgläubig erlangt.
23Mit Urteil vom 13.07.2023 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Grundbuch sei nicht unrichtig. Zwar sei nach dem Erbfall zunächst die Erbengemeinschaft Eigentümerin des Miteigentumsanteils des Erblassers geworden. Die Erbengemeinschaft habe ihr Eigentum an dem Miteigentumsanteil jedoch in der Folgezeit verloren. Insoweit könne dahinstehen, ob die Erbengemeinschaft ihr Eigentum an die Kinder der Beklagten verloren habe. Denn nach Auffassung des Gerichts stelle sich Übertragung des Miteigentumsanteils auf die Stiefenkelkinder mit Vertrag vom 14.12.2020 als unentgeltliche Verfügung, § 2205 BGB, dar, weil das Vermächtnis vom 05.12.2013 infolge des Testaments des Erblassers vom 01.05.2015 keinen Bestand mehr gehabt habe. Jedenfalls habe die Beklagte das Eigentum an diesem Miteigentumsanteil infolge des zweiten Übertragungsgeschäfts vom 14.12.2020 gutgläubig, § 892 BGB, und damit rechtswirksam erworben. Im Zeitpunkt der Grundbuchumschreibung am 26.03.2021 seien ihre Kinder und damit die Veräußerer des hälftigen Miteigentumsanteils als Eigentümer im Grundbuch eingetragen gewesen. Die Klägerin sei aufgrund ihrer Testamentsauslegung davon ausgegangen, dass ihre Kinder wirksam Eigentum erworben haben. Ob diese Einschätzung auf einer fahrlässigen oder gar grob fahrlässigen Unkenntnis beruht, könne dahinstehen. Jedenfalls seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Beklagten positiv bekannt gewesen sei, dass ihre Kinder nicht Eigentümer der streitgegenständlichen Miteigentumshälfte geworden sein könnten. Der zweite Übertragungsvorgang sei auch wirksam. Insbesondere verstoße er nicht gegen § 2205 S. 3 BGB und stelle sich auch nicht als nichtig im Sinne des § 138 BGB dar.
24Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, mit welcher er seinen abgewiesenen Klageantrag weiterverfolgt und hilfsweise für die Erbengemeinschaft einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 32.500,- € geltend macht.
25Der Kläger trägt vor, zwar sei das Landgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Verfügung der Beklagten an ihre Kinder als unentgeltlich dargestellt habe, weil das zu ihren Gunsten angeordnete Vermächtnis infolge des Testaments des Erblassers vom 01.05.2015 keinen Bestand mehr gehabt habe. Ein Eigentumserwerb mittels guten Glaubens könne aber bei unentgeltlichen Verfügungen nicht stattfinden. Die Kinder der Beklagten hätten daher kein Eigentum erlangen können. Dass die Verfügung von Todes wegen vom 05.12.2013 durch das Testament vom 01.05.2015 keinen Bestand mehr gehabt habe, habe die Beklagte durch ihren Versuch, den hälftigen Immobilienanteil auf ihre enterbte Mutter zu übertragen selbst nach außen dokumentiert. Die unentgeltliche Verfügung der Beklagten zu Gunsten ihrer Kinder sei deshalb gemäß §§ 2205 S. 3, 134 BGB nichtig und somit rechtsgrundlos erfolgt. Beide Vertragsparteien - die Beklagte und ihre Kinder – seien auch bei dem 2. Übertragungsgeschäft nicht gutgläubig gewesen. Damit hätten sie das Eigentum nicht rechtswirksam auf die Beklagte übertragen können. Die Beklagte habe die Unrichtigkeit des Grundbuchs zielgerichtet herbeigeführt, indem sie die Übertragung des Immobilienanteils nach den Vorstellungen ihrer Mutter auf ihre Kinder dirigiert und die weitere Übertragung am selben Tag auf sich selbst initiiert und umgesetzt habe. Die Höhe des hilfsweise gestellten Antrags auf Zahlung von Schadensersatz ergebe sich aus dem in der Urkunde des Notars Y. vom 14.12.2020 (§ 7 Abs. 2 der Urkunde). Schließlich verweist der Kläger darauf, dass das Nachlassgericht am 16.05.2023 die Entlassung der Beklagten als Testamentsvollstreckerin beschlossen habe und auf die dort ermittelten Umstände. Die Echtheit der handschriftlich erstellten Testamente vom 05.12.2013 sowie vom 01.05.2015 wird nun bestritten.
26Der Kläger beantragt,
27unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Essen vom 13.07.2023 - AZ 9 O 293/22 - die Beklagte zu verurteilen,
28ihre Zustimmung zur Berichtigung des - im Grundbuch des Amtsgerichts Essen von G., Blatt #, verzeichneten 247/1000 Miteigentumsanteils an dem Grundstück G01, Gebäude- und Freifläche, U.-straße *, unter der in Abteilung I laufenden Nummer 4 der Eintragungen eingetragenen - Rechts der Beklagten „Eigentümer M. S. geb. L., geboren am 00.00.1967“ insofern zu erteilen, als sie nicht alleinige Eigentümerin beider hälftigen Miteigentumsanteile an dem Grundstück ist, sondern ein hälftiger Anteil des Miteigentumsanteils an dem Grundstück zu gleichen Teilen im Eigentum der Erbengemeinschaft - bestehend aus dem Kläger, der Beklagten und Frau Dr. W. L. - aufgrund Erbfolge steht, so dass es dann im Grundbuch in Abteilung I, Spalte ,,Eigentümer" wie folgt lautet:
291) M. S., geb. L., geboren am 00.00.1967, zu ½ Anteil
302) D. L., geboren am 00.00.1965, Dr. W. L. geb. L., geboren am 00.00.1963, M. S., geb. L., geboren am 00.00.1967, in Erbengemeinschaft zu ½ Anteil.
31Hilfsweise beantragt der Kläger,
32die Beklagte zu verurteilen, Schadensersatz in Höhe von 32.500,- € an die Erbengemeinschaft, bestehend aus dem Kläger, der Beklagten und Frau Dr. W. L., zu zahlen.
33Die Beklagte beantragt,
34die Berufung zurückzuweisen.
35Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Allerdings vertritt sie weiterhin die Auffassung, dass die Anteilsübertragung an ihre Kinder nicht unentgeltlich und damit unwirksam gewesen sei, weil sie als Testamentsvollstreckerin ordnungsgemäß in Erfüllung des Vermächtnisses aus dem Testament vom 05.12.2013 gehandelt habe. Sie verweist auf die inzwischen erfolgte Beweisaufnahme durch das Amtsgericht - Nachlassgericht - Essen im dortigen Verfahren (AZ: 158 VI 2108/17). Danach müsse man zu dem Ergebnis kommen, dass der Erblasser mit seinem Testament vom 01.05.2015 lediglich das Testament vom 14.02.2007 widerrufen habe, nicht aber auch sein Testament vom 05.12.2013. Vorsorglich wird für die Tatsache, dass das Testament vom 05.12.2013 sowie auch das Testament vom 01.05.2015 echt sind, also vom Erblasser vollständig handschriftlich persönlich geschrieben und unterzeichnet worden sind noch Beweis durch Sachverständigengutachten angetreten.
36II.
37Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils.
38Der Hauptantrag des Klägers auf Berichtigung des Grundbuchs, Amtsgericht Essen von G., Blatt #, betreffend den dort verzeichneten 247/1000 Miteigentumsanteils an dem Grundstück G01, Gebäude- und Freifläche, U.-straße *, ist gem. § 894 BGB begründet. Denn Eigentümer eines hälftigen Miteigentumsanteils ist nicht die im Grundbuch als Alleineigentümerin eingetragene Beklagte, sondern die Erbengemeinschaft nach dem Erblasser I. R., bestehend aus dem Kläger, der Beklagten und Frau Dr. W. L..
39Im Zeitpunkt des Erbfalls waren der Erblasser und seine Ehefrau F. R. zu gleichen Teilen Eigentümer des vorgenannten Miteigentumsanteils. Mit dem Tod des Erblassers am 00.00.2016 sind seine Erben, also die Parteien und ihre Schwester Dr. W. L., zu gleichen Teilen Eigentümer des in seinen Nachlass gefallenen hälftigen Miteigentumsanteils geworden, § 1922 BGB, und zwar unabhängig davon, ob sie als Berechtigte im Grundbuch eingetragen wurden oder nicht. Dieses Eigentum an dem hälftigen Miteigentumsanteil hat die Erbengemeinschaft in der Folgezeit nicht verloren.
401.
41Ein Eigentumsverlust trat nicht dadurch ein, dass die Beklagte den in den Nachlass fallenden hälftigen Miteigentumsanteil auf ihre Kinder übertragen hat.
42a)
43Am 14.12.2020 schloss die Beklagte in ihrer Funktion als Testamentsvollstreckerin mit ihren drei Kindern Z., E. und P. S. vor dem Notar J. Y. einen Vermächtniserfüllungsvertrag. Dabei einigte sich die Beklagte, handelnd für die Erbengemeinschaft, mit ihren drei Kinder über den Übergang des Eigentums an dem hälftigen Miteigentumsanteil auf die Kinder und erklärte die Auflassung gem. §§ 873, 925 BGB. Aufgrund dieser Einigung wurden die Kinder der Beklagten am 09.02.2021 als Eigentümer des hälftigen Miteigentumsanteils im Grundbuch eingetragen (Bd.I BI. 15).
44Diese Verfügung der Beklagten als Testamentsvollstreckerin über den Nachlass des Erblassers ist indes gem. §§ 2205 S. 3, 134 BGB unwirksam.
45Ein Testamentsvollstrecker ist zwar gem. § 2205 S. 2 BGB berechtigt, über Nachlassgegenstände zu verfügen. Zu unentgeltlichen Verfügungen ist er gem. § 2205 S. 3 ZPO aber nur berechtigt, wenn die Verfügung einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entspricht. Als Gegenleistung im Sinne der Begriffsbestimmung kommt nicht nur die vereinbarte Gegenleistung eines Austauschvertrages in Frage. Vielmehr kann die Gegenleistung auch in der Rechtswirkung der Verfügung selbst liegen, wenn eine rechtsbeständige Schuld erfüllt wird, etwa ein wirksam angeordnetes Vermächtnis, da der Nachlass durch die Schuldbefreiung einen Vermögensvorteil erlangt (Beck-online-Müller-Engels, 01.04.2024, § 2205 BGB Rn 78; Grüneberg/Weidlich, BGB, 83. Auflage, 2023, § 2205 BGB, Rn. 29).
46Den Kindern der Beklagten stand hier kein Anspruch auf Übertragung eines hälftigen Miteigentumsanteils an der Eigentumswohnung in A-G. aus einem Vermächtnis gem. §§ 2147, 2174 BGB zu, mit der Folge, dass sich die Verfügung der Beklagten vom 14.12.2020 als unentgeltlich i.S.v. § 2205 S. 3 BGB darstellt.
47Hierzu hatte der Erblasser zwar in seinem eigenhändig errichteten Testament vom 05.12.2013 verfügt, dass die drei Enkelkinder den auf ihn entfallenden Eigentumsanteil an der Wohnung in A-G. zu jeweils gleichen Teilen als Vermächtnis erhalten sollten. Allerdings hat er in seinem späteren Testament vom 01.05.2015 diese Verfügung gem. § 2254 BGB widerrufen, so dass sie im Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr Bestand hatte.
48b)
49Soweit der Kläger die Echtheit der handschriftlich erstellten Testamente vom 05.12.2013 und 01.05.2015 in der Berufungsinstanz erstmals bestritten hat, war dieses Bestreiten unsubstantiiert und deshalb unerheblich.
50Das neue Bestreiten hat der Kläger mit seinem Prozessverhalten in dem parallel geführten Verfahren vor dem Amtsgericht Essen (AZ: 158 VI 2108/17) begründet (Bd II, Bl. 92). Im Senatstermin wurde hierzu lediglich erklärt, dass der Grund in inhaltlichen Widersprüchlichkeiten der Testamente liege, die sich aus dem Vortrag der Gegenseite und der Beweisaufnahme vor dem Nachlassgericht ergeben hätten (vgl. Berichterstattervermerk, Bd II Bl. 249). Die nun behauptete Unechtheit konnte weder auf das Schriftbild, die dort befindlichen Unterschriften des Erblassers oder das sonstige Erscheinungsbild der testamentarischen Verfügungen gestützt werden. Vor dem weiteren Hintergrund der insoweit unauffällig erscheinenden handschriftlichen Verfügungen vom 05.12.2013 und vom 01.05.2015 ordnet der Senat deshalb dieses neue Bestreiten als substanzlos und damit als unerheblich ein.
51c)
52Der Erblasser hat sein letztes Testament vom 01.05.2015 mit den Worten eingeleitet: „Dieses soll mein Testament ersetzen, welches ich vor dem Notar I. K. abgeschlossen habe und das beim Amtsgericht Essen hinterlegt wurde.“ Weiter hat er formuliert: „Vorsorglich widerrufe ich sämtliche Verfügungen von Todes wegen, die ich bisher errichtet habe.“ (Bd I BI. 79)
53Der Wortlaut dieses zweiten Satzes ist – wie bereits das erstinstanzliche Gericht zutreffend ausführt hat - eindeutig. Denn der Begriff „sämtliche" meint im allgemeinen Sprachgebrauch „alle" vorangegangenen Anordnungen, das heißt, nicht nur die in dem notariellen Testament vom 14.02.2007, sondern auch alle übrigen früheren Testamente. Denn anders als im vorangegangenen Satz bezieht sich der Widerruf gerade nicht nur auf das vor dem Notar I. K. errichtete Testament.
54Ein Erblasserwille, wonach trotz der Nicht-Erwähnung des streitgegenständlichen Miteigentumsanteils an der Eigentumswohnung das Vermächtnis vom 05.12.2013 weiter Bestand haben sollte, ist auch im Rahmen einer weiter vorzunehmen erläuternden Testamentsauslegung, bei der neben dem gesamten Inhalt der Testamentsurkunde auch sämtlichen Nebenumstände zu würdigen sind (vgl. Grüneberg-Weidlich, 83.Aufl., § 2084 BGB Rn 2), nicht festzustellen.
55Insoweit fällt auf, dass sich der Erblasser bei seiner Testierung am 01.05.2015 an dem notariellen Testament vom 14.02.2007 orientiert hat. So benutzt er denselben Aufbau (Widerruf, Erbeinsetzung, Vermächtnisse, Testamentsvollstreckung) und übernimmt - teilweise wortgleich - juristische Formulierungen. So findet sich auch im notariellen Testament zu Beginn der Satz: „Vorsorglich widerrufe ich sämtliche Verfügungen von Todes wegen, die ich bisher errichtet habe“. Danach folgt - wie in dem notariellen Testament - die wortgleiche Erbeinsetzung seiner drei Stiefkinder zu gleichen Teilen samt Ersatzerbenanordnung der Stiefenkelkinder und nachfolgend – wie in dem notariellen Testament - Vermächtnisanordnungen zu Gunsten der Ehefrau und der Stiefkinder betreffend seine Immobilien und seines Barvermögens, allerdings mit zum Teil anderer Verteilung.
56Dass der Erblasser dabei nicht die Eigentumswohnung in A-G. erwähnt, kann einerseits daran liegen, dass er diesen Vermögensgegenstand gar nicht gesondert verteilen wollte, das heißt, dass er den drei Erben zu Gute kommen sollte. In diesem Fall musste er diesen Miteigentumsanteil nicht gesondert erwähnen, zumal die Einleitung zu den Vermächtnisanordnungen, in der er „folgende Wohnungen und Grundstücke“ benennt, nicht so verstanden werden muss, dass der Erblasser hiermit alle ihm gehörenden Immobilien gemeint hat.
57Ein andere, ebenso naheliegende, Erklärung ist, dass die Eigentumswohnung in A-G. in dem notariellen Testament von 14.02.2007 auch nicht erwähnt wird und der Erblasser an seine handschriftliche Ergänzung vom 05.12.2013 bei Errichtung seines letzten Testaments gar nicht mehr gedacht hat.
58Bei seiner Testierung am 01.05.2015 ging es dem Erblasser maßgeblich um eine Neuverteilung seiner Vermögensgegenstände und dabei um eine Benachteiligung des Klägers. Während dieser in dem notariellen Testament von 2007 noch das Hausgrundstück in A, X.-straße ~ allein erhalten sollte, ordnete der Erblasser in seinem Testament von 2015 an, dass seine drei Stiefkinder dieses Grundstück zu gleichen Teilen bekommen sollten. Demgegenüber standen seine Stiefenkelkinder bei der Testierung im Jahr 2015 nicht besonders im Fokus. Hinzukommt, dass die den Stiefenkelkindern im Testament von 2013 noch zugedachte Wohnung vom Erblasser und seiner Ehefrau erst im Jahr 2009 erworben wurde und aus Mitteln der Ehefrau angeschafft worden sein soll (vgl. Berichterstattervermerk, Bd II Bl. 249). Auch deshalb liegt es hier nahe, dass der Erblasser seinen Miteigentumsanteil an der Immobilie bei der Errichtung seines Testament am 01.05.2015 schlichtweg vergessen hat. Das wäre angesichts des eher geringen Wertes seines Anteils an der Wohnung, der im Nachlassverzeichnis mit nur 27.812,-€ angegeben wird, im Vergleich zu seinem sonstigen Aktivvermögen im Wert von fast 600.000,- € auch mehr als nachvollziehbar (vgl. dazu: Nachlassverzeichnis, Bd I Bl.21).
59Allein das Vergessen einer gesonderten Verteilung eines Vermögensgegenstandes bzw. der dazu im Jahr 2013 getroffenen Vermächtnisanordnung führt aber nicht dazu, dass anzunehmen wäre, dass der Erblasser den Begriff „sämtliche Verfügungen“ anderweitig gemeint haben kann. Denn wäre es ihm auf das Vermächtnis zu Gunsten seiner Stiefenkelkinder angekommen, hätte er die Anordnung eines darauf bezogenen Vermächtnisses unter seine ansonsten detaillierten Vermächtnisbestimmungen fassen können. Das hat er aber nicht gemacht, obwohl er in seinem letzten Testament seine Stiefenkelkinder erwähnt hat. Denn er hat sie sowohl als Ersatzerben als auch als Ersatzvermächtnisnehmer für den Fall bedacht, dass seine drei Stiefkinder ausfallen könnten (vgl. Bd I Bl. 11).
60Umstände, die den Schluss auf einen anderweitigen Willen des Erblassers zulassen würden, lassen sich hier nicht feststellen.
61Soweit die Beklagte darauf verweist, dass der Erblasser in seiner Anordnung vom 05.12.2013 seine Enkelkinder auch mit seinem Hund O. bedacht hat, ist schon aus dieser Verfügung nicht erkennbar, dass die Übernahme des Hundes an den Anteil an der Eigentumswohnung geknüpft sein sollte. Denn dort heißt es nur: „verbunden mit meinem Wunsch, dass diese sich in meinem Sinne um den Hund kümmern werden und für eine geeignete und liebvolle Unterbringung innerhalb der Familie sorgen werden“ (Bd I Bl. 79). Das bedeutet gerade nicht, dass die vom Erblasser gewünschte weitere Versorgung des jung angeschafften Hundes an den Wohnungswert der Eigentumswohnung geknüpft werden sollte, so wie die Beklagte behauptet. Vielmehr kam es dem Erblasser in erster Linie auf „eine geeignete und liebevolle Unterbringung innerhalb der Familie“ an. Hätte er etwas anderes gewollt, hätte er dies konkret bestimmen können, beispielsweise dadurch, dass dasjenige Enkelkind, welches den Hund übernimmt bzw. ihre Mutter, die Beklagte, falls die Kinder dort noch wohnen sollten, die hälftigen Erträge aus der Eigentumswohnung für dessen Versorgung bekommen sollte. Das hat der Erblasser aber nicht getan, obwohl er ansonsten seine letztwilligen Anordnungen klar und detailliert niedergelegt hat.
62Vor diesem Hintergrund lässt sich das von der Beklagten gewünschte Auslegungsergebnis, dass der Erblasser bei seiner neuen Testierung das Vermächtnis vom 05.12.2013 zu Gunsten seiner Stiefenkelkinder aufrechterhalten wollte, nicht vertreten. Rechtsfolge des Widerrufs des Vermächtnisses ist die Rechtsgrundlosigkeit der von der Beklagten am 14.12.2020 getätigten Verfügung, die zu einer Unwirksamkeit gem. §§ 2205 S.3, 134 BGB führt.
63Die von der Beklagten getätigte Verfügung zu Gunsten ihrer Kinder wäre nur dann wirksam gewesen, wenn die materiell Berechtigten, das sind hier alle drei Miterben, zugestimmt hätten (vgl. Beck-online-Müller-Engels § 2205 BGB Rn 78; Grüneberg/Weidlich, § 2205 BGB Rn. 30). Nachdem der Kläger aber die Genehmigung der Anteilsübertragung vom 14.12.2020 verweigert hat, ist die Verfügung nichtig.
642.
65Die Erbengemeinschaft hat ihr Eigentum an dem Miteigentumsanteil auch nicht durch das weitere, von der Beklagten am 14.12.2020 veranlasste Verfügungsgeschäft verloren.
66a)
67Unmittelbar im Anschluss an den Vermächtniserfüllungsvertrag zu Gunsten ihrer Kinder schloss die Beklagte am 14.12.2020 vor dem Notar J. Y., handelnd für sich selbst und in ihrer Funktion als Testamentsvollstreckerin sowie als vollmachtlose Vertreterin für die Mutter der Parteien, F. R., einen Wohnungskaufvertrag, in dem sie ihrer Mutter und ihren drei Kindern den jeweils hälftigen Anteil an der vorgenannten Eigentumswohnung zu einem Preis von insgesamt 65.000,- € abkaufte. Die Vertragsparteien erklärten zugleich die Auflassung (Bd. I Bl. 31 ff.) und Frau F. R. genehmigte den Vertragsschluss durch Erklärung vom 25.01.2021 (Bd I BI. 45).
68Nachdem die drei Kinder der Beklagten aufgrund der zuvor zu Urkundenrolle N01/2020 getroffenen Verfügung am 09.02.2021 als Eigentümer des hälftigen Miteigentumsanteils ins Grundbuch eingetragen worden waren, wurde die Beklagte aufgrund der im Anschluss zu Urkundenrolle N02/2020 getroffenen weiteren Verfügung am 13.07.2021 als alleinige Eigentümerin im Grundbuch eingetragen (vgl. Grundbuch-Auszug, Bd. I BI. 15).
69Die drei Kinder der Beklagten waren nach den vorstehenden Ausführungen als Veräußerer der an sie übertragenen Anteilshälfte nicht verfügungsbefugt und sind auch durch die spätere Grundbucheintragung nicht Eigentümer derselben geworden. Damit konnten sie der Beklagten kein Miteigentum an der Eigentumswohnung übertragen. Da ihre drei Kinder im Zeitpunkt eines möglichen Erwerbs der Beklagten aber bereits als Miteigentümer im Grundbuch standen, hätte die Beklagte diesen Miteigentumsanteil gem. § 892 BGB nur erworben können, wenn sie gutgläubig gewesen wäre.
70b)
71Gem. § 892 Abs.1 S.1 BGB gilt zugunsten desjenigen, welcher ein Recht an einem Grundstück erwirbt, der Inhalt des Grundbuchs als richtig, es sei denn, dass ein Widerspruch gegen die Richtigkeit eingetragen oder dem Erwerber die Unrichtigkeit bekannt ist. Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Eintragung, § 892 Abs. 2 BGB.
72Hierzu führt das Landgericht zutreffend aus, dass die Beklagten und deren Kinder vereinbart hatten, dass das das Eigentum Zug-um-Zug mit Zahlung des Kaufpreises zu verschaffen sein sollte, § 6 des Vertrages, und der Kaufpreis erst fällig sein sollte, wenn die Kinder der Beklagten aus dem vorangegangenen Geschäft als Eigentümer im Grundbuch eingetragen worden waren, § 3 Ziffer IV des Vertrages. Dem Grundbuchauszug ist zu entnehmen, dass die Bewilligung der Eintragung der Beklagten als Eigentümer am 26.03.2021 erfolgte. Hinsichtlich des guten Glaubens der Beklagten ist mithin auf den Zeitraum nach dem 26.03.2021 abzustellen, da auch die Beantragung der Eintragung nach dieser Bewilligung stattgefunden haben muss.
73Zu diesem Zeitpunkt (Ende März / Anfang April 2021) war kein Widerspruch im Grundbuch eingetragen. Weiter erforderlich für einen gutgläubigen Erwerb ist aber, dass der Beklagten die Unrichtigkeit des Grundbuchs damals nicht positiv bekannt gewesen ist. Eine grob fahrlässige Unkenntnis schaden hingegen nicht.
74Bloße Zweifel an der Richtigkeit des Grundbuchs zerstören den guten Glauben des Grundbuchs noch nicht. Dies unterscheidet den gutgläubigen Erwerb von Grundstücken und Grundstücksrechten vom gutgläubigen Erwerb beweglicher Sachen gem. § 932 Abs. 2 BGB. Der Gesetzgeber wollte bewusst das Vertrauen in die Richtigkeit der amtlichen Grundbucheintragung stärker schützen als das Vertrauen in den Besitz als Zeichen der Eigentümerstellung bei beweglichen Sachen. Der Erwerber soll sich auf den Grundbuchinhalt verlassen können, ohne darüber hinaus noch weitere Erkundigungen einziehen zu müsse. Es kommt auf die Kenntnis der Unrichtigkeit der eingetragenen Eigentümerstellung oder des eingetragenen dinglichen Rechts an. Die Unrichtigkeit ist eine Rechtsfrage.
75Daher ist auch derjenige bösgläubig, der aus zuverlässiger Quelle – etwa durch seinen Rechtsberater oder durch einen Notar – von der fehlenden Berechtigung des Verfügenden weiß, auch wenn er die zugrundeliegenden Tatsachen nicht kennt oder die rechtliche Bewertung nicht selbst nachvollziehen kann. Umgekehrt gilt: Wer die zugrundeliegenden Tatsachen kennt, daraus aber die falschen rechtlichen Schlüsse zieht, kennt ggf. die Grundbuchunrichtigkeit nicht. Auch der Rechtsirrtum genießt also den Schutz des guten Glaubens. Wer sich allerdings der Erkenntnis einer Grundbuchunrichtigkeit bewusst verschließt, obwohl sich diese aus den ihm bekannten Tatsachen geradezu aufdrängen musste, ist bösgläubig – so etwa, wenn er weiß, dass der Vorerwerb auf der Verfügung eines Geschäftsunfähigen beruhte.
76Es hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, inwieweit die Kenntnis der Tatsachen, die die Unrichtigkeit bewirken, der Kenntnis des Rechtsmangels gleichzusetzen ist. Von der Kenntnis des Erwerbers vom Bestehen des Rechtsmangels ist auszugehen, wenn er über die Unrichtigkeit des Grundbuches in einer Weise aufgeklärt worden ist, dass ein redlich und vom eigenen Vorteil unbeeinflusst Denkender sich der Überzeugung von der Unrichtigkeit nicht entziehen würde. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Entschließungsfreiheit beim Erwerber durch Rücksichten auf den eigenen Vorteil beeinflusst sein kann. In diesem Fall muss er sich so behandeln lassen, als wenn er sich wie ein redlich Denkender, von dem Gedanken an den eigenen Vorteil nicht Beeinflusster verhalten hätte (so OLG Hamm, Beschluss vom 29.03.1993, 15 W 391/92, NJW-RR 1993, 1295 ff; Beck-online-Großkommentar/Krüger, 01.06.2024, § 892 BGB Rn. 75, 76; Grüneberg/Herrler, BGB, 83. Auflage, 2023, § 892 BGB, Rn. 24).
77c)
78Unter Zugrundelegung dieser Kriterien scheidet ein gutgläubiger Erwerb hier aus. Der Senat ist davon überzeugt ist, dass die Beklagte im Zeitpunkt eines möglichen Erwerbs positive Kenntnis von der Nicht-Berechtigung ihrer Kinder gehabt hat mit der Folge, dass die Voraussetzungen des § 892 Abs.1 S. 1 BGB nicht vorlagen.
79Die Klägerin behauptet zwar, dass sie bis heute davon ausgegangen sei, dass der Erblasser das zu Gunsten ihrer Kinder mit Testament vom 05.12.2013 angeordnete Vermächtnis trotz seiner neuen Testierung vom 01.05.2025 weiter aufrecht erhalten habe und sie deshalb überzeugt gewesen sei, dieses Vermächtnis mit Vertrag vom 14.12.2020 rechtswirksam erfüllt zu haben. Diese Einschätzung war aber angesichts des eindeutigen Wortlauts nach den vorstehenden Ausführungen zur Testamentsauslegung aus juristischer Sicht nicht vertretbar.
80Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um keinen juristischen Laien, sondern um eine seit Jahrzehnten tätige Rechtsanwältin mit entsprechender Berufserfahrung handelt. Damit waren ihr nicht nur die tatsächlichen Umstände, sondern auch hier die maßgeblichen Kriterien zur Testamentsauslegung bekannt bzw. sie hätte sich einer solchen Kenntnis als redlich denkender Erwerber nicht verschließen können. Vor diesem Hintergrund musste sie auch wissen, wie die in der Notarpraxis gängige Formulierung eines umfassenden Widerrufs sämtlicher vorrangegangener Verfügungen in der juristischen Praxis zu verstehen ist.
81Hinzukommt, dass tragfähige Indizien vorliegen, die belegen, dass der Beklagten die Unwirksamkeit der Anteilsübertragung an ihre Kinder schon bei Vertragsabschluss bekannt waren. So hat die Beklagte als Testamentsvollstreckerin zunächst im Jahr 2020 versucht, den in den Nachlass gefallenen Miteigentumsanteil auf ihre Mutter zu übertragen. Auch wenn sich die Beklagte ihre damaligen Erklärungen gegenüber dem Grundbuchamt heute nicht mehr zurechnen lassen will, macht diese Vorgehensweise deutlich, dass sie zum damaligen Zeitpunkt das in dem Testament des Erblassers vom 05.12.2013 angeordnete Vermächtnis nicht als Hindernis angesehen hat. Die Eigentumsübertragung an Frau F. R. scheiterte auch nicht daran, dass sich die Beklagte wieder an das Vermächtnis zu Gunsten ihrer Kinder erinnerte, sondern an der Verweigerung seitens des Grundbuchamtes, das auf ein mögliches Vermächtnis des Erblassers vom 05.12.2013 hinwies und ansonsten Genehmigungserklärungen aller Miterben und der Vermächtnisnehmer in der Form des § 29 GBO anforderte (vgl. Zwischenverfügung des GBA vom 27.07.2020, Bd II Bl. 163).
82Nur aufgrund dieses Hindernisses nahm die Beklagte ihren Antrag auf Umschreibung der Anteilshälfte auf ihre Mutter im November 2020 zurück und veranlasste die Beurkundung der hier streitgegenständlichen Verträge vom 14.12.2020, die in unmittelbarer Abfolge zunächst eine Vermächtniserfüllung zu Gunsten ihrer Kinder und direkt danach ein Eigentumsübergang auf sie vorsahen. Bei dieser von ihr selbst initiierten Verfahrensweise musste der Beklagten als erfahrene Juristin klar gewesen sein, dass die nun von ihr vertretene Auslegung der Testamente nicht haltbar war. Eine redlich denkende Vertragspartei, die nicht von dem Gedanken an den eigenen Vorteil beeinflusst war, hätte nicht so gehandelt. Zumindest hätte diese vorher das Einverständnis der übrigen Miterben eingeholt, so wie es das Grundbuchamt in seiner Zwischenverfügung unter Verweis auf § 2205 BGB noch angeregt hatte.
83Indem die Beklagte ihre Geschwister in die Vertragsabschlüsse vom 14.12.2020 nicht einbezogen hat, vielmehr eigenmächtig auf Grundlage ihrer Testamentsauslegung Fakten schaffte, hat sie ihre Rechtsposition als Testamentsvollstreckerin planvoll dazu genutzt, um zunächst unter Umgehung der Erbengemeinschaft das Eigentum an dem Immobilienanteil unentgeltlich wegzugeben und dann in einem zweiten Schritt den Immobilienanteil selbst zu erwerben. Dabei belegt die Beurkundung beider Erwerbsvorgänge am 14.12.2020 in H., dass alles zügig von statten gehen sollte, damit der Rechtserwerb der Beklagten nach außen hin rechtswirksam wird. Für einen möglichen Gutglaubenserwerb gem. § 892 Abs.1 BGB war eine Voreintragung der Stiefenkelkinder als Eigentümer im Grundbuch notwendig, wie es hier am 25.01.2021 auch geschehen ist. Zum damaligen Zeitpunkt war der Beklagte auch bewusst, dass eine einvernehmliche Übertragung des Immobilienanteils auf sie in der Erbengemeinschaft nicht durchzusetzen war. Schließlich hatte es zuvor verschiedene Versuche gegeben, den Nachlass einvernehmlich unter Einbeziehung des hier streitgegenständlichen Miteigentumsanteil aufzuteilen (vgl. Berichterstattervermerk, Bd II Bl. 249), die sämtlich gescheitert sind.
84Auf die Frage des Senats, weshalb der Immobilienanteil letztendlich auf sie übertragen wurde und nicht bei den – ihrer Ansicht nach durch Vermächtnis begünstigten - Stiefenkelkindern verblieben ist, hat die Beklagte lediglich einen angeblichen Wunsch ihrer Mutter angeführt, die damals keine Verwicklung in Rechtsstreitigkeiten gewünscht habe (vgl. Berichterstattervermerk, Bd II Bl. 249). Diese Erklärung erscheint indes wenig überzeugend, weil die Ehefrau des Erblassers nach dessen letzten Testament vom 01.12.2015 nur mit Bar-, Konto- und Wertpapiervermögen sowie Inventar und Wertgegenständen aus der gemeinsamen Wohnung bedacht worden ist, nicht aber mit einem Immobilienanteil.
85Soweit die Beklagte noch darauf verwiesen hat, dass die streitgegenständliche Eigentumswohnung wirtschaftlich immer ihrer Mutter zugerechnet worden ist, wird dies durch das frühere Testament vom 05.12.2013 widerlegt, das zeigt, dass sich der Erblasser der wirklichen Eigentumslage an dieser Wohnung sehr wohl bewusst war. Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie überhaupt keinen Gewinn aus der Wohnung ziehe, vielmehr die Mieteinnahmen ihrer Mutter zukommen lasse (vgl. Berichterstattervermerk, a.a.O.). Denn auch diese Handhabung eines „gewillkürten Nießbrauchs“ findet keinerlei Stütze in den Testamenten des Erblassers.
86Nach alledem hat die Erbengemeinschaft ihr Eigentum an dem zum Nachlass gehörenden Miteigentumsanteil auch nicht gem. § 892 Abs. 1 BGB verloren, so dass dem Hauptantrag des Klägers auf Grundbuchberichtigung zu entsprechen war.
873.
88Damit kann es dahinstehen, ob die von der Beklagten getätigten Verfügungen vom 14.12.2020 sittenwidrig und damit auch nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam waren. Auch war über den Hilfsantrag auf Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von 32.500,- € war nicht zu entscheiden, weil bereits der Hauptantrag des Klägers Erfolg hatte.
89III.
90Die Entscheidung über die Kostenverteilung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den Vorschriften der §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
91Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs.2 S. 1 ZPO.