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Für den Antrag auf Zahlung eines Abschlags auf die dem aus einer GmbH & Co. KG ausscheidenden Kommanditisten zustehende Abfindung besteht ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis vor den ordentlichen Gerichten, auch wenn der Gesellschaftsvertrag für die endgültige Bestimmung der Abfindung ein Schiedsverfahren vorsieht.
Eine teilweise einseitige Erledigungserklärung kann nach dem Interesse der Parteien als privilegierte Klagerücknahme mit Kostenantrag gegen die Beklagte gem. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO ausgelegt werden, wenn der mit einem Mahnantrag geltend gemachte, für erledigt erklärte Teil nicht rechtshängig geworden ist.
Die Rechtshängigkeitsfiktion des § 696 Abs. 3 ZPO dient anderen Zwecken als die Regelungen der §§ 263 f. ZPO, so dass eine Klageerweiterung im Rahmen der Anspruchsbegründung gem. § 697 ZPO unabhängig von der Abgabe „alsbald“ zuzulassen ist.
Ob und in welchem Rahmen eine vertraglich vereinbarte Leistung gem. § 315 BGB durch eine Partei zu bestimmen ist, ist aufgrund von Wortlaut, Systematik und Umständen der Vereinbarung sowie nach dem Zweck des betroffenen Anspruchs (hier: des Anspruchs auf Abschlagszahlung) und des Leistungsbestimmungsrechts im Wege der Auslegung zu begründen. Hat die Bestimmung nach dem Maßstab der „Angemessenheit“ zu erfolgen, spricht dies dafür, dass die Parteien damit dem gesetzlichen Maßstab des „billigen Ermessens“ entsprechen wollen.
Dem Wortlaut und Zweck gemäß handelt es sich bei einer Abschlagszahlung auf eine Abfindung um eine Vorauszahlung auf eine dem Gläubiger bereits zustehende, aber noch nicht fällige Leistung. Anders als bei einer Vorauszahlung oder einem Vorschuss geht es bei der Abschlagszahlung um dem Gläubiger bereits zustehendes oder „verdientes“ Geld.
Das Leistungsbestimmungsrecht wird der Gesellschaft im Hinblick auf die allein hinsichtlich der Höhe der geschuldeten Abfindung noch bestehende Unsicherheit eingeräumt. Ist der Abschlag als 30 %-Anteil festgelegt, bezieht sich das Ermessen der Gesellschaft daher allein auf die Berechnungsgrundlage, also die Höhe des Abfindungsbetrags.
Die Leistungsbestimmung der beklagten Gesellschaft ist unbillig und gem. § 315 Abs. 3 S. 1 BGB unverbindlich sowie durch das Gericht auszuüben, wenn das Ermessen der Beklagten ausgefallen ist, weil sie, statt eine vertragsgemäße Entscheidung über die Abschlagszahlung vorzunehmen, dem Kläger allein die gesellschaftsvertraglich geschuldete Steuererstattung gewährt und diese teilweise lediglich geringfügig aufgerundet.
§ 308 Abs. 1 ZPO hindert das Gericht nicht daran, einen anders als in der Anspruchsbegründung errechneten und zusammengesetzten Abfindungsabschlag zuzusprechen. Setzt sich der einheitliche Streitgegenstand aus einzelnen (unselbständigen) Rechnungsposten zusammen, darf das Gericht Einzelposten mit höheren Beträgen einstellen, solange nur die beantragte Summe nicht überschritten wird.
Auf die Berufung der Klägers wird das am 08.11.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Hagen teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 596.420,79 € zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 37 % und die Beklagte zu 63 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 27 % und die Beklagte zu 73 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien könne die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
G r ü n d e
2I.
3Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung eines weiteren Abschlags auf seine Abfindung, nachdem er aus der Beklagten als Kommanditist ausgeschieden ist.
4Der Kläger war Kommanditist der Beklagten und ist am 31.12.2020 aus der Beklagten ausgeschieden.
5Der Gesellschaftsvertrag (GesV) vom Juni 2016 enthält in Ziff. 17 folgende Regelung über einen Abfindungsanspruch ausscheidender Gesellschafter:
61917. Abfindung ausscheidender Gesellschafter
717.1 In allen Fällen des Ausscheidens erhält der betroffene Gesellschafter ein Entgelt.
817.2 Der Abfindungsanspruch entspricht im Interesse des Fortbestands der Gesellschaft 75 % des Verkehrswerts des Gesellschaftsanteils zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Ausscheidens. Der Verkehrswert entspricht dem voraussichtlichen anteiligen Erlös bei einer unterstellten Veräußerung aller Gesellschaftsanteile. In Ermangelung zeitnaher Vergleichswerte ist der Verkehrswert als Ertragswert grundsätzlich nach den für bundesdeutsche Wirtschaftsprüfer geltenden Berufsgrundsätzen zu ermitteln, soweit die Gesellschaft voraussichtlich auf unbestimmte Zeit fortgeführt wird (going concern). Dies gilt auch für die Bewertung von Beteiligungsunternehmen; Abfindungsbeschränkungen in den Gesellschaftsverträgen der Beteiligungsunternehmen sind hierbei nicht zu berücksichtigen. Untergrenze des Verkehrswerts ist der Zerschlagungswert. Bei der Ermittlung der Zukunftserträge Ist eine vorsichtige Prognose anzustellen. Der Zinsfuß für die Barwertermittlung ist vorrangig aus Erfahrungswerten aus tatsächlichen Unternehmensverkäufen unter Berücksichtigung der Branche, der Unternehmensgröße und der aktuellen Situation der Gesellschaft und der Beteiligungsunternehmen abzuleiten. Bei einem Ausscheiden der in der Anlage 10.2 mit den dortigen Gesellschaftsanteilen bezeichneten Kommanditisten und deren Rechtsnachfolgern ist bei der Ermittlung des Abfindungsguthabens nach den vorstehenden Maßgaben ferner zu berücksichtigen, dass die von diesen Kommanditisten eingebrachten Geschäftsanteile nießbrauchsbelastet sind.
917.3 Der ausscheidende Gesellschafter erhält mindestens eine Abfindung In Höhe des Buchwerts seiner Beteiligung (anteilige Kapitalkonten des ausscheidenden Gesellschafters) und zwar bei Ausscheiden zum Geschäftsjahresende der Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt, im Übrigen zum Zeitpunkt des letzten Geschäftsjahresendes; Ziff. 5.3.2 bleibt unberührt.
1017.4 Können sich die Gesellschafter nicht binnen drei Monaten über das Entgelt einigen, ist dieses von einem gemeinsam von ihnen bestellten Wirtschaftsprüfer als Schiedsgutachter festzulegen (§ 317 BGB). Können sich die Gesellschafter nicht auf einen Schiedsgutachter einigen, soll auf Antrag eines von ihnen der Vorstand des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW e.V.) den Gutachter bestimmen. Die Kosten des Schiedsgutachters tragen der ausscheidende Gesellschafter und die übrigen Gesellschafter in dem Verhältnis, in welchem sie im Vergleich zu ihren gegenseitigen Angeboten unterliegen.
1117.5 Das Entgelt ist in fünf gleichen Jahresraten zu bezahlen. Die erste Rate beträgt 30 % des gesamten Abfindungsbetrages und wird unverzüglich nach Feststehen der Höhe des Abfindungsguthabens fällig. Der Restbetrag ist In vier gleichen jährlichen Raten, beginnend ein nach der Fälligkeit der ersten Rate, zu zahlen. Der ausscheidende Gesellschafter kann je doch jederzeit mindestens den Betrag verlangen, der seiner von ihm nachgewiesenen Steuerzahlungsverpflichtung aufgrund des Ausscheidens abzüglich bisheriger Raten entspricht, wenn und sobald diese Zahlung fällig ist.
1217.6 Steht acht Monate nach Ausscheiden des Gesellschafters die Höhe des Entgelts noch nicht fest, so ist eine von der Gesellschaft zu bestimmende angemessene Abschlagszahlung zu leisten. Mehr oder Minderzahlungen sind mit der ersten fälligen Rate nach Feststehen der Höhe des Abfindungsguthabens auszugleichen.
1317.7 Das Entgelt ist ab dem Tag des Ausscheidens mit zwei Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz zu verzinsen. Die angelaufenen Zinsen sind mit jeder Rate zu bezahlen.
1417.8 Die Gesellschaft bzw. der Erwerber sind berechtigt, das Entgelt ganz oder teilweise früher zu bezahlen.
1517.9 Sollte im Falle der Abfindung durch die Gesellschaft die Einhaltung der Jahresraten nicht ohne schweren Schaden für die Gesellschaft möglich sein, so braucht die Gesellschaft nur zumutbare Zahlungen zu leisten.
1617.10 Das gesamte noch offene Entgelt ist sofort fällig, wenn der Schuldner mit einer Abfindungsrate länger als drei Monate in Verzug gerät. Ab Verzugszeitpunkt ist der noch offene Betrag statt in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz (Ziff. 17.7) in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz zu verzinsen.
1717.11 Sicherheiten hinsichtlich des Entgelts kann der Gesellschafter nicht verlangen.
1817.12 Den Gesellschaftern Ist bewusst, dass die nach der vorstehenden Abfindungsregelung ermittelte Höhe der Abfindung geringer als der gesetzliche Anspruch zum Zeitpunkt des Ausscheidens sein kann. Im Interesse des Unternehmens soll dennoch diese Regelung gelten; die Gesellschafter verzichten auf darüber hinaus gehende Ansprüche. Sollte trotzdem rechtskräftig festgestellt werden, dass die vorstehende Abfindungs- und/oder Ratenzahlungsregelung unwirksam ist, werden die Parteien eine andere wirksame Abfindungsregelung vereinbaren, bei der die berechtigten Interessen der verbleibenden Gesellschafter und der Gesellschaft angemessen berücksichtigt werden. Entsprechendes gilt, wenn rechtskräftig festgestellt wird, dass die Ratenzahlungsregelung unwirksam ist.
Über die Höhe der dem Kläger zustehenden Abfindung haben sich der Kläger und die übrigen Gesellschafter bislang noch nicht geeinigt (vgl. Ziff. 17.4 GesV). Die übrigen Gesellschafter boten dem Kläger mit Schreiben vom 14.05.2021 einen Betrag von 9,5 Mio € an. Mit Schreiben vom 08.10.2021 boten sie dem Kläger „zur gütlichen Einigung“ einen Betrag von 14.925.000 € an, den sie allerdings nach eigenen Angaben nicht streng nach den Bewertungsregeln von Ziff. 17.2 GesV begründet hatten. Der Kläger hat zunächst eine Abfindung i.H.v. 18 Mio € begehrt, später eine Abfindung i.H.v. 16,5 Mio €. Nachdem die Parteien sich nicht einigen konnten, hat der Kläger das Verfahren nach Ziff. 17.4 GesV eingeleitet und die Benennung eines Schiedsgutachters durch das IDW beantragt. Ein Schiedsgutachten liegt bisher nicht vor.
20Mit Bescheid vom 07.07.2021 hat das Finanzamt gegenüber dem Kläger Steuervorauszahlungen i.H.v. 2.331.782,-- € geltend gemacht. Davon unterrichtete der Steuerberater des Klägers die Beklagte mit Schreiben vom 19.07.2021 und bat um Ausgleich gem. Ziff. 17.5 S. 2 GesV.
21Mit Datum vom 27.08.2021 beantragte der Kläger mit der Angabe „Steuererstattungsansprüche gem. Schreiben vom 19.07.2021“ einen Mahnbescheid über diesen Betrag, der am 31.08.2021 erlassen und der Beklagten am 03.09.2021 zugestellt wurde.
22Die Beklagte zahlte an den Kläger – bei dessen Konto am 13.09.2021 eingehend –einen Betrag von 2.400.000,-- € für den Verwendungszweck „Abfindung/Steuervorauszahlung“.
23Die Beklagte legte unter dem 13.09.2021 Widerspruch gegen den Mahnbescheid ein, der bei dem Gericht am 15.09.2021 einging.
24In seiner – an das Amtsgericht Hagen - Zentrale Mahnabteilung gerichteten – Anspruchsbegründung vom 14.12.2021 (eBl. I/16) erklärte der Kläger den Rechtsstreit wegen des im Mahnverfahren geltend gemachten Betrags für erledigt. Zugleich begehrte er nunmehr die Zahlung weiterer 2.077.500,00 €.
25Aufgrund eines weiteren Steuerbescheids vom 08.08.2022 überwies die Beklagte dem Kläger am 26.09.2022 einen weiteren Betrag von 1.261.329,21 €.
26Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte schulde ihm gem. Ziff. 17.6 eine Abschlagszahlung i.H.v. mindestens 4.477.500,00 €. Denn für die Bestimmung einer „angemessenen“ Abfindung sei der von den übrigen Gesellschaftern angebotene Zahlungsbetrag i.H.v. 14.925.000,00 € Berechnungsgrundlage. Die Abschlagszahlung berechne sich mit 30 % dieses Betrags (14.925.000 x 30 % = 4.477.500,00 €). Die im Klageverfahren weiterhin begehrte Summe ergebe sich aus der Differenz dieses Betrags und des am 13.09.2021 von der Beklagten gezahlten Betrags (4.477.500,00 € - 2.400.000,00 € = 2.077.500,00 €). Die weitere Zahlung (Überweisung v. 08.08.2022 über 1.261.329,21 €) hat der Kläger allerdings von seiner Klageforderung erster Instanz nicht abgezogen. Er hat die Ansicht vertreten, die Beklagte schulde ihm die Steuererstattung gem. Ziff. 17.5 S. 4 GesV zusätzlich zu der Abschlagszahlung gem. Ziff. 17.6 S 1 GesV.
27Der Kläger hat den Rechtsstreit wegen des Anspruchs aus dem Mahnantrag für erledigt erklärt und beantragt,
2829die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 2.077.500,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.09.2021 zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
3031die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klageänderung für unzulässig, da sie noch vor Abgabe des Verfahrens an das Landgericht Hagen erfolgt sei. Auch fehle dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis, da er sein Ziel schneller und leichter durch Betreiben des Gutachterverfahrens hätte erreichen können. Im Übrigen hat sie der Erledigungserklärung des Klägers widersprochen mit der Begründung, der Steuerbescheid sei rechtlich fehlerhaft gewesen, die Steuerpflicht hätte durch Einlegung von Rechtsbehelfen vermieden werden können (eBl. I/111).
32Die Klage sei auch unbegründet. Der Beklagte stehe nach Ziff. 17.6 GesV ein „freies Ermessen“ zu, das sie in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt habe. Der geleistete Abschlag i.H.v. 2,4 Mio € sei „angemessen“ i.S.d. Vereinbarung. Jedenfalls habe die Beklagte die Ermessensgrenzen nicht überschritten, so dass ihre Entscheidung bindend sei und nicht gem. § 315 Abs. 3 BGB durch das Gericht ersetzt werden könne.
33Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
34Zur Begründung hat es im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die Klage sei zulässig. Der Kläger habe im Hinblick auf die begehrte Abschlagszahlung ein Rechtsschutzbedürfnis, das durch das Schiedsgutachterverfahren betreffend die Abfindungszahlung nicht in Frage gestellt werde. Es liege schon keine Klageänderung vor, so dass sich die Frage der Zulässigkeit einer solchen nicht stelle. Zu dem Zeitpunkt, in dem der Kläger den später im Streitverfahren verfolgten Antrag gestellt – und den ursprünglich im Mahnverfahren für erledigt erklärt – habe, sei das Verfahren noch nicht rechtshängig i.S.v. § 696 Abs. 1 S. 4 ZPO gewesen. Die Rechtshängigkeit sei auch nicht gem. § 696 Abs. 3 ZPO auf den Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids zurückzubeziehen. Da mithin keine Rechtshängigkeit vorgelegen habe, sei der Kläger frei gewesen, seine Klageanträge nach Belieben zu bestimmen. Der Kläger habe keine (weiteren) Zahlungsansprüche. Der Gesellschaftsvertrag begründe keinen eigenen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Erstattung von Steuern. Die Regelung von Ziff. 17.5 S. 4 GesV sei vielmehr als Element der Ratenzahlungsvereinbarung anzusehen. Die Leistungsbestimmung der Beklagten im Hinblick auf die Abschlagszahlung entspreche billigem Ermessen. Sie habe zutreffend das Interesse des Klägers, Steuerpflichten nicht aus vorhandenem Vermögen befriedigen zu müssen, ebenso berücksichtigt wie das Interesse der Beklagten, nicht kurzfristig mit zu großem Kapitalabfluss belastet zu werden. Insbesondere sei die Beklagte nicht gehalten gewesen, sich bei der Bemessung des Abschlags an der Höhe der ersten Rate von 30 % des Abfindungsanspruchs gem. Ziff. 17.5 zu orientieren.
35Für die Einzelheiten wird auf die Akten des erstinstanzlichen Verfahrens verwiesen.
36Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger im Wege der Berufung mit folgender Begründung. Den mit seinem Berufungsantrag noch begehrten Betrag von 816.170,79 € könne der Kläger als Abschlagszahlung beantragen. Bemessungsgrundlage für die von der Beklagten zu bestimmende „angemessene“ Abschlagszahlung gem. Ziff. 17.6 GesV müsse mindestens ein Betrag von 14.925.000,00 € sein. Diesen Betrag hätten die Gesellschafter der Beklagten ihm zuletzt vor dem Schiedsgutachterverfahren angeboten und habe die Beklagte auch als Rückstellung in ihrer Bilanz berücksichtigt.
37Bei der Ermessensausübung der Beklagten sei insbesondere zu berücksichtigten, dass der Kläger bereits zum 31.12.2020 aus der Beklagten ausgeschieden sei, er mithin bei reibungslosem Ablauf bis heute bereits einen erheblichen Teil der Abfindungsraten gem. Ziff. 17.5 hätte erhalten müssen. Nach Ziff. 17.5 und 17.6 GesV sei zwischen Abfindungszahlung und Abschlagszahlung zu unterscheiden. Die Steuererstattung gem. Ziff. 17.5 S. 4 GesV sei nur auf die Abfindungszahlung anzurechnen, nicht auf die Abschlagszahlung. Das folge auch daraus, dass die Abschlagszahlung dem Ausscheidenden nicht nur den Einsatz eigenen Vermögens ersparen solle, sondern auch zusätzliche Liquidität gewähren. Lediglich aus Gründen anwaltlicher Vorsicht begehre der Kläger mit seinem Berufungsantrag nur den ihm nach seiner Berechnung zustehenden Abschlagsbetrag i.H.v. 4.477.500 € abzüglich der von der Beklagten bereits geleisteten Steuererstattungen.
38Der Kläger beantragt zu erkennen:
3940Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hagen vom 08.11.2022, Az: 3 O 273/21, wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger € 816.170,79 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 08.09.2021 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
4142die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
43Die Beklagte erklärt, weitere 456.000 € an den Kläger gezahlt zu haben; das sei auch unstreitig.
44Die Klage sei bereits unzulässig, da dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis fehle und die Klageänderung unzulässig gewesen sei. Das Mahnverfahren sei „nicht dazu angetan, mit einem völlig neuen Streitgegenstand weiterverfolgt zu werden“, der Antragsteller könne sich dadurch „ungerechtfertigte Vorteile verschaffen“. Die Beklagte habe bei der Bemessung der Abschlagszahlungen das ihr zustehende – weite – Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die künftige Abfindungszahlung sei nicht Grundlage der Abschlagszahlung; sie könne das schon deswegen nicht sein, weil ihre Höhe zum Zeitpunkt der Abschlagszahlung noch nicht feststehe. Die Abschlagszahlung sei auch nicht mit 30 % der künftigen Abschlagszahlung zu bemessen. Kriterien für die Bemessung der Abschlagszahlung seien die Interessen der Parteien. Einerseits solle der Ausscheidende nicht durch Steuerpflichten Liquiditätsabfluss erleiden, andererseits solle die Gesellschaft vor einem kurzfristigen Kapitalabfluss geschützt werden. Die Beklagte verweist im Einzelnen auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Ihre Leistungsbestimmung sei nicht zu beanstanden und daher bindend, sie könne nicht durch das Gericht ersetzt werden.
45Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil und die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
46II.
47Die form- und fristgerecht eingereichte und begründete und auch im Übrigen zulässige Berufung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
481. Zulässigkeit
49a) Rechtsschutzbedürfnis
50Mit Recht hat das Landgericht ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers bejaht. Entgegen der Meinung der Beklagten steht dem Kläger nicht mit dem Schiedsverfahren ein einfacherer, schnellerer und günstigerer Weg zu Gebote, sein Rechtsschutzziel zu erreichen. Während jenes die endgültige Festlegung der Abfindungssumme zu Gebote hat, geht es dem Kläger mit der vorliegend begehrten Abschlagszahlung um eine vertraglich vereinbarte Zwischenlösung, die gegenüber der Abfindung etwas anderes (ein aliud) ist. Müsste sich der Kläger deswegen auf die endgültige Bestimmung des Abfindungsbetrags (und dessen klageweise Durchsetzung) verweisen lassen, liefe die Vereinbarung über die Abschlagszahlung vollständig leer.
51Im Übrigen führt das Schiedsgutachtenverfahren lediglich zur Bestimmung der Abfindungssumme, aber nicht zu einem Zahlungstitel. Auch wenn das Schiedsgutachten vorliegt, kann sich die Zahlung der (ersten Rate der) Abfindung noch erheblich verzögern.
52b) (Zulässige) Klageänderung/-erweiterung
53Die erstinstanzlichen Anträge des Klägers bedürfen der Auslegung.
54In seiner Anspruchsbegründung vom 14.12.2021 hat der Kläger zu Ziff. 1 Zahlung von 2.077.500,00 € begehrt und zu Ziff. 2 den Rechtsstreit wegen des darüber hinausgehenden, im Mahnantrag geltend gemachten Betrags für erledigt erklärt.
55Da sich die Beklagte der Erledigungserklärung nicht angeschlossen hat, ist der Antrag zu Ziff. 2 auszulegen. Regelmäßig ist eine einseitige Erledigungserklärung des Klägers dahin zu verstehen, dass er den ursprünglichen Antrag ändert und nunmehr die Feststellung begehrt, die Klage sei im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet gewesen. Im vorliegenden Fall kommt auch in Betracht, den Antrag als Kostenantrag gem. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO nach Klagerücknahme vor Rechtshängigkeit anzusehen. Das ist namentlich dann in Betracht zu ziehen, wenn man (der Auffassung des Landgerichts folgend) annimmt, der mit dem Mahnantrag geltend gemachte (Teil) Anspruch sei nicht rechtshängig geworden. Der Kläger könnte sein Interesse schließlich im Wege eines materiell-rechtlichen Ersatzanspruchs verfolgen. Dafür ist aber nichts vorgetragen.
56Ungeachtet der abweichenden (anwaltlichen) Formulierung versteht der Senat die „Erledigungserklärung“ des Klägers – im Anschluss an Jooß, JR 2010, 507, 510 – als Rücknahme und Anregung einer Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO. Angesichts der prozessual ungewöhnlichen und in der rechtlichen Behandlung umstrittenen Situation kann dem Wortlaut der anwaltlichen Erklärung nicht allein tragende Bedeutung beigemessen werden. Die Anwendung von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO wird den erkennbaren Interessen der Parteien am besten gerecht.
57c) Zulässigkeit der Klageerweiterung im Mahnverfahren
58Der Kläger hat seine Klage entgegen der Auffassung der Beklagten wirksam erweitert.
59Folgt man der Rechtsansicht des Landgerichts, ist das schon deswegen der Fall, weil die Klage im Zeitpunkt der Antragsänderung tatsächlich noch nicht rechtshängig war und die Rechtshängigkeit auch nicht gem. § 696 Abs. 3 ZPO anzunehmen war. Vor Rechtshängigkeit ist aber eine Änderung des Gegenstands nicht nach §§ 263 f. ZPO zu beurteilen.
60Dem folgt der Senat im Ergebnis. Die Rechtshängigkeitsfiktion des § 696 Abs. 3 ZPO dient anderen Zwecken als die Regelungen der §§ 263 f. ZPO. Sie soll zugunsten des Antragstellers/Klägers die Rechtshängigkeitswirkung (insbesondere: für die Zwecke der Verjährung) vorverlegen; darum geht es auch in der von den Parteien erörterten Entscheidung BGH NJW 1988, 1980. Daher ist teleologisch nicht begründet, die Zulässigkeit einer Änderung des Streitgegenstands von den Voraussetzungen der Rechtshängigkeitsfiktion abhängig zu machen. Es leuchtet nicht ein, eine Änderung des Verfahrensgegenstands abhängig von der „alsbaldigen“ Abgabe nach §§ 263 f. ZPO zu beurteilen oder ins Belieben des Klägers zu stellen. Zudem wäre es sinnwidrig, dem Kläger die Änderung des Gegenstands für den Fall zu erleichtern, dass er die Abgabe verzögert. Das spricht dafür, eine Klageerweiterung im Rahmen der Anspruchsbegründung gem. § 697 ZPO allgemein zuzulassen, unabhängig davon, ob die Abgabe „alsbald“ erfolgt oder nicht. So wohl auch (allerdings ohne explizite Erörterung dieser Frage) MünchKommZPO/Schüler, 6. Aufl. 2020, § 697 ZPO Rn. 8; Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 697 ZPO Rn. 3; BeckOK ZPO/Dörndorfer (Stand 01.03.2023), § 697 ZPO Rn. 2. Entgegen der Auffassung des Klägers bestätigt BGH NJW 1988, 1980 die grundsätzliche Zulässigkeit der Klageänderung in der Anspruchsbegründung. Ein Grund, die Klageänderung oder -erweiterung in der Anspruchsbegründung auszuschließen, ist nicht zu erkennen. Insbesondere ist nicht zu erkennen, dass der Antragsteller/Kläger sich auf diese Weise „ungerechtfertigte Vorteile“ verschaffen könnte.
61Im vorliegenden Fall kann die Frage aber letztlich dahinstehen. Denn auch wenn man die Änderung des Streitgegenstands in der Anspruchsbegründung nicht ins Belieben stellt, wäre sie doch nach allgemeiner Ansicht nicht generell auszuschließen. Es könnte daher nur darum gehen, ob sie nach §§ 263 f. ZPO zulässig ist. Vorliegend spricht viel dafür, die Änderung des Verfahrensgegenstands bereits nach § 264 Nr. 3 ZPO als quantitative Erweiterung für zulässig anzusehen. Dass sich der ursprünglich verfolgte Teilanspruch erledigt hat, muss für die Beurteilung dabei nach dem Zweck der Vorschrift außer Betracht bleiben. Allerdings ist zwischen den Parteien umstritten, ob der Anspruch auf Steuererstattung nach Ziff. 17.5 S. 4 GesV Teil des Anspruchs auf Abschlagszahlung ist oder demgegenüber selbständig. Aber auch wenn man von selbständigen Ansprüchen ausgeht – das ist eine Frage der Begründetheit –, hängen die Ansprüche, wie die Regelung der Ziff. 17.5 und 17.6 GesV ebenso wie der Parteivortrag zeigt, doch so eng zusammen, dass die Klageänderung als sachdienlich zu bewerten ist. Nicht zwingend erscheint demgegenüber, wie die Beklagte vorträgt, dass bereits Prozessstoff vorhanden sein müsste, an den sich die Erweiterung anschließen würde. Wird das Streitverfahren an ein Mahnverfahren angeschlossen, erschiene insoweit die Maßgabe der Rechtshängigkeit als künstliche und wenig sachgerechte Zäsur.
622. Begründetheit
63a) Zahlungsanspruch
64Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Abschlagszahlung i.H.v. 596.420,79 € zu.
65Die Klage ist hinsichtlich des Zahlungsanspruchs begründet, wenn der Kläger die begehrte Zahlung als vom Gericht bestimmte (Teil-) Abschlagszahlung beanspruchen kann. Das ist der Fall, wenn der gesellschaftsvertragliche Anspruch auf Abschlagszahlung auf Leistung nach billigem Ermessen der Beklagten gerichtet ist (a), deren Leistungsbestimmung nicht billigem Ermessen entspricht (b) und die gerichtliche zu treffende Leistungshöhe abzüglich erbrachter Zahlungen (mindestens) den beantragten Zahlbetrag ergibt (verdeckte Gestaltungsklage).
66aa) Anspruch auf Abschlagszahlung nach billigem Ermessen der Beklagten
67Ob und in welchem Rahmen eine vertraglich vereinbarte Leistung gem. § 315 BGB durch eine Partei zu bestimmen ist, ist aufgrund von Wortlaut, Systematik und Umständen der Vereinbarung sowie nach dem Zweck (a) des betroffenen Anspruchs (hier: des Anspruchs auf Abschlagszahlung) und (b) des Leistungsbestimmungsrechts im Wege der Auslegung zu begründen.
68(1) Leistungsbestimmungsrecht der Beklagten
69Wenn der Ausscheidende gem. Ziff. 17.6 S. 1 GesV Anspruch hat auf „eine von der Gesellschaft zu bestimmende angemessene Abschlagszahlung“, ist damit zunächst dem Wortlaut nach ein Leistungsbestimmungsrecht der Gesellschaft als Schuldnerin vereinbart. Dass hier – anders als in Ziff. 17.4 GesV im Hinblick auf die Schiedsgutachtenabrede – die gesetzliche Bestimmung (dort: § 317 BGB, hier: § 315 BGB) nicht genannt ist, begründet keinen Umkehrschluss.
70Hat die Bestimmung nach dem Maßstab der „Angemessenheit“ zu erfolgen, so liegt darin eine Verweisung auf die Interessen der Parteien und den Gedanken der Verhältnismäßigkeit. Das spricht dafür, dass die Parteien damit dem gesetzlichen Maßstab des „billigen Ermessens“ entsprechen wollten.
71Für die Auslegung ist weiterhin der Zweck des Anspruchs zu berücksichtigen. Ziff. 17.6 GesV betrifft eine Abschlagszahlung auf die Abfindung. Wortlaut und Zweck gemäß handelt es sich daher um eine Vorauszahlung auf eine dem Gläubiger bereits zustehende, aber noch nicht fällige Leistung; vgl. § 632a BGB; Erman/Riesenhuber, BGB Kommentar, 16. Aufl. 2020, § 614 Rn. 8. Anders als bei einer „Vorauszahlung“ oder einem „Vorschuss“ geht es bei der Abschlagszahlung um dem Gläubiger bereits zustehendes oder „verdientes“ Geld. Nicht der Schuldner „kreditiert“ den Gläubiger, sondern umgekehrt: Es wird die bereits erfolgte „Kreditierung“ des Gläubigers an den Schuldner verkürzt. Vorliegend erfolgt die Abschlagszahlung auf den Abfindungsanspruch, der dem Grunde nach zweifellos besteht, nur im Hinblick auf seine Höhe noch einer Unsicherheit unterliegt. Dieser Zweck ist auch für die weitere Auslegung des Leistungsbestimmungsrechts von besonderem Gewicht: Da es sich um Geld handelt, dass dem Ausscheidenden bereits gebührt, ist die Leistungsbestimmung durch die Beklagte allein dadurch gerechtfertigt, dass die Höhe der Abfindung noch nicht feststeht. Das spricht dafür, das Ermessen der Beklagten eng zu umgrenzen. Sie wird gleichsam treuhänderisch für die Gesellschafter tätig.
72Zu berücksichtigen ist schließlich der Zweck des Leistungsbestimmungsrechts. Dieses wird der Gesellschaft im Hinblick auf die noch bestehende Unsicherheit eingeräumt. Diese besteht aber allein im Hinblick auf die Höhe der geschuldeten Abfindung.
73(2) Gegenstand der Kriterien für die Leistungsbestimmung
74(a) Anteil des prospektiven Abfindungsanspruchs
75Der Abschlag ist, wie Ziff. 17.6 S. 2 GesV ausweist, an der ersten Rate i.H. eines Anteils von 30 % der Abfindung orientiert. Nach dieser Vereinbarung sind Mehr- oder Minderleistungen mit der ersten fälligen Rate nach Feststehen der Höhe des Abfindungsguthabens auszugleichen. Der in Ziff. 17.6 S. 2 GesV nicht explizierte Bezugspunkt für die Beurteilung der Zuviel- oder Zuwenig-Zahlung ist die erste Rate gem. Ziff. 17.5 S. 2 GesV und demnach ein Anteil von 30 % der Abfindungssumme. Der Abschlag ist demnach als Vorwegnahme der ersten Rate konzipiert.
76Allerdings weist der Kläger mit guten Gründen darauf hin, dass dies dem Zweck eines Abschlags nicht voll gerecht wird. Diesem würde es eigentlich entsprechen, den Abschlag auf die Gesamtsumme und ihre Fälligkeit zu beziehen. Wenngleich der Abschlag typischerweise nicht die volle Höhe der geschuldeten Summe erreicht (vgl. § 632a BGB: üblich sind 90 %), wäre daher doch zu erwägen, die Abschlagszahlung entsprechend der Ratenzahlungsvereinbarung jährlich zu erhöhen. Es ist denkbar – allerdings mit Blick auf die ausgefeilte und differenzierte Regelung nicht besonders naheliegend –, dass die Parteien die Möglichkeit übersehen haben, dass sich die schiedsgutachtliche Festlegung des Abfindungsbetrags um mehr als 20 Monate (acht Monate Karenzzeit gem. Ziff. 17.6, Jahresraten gem. Ziff. 17.5) hinziehen könnte. Die Vereinbarung zu Ziff. 17.6 kann aber gleichwohl nicht teleologisch dahin ausgelegt – oder richterlich ergänzt – werden, dass der Abschlag jährlich zu erhöhen sei. Zum einen widerspräche das der insoweit unzweideutigen Regelung von Ziff. 17.6 (grammatikalische Auslegung). Zum anderen würde dies die davon unabhängig konzipierte Ratenzahlungsvereinbarung von Ziff. 17.5 unterlaufen (systematische Auslegung).
77Daher deutet diese Vereinbarung darauf hin, dass die Parteien beabsichtigten, die Abschlagszahlung genau auf den Anteil von 30 % der ersten Rate hin auszurichten. Da der Abschlag nach Ziff. 17.6 S. 2 an dieser Größe abzurechnen ist, hat nach der Vereinbarung keine Partei ein berechtigtes Interesse an einer Mehr- oder Minderleistung.
78(b) Höhe des prospektiven Abfindungsanspruchs
79Allerdings weist die Beklagte mit Recht darauf hin, dass die Höhe der Abfindung zu dem Zeitpunkt, in dem die Abschlagszahlung begehrt wird, zwangsläufig noch nicht feststeht. Stünde die Höhe fest, wäre gem. Ziff. 17.5 S. 2 schon die erste Rate fällig und damit ein darauf zu verrechnender (Ziff. 17.6 S. 2) Abschlag sinnlos.
80Ist der Abschlag als 30 %-Anteil festgelegt, bezieht sich das Ermessen der Gesellschaft daher allein auf die Berechnungsgrundlage, also die Höhe des Abfindungsbetrags. Das ist zweckgerecht, da die Unsicherheit über diese Höhe allein der Anlass für die Verzögerung ist, die den Abschlagsanspruch begründet.
81Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Abfindungshöhe als Berechnungsgrundlage auch nicht völlig unbestimmt. Wie sich aus der Vereinbarung zu Ziff. 17.4 S. 3 ergibt, gehen die Gesellschafter im Streit über die Höhe der Abfindung mit ihren widerstreitenden „Angeboten“ in ein Schiedsgutachterverfahren. Daher entspricht es der Billigkeit, dass sich die Gesellschaft für die Bestimmung des angemessenen Abschlags an diesen Angeboten orientiert.
82Die Gesellschaft ist dabei selbst nicht in der Lage, die Angebote „besser“ zu beurteilen als die streitenden Gesellschafter. Sie ist in das Bestimmungsverfahren gem. Ziff. 17.4 GesV nicht einbezogen. Im Hinblick auf die Abfindungshöhe befindet sie sich in einer gewissen Mittelstellung, in der sie sowohl den übrigen Gesellschaftern als auch dem Ausscheidenden gegenüber zur Treue und Neutralität verpflichtet ist.
83Mangels anderer Anhaltspunkte wird sie daher bei der Bestimmung einer „angemessenen“ Abfindung von diesen gegenseitigen Angeboten auszugehen haben. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Angebot einer Partei eine erhebliche Unter- oder Überbewertung des maßglichen Anteils am Verkehrswert darstellt, weil die Angebote Schätzwerte sind und im Verhältnis zu ihrer Höhe keine auffällige Differenz aufweisen. Ohne Anhaltspunkte einer erheblichen Unter- oder Überbewertung entspricht es der Billigkeit allein, die Differenz hälftig zu teilen.
84(c) Liquiditätsinteressen der Gesellschaft
85Kein eigenes Kriterium für die Bestimmung der Angemessenheit ist demgegenüber das Liquiditätsinteresse der Gesellschaft. Diesem Liquiditätsinteresse trägt die Abfindungsregelung bereits doppelt Rechnung. Zum einen wird nach Ziff. 17.2 S. 1, 17.12 GesV die Abfindung im Interesse des Fortbestands der Gesellschaft ohnehin mit nur 75 % des Verkehrswertes des Anteils bemessen. Zum anderen wird das Liquiditätsinteresse der Gesellschaft bereits durch Ratenzahlung gem. Ziff. 17.5 GesV berücksichtigt. Die durch das Verfahren nach 17.4 GesV verzögerte Fälligkeit begründet kein berechtigtes Interesse der Gesellschaft an einer weiteren Verschiebung der Auszahlung. Vielmehr müsste sie bei regelmäßigem (redlichen) Vorgehen ohnehin ab dem Zeitpunkt der Kündigung jederzeit mit einem Liquiditätsabfluss in Höhe der Ratenzahlung gem. Ziff. 17.5 GesV rechnen.
86(d) Verhältnis von Abschlag und Steuererstattung
87Da der Abschlaganspruch nach Ziff. 17.6 GesV nach den Erwägungen zu oben (a) der Höhe nach dem Anspruch auf die erste Rate entspricht, ist sein Verhältnis zu dem Anspruch auf Ausgleich der Steuerzahlungsverpflichtung gem. Ziff. 17.5 S. 2 GesV ebenso zu bestimmen wie das Verhältnis jenes Anspruchs zu dem auf Zahlung der Raten. Insoweit bestimmt Ziff. 17.5 S. 2 GesV einerseits, dass der Anspruch auf Ausgleich fälliger Steuern „jederzeit“ besteht. Andererseits ist dieser Anspruch aber mit dem Anspruch auf Ratenzahlung insoweit verbunden, als dieser „mindestens“ geltend gemacht werden kann und in der Höhe als Differenz der fälligen Steuerbeträge und der gezahlte Raten bestimmt ist. Die Ratenzahlungen werden m.a.W. auf die fälligen Steuerbeträge angerechnet. Der Kläger kann die fälligen Steuerbeträge nur beanspruchen, soweit sie die gezahlten Raten übersteigen.
88Das bedeutet im praktischen Ergebnis, dass der Abschlag – ebenso wie die Raten – nicht zusätzlich zu und unabhängig von den fälligen Steuerbeträgen zu zahlen ist. Zwar ist der Steuererstattungsanspruch gegenüber dem Anspruch auf Ratenzahlung und dem Anspruch auf Abschlagszahlung selbständig. Doch sind die Raten- oder Abschlagszahlungen auf diesen Anspruch anzurechnen.
89(3) Zwischenergebnis
90Nach Ziff. 17.6 S. 1 GesV hat die Beklagte daher ein Leistungsbestimmungsrecht für die Abschlagszahlung. Das ihr eingeräumte Ermessen („angemessen“) ist aber durch die vertragliche Regelung weitgehend eingeschränkt. Bei der Bestimmung der Höhe hat die Beklagte einen Anteil von 30 % des prospektiven Abfindungsanspruchs zugrundezulegen. Dieser ist, wenn keine anderen Umstände erkennbar sind, im Wege der Halbteilung der Differenz der wechselseitigen Angebote für die Abfindung gem. Ziff. 17.4 S. 3 GesV zu ermitteln.
91bb) Unbilligkeit der Leistungsbestimmung der Beklagten
92Die Leistungsbestimmung der Beklagten ist unbillig und daher gem. § 315 Abs. 3 S. 1 BGB unverbindlich.
93Man kann bereits daran zweifeln, ob die Beklagte überhaupt eine wirksame Leistungsbestimmung getroffen hat. Denn sie hat nicht selbst einen Abschlag festgelegt, sondern lediglich auf die Mitteilung von Steuerforderungen hin Einzelzahlungen geleistet.
94Die Unbilligkeit folgt aber jedenfalls daraus, dass das Ermessen der Beklagten weithin ausgefallen ist. Statt eine vertragsgemäße Entscheidung über die Abschlagszahlung gem. Ziff. 17.6 GesV vorzunehmen, hat die Beklagte dem Kläger allein die nach Ziff. 17.5 S. 4 GesV geschuldete Steuererstattung gewährt und diese teilweise lediglich geringfügig aufgerundet. In ihre Erwägungen hat sie insbesondere den zentralen Gedanken nicht eingestellt, dass es sich bei dem Abschlag um eine dem Kläger gebührende Leistung handelt (oben, (1)). Zudem hat sie die Höhe des prospektiven Abfindungsanspruchs nicht berücksichtigt, obwohl sich dieser aufgrund der – ihr bekannten (§ 166 BGB) – Verhandlungen des Klägers mit den übrigen Gesellschaftern schon näherungsweise abgezeichnet hat.
95cc) Leistungsbestimmung durch das Gericht
96Die daher gem. § 315 Abs. 3 S. 2 BGB vom Gericht zu treffende Leistungsbestimmung begründet einen Anspruch auf Abschlagszahlung i.H.v. 4.713.750,00 €.
97Auszugehen ist von der prospektiven Höhe der Abfindungszahlung. Hier standen sich zunächst gegenseitige „Angebote“ von 9,5 Mio € und 18 Mio € gegenüber, zuletzt „gütliche“ „Angebote“ von 14,925 Mio € und 16,5 Mio €. Im Rahmen billigen Ermessens ist von letzteren auszugehen. Zwar betonen beide Seiten, dass es sich bei diesen letzteren „Angeboten“ nicht im strikten Sinne um Berechnungen nach den Vorgaben von Ziff. 17.2 GesV handelt. Ungeachtet dessen spricht viel dafür, dass sich die Parteien, die den Wert der Gesellschaft am besten beurteilen können, mit ihren „Angeboten“ an die nach dieser Formel geschuldete Abfindung möglichst weit annähern wollten. Diese „Angebote“ dürften auch für die Kostenentscheidung nach Ziff. 17.4 S. 3 GesV maßgeblich sein, so dass die Parteien einen hohen Anreiz haben, ihre gegenseitigen „Angebote“ redlich und sachgerecht zu ermitteln.
98Geht man daher von den „Angeboten“ über 14,925 Mio € und 16,5 Mio € aus, ist die Differenz von 1,575 Mio € hälftig zu teilen (0,7875 Mio €) und dieser Betrag dem „Angebot“ der Gesellschafter hinzuzurechnen. Das ergibt einen prospektiven Abfindungsbetrag von 15,7125 Mio €. Der Senat setzt den Abschlag auf 30 % dieses Betrags fest, er beträgt daher 4.713.750,00 €.
99dd) Restforderung nach Teilerfüllung
100Abzüglich der bereits geleisteten Zahlungen i.H.v. 4.117.329,21 € hat der Kläger daher noch einen Anspruch auf Zahlung von 596.420,79 €.
101Die Bindung an den Parteiantrag (§ 308 Abs. 1 ZPO) steht dem Zuspruch dieser Summe nicht entgegen. In der Berufungsinstanz macht der Kläger einen Betrag von 816.170,79 € geltend, den er allerdings anders berechnet als der Senat. So hat der Kläger insbesondere die letzte Teilzahlung auf eine Steuerforderung in der Berufungsinstanz nicht von seinem Antrag in Abzug gebracht, wohl in der Annahme, Steuerforderungen seien zusätzlich zu einem „angemessenen Abschlag“ zu ersetzen. Abzüglich der zuletzt geleisteten Steuererstattung i.H.v. 456.000 € könnte der Kläger, ausgehend von der Berufungsforderung, zwar nur mehr einen Betrag von 360.170,79 € fordern. Setzt sich der einheitliche Streitgegenstand aber aus einzelnen (unselbständigen) Rechnungsposten zusammen, darf das Gericht Einzelposten mit höheren Beträgen einstellen, solange nur die beantragte Summe nicht überschritten wird; OLG Hamm, OLGR 1999, 9 ff.; Zöller/Stöber, ZPO, 34. Aufl. 2023, § 308 ZPO Rn. 4 a.E.
102b) Zinsanspruch
103Der geltend gemachte Zinsanspruch steht dem Kläger nicht zu. Der Zahlungsanspruch des Klägers entsteht erst aufgrund der Leistungsbestimmung gem. § 315 BGB, die im Fall der Ersetzung durch das Gericht mit Rechtskraft des Gestaltungsurteils eintritt; Staudinger/Rieble (2020), § 315 BGB Rn. 489 ff. Mangels Fälligkeit kommt daher ein Anspruch auf Verzugszinsen nicht in Betracht.
104Vertraglich haben die Parteien in Ziff. 17.7 GesV lediglich einen Zinsanspruch des Ausscheidenden auf das „Entgelt“ vorgesehen. Als Entgelt bezeichnen die Parteien indes gem. Ziff. 17.1 GesV allein die Abfindung und nicht den Abschlag. Die Abfindung ist jedoch „ab dem Tag des Ausscheidens mit zwei Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz zu verzinsen“, und die aufgelaufenen Zinsen sind mit jeder Rate der Abfindung zu bezahlen. Da mithin der Abfindungsbetrag unabhängig von der Abschlagszahlung zu verzinsen ist, ist es auch sachgerecht, dass eine Verzinsung der Abschlagszahlung für sich (außerhalb des Verzugs) nicht erfolgt.
1053. Nebenentscheidungen
106Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97, 269 Abs. 3 S. 3 ZPO. Soweit Kosten allein im Mahnverfahren angefallen sind, hat die Beklagte diese zu tragen, § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO entsprechend. Sie hatte Anlass zur Einleitung des Mahnverfahrens gegeben, indem sie nach Fälligkeit der Steuerverbindlichkeit des Klägers keine Erstattung vornahm.
107Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
108Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.