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Der Aussetzungsantrag des Klägers vom 30.01.2023 wird zurückgewiesen.
Die Berufung des Klägers gegen das am 22.12.2021 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Hagen, Az.: 10 O 51/21, wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird wie folgt festgesetzt:
Bis zum 30.01.2023: bis 40.000,00 EUR
Ab dem 30.01.2023: bis 30.000,00 EUR
G r ü n d e:
2I.
3Der Kläger nimmt die Beklagte, eine Kraftfahrzeugherstellerin, wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen auf Schadensersatz in Anspruch.
4Der Kläger erwarb im Februar 2018 ein von der Beklagten hergestelltes Kraftfahrzeug des Typs Audi A6 Avant 3.0 l TDI quattro (200 kW) als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 44.500 EUR brutto. Das Fahrzeug war im Zeitpunkt des Kaufs mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor ausgestattet, der einem verpflichtenden Rückruf unterlag. Zudem ist ein sog. Thermofenster verbaut.
5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch des Klägers ergebe sich nicht aus § 826 BGB. Hinsichtlich des sog. Thermofensters sei ein sittenwidriges Handeln der Beklagten nicht feststellbar. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte in dem Bewusstsein gehandelt habe, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und diesen Gesetzesverstoß zumindest billigend in Kauf genommen habe, habe der Kläger nicht benannt.
6Der Klägervortrag zu weiteren vermeintlich verwandten Abschalteinrichtungen sei nicht ausreichend. Es sei insbesondere nicht ausreichend, dass das streitgegenständliche Fahrzeug unstreitig von einem verpflichtenden Rückruf betroffen sei. Zwar sei als Rückrufgrund eine schnelle Motoraufwärmfunktion benannt. Allein dies stelle jedoch keine hinreichende Substantiierung des Vortrages dar. Des Weiteren habe der Kläger auch die subjektiven Voraussetzungen einer
7sittenwidrigen Schädigung der jeweiligen Käufer der Fahrzeuge in Bezug auf den streitgegenständlichen Motor nicht dargelegt. Auch könne nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten durch das Inverkehrbringen des fraglichen Motors bewusst und mit Vorsatz gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen hätten. Darüber hinaus fehle es an einem zu einem Schadensersatzanspruch führenden Schaden.
8Ansprüche des Klägers folgten auch nicht aus § 823 Abs. 2 i. V. m. § 263 StGB, aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sowie Art. 5 Abs.2 VO (EG) Nr. 715/2007 oder aus § 831 BGB.
9Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes, insbesondere wegen der erstinstanzlichen Anträge, und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 420 ff. der erstinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden: eGA I-Bl.) Bezug genommen.
10Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger gegen die Abweisung der Klage und führt zur Begründung im Wesentlichen aus, er habe ausreichend Anhaltspunkte dafür benannt, dass sein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sei. Der streitgegenständliche Motortyp sei von einem Rückruf betroffen. Außerdem seien greifbare Anhaltspunkte nicht erst dann gegeben, wenn ein Rückruf vorliege. Im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast habe die Beklagte näher zu den von ihr verwandten Abschalteinrichtungen sowie zur Kenntnis ihrer Mitarbeiter vorzutragen.
11Auch folge ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB sowie aufgrund einer Schutzgesetzverletzung aus § 823 Abs. 2 i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV und aus § 831 BGB.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 21.02.2022 (Bl. 37 ff. der zweitinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden: eGA II-Bl.) verwiesen.
13Der Kläger hat ursprünglich beantragt:
141. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hagen, Aktenzeichen: 10 O 51/21, wird die Beklagtenpartei verurteilt, an die Klagepartei EUR 35.958,13 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.07.2020 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Audi A6 Avant, 3.0 l TDI, FIN: ###.
152. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hagen, Aktenzeichen: 10 O 51/21, wird festgestellt, dass sich die Beklagtenpartei mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
163. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hagen, Aktenzeichen: 10 O 51/21, wird die Beklagte verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.965,88 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten seit 22.07.2020 freizustellen.
17Nachdem der Kläger nach seinem Vortrag zwischenzeitlich weitere Kilometer mit dem Pkw gefahren ist und diesen am 12.07.2022 für 10.100 EUR veräußert hat, hat er den Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 30.01.2023 (eGA II-157 ff.) in Höhe von 10.810,85 EUR für erledigt erklärt und den auf die Feststellung des Annahmeverzugs gerichteten Antrag fallen gelassen. Die Beklagte hat sich der teilweisen Erledigungserklärung mit Schriftsatz vom 16.02.2023 (eGA II-270) nicht angeschlossen.
18Der Kläger beantragt nunmehr:
191. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hagen, Aktenzeichen: 10 O 51/21, wird die Beklagtenpartei verurteilt, an die Klagepartei EUR 25.147,28 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.07.2020 zu bezahlen.
202. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hagen, Aktenzeichen: 10 O 51/21, wird die Beklagte verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.965,88 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten seit 22.07.2020 freizustellen.
213. Im Übrigen festzustellen, dass sich der Rechtsstreit erledigt hat.
22Die Beklagte beantragt,
23die Berufung zurückzuweisen.
24Der Senat hat mit Beschluss vom 22.12.2022 (eGA II-77 ff.) darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Im vorliegenden Fall sei nach dem Parteivortrag davon auszugehen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einem sog. Thermofenster ausgestattet und im Übrigen (nur) wegen der sog. „aktiven Restreichweiten-Warnung“ verpflichtend zurückgerufen worden sei. Bei dem Vortrag zu weiteren Abschalteinrichtungen (Verwendung von AdBlue im SCR-Katalysator nahezu ausschließlich im Fahrzyklus des NEFZ, Einsatz der Aufheizstrategien A, B und C sowie Manipulation des OBD) handele es sich um unzulässige Behauptungen
25ins Blaue hinein.
26Soweit die Beklagte ein – unterstellt – unzulässiges Thermofenster und eine – unterstellt – unzulässige Reduzierung der AdBlue-Zugabe bei einer Reichweite von unter 2.400 km zum Einsatz gebracht habe, habe der Kläger nicht hinreichend dargelegt, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und / oder Verwendung der emissionsbeeinflussenden Einrichtungen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.
27Auch lasse sich ein besonders verwerfliches Verhalten im Hinblick auf eine unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Unzulässigkeit von Thermofenster und Restreichweitenerkennung nicht annehmen. Allein aus der objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtungen folge zudem kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage habe sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers nicht aufdrängen müssen.
28Auch Ansprüche aus Vertrag oder aus § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB schieden – auch unter Berücksichtigung der Schlussanträge des Generalanwalts A vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 – aus.
29Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 22.12.2022 (eGA II-77 ff.) Bezug genommen.
30Der Kläger hat hierzu mit Schriftsätzen vom 18.01.2023 (eGA II-103 ff.) und vom 30.01.2023 (eGA II-157 ff.), auf deren Inhalt Bezug genommen wird, Stellung genommen und die Aussetzung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 beantragt.
31II.
32Die Berufung des Klägers unterliegt gemäß § 522 Abs. 2 ZPO wegen offensichtlich fehlender Erfolgsaussicht und des Fehlens der Voraussetzungen der Nrn. 2 und 3 des § 522 Abs. 2 ZPO nach einstimmigem Votum des Senats der Zurückweisung, ohne dass es der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung bedarf.
331.
34Der Senat legt die einseitig gebliebene teilweise Erledigungserklärung des Klägers dahin aus, dass dieser nunmehr beantragt, festzustellen, dass sich der Rechtsstreit insoweit erledigt hat.
352.
36Hinsichtlich der fehlenden Erfolgsaussicht der Berufung – auch mit den nunmehr gestellten Anträgen – wird zunächst auf die in dem Senatsbeschluss vom 22.12.2022
37enthaltenen Ausführungen vollumfänglich Bezug genommen. Die schriftsätzlichen Ausführungen des Klägers vom 18.01.2023 (eGA II-103 ff.) und vom 30.01.2023 (eGA II-157 ff.) geben keinen Anlass, hiervon Abstand zu nehmen oder das Verfahren bis zu einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 auszusetzen.
38Die von dem Kläger im Berufungsverfahren gestellten Anträge, mit denen er eine wirtschaftliche Rückabwicklung des Fahrzeugkaufs im Verhältnis zur Beklagten begehrt, sind unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte sog. große Schadensersatzanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
39Der auf Feststellung der (teilweisen) Erledigung gerichtete Antrag hat – mangels insoweit ursprünglich begründeter Klage, die nachträglich gegenstandslos geworden ist – danach ebenfalls keinen Erfolg.
40Im Einzelnen:
41a)
42Ein Anspruch auf großen Schadensersatz folgt – wie mit Beschluss vom 22.12.2022 ausgeführt – insbesondere nicht aus §§ 826, 31 BGB.
43aa)
44Mit den ausführlichen Ausführungen des Senats dazu, warum im vorliegenden Einzelfall davon auszugehen ist, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nur mit einem sog. Thermofenster und der Restreichweiten-Strategie ausgestattet ist und warum es sich bei dem übrigen Vortrag des Klägers zur Verwendung weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen (Verwendung von AdBlue im SCR-Katalysator nahezu ausschließlich im Fahrzyklus des NEFZ, den Einsatz der Aufheizstrategien A, B und C, Manipulation des OBD) um unzulässige Behauptungen ins Blaue hinein handelt, setzt sich der Kläger nicht überzeugend auseinander.
45Die vom Kläger mit Schriftsatz vom 30.01.2023 zu den Substantiierungsanforderungen zitierte BGH Rechtsprechung hat der Senat seinen Überlegungen zugrunde gelegt (s. S. 5 des Senatsbeschl. v. 22.12.2022, eGA II-81). Keine anderen Grundsätze ergeben sich auch unter Berücksichtigung aktueller BGH Rechtsprechung (Beschl. v. 10.1.2023 – VIII ZR 9/21, juris Rn 14 ff.).
46Der Senat hat detailliert aufgezeigt, warum – auf Basis des unstreitigen Rückrufs – davon auszugehen ist, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit der sog. Restreichweiten-Strategie ausgestattet war und warum sich die Tatsache, dass das streitgegenständliche Fahrzeug verpflichtend zurückgerufen worden ist, gerade nicht als Anhaltspunkt dafür eignet, dass dieses (auch) mit weiteren unzulässigen Abschalteinrichtung wie einer unzulässigen Aufheizstrategie etc. ausgestattet ist,
47sodass die Beklagte zu den weiteren behaupteten Abschalteinrichtungen keine sekundäre Darlegungslast trifft. Hierauf geht der Kläger jedoch nicht im Einzelnen ein, wenn er mit Schriftsatz vom 30.01.2023 schlicht an seiner Behauptung festhält, das Fahrzeug sei mit der prüfstandsbezogenen schnellen Aufwärmfunktion ausgerüstet und von einem Rückruf betroffen. Ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme, das Fahrzeug sei – auch ohne diesbezüglichen Rückruf – dennoch von weiteren Manipulationen (Verwendung von AdBlue im SCR-Katalysator nahezu ausschließlich im Fahrzyklus des NEFZ, Aufheizstrategien A, B und C, Manipulation des OBD) betroffen, hat der Kläger – wozu der Senat mit Beschluss vom 22.12.2022 im Einzelnen ausgeführt hat – in der Vergangenheit nicht benannt und benennt er auch mit Schriftsätzen vom 18.01.2023 und vom 30.1.2023 immer noch nicht. Anders als der Kläger meint, obliegt es deshalb auch nicht der Beklagten, im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast aufzuzeigen, dass vom Kläger gerügte Strategien – deren Vorliegen bei anderen Fahrzeugtypen vom KBA festgestellt und als unzulässig bewertet worden ist – im vorliegenden Fahrzeug keine Anwendung finden.
48bb)
49Soweit der Senat dazu ausgeführt hat, der Kläger habe keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und / oder Verwendung von Thermofenster und Restreichweiten-Strategie in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, führt auch das weitere klägerische Vorbringen nicht zu einer anderen Bewertung.
50(1)
51Der Senat hat dazu ausgeführt, dass aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber dem KBA keine Anhaltspunkte dafür folgen, dass für die Beklagte tätige Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Denn selbst wenn die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren – erforderliche – Angaben zu den Einzelheiten der Abschalteinrichtungen unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen.
52Wenn nun der Kläger dazu vorträgt (S. 15 der Stellungnahme vom 30.01.2023, eGA II-171 f.), das KBA führe grundsätzlich keine eigenen Tests durch, sondern erlasse nur dann Rückrufbescheide, wenn es vom Hersteller selbst auf illegale Abschalteinrichtungen hingewiesen werde und das KBA hätte nie eine Typgenehmigung erteilt, wenn es alle relevanten Daten ungeschönt vorliegen gehabt
53hätte, verfängt sein Vorbringen nicht. Denn auch dieses stellt wiederum eine unzulässige Behauptung ins Blaue hinein dar.
54Greifbare Anhaltspunkte für seine Annahme benennt der Kläger nicht.
55Solche ergeben sich insbesondere nicht aus Anlage BK10 (eGA II-178).
56Diese Auskunft betraf laut Kläger ein Fahrzeug der Daimler AG. Der Auskunft kann nur entnommen werden, dass das KBA in einem Bescheid vom 03.08.2018 Feststellungen „auf der Basis der Einlassungen des Fahrzeugherstellers“ getroffen hat. Dass das KBA grundsätzlich keine eigenen Tests durchführt, lässt sich der Anlage BK10 demgegenüber nicht entnehmen. Gegenteiliges ergibt sich vielmehr zwanglos auch aus dem „Untersuchungsbericht Volkswagen“ (Stand April 2016), den der Kläger selbst als – kaum leserliche – Anlage K11 (eGA I-134.AQ) vorgelegt hat und der unter https://www.kba.de/DE/Themen/Marktueberwachung/Abgasthematik/erster_ber_uk_ vw _nox.pdf öffentlich zum Abruf bereitgehalten wird. In diesem wird auch über federführend vom KBA vorgenommene Felduntersuchungen berichtet, anlässlich derer gerade auch Fahrten im Prüfzyklus NEFZ 10°C (NEFZ bei 10°C Umgebungstemperatur) erfolgten, um aufzuzeigen, ob eine unerlaubte Reduzierung der Emissionsminderungsmaßnahmen in Abhängigkeit in der Umgebungstemperatur angewendet wird.
57Davon, dass die Beklagte aufgrund vollständiger Unterlagen anders entschieden hätte, kann vielmehr auch vor folgendem Hintergrund gerade nicht ausgegangen werden:
58In dem Zeitraum bis zum Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger (und auch noch darüber hinaus) wurden Thermofenster von Autoherstellern verbreitet verwendet (vgl. BGH Beschl. v. 25.11.2021 – III ZR 202/20, juris Rn. 15). Im „Untersuchungsbericht Volkswagen“ (Stand April 2016) wird zu einem Audi A6 (Euro 5) insoweit ausgeführt, die Beklagte habe, soweit sie die AGR zum Bauteilschutz temperaturabhängig reduziert habe, im Einklang mit dem Stand der Technik gehandelt (S. 72 d. Untersuchungsberichts, eGA II-134.DK). Spätestens im Rahmen der Aufarbeitung des „Dieselskandals“ ist dem KBA die weit verbreitete Verwendung sog.
59„Thermofenster“ mithin bekannt geworden, ohne dass das KBA dies bis heute zum Anlass genommen hat, Fahrzeuge des vorliegenden Fahrzeugtyps Audi A6 Avant 3,0 V-TDI quattro 200 kW (Schadstoffklasse Euro 6) wegen eines unzulässigen Thermofensters zurückzurufen. Das lässt aus Sicht des Senats nur den Schluss zu, dass das KBA auch in der Vergangenheit auf der Grundlage vollständiger Unterlagen nicht anders entschieden hätte. Vielmehr verteidigt das KBA den Einsatz sog. Thermofenster – bis heute – als zulässig (so etwa in dem vor dem VG Schleswig geführten Verfahren 3 A 113/18).
60Ein Anhaltspunkt für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, ergibt sich aus dem genannten Vorbringen des Klägers danach nicht.
61(2)
62Soweit der Kläger zum OBD im Wesentlichen seinen Vortrag aus dem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 1.12.2021 (eGA I-270 ff.) wiederholt, dringt er damit nicht durch.
63Auch wenn das OBD vorliegend so programmiert war, dass es selbst erhebliche Überschreitungen des als zulässig definierten Emissionsausstoßes nicht anzeigte, bietet das keinen Anhaltspunkt für vorsätzliches Handeln auf Seiten der Beklagten.
64Nach Art. 3 Nr. 9 VO 715/2007/EG handelt es sich bei einem OBD um ein System für die Emissionsüberwachung, das in der Lage ist, mithilfe rechnergespeicherter Fehlercodes den Bereich von Fehlfunktionen anzuzeigen. Dies bedeutet, dass das OBD-System selbst keinen Einfluss auf das Emissionskontrollsystem nimmt, sondern nur eine Fehlfunktion eines emissionsrelevanten Bauteils oder Systems anzeigen muss, wenn diese Fehlfunktion dazu führt, dass die Abgasemissionen bestimmte Schwellenwerte überschreiten. Daraus ist zu schließen, dass Veranlassung des OBD-Systems für eine Messung von Schwellenwerten nur im Fall des Ausfalls oder der Fehlfunktion emissionsrelevanter Bauteile oder Systeme besteht. Hingegen ist es schon nicht Aufgabe des OBD-Systems, konstante Messungen der Schadstoffemissionen vorzunehmen und bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte Signale zu setzen bzw. zu speichern (OLG Dresden Urt. v. 22.12.2022 – 4 U 1415/22, juris Rn. 33 m. w. N.; OLG München Beschl. v. 1.8.2022 – 35 U 3061/22, juris Rn. 27; OLG Hamm Urt. v. 28.1.2021 – 18 U 21/20, juris Rn.164).
65Hinsichtlich des Thermofensters durfte die Beklagte jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt der Typengenehmigung davon ausgehen, dass eine solche Steuerung aus Motorschutzgründen ausnahmsweise zulässig war, so dass das OBD das Eingreifen des Thermofensters gerade nicht als Fehler ausweisen musste (vgl. BGH Beschl. v. 18.5.2022 – VII ZR 239/21, juris Rn. 19).
66Hinsichtlich der Restreichweiten-Strategie gilt dasselbe. Auch diese ließ sich vor Sensibilisierung durch den Dieselskandal gerade nicht völlig eindeutig als unzulässige Abschalteinrichtung einordnen.
67Nach Auffassung des KBA im Rückrufbescheid (K20, eGA I-288) ergibt sich aus Anhang XVI VO (EG) 692/2008 zur VO (EG) 715/2007 nicht klar, ob das Reagens unter allen möglichen Umständen mindestens 2.400 km oder aber nur bei einem
68„mittleren" Betriebsprofil 2.400 km ausreichen muss (so auch OLG Düsseldorf Urt. v. 15.7.2021 – I-5 U 88/20, juris Rn. 67). Nur im Rückschluss daraus, dass die VO (EG) 715/2007 Abschalteinrichtungen grundsätzlich verbietet bzw. nur unter engen und in Bezug auf die Restreichweiten-Strategie nicht einschlägige Ausnahmen erlaubt, hat das KBA letztlich explizit die nur „formale“ Einstufung als unzulässige Abschalteinrichtung vorgenommen.
69Das nach der Softwarekonfiguration vorgesehene Eingreifen der Restreichweiten-Strategie bei einer Reagens-Restreichweite von nur noch 2.400 km und zusätzlich dynamischer Fahrweise musste vor diesem Hintergrund nicht als
70„Fehlfunktion“ ausgewiesen werden.
71(3)
72Soweit der Kläger hinsichtlich der Restreichweiten-Strategie auf die als Anlage K21 (eGA I-298 ff.) vorgelegte Anklageschrift der Staatsanwaltschaft München II verweist, ergeben sich auch aus dieser keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte gleichwohl von der Unzulässigkeit der Restreichweiten-Strategie ausging. Die vom Kläger in Bezug genommenen Ausführungen zur Motivation der Beklagten beziehen sich darauf, dass es für die Entwickler (insbesondere der Fahrzeuge Audi Q7 und VW Touareg) im Fokus Stand, eine AdBlue-Gesamtreichweite zu erzielen, die sich mit derjenigen des vorgeschriebenen Service-Intervalls deckte und dass deshalb beschlossen wurde, den AdBlue-Verbrauch über eine Softwarelösung generell auf 1 Liter pro 1.000 km zu deckeln.
73Bei der Restreichweiten-Strategie handelt es sich jedoch nicht um die Softwarelösung, die das erreicht. Vielmehr wird die AdBlue-Eindüsung nur auf den letzten 2.400 km unter bestimmter Voraussetzung (dynamische Fahrweise) eingeschränkt. Die vorbezeichneten Ausführungen zur Motivation der Beklagten erhellen die Gründe, aus denen die Beklagte die Restreichweiten-Strategie zum Einsatz brachte, daher nicht und bieten keinen Anlass für die Annahme, dass die Beklagte ihre Strategie für unzulässig hielt.
74b)
75Auch Ansprüche aus Vertrag, aus § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB scheiden
76– wie mit Beschluss vom 22.12.2022 ausgeführt – aus. Insoweit ergänzend:
77aa)
78§§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007, Art. 18 Abs. 1, Art.
7926 Abs. 1 und Art. 46 RL 2007/46 sind keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs.
802 BGB, deren Verletzung den geltend gemachten großen Schadensersatzanspruch trüge (vgl. auch OLG München Beschl. v. 1.7.2022 – 8 U 1671/22, juris Rn. 24 ff.).
81Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 22.12.2022 darauf hingewiesen, dass sich
82– der in der Rechtssache C-100/21 vertretenen Rechtsansicht des Generalanwalts A folgend – im Falle bestehender Schutzgesetzeigenschaft der vorgenannten Normen dennoch lediglich ein Anspruch auf den Ersatz eines Minderwerts ergäbe. Einen solchen macht der Kläger, der grundsätzlich an seinem Rückabwicklungsbegehren festhält und sich nach der Weiterveräußerung des Pkw – statt Zug um Zug Übergabe und Übereignung anzubieten – nunmehr den Weiterverkaufserlös anrechnen lässt, vorliegend jedoch gerade nicht geltend.
83Zwar hat der Bundesgerichtshof mit Pressemitteilung Nr. 160/2022 vom 10.11.2022 mitgeteilt, dass in der Revisionsverhandlung am 27.02.2023 (VIa ZR 335/21) - sofern bis dahin eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-100/21 vorliege - voraussichtlich Gelegenheit bestehen werde, die sich aus dieser Entscheidung ergebenden Folgerungen für das deutsche Haftungsrecht zu erörtern. Dies führt nach dem Vorstehenden aber nicht dazu, dass im konkreten Fall eine Aussetzung des Verfahrens analog § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof geboten wäre. Auch der Bundesgerichtshof hat das Verfahren C-100/21 gerade nach wie vor nicht zum Anlass für eine Aussetzung seines Verfahrens VIa ZR 335/21 genommen. Der aktuellen Pressemitteilung Nr. 29/2023 vom 13.02.2023 zufolge hat er lediglich erneut seinen Verhandlungstermin verlegt.
84bb)
85Die ausstehende EuGH-Entscheidung ist im konkreten Fall - soweit es um das Thermofenster geht - aber auch deshalb nicht vorgreiflich, weil es nicht darauf ankommt, ob eine oder mehrere der oben angeführten Normen drittschützend ist/sind, denn ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB setzt Verschulden voraus. Es bedarf zumindest einer fahrlässigen Schutzgesetzverletzung (§ 276 Abs. 1 und 2 BGB), welche der Kläger schlicht unterstellt. Für eine solche besteht aus den bereits mit Beschluss vom 22.12.2022 dargelegten Gründen bezogen auf das Thermofenster jedoch kein Anhaltspunkt.
III.
87Eine Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
88Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 Satz 2, § 711 Satz 1 und Satz 2, § 709 Satz 2 ZPO.
IV.
90Der Senat ist nicht gehindert, im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO zu entscheiden.
91Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Ferner erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats. Die maßgebenden Fragen sind solche des Einzelfalles. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Sache nach dem Vorstehenden insbesondere auch nicht im Hinblick auf die Frage nach der drittschützenden Wirkung unionsrechtlicher Vorschriften und das beim Europäischen Gerichtshof anhängige Verfahren C-100/21 zu. Denn der Senat hat zugunsten des Klägers eine vom Generalanwalt in seinen Schlussanträgen angenommene grundsätzliche Schutzwirkung der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 RL 2007/46 unterstellt und nur die Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB für großen Schadensersatz und – betreffend das Thermofenster – zusätzlich im Hinblick auf ein fehlendes Verschulden verneint.
92Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung verspricht sich der Senat angesichts dessen, dass es keiner weiteren Beweisaufnahme bedarf, keine neuen Erkenntnisse. Auch ansonsten erscheint eine mündliche Verhandlung nach einstimmigem Votum des Senats nicht geboten.