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Eine Einigungsgebühr gem. Nr. 1003 Abs. 2 RVG-VV kann auch in Kindschaftssachen gem. § 1666 BGB entstehen.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Arnsberg vom 16.02.2023 (23 F 49/21) wird zurückgewiesen.
Gründe:
2I.
3Die Beteiligte zu 1) wendet sich als Vertreterin der Landeskasse gegen den Ansatz einer Einigungsgebühr für den Beteiligten zu 2), der dem Kindesvater im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe in einem gem. § 1666 BGB von Amts wegen eingeleiteten Umgangs- und Sorgerechtsverfahren beigeordnet wurde.
4Das Jugendamt X regte in der Stellungnahme vom 14.01.2021 die Einleitung eines Verfahrens gem. § 1666 BGB unter Hinweis darauf an, die Kindeseltern seien uneinig über den Aufenthalt der gemeinsamen Kinder A und B. Es sei zu klären, ob ein Wechsel in den Haushalt des Kindesvaters zur Abwehr von Gefahren im Haushalt der Kindesmutter notwendig und geeignet sei. Das Amtsgericht leitete daraufhin zunächst ein Eilverfahren (23 F 17/21) und sodann das hiesige Hauptsacheverfahren (23 F 49/21) über die zukünftige Ausübung des Sorge- und Umgangsrechts ein und ordnete die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den Fragen an „Welche Sorgerechtsregelung dient dem Wohl der betroffenen Kinder am besten? Welche Umgangsregelung dient dem Kinderwohl am besten?“. Die Kindeseltern stellten im hiesigen Hauptsacheverfahren keine Anträge. Nach Einholung des Gutachtens schlossen die Kindeseltern im amtsgerichtlichen Termin vom 12.09.2022 einen Vergleich, in dem sie sich unter Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge darauf verständigten, dass A und B ihren Lebensmittelpunkt zukünftig beim Kindervater haben, in dessen Haushalt eine Familienhilfe installiert wird, und die Kindesmutter Umgangskontakte an jedem zweiten Wochenende, an jedem Montagnachmittag sowie in der Hälfte der Schulferien wahrnimmt. Diesen Vergleich billigte das Amtsgericht familiengerichtlich und setzte den Wert für das Verfahren und den Vergleich auf 8.000 € fest, womit das Verfahren beendet wurde.
5Am 13.09.2022 beantragte der Beteiligte zu 2) die Festsetzung seiner Vergütung gem. §§ 45, 49 RVG, und zwar unter Ansatz einer 1,0 Einigungsgebühr. Letztere versagte das Amtsgericht in der Vergütungsfestsetzung vom 18.01.2023 mit der Begründung, das Verfahren sei von Amts wegen gem. § 1666 BGB eingeleitet worden. In derartigen Verfahren könne eine Einigungsgebühr nicht entstehen. Dagegen legte der Beteiligte zu 2) mit Schriftsatz vom 26.01.2023 Erinnerung ein.
6Auf die Erinnerung hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 20.02.2023 in teilweiser Abänderung der Vergütungsfestsetzung vom 18.01.2023 eine Einigungsgebühr über den Vergleichswert von 8.000 € in Höhe von 377,23 € festgesetzt, weil nach der im Vordringen befindlichen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur auch in Kinderschutzverfahren eine Einigungsgebühr in Betracht komme.
7Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1). Sie ist unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Senats der Ansicht, dem Beteiligten zu 2) stehe keine Einigungsgebühr zu, da es sich um ein gem. § 1666 BGB eingeleitetes Kinderschutzverfahren handele, das nicht der Disposition der Beteiligten unterliege.
8II.
9Die gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde der Beteiligten zu1) hat in der Sache keinen Erfolg. Der Ansatz der Einigungsgebühr ist zu Recht erfolgt.
101.
11Der Senat schließt sich der nunmehr herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur an, wonach der Anfall einer Einigungsgebühr auch in Kinderschutzverfahren gem. § 1666 BGB in Betracht kommt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.06.2019, 16 WF 57/19; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.05.2021, 7 WF 33/21, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 01.07. 2021, 2 WF 46/21, juris; OLG Köln, Beschluss vom 24.01.2022, 14 WF 184/21, juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 05.01.2023, 13 WF 143/22, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 31.03.2023, 7 WF 74/23, juris; Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl. 2023, RVG VV 1003, Rn 11; Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, VV 1000, Rn 67; jurisPK-BGB/Schmidt, Stand 15.11.2022, Kostenrechtliche Hinweise zu § 1626 Rn 49; Riedel/Sußbauer/Schütz, RVG, 10. Aufl. 2015, VV 1003 Rn 7; Schulz/Hauß, Familienrecht, 3. Aufl. 2018, Schwerpunktbeitrag 9, Rn 41).
122.
13In gerichtlichen Verfahren über Kindschaftssachen kommt es für das Entstehen der Einigungsgebühr nicht darauf an, ob die Beteiligten über den Verfahrensgegenstand verfügen können oder nicht. Entscheidend ist gem. Nr. 1003 Abs. 2 VV RVG allein, ob die getroffene Vereinbarung eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich macht oder die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt.
14a)
15Der Wortlaut von Nr. 1003 Abs. 2 VV RVG steht dem Anfall einer Einigungsgebühr in Kinderschutzverfahren nach § 1666 BGB nicht entgegen.
16Nach Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VV RVG entsteht eine Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass die Beteiligten über den Verfahrensgegenstand verfügen können. Indes regeln Nr. 1000 Abs. 5 S. 2 VV RVG und Nr. 1003 Abs. 2 VV RVG für Kindschaftssachen ausdrücklich abweichend, dass eine Einigungsgebühr auch für die Mitwirkung an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, entstehen kann. Der Wortlaut der Normen differenziert nicht zwischen unterschiedlichen Sorgerechtsverfahren, sondern spricht allgemein von Kindschaftssachen, unter die auch Kinderschutzverfahren nach § 1666 BGB fallen. Soweit der Senat bisher die Auffassung vertreten hat, dass eine Einigungsgebühr allein für Vereinbarungen in Sorgerechtsverfahren nach § 1671 BGB entstehen kann, da einem gemeinsamen Elternvorschlag dort gem. § 1671 Abs. 1 S. 2 BGB besondere Bedeutung zukommt (vgl. Senat, Beschluss vom 07.06.2013, 6 WF 117/13, juris), hält der Senat hieran nicht mehr fest.
17b)
18Sinn und Zweck von Nr. 1000 Abs. 5 S. 2 VV RVG und Nr. 1003 Abs. 2 VV RVG sprechen gerade mit Blick auf die zunehmende Komplexität und Hochstrittigkeit von Sorgerechtsverfahren dafür, die Mitwirkung von Rechtsanwälten an einer Streit vermeidenden Einigung in allen Kindschaftssachen zu honorieren (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.06.2019, 16 WF 57/19, juris). Die Einigungsgebühr zielt darauf ab, „die streitvermeidende- oder beendende Tätigkeit des Rechtsanwalts weiter zu fördern und damit gerichtsentlastend zu wirken“ (vgl. BT-Drs 15/1971, 204). Durch die Einigungsgebühr soll der Rechtsanwalt für die Mehrbelastung und die erhöhte Verantwortung entlohnt werden, seinen Mandanten von einer gütlichen Beendigung des Verfahrens zu überzeugen (vgl. Riedel/Sußbauer/Schütz, RVG, 10. Aufl. 2015, VV 1000 Rn 2). Letzteres ist gerade in Kinderschutzverfahren von Bedeutung. Besteht mit den Kindeseltern Einigkeit über das weitere Vorgehen, können gerichtliche Maßnahmen zur Abwehr von Kindeswohlgefährdungen nicht nur überflüssig werden, es kann zudem –wenn erforderliche Maßnahmen konsensual vereinbart werden- unmittelbar zum Wohl des betroffenen Kindes mit den notwendigen Hilfestellungen begonnen werden. Wird hingegen gegen den Willen der Kindeseltern eine nicht akzeptierte gerichtliche Entscheidung getroffen, kann dies für die Dauer des Beschwerdeverfahrens zu einem Schwebezustand führen, der das betroffene Kind weiter belastet. Auch eine Entlastung der Gerichte tritt ein, selbst wenn eine der Vereinbarung inhaltlich entsprechende Entscheidung erforderlich wird. Zum einen nimmt bei einem zuvor erzielten Einvernehmen der Begründungsaufwand ab, zudem werden Rechtmittel vermieden (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 24.01.2022, 14 WF 184/21, juris).
19c)
20Der in Kinderschutzverfahren nach § 1666 BGB herrschende Amtsermittlungsgrundsatz, der stets eine gerichtliche Überprüfung der getroffenen Vereinbarung am Maßstab des Kindeswohls erforderlich macht, steht dem Anfall einer Einigungsgebühr nicht entgegen. Denn Nr. 1003 Abs. 2 VV RVG ordnet die Entstehung einer Einigungsgebühr ausdrücklich auch für die Mitwirkung am Abschluss eines Umgangsvergleichs im Sinne des § 156 Abs. 2 FamFG an, dem im Wege der gerichtlichen Billigung ebenfalls stets eine Kindeswohlprüfung vorausgeht. Selbst in Verfahren gem. § 1671 BGB, in denen einer Verständigung der Eltern gem. § 1671 Abs. 1 S. 2 BGB besondere Bedeutung zukommt, muss das Familiengericht zum Wohle des Kindes eine abweichende Regelung treffen, wenn dies aufgrund anderer Vorschriften, insbesondere zur Abwendung einer Gefährdung des Kindeswohls gem. § 1666 BGB, notwendig ist (§ 1671 Abs. 4 BGB).
21d)
22Gegen den Anfall einer Einigungsgebühr in Kinderschutzverfahren nach § 1666 BGB spricht schließlich auch nicht, dass Kinderschutzverfahren bei Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung wieder aufgenommen werden müssen. Sorgerechtsentscheidungen erwachsen grundsätzlich nicht in materielle Rechtskraft, da das Kindeswohl stets Vorrang vor der Endgültigkeit einer einmal getroffenen Entscheidung hat (so ausdrücklich BGH, Beschluss vom 28.05.1986, IVb ZB 36/84, juris).
233.
24Die von den Kindeseltern getroffene Vereinbarung, dass A und B ihren Lebensmittelpunkt beim Kindesvater haben und dieser mit der Installation einer Familienhilfe in seinem Haushalt einverstanden ist, ließen im hiesigen Verfahren eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich werden. Damit liegen die Voraussetzungen des Nr. 1003 Abs. 2 VV RVG für das Entstehen einer Einigungsgebühr vor.
254.
26Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 56 Abs. 2 RVG)