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Zur Verwertbarkeit von bei TKÜ-Maßnahmen erlangten Chat-Protokollen des Anbieters „SkyECC“.
Eine bevorstehende, aber schon jetzt deutlich absehbare Verfahrensverzögerung steht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer bereits eingetretenen Verfahrensverzögerung gleich. Erfordert die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts bzgl. einer Vielzahl von Taten die Auswertung von Chatprotokolle sowie Protokollen von Abhör- und Observationsmaßnahmen ist jedenfalls ein Zeitraum von gut einem Monat zwischen dem Ablauf der Stellungnahmefrist der Angeschuldigten zur erhobenen Anklage (§ 201 StPO) und dem avisierten Termin für die Fassung des Eröffnungsbeschlusses und etwa eines weiteren Monats bis zum beabsichtigten Beginn der Hauptverhandlung nicht zu beanstanden.
Die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus wird angeordnet.
Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.
Gründe:
2I.
3Die Angeschuldigten A, B und C wurden am 23.03.2022 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Köln vom 07.03.2022 festgenommen und befinden sich seit diesem Tag ohne Unterbrechung in Untersuchungshaft. Die Angeschuldigte D wurde ebenfalls am 23.03.2022 festgenommen und befindet sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom selben Tag in Untersuchungshaft.
4Mit den Haftbefehlen wird den Angeschuldigten folgendes zur Last gelegt:
5a) dem Angeschuldigten A
6in 28 Fällen unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 53 StGB), davon
7- in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Vertrieb und Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen (§§ 22 Abs. 1 S. 2, 27 Abs. 1, 40 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 a) SprengG, 52 StGB),
8- in einem weiteren Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb sowie Besitz von Munition (§§ 2 Abs. 2, 52 Abs. 3 Nr. 3 b) WaffG, 52 StGB),
9- in einem weiteren Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und Besitz von halbautomatischen Kurzwaffen (§§ 2 Abs. 2 , 52 Abs. 1 Nr. 2 b) WaffG, 52 StGB),
10- in einem weiteren Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit einer Schusswaffe sowie mit unerlaubtem Besitz einer Schusswaffe (§§ 2 Abs. 2, 52 Abs. 1 Nr. 2 c), Abs. 3 Nr. 2 a) WaffG, 52 StGB) sowie
11in zwei Fällen unerlaubter Erwerb und Besitz einer Schusswaffe (§§ 2 Abs. 2, 52 Abs. 3 Nr. 2 a) WaffG, 52, 53 StGB) und
12in drei Fällen unerlaubter Erwerb und Besitz halbautomatischer Kurzwaffen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und Besitz von Munition (§§ 2 Abs. 2, 52 Abs. 1 Nr. 2 b), Abs. 3 Nr. 2 b) WaffG, 52, 53 StGB);
13b) den Angeschuldigten A und C gemeinschaftlich
14in einem Fall unerlaubter Vertrieb in Tateinheit mit unerlaubtem Umgang mit
15explosionsgefährlichen Stoffen (§§ 22 Abs. 1 S. 2, 27 Abs. 1, 40 Abs. 1 Nr. 3,
16Nr. 3 a) SprengG, 25 Abs. 2, 52, 53 StGB) sowie
17in einem weiteren Fall unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§§ 29 a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, 25 Abs. 2, 27 Abs. 1, 52, 53 StGB);
18c) den Angeschuldigten A und B gemeinschaftlich
19in zwei Fällen unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§§ 29 a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, 25 Abs. 2, 27 Abs. 1, 52, 53 StGB);
20d) dem Angeschuldigten B
21in drei Fällen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§§ 29 a Abs. 1 Nr. 2, 27 Abs. 1, 53 StGB);
22e) der Angeschuldigten D
23Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§§ 29 a Abs. 1 Nr. 2, 27 Abs. 1, 52, 53 StGB) sowie
24unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 25 Abs. 2, 53 StGB).
25Die Haftbefehle sind auf den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) und bezüglich des Angeschuldigten A zusätzlich auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO) gestützt. Wegen der weiteren Einzelheiten der den Angeschuldigten zur Last gelegten Taten sowie der Gründe für das Vorliegen von Fluchtgefahr und Wiederholungsgefahr wird auf die Haftbefehle des Amtsgerichts Köln vom 07.03.2022 (Az. 501 Gs 547-549/22) und des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 23.03.2022 (Az. 326 Gs 15/22) Bezug genommen (SB OLG-Vorlage, Bl. 1 ff., Bl. 25 ff.).
26Mit Beschluss vom 30.03.2022 hat das Amtsgericht Gelsenkirchen u.a. bezüglich der Angeschuldigten D die Zuständigkeit für weitere gerichtliche Entscheidungen nach § 126 Abs. 1 S. 3 StPO auf das Amtsgericht Köln übertragen. Dieses hat am 15.08.2022 festgestellt, dass die Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft aus den Haftbefehlen über sechs Monate hinaus bezüglich aller Angeschuldigten weiter fortbestehen und die Akten gemäß §§ 121, 122 StPO dem Oberlandesgericht Köln zur Entscheidung vorgelegt. Auch seitens der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft Köln wurde die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft bei allen Angeschuldigten jeweils für erforderlich gehalten. Wegen der Begründung wird auf den Bericht der Staatsanwaltschaft Köln vom 29.08.2022 (Hauptakte Bd. VIII, Bl. 2221 ff.) und die Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Köln vom 08.09.2022 (SH OLG-Vorlage, Bl. 146 ff.) Bezug genommen. Mit Beschluss vom 28.09.2022 hat das Oberlandegericht Köln unter Verweis auf die Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Köln die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet und die weitere Haftprüfung gemäß § 122 Abs. 3 S. 3 StPO für die Dauer von drei Monaten dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.
27Nach Durchführung weiterer Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Köln am 18.11.2022 Anklage gegen die Angeschuldigten zum Landgericht Essen – große Strafkammer – erhoben. In der Anklageschrift werden den Angeschuldigten – jeweils unter teilweiser Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154 a StPO – zahlreiche Delikte zur Last gelegt, die teilweise von den Taten des Haftbefehls abweichen:
28Dem Angeschuldigten A wird das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 29 Fällen vorgeworfen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Umgang und Vertrieb explosionsgefährlicher Stoffe und in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und Besitz halbautomatischer Kurzwaffen. Ferner wird dem Angeschuldigten in vier weiteren Fällen der unerlaubte Erwerb und Besitz halbautomatischer Kurzwaffen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und Besitz von Munition, in zwei Fällen der Erwerb und Besitz von Schusswaffen, in einem Fall der unerlaubte Erwerb tatsächlicher Gewalt über Kriegskontrollwaffen in Tateinheit mit unerlaubtem Ausüben tatsächlicher Gewalt über Kriegswaffen und in einem Fall der unerlaubte Umgang und Vertrieb mit bzw. von Sprengstoff zur Last gelegt.
29Bezüglich des Vertriebs von Sprengstoff sowie einem Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wird dem Angeschuldigten C Beihilfe und in einem weiteren Fall der unerlaubte Erwerb und Besitz von halbautomatischen Kurzwaffen in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und Besitz verbotener Waffen vorgeworfen.
30Dem Angeschuldigten B legt die Anklageschrift Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zur Last; der Angeschuldigten D die Beihilfe in zwei Fällen.
31Darüber hinaus werden alle Angeschuldigten des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 23 Fällen beschuldigt, für die Angeschuldigten C und B in einem Fall in Tateinheit mit bewaffnetem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
32Wegen der Einzelheiten der den Angeschuldigten vorgeworfenen Taten wird auf die Anklageschrift vom 18.11.2022 Bezug genommen. Die Staatsanwaltschaft Köln hat u. a. beantragt, das Hauptverfahren vor dem Landgericht – große Strafkammer – in Essen zu eröffnen, die Haftbefehle nach Maßgabe der Anklageschrift neu zu fassen und Haftfortdauer zu beschließen.
33Am 30.11.2022 sind die Akten beim Landgericht Essen eingegangen. Am 01.12.2022 hat der Vorsitzende der zuständigen Strafkammer VI die Zustellung der Anklageschrift mit einer Stellungnahmefrist von zwei Wochen verfügt. Die Empfangsbekenntnisse der Verteidiger datieren vom 07.12.2022 (RA R), vom 08.12.2022 (RAin E, RA F und RA G) und vom 12.12.2022 (RA H).
34Mit Verfügung vom 06.12.2022 hat der Vorsitzende der Präsidentin des Landgerichts Essen die Überlastung der Strafkammer VI angezeigt. Zur Begründung führte er aus, dass bis zum 28.12.2022, dem nächsten Haftprüfungstermin, keine Vorbereitung oder Terminierung des Verfahrens möglich sei, da der Kammer bereits ein weiteres Umfangsverfahren mit zehn Angeklagten vorliege. Diese Verfahren und noch ein weiteres Haftverfahren würden die Kammer für Monate vollständig auslasten. Eine zeitnahe Bearbeitung eines weiteren umfangreichen Verfahrens sei daneben nicht möglich. Mit Verfügung vom 13.12.2022 übersandte der Vorsitzende die (Erst-) Papierakten der Staatsanwaltschaft Köln zur Weiterleitung an das Oberlandesgericht Hamm zur Entscheidung über die Fortdauer der Haft über neun Monate hinaus. Die Fertigung von Zweitakten sei aufgrund einer Überlastung der Kopierstelle nicht möglich. Gleichzeitig bat er um Übersendung etwaig dort vorhandener E-Akten zur weiteren Förderung des Verfahrens. Eine Haftfortdauerentscheidung sei vor Fristablauf nicht möglich.
35Am 20.12.2022 sind die Akten mit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Hamm vom selben Tag auf Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus beim Senat eingegangen. Auf entsprechende Anfrage des Senatsvorsitzenden teilte der Vorsitzende der Strafkammer VI des Landgerichts Essen mit Schreiben vom 23.12.2022 mit, dass bei zeitnahem Akteneingang bis Ende Januar 2023 über die Eröffnung des Verfahrens entschieden und ab dem 01.03.2023 an zwei bis drei Tagen in der Woche terminiert werden könne. Spätestens am 28.12.2022 lagen der Strafkammer die (Erst-) Papierakten wieder vor, nachdem die Staatsanwaltschaft Köln Kopien für die weitere Bearbeitung gefertigt hatte.
36Die Staatsanwaltschaft Köln und die Generalstaatsanwaltschaft Hamm halten die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus für alle Angeschuldigten für erforderlich.
37Die Angeschuldigten und ihre Verteidiger hatten Gelegenheit zur Stellungnahme, haben davon jedoch keinen Gebrauch gemacht.
38II.
39Die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft bezüglich der Angeschuldigten war auch über neun Monate hinaus anzuordnen, §§ 121 Abs. 1, 122 Abs. 4 S. 2 StPO. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer liegen für alle Angeschuldigten vor.
40Gegenstand der Haftprüfung sind die nach § 122 Abs. 1 StPO vorgelegten vollzogenen Haftbefehle und der darin geschilderte Lebenssachverhalt (BGH, Beschluss vom 07.12.2021 – AK 51/21 – juris Rn. 5; Beschluss vom 03.03.2021 – AK 13/21 – juris Rn. 4; Beschluss vom 28.07.2016 – AK 41/16 – juris Rn. 3 ff.). Da sich der Vorlage die Verkündung neuer Haftbefehle nicht entnehmen lässt, betrifft dies bei den Angeschuldigten A, C und B den Haftbefehl des Amtsgerichts Köln vom 07.03.2022 und bei der Angeschuldigten D den Haftbefehl des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 23.03.2022.
411.
42Die Angeschuldigten sind der ihnen in den vorgelegten und vollzogenen Haftbefehlen vorgeworfenen Taten nach Maßgabe der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Köln vom 18.11.2022 wie folgt dringend verdächtig:
43a)
44Hinsichtlich des Angeschuldigten A beschränkt sich der Senat vor dem Hintergrund des geltenden Beschleunigungsgrundsatzes und angesichts der Vielzahl und der Schwere der Tatvorwürfe auf die Feststellung, dass dieser jedenfalls der Begehung der Taten Fall 18 und 34-37 des Haftbefehls (entspricht den Taten Fall 16 und 33-36 der Anklageschrift) dringend verdächtig ist. Eine Aussage über die weiteren, dem Angeschuldigten zur Last gelegten Taten, ist damit ausdrücklich nicht verbunden.
45Es handelt sich um folgende Tatvorwürfe:
46- Fall 18 (= Fall 16 der Anklage): Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (1 kg Kokain) in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und Besitz von halbautomatischen Kurzwaffen gemäß §§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 52 Abs. 1 Nr. 2 a) WaffenG, 52 StGB;
47- Fall 34 ( = Fall 33 der Anklage): Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (1 kg Kokain) gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 BtMG;
48- Fall 35-37 (= Fall 34-36 der Anklage): jeweils Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (1 kg bzw. zwei Mal 2 kg Kokain) in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß §§ 29 a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, 25 Abs. 2, 27, 52 StGB.
49Der dringende Tatverdacht beruht hinsichtlich aller Taten insbesondere auf der Auswertung von Chats, die der Angeschuldigte unter Nutzung kryptierter Messenger- bzw. Telefondienste geführt hat. Diese wurden durch die Auswertung eines im Ursprungsverfahren der Staatsanwaltschaft Köln (Az. 240 Js 454/20) gegen den gesondert verfolgten I sichergestellten Mobiltelefons „Z“ und durch Europol übersandte Daten eines weiteren Anbieters „SkyEcc“ bekannt. Weitere Telekommunikations-, Observations- und Fahrzeuginnenraum- Überwachungsmaßnahmen in diesem Ermittlungsverfahren haben die daraus gewonnenen Erkenntnisse bestätigt. Hinsichtlich der Einzelheiten der Beweislage, insbesondere auch die Identifizierung der Angeschuldigten, nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft Köln im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in ihrer Anklageschrift vom 18.11.2022. Die relevanten Chatprotokolle und Maßnahmenberichte hat der Senat im Einzelnen eingesehen und überprüft. Umstände, die das bisherige Ermittlungsergebnis im vorgenannten Umfang in Frage stellen könnten, liegen nicht vor.
50Bedenken gegen die Verwertbarkeit der von den Jschen Behörden übermittelten Chat-Protokolle des Anbieters „ScyEcc“ bestehen nicht (so auch OLG Celle, Beschluss vom 15.11.2021 – 2 HEs 24 – 30/21 – juris Rn. 22 ff.). Für die über den kryptierten Nachrichtendienst „EncroChat“ versandten Daten hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass diese gemäß § 100 e Abs. 6 StPO in einem deutschen Strafverfahren verwertbar sind, wenn sie – wie hier – der Aufklärung schwerer Straftaten dienen (BGH, Beschluss vom 02.03.2022 – 5 StR 457/21 – juris Rn. 24 m.w.N.). Dies gilt auch für die Daten des Anbieters „SkyECC“. Auch diese wurden durch einen Jschen Anbieter übermittelt und stimmen in den wesentlichen Rahmenbedingungen ihrer Nutzung mit dem Anbieter „EncroChat“ überein (zu den Nutzungsfunktionen von ScyEcc vgl. Bd. VI Bl. 1920 der Hauptakte; OLG Celle, Beschluss vom 15.11.2021, a.a.O.).
51b)
52Der Angeschuldigte C ist der ihm im Haftbefehl zugrunde gelegten zwei Taten (Fälle 4 und 35 des Haftbefehls bzw. Fälle 4 und 34 der Anklageschrift) dringend verdächtig.
53Bezüglich der Tat Fall 4 des Haftbefehls ergibt sich dies aus dem Chat-Protokoll des bei dem gesondert verfolgten I sichergestellten und ausgewerteten Kryptotelefons „Z“ (SB Fallberichte Z Bl. 7 f.; SB Chatakte Z „W“ Bl. 2, „V“ Bl. 7 f.). Darin fragte I bei dem Angeschuldigten A am 24.01.2020 an, ob noch „Plastik“ da sei. Am 25.02.2020 bestätigte A, das nach seiner Rückkehr am 02.01.2020 „sofort“ welches da sei. Nach Klärung der Details fragt I am 08.02.2020 – nunmehr über die Kennung „V“ - : „Wann kann ich abholen“. A erwidert, dass er noch in Holland sei, woraufhin die Übergabe durch den „Kollegen“ von A vereinbart wird. Dass es sich hierbei um den Angeschuldigten C handelte, folgt daraus, dass A und I bereits am 17.01.2020 die Übergabe von Ware durch den „Kollegen“ vereinbart hatten, als A im Urlaub war. Dieser Kollege teilte damals über das Mobiltelefon von A mit, dass er erst noch seinen Sohn abholen müsse. Von den Angeschuldigten hat – neben A – der Angeschuldigte C einen Sohn (SB Chatakte Z „V“ S. 6; Hauptakte Bd. III Bl. 699). Aus dem Vorgenannten ergibt sich – entsprechend der Anklageschrift – jedenfalls ein dringender Tatverdacht der Beihilfe zum unerlaubten Vertrieb in Tateinheit mit unerlaubtem Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen gemäß §§ 22 Abs. 1 S. 2, 27 Abs. 1, 40 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 3 a) SprengG, 27 Abs. 1, 52 StGB.
54Bei der Tat Fall 35 des Haftbefehls besteht nach dem mit der Anklageschrift insoweit übereinstimmenden Lebenssachverhalt gegen den Angeschuldigten C der dringende Tatverdacht der (mittäterschaftlichen) Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2, 27, 52 StGB. Dieser folgt aus dem Chatverlauf „SkyEcc“ vom 20.11.2020 zwischen dem Angeschuldigten A und dem Nutzer „PHLUX2“ (SB Fallberichte Bl. 47 ff.; SB SkyEcc -Chats A Bl. 10 ff.). Danach könne „der Dicke“ von den von dem Kumpel in K gewünschten „3,4 Stück“ am Dienstag ein Stück abholen gehen. Dass es sich dabei um 1 kg Kokain handelte, ergibt sich aus dem weiteren Chatverlauf, insbesondere aus dem übersandten Lichtbild der Betäubungsmittel (Bl. 13). Der dringende Tatverdacht gegen den Angeschuldigten C folgt insoweit zum einen daraus, dass dieser nach dem Ergebnis der Ermittlungen den Spitznamen „der Dicke“ hatte (Bl. 200 der Anklageschrift). Zum anderen erklärte A ausweislich des Chatverlaufs (Bl. 15), dass „Panda“ und nicht „Jul“ das Kokain übergeben würde, was ebenfalls auf den Angeschuldigten C hinweist (Bl. 200, 203 der Anklageschrift).
55c)
56Der Angeschuldigte B ist jedenfalls zweier Taten des Haftbefehls (Fälle 36 und 37 des Haftbefehls bzw. Fälle 35 und 37 der Anklageschrift) dringend verdächtig. Aufgrund der Schwere dieser Tatvorwürfe hat sich der Senat bei der näheren Prüfung auf diese Fälle beschränkt. Bezüglich der Tat Nr. 22 des Haftbefehls ist allerdings darauf hinzuweisen, dass diese in der Anklageschrift dem Angeschuldigten C zugeschrieben wird.
57Im Fall 36 stützt sich der dringende Tatverdacht auf die Auswertung des Chatverlaufs zwischen dem Angeschuldigten A und dem Chatpartner „PHLUX2“ sowie dem von „PHLUX2“ eröffneten Gruppenchat (SB Fallberichte, SkyEcc, Bl. 7 ff.; SB SkyEcc -Chats A, Abschnitt 22 _PHLUX2 Bl. 29 ff.; Abschnitt 35_PHLUX2 (Chatgruppe) Bl. 1 ff.). Daraus ergibt sich, dass der Angeschuldigte A mit „PHLUX“ und weiteren Teilnehmern die Modalitäten und den Ablauf des Transports von 2 kg Kokain von L in den Niederlanden nach Deutschland geplant und durchgeführt hat. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft Köln im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in ihrer Anklageschrift vom 18.11.2022 (dort Bl. 208 ff.). Im Fall 37 weisen die Chats zwischen A und „PHLUX“ und weiteren Chatpartnern auf den Transport von 2 kg Kokain von M in den Niederlanden nach N in die Schweiz hin (SB Fallberichte, SkyEcc, Bl. 55 ff.; SB SkyEcc-Chats A, Abschnitt 22 _PHLUX2 Bl. 68 ff.). Die relevanten Chatprotokolle und Auswertungsberichte hat der Senat im Einzelnen eingesehen und überprüft. Umstände, die das bisherige Ermittlungsergebnis in Frage stellen könnten, liegen nicht vor.
58Der dringende Tatverdacht bezüglich der Beteiligung und Rolle des Angeschuldigten B bei den Taten stützt sich auf die im Rahmen diese Ermittlungsverfahrens durchgeführten Observations-, Telekommunikations- und akustischen Innenraumüberwachungsmaßnahmen sowie die Auswertung von Chatprotokollen, aus denen sich ein fester Modus Operandi der Angeschuldigten ableiten lässt. Aus den GPS-Standortdaten der überwachten Fahrzeuge PKW Kfz01 (amtl. Kennzeichen Kz01), Kfz02 (amtl. Kennzeichen Kz02) und Kfz03 (amtl. Kennzeichen Kz03) sollen sich im Überwachungszeitraum eine Vielzahl von Fahrten in die Niederlande ergeben, bei denen – deliktstypisch – jeweils kurze Stopps am Zielort festgestellt wurden (Vermerk vom 05.08.2022, SB „GPS“, Bl. 2 ff.; Vermerk vom 28.10.2021, Hauptakte Bd. 2, Bl. 371 ff.). Die Auswertung der Standortdaten der Telekommunikationsüberwachung der Angeschuldigten sowie die durchgeführte Überwachung der Fahrzeuginnenräume legen nahe, dass der Beschuldigte B dabei jeweils für den Transport der Betäubungsmittel von den Niederlanden nach Deutschland und für den weiteren Transport z. B. in die Schweiz zuständig war (Vermerk vom 26.08.2022, SB Auswertung TKÜ Bl. 14 ff.; Vermerk vom 08.07.2022, SB Auswertung IRÜ, Bd. 1 Bl. 103 ff.; ) Bestätigt wird dies durch die Auswertung der Protokolle von Chats zwischen dem Angeschuldigten A und dem gesondert verfolgten I über Z. Darin erklärte A: „Ich habe Fahrer“ und „Würde nie selbst fahren“ (SB Chatakte Z, „V“ Bl. 24). Bezüglich der Einzelheiten der Beweislage wird auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift vom 18.11.2022 Bezug genommen (dort Bl. 140 ff, 146 ff., 164 f., 200 ff.).
59d)
60Die Angeschuldigte D ist der ihr im Haftbefehl vom 23.03.2022 zur Last gelegten zwei Taten (Fall 56 der Anklageschrift) dringend verdächtig.
61Der dringende Tatverdacht ergibt sich zunächst aus den Erkenntnissen der Durchsuchung am 23.03.2022. Hierbei wurden unter anderem in dem Appartment Nr. 00 an der Anschrift Ostraße 00 in P in einer roten Reisetasche mehrere Stücke bzw. Teilstücke von Kokainpressplatten und zwei Beutel mit Marihuana sichergestellt (Durchsuchungsbericht vom 30.03.2022, SB Durchsuchung Band I Bl. 3 ff.). Ausweislich der kriminaltechnischen Untersuchung handelte es sich um weit mehr als 500 g Marihuana mit einem durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von 13 % THC und weit mehr als 500 g Kokain mit einem durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von 83 % Cocainhydrochlorid, sodass sich der dringende Tatverdacht bezüglich der im Haftbefehl angenommenen Mindestmengen erhärtet hat (Behördengutachten des BKA vom 05.09.2022, SB „Gutachten“, Bd. 1, Abschnitt Objekt 6 Bl. 43 ff.).
62Die Angeschuldigte D wurde im Rahmen der Durchsuchung gemeinsam mit ihrer Schwester, der gesondert verfolgten Q, im Objekt angetroffen. Soweit sich die Angeschuldigte dahingehend eingelassen hat, dass sie und ihre Schwester in dem Objekt als Putzkräfte tätig seien, erscheint dies angesichts der weiteren Ermittlungen, insbesondere der durchgeführten Observationsmaßnahmen und der Auswertung der Fahrzeuginnenraumüberwachung, zweifelhaft. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die nachvollziehbaren Ausführungen der Staatsanwaltschaft Köln im wesentlichen Ergebnis der Anklageschrift vom 18.11.2022 (dort Bl. 126 f.; 118 f.; 203 ff.).
632.
64Bezüglich der Angeschuldigten liegt auch jeweils der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO vor.
65Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO ist anzunehmen, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich ein Beschuldigter dem Strafverfahren entzieht, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (statt vieler Schmitt, in: Meyer-Goßner, 64. Aufl. 2022, § 112 StPO Rn. 17). Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die in dem Strafverfahren zu erwartenden Rechtsfolgen. Zwar ist die Straferwartung nur Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass die Annahme gerechtfertigt ist, der Beschuldigte werde ihm wahrscheinlich nachgeben und flüchtig werden. Je größer die Straferwartung jedoch ist, desto weniger Gewicht ist auf weitere Umstände zu legen. Bei einer besonders hohen Straferwartung ist daher lediglich zu prüfen, ob Umstände vorhanden sind, die die hieraus abzuleitende Fluchtgefahr ausräumen können (Schmitt, in: Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 24, 25).
66a)
67Vorliegend müssen die Angeschuldigten allein schon angesichts der ihnen zur Last gelegten, in diesem Beschluss genannten Taten jeweils mit sehr hohen, zu verbüßenden Freiheitsstrafen rechnen.
68Dem Angeschuldigten A wird eine Vielzahl schwerer Betäubungsmittelstraftaten zur Last gelegt. Bereits bei den dieser Entscheidung zugrunde gelegten Taten soll die Grenze der nicht geringen Menge harter Drogen (Kokain) jeweils um ein Vielfaches überschritten sein. Das konspirative und professionelle Vorgehen unter Nutzung neuester Technik sowie der Umgang mit großen Mengen Betäubungsmitteln und mit Waffen lässt auf eine hohe kriminelle Energie und gefestigte Verbindungen in kriminelles Milieu schließen, die bis ins Ausland reichen. Der Angeschuldigte A ist überdies mehrfach vorbestraft, hat bereits Strafhaft verbüßt und stand bis zum 10.05.2020 unter laufender Bewährung. Angesichts des Umfangs der dem Angeschuldigten A zur Last gelegten Betäubungsmittel- und Waffendelikte ist davon auszugehen, dass er über nicht unerhebliche Vermögenswerte verfügt, die ihm auch kurzfristig Liquidität zu Fluchtzwecken verschaffen können.
69Der Angeschuldigte C ist – neben dem Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz – der mittäterschaftlich begangenen Einfuhr von 1 kg Kokain dringend verdächtig. Auch er soll eng in das kriminelle Netzwerk eingebunden, konspirativ unter Zuhilfenahme von Verschlüsselungstechnik vorgegangen sein und ist – wenngleich nicht einschlägig – bereits mehrfach vorbestraft, wobei auch Freiheitsstrafen verhängt wurden.
70Auch bezüglich des Angeschuldigten B besteht eine hohe Straferwartung. Zwar ist er strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten. Im Rahmen der ihm hier zur Last gelegten Taten soll er jedoch mit 2 kg Kokain jeweils erhebliche Mengen harter Drogen in die Bundesrepublik eingeführt haben, die die Grenze der nicht geringen Menge um ein Vielfaches überschreiten. Auch er soll Teil des professionellen Netzwerks der weiteren Angeschuldigten gewesen sein.
71Die Angeschuldigte D ist dringend verdächtig, u.a. Kokain als harte Droge in einem Umfang besessen zu haben, der die Grenze zur nicht geringen Menge um ein Vielfaches überschreitet. Die Angeschuldigte D soll die Lebensgefährtin des Angeschuldigten A gewesen sein und mit diesem zusammengelebt haben. Sie war für die Übergabe von Betäubungsmitteln in der gemeinsamen Wohnung zuständig und damit ebenfalls Teil der professionellen, kriminellen Strukturen um den Angeschuldigten A. Auch wenn die Angeschuldigte strafrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten ist, droht ihr damit eine empfindliche Haftstrafe, die voraussichtlich nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
72b)
73Dem sich aus der Straferwartung von mehreren Jahren Freiheitsstrafe für die Angeschuldigten ergebenden, äußerst hohen Fluchtanreiz stehen keine sonstigen Umstände, wie z.B. besonders tragfähige soziale Bindungen in Deutschland, gegenüber. Zu den Lebensumständen der Angeschuldigten nimmt der Senat Bezug auf die umfassenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Köln in der Antragsschrift vom 08.09.2022 im Rahmen der Vorlage nach §§ 121, 122 StPO zum Oberlandesgericht Köln (SH OLG-Vorlage, Bl. 146 ff.) und das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift vom 18.11.2022 (dort Bl. 108 ff.). Wesentliche neue Umstände haben sich seit dem nicht ergeben. Angesichts der zu erwartenden sehr hohen Freiheitsstrafen ist daher damit zu rechnen, dass die Angeschuldigten sich der weiteren Durchführung des Verfahrens durch sofortige Flucht in das Ausland bzw. ihr Heimatland entziehen werden, sollten sie auf freien Fuß gelangen.
74Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob bei dem Angeklagten A überdies der – subsidiäre – Haftgrund der Wiederholungsgefahr vorliegt.
75c)
76Dem für die Angeschuldigten bestehenden erheblichen Fluchtanreiz kann nur durch den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft begegnet werden. Mildere Mittel im Sinne des § 116 StPO sind nicht ersichtlich und können bei der derzeitigen Sachlage auch nicht ansatzweise in Erwägung gezogen werden.
773.
78Die besonderen Voraussetzungen der §§ 121, 122 Abs. 4 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus sind gleichfalls gegeben.
79Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Köln vom 08.09.2022 (SH OLG-Vorlage, Bl. 146) nebst ergänzender Stellungnahme vom 06.10.2022 (SH OLG-Vorlage Bl. 198 ff.) sowie die Ausführungen in dem Vorlagebericht der Staatsanwaltschaft Köln vom 13.12.2022 (SH OLG-Vorlage Bl. 228 ff.). Es handelt sich um ein Umfangsverfahren aus dem Bereich der organisierten Betäubungsmittelkriminalität. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen. Angesichts der Menge an Straftaten, der Zahl der beteiligten Personen und der Vielzahl der Überwachungsmaßnahmen waren äußerst umfangreiche, sehr zeit- und personenintensive Ermittlungen durchzuführen und deren Ergebnisse auszuwerten. Eine Verletzung des in Haftsachen geltenden besonderen Beschleunigungsgrundsatzes ist nicht feststellbar. Seitens der Staatsanwaltschaft Köln ist das Verfahren vielmehr, insbesondere auch nach der Entscheidung über die Haftfortdauer durch das Oberlandesgericht Köln, äußerst zügig und ohne Verzögerung betrieben worden. Nach Auswertung des umfangreichen Beweismaterials, insbesondere auch zur Organisationsstruktur der Angeklagten bezüglich der in den Haftbefehlen aufgeführten Taten, wurde zeitnah am 18.11.2022 Anklage erhoben.
80Auch die weitere Sachbehandlung durch die Strafkammer VI des Landgerichts Essen ist nicht zu beanstanden. Das Verfahren ist am 30.11.2022 beim Landgericht eingegangen. Bereits am 01.12.2022 wurde die Zustellung der Anklage an die Angeschuldigten und ihre Verteidiger nach § 201 StPO verfügt. Angesichts des umfangreichen Verfahrens ist den Angeschuldigten bzw. den Verteidigern eine Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt worden. Soweit der Strafkammervorsitzende der Präsidentin des Landgerichts Essen die Überlastung der Strafkammer VI angezeigt und mitgeteilt hat, dass anderweitige Haftverfahren die Kammer für Monate vollständig auslasten würden, hat er auf Anfrage des Senats mit Schreiben vom 23.12.2022 klargestellt, dass (bei zeitnahem Wiedereingang der Akten) bis Ende Januar 2023 über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und ab dem 01.03.2023 an zwei bis drei Tagen die Woche terminiert werden könne. Vor diesem Hintergrund hat der Senat keine Veranlassung zur Beanstandung, etwa weil schon jetzt absehbar wäre, dass der Beschleunigungsgrundsatz im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht gewahrt werden würde. Eine bevorstehende, aber schon jetzt deutlich absehbare Verfahrensverzögerung steht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer bereits eingetretenen Verfahrensverzögerung gleich (vgl. etwa: BVerfG, Beschl. v. 01.04.2020 – 2 BvR 225/20 = BeckRS 2020, 5355 m.w.N.). Angesichts der Vielzahl der Taten und der Schwierigkeit des Tatnachweises über Chatprotokolle sowie Protokollen von Abhör- und Observationsmaßnahmen ist der Zeitraum zwischen dem Ablauf der Stellungnahmefristen zur Anklageschrift (die letzte Stellungnahmefrist endete am 27.12.2022) und der avisierten Eröffnungsentscheidung bis Ende Januar 2023, selbst wenn die Strafkammer keine weiteren Verfahren zu verhandeln hätte und trotz der hervorragenden Aufarbeitung des Falles durch die Staatsanwaltschaft, keineswegs zu lang bemessen. Unter Berücksichtigung der genannten Umstände, lässt sich vielmehr eine sorgfältige und verantwortliche Eröffnungsentscheidung schneller kaum treffen.
81Da zu diesem Zeitpunkt die Stellungnahmefristen der Angeschuldigten bzw. der Verteidiger zu der Anklageschrift gerade erst abgelaufen waren, ist es auch unschädlich, dass die Papierakten erst (wieder) am 28.12.2022 bei der Strafkammer vorlagen. Eine Verzögerung ist dadurch nicht eingetreten.
82Auch der Zeitraum zwischen avisierter Eröffnungsentscheidung und avisiertem Beginn der Hauptverhandlung ist mit deutlich weniger als drei Monaten nicht zu beanstanden. Trotz der erforderlich werdenden Terminsabstimmung mit einer nicht geringen Zahl von Verteidigern ist der angedachte Zeitraum für den Beginn der Hauptverhandlung auch nicht unrealistisch.
835.
84Der andauernde Vollzug der Untersuchungshaft steht nach Abwägung zwischen den Freiheitsgrundrechten der Angeschuldigten einerseits und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits auch nicht zu der Bedeutung der Sache und den zu erwartenden Strafen außer Verhältnis, § 120 Abs. 1 S. 1 StPO. Zwar verkennt der Senat nicht, dass der Freiheitsanspruch der Angeschuldigten mit der Dauer der Untersuchungshaft an Gewicht zunimmt (BGH, Beschluss vom 07.12.2021 – AK 51/21 – juris Rn. 12; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt § 121 Rn. 1). Hier sind die Angeschuldigten bereits seit über neun Monaten in Haft. Angesichts der dargestellten Umstände, insbesondere der Schwere der den Angeschuldigten vorgeworfenen Straftaten und dem Ermittlungsaufwand, ist die Fortsetzung der Untersuchungshaft jedoch bei allen Angeschuldigten verhältnismäßig.
85III.
86Die Nebenentscheidungen folgen aus § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.