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1.
Der Einwand der Verwirkung des Unterhaltsanspruchs gem. § 1611 BGB steht dem Auskunftsanspruch regelmäßig nicht entgegen, da die Beurteilung, ob und in welchem Umfang der Unterhaltsanspruch verwirkt ist, sich ohne Kenntnis der maßgeblichen Einkünfte nicht beurteilen lässt und sachgerecht hierrüber erst befunden werden kann, wenn die Höhe des Unterhaltsanspruchs festgestellt ist.
2.
Eine Verwirkung des Anspruchs auf rückständigen Elternunterhalt kommt nach allgemeinen Grundsätzen gemäß § 242 BGB in Betracht, wenn der Berechtigte den Anspruch längere Zeit nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment), obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (Umstandsmoment).
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der am 04.08.2022 verkündete Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Siegen abgeändert.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, Auskunft zu erteilen, durch die Vorlage einer schriftlichen systematischen Aufstellung
a)
über sein gesamtes Einkommen aus selbständiger Tätigkeit in der Zeit vom 01.01.2018 bis 31.12.2021 und durch Vorlage entsprechender Unterlagen die Auskunft zu belegen.
Die Belegpflicht umfasst,
- die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit unter Vorlage
der Bilanzen 2018, 2019, 2020 und 2021 nebst Gewinn- und Verlustrechnungen, bzw. der Einnahmen- / Überschussrechnungen
Steuererklärungen 2018, 2019, 2020 und 2021
Steuerbescheide 2018, 2019, 2020 und 2021
- Einkünfte aus Beteiligungen unter Vorlage der Jahresabschlüsse sowie der jeweiligen Feststellungsbescheide 2018, 2019, 2020 und 2021
b)
über sein gesamtes sonstiges Einkommen in der Zeit vom 01.01.2018 bis 31.12.2021 und durch die Vorlage entsprechender Unterlagen die Auskunft zu belegen.
Die Belegpflicht umfasst,
das monatliche Bruttoeinkommen aus unselbständiger Tätigkeit einschließlich aller einmaliger Leistungen, Spesen, Sachbezüge unter Vorlage der Gehaltsabrechnungen
- Einkünfte aus Steuererstattungen unter Vorlage der Steuererklärungen sowie der Steuerbescheide,
- Einkünfte aus Kapitalvermögen unter Vorlage der Bankbescheinigungen, insbesondere aus Aktienfonds, Sparvermögen etc.
- Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unter Vorlage der Mietverträge
- sowie alle sonstigen Einkünfte.
Im Übrigen wird der angegriffene Beschluss aufgehoben und hinsichtlich der weiteren Stufenanträge zu erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
2A.
3Die am 00.00.1953 geborene Mutter des Antragsgegners zog im Jahre 2017 in das Pflegeheim der U. GmbH in A., dessen teilweise ungedeckten Kosten seit dem 01.02.2017 nach Darstellung des Antragstellers von ihm getragen werden.
4Eine Rechtswahrungsanzeige mit Auskunftsverlangen seitens des Antragstellers erfolgte gegenüber dem Antragsgegner jedenfalls im Mai 2017. Der Antragsgegner lehnte eine Auskunft unter Hinweis auf § 1611 BGB ab. Einem erneuten Auskunftsverlangen im Februar 2018 widersprach er.
5Mit Schreiben vom 02.05.2018 bezifferte der Antragsteller sein Unterhaltsverlangen, nachdem er über das Finanzamt die zu versteuernden Einkünfte des Antragsgegners ermittelt hatte. Aus den Steuerunterlagen ermittelte der Antragsteller einen Unterhaltsanspruch der Mutter i.H.v. monatlich 10.114,00 €, da die Mutter aber nur Hilfe zur Pflege in einer Einrichtung i.H.v. 1.917,15 € erhalte, sei dieser Betrag maximal zu leisten. Für den Zeitraum vom 01.04.2017 bis zum 31.05.2018 forderte der Antragsteller eine Nachzahlung i.H.v. 25.858,77 €.
6Der Antragsgegner, der zu dieser Zeit in K. wohnte, lehnte eine Zahlung unter Hinweis auf eine unzulässige Nutzung der Finanzamtsdaten noch im gleichen Monat ab. Eine weitere Korrespondenz erfolgte nachfolgend nicht.
7Mit am 31.12.2021 um 23:06 Uhr eingegangener Antragschrift erhob der Antragsteller vor dem Amtsgericht Hamm Auskunftsstufenantrag für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis 31.12.2021. Nachdem die Antragschrift unter der früheren Adresse des Antragsgegners in K. am 12.01.2022 nicht zugestellt werden konnte, ermittelte das Familiengericht durch Anfrage beim Einwohnermeldeamt eine neue Anschrift in W. und versuchte die Antragschrift dort zuzustellen. Da der Antragsgegner zu diesem Zeitpunkt bereits nach L. verzogen war, berichtigte der zuständige Postbote am 19.01.2021 die Adresse, woraufhin die Zustellung am 20.01.2022 in L. erfolgte. Das Verfahren wurde dann auf Antrag beider Beteiligter an das Amtsgericht Siegen zuständigkeitshalber verwiesen.
8Der Antragsteller hat die Ansicht vertreten, der geltend gemachte Auskunftsstufenantrag stehe ihm zu, auch wenn der Antragsgegner sich auf Verwirkung berufe.
9Im Termin am 04.08.2022 hat der Antragsteller den Antrag zu 1), gerichtet auf Auskunft für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2021, geltend gemacht.
10Er hat beantragt,
11den Antragsgegner zu verpflichten, Auskunft zu erteilen, durch die Vorlage einer schriftlichen systematischen Aufstellung
12a) über sein gesamtes Einkommen aus selbständiger Tätigkeit in der Zeit vom 01.01.2017 bis 31.12.2021 und durch Vorlage entsprechender Unterlagen die Auskunft zu belegen.
13Die Belegpflicht umfasst,
14die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit unter Vorlage
16der Bilanzen 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021 nebst Gewinn- und Verlustrechnungen, bzw. der Einnahmen- / Überschussrechnungen
Steuererklärungen 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021
Steuerbescheide 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021
Einkünfte aus Beteiligungen unter Vorlage der Jahresabschlüsse sowie der jeweiligen Feststellungsbescheide 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021
b) über sein gesamtes sonstiges Einkommen in der Zeit vom 01.04.2017 bis 31.12.2021 und durch die Vorlage entsprechender Unterlagen die Auskunft zu belegen.
22Die Belegpflicht umfasst,
23das monatliche Bruttoeinkommen aus unselbständiger Tätigkeit einschließlich aller einmaliger Leistungen, Spesen, Sachbezüge unter Vorlage der Gehaltsabrechnungen
Einkünfte aus Steuererstattungen unter Vorlage der Steuererklärungen sowie der Steuerbescheide,
Einkünfte aus Kapitalvermögen unter Vorlage der Bankbescheinigungen, insbesondere aus Aktienfonds, Sparvermögen etc.
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unter Vorlage der Mietverträge
sowie alle sonstigen Einkünfte.
Der Antragsgegner hat beantragt,
30den Antrag insgesamt zurückzuweisen.
31Er hat die Ansicht vertreten, der Unterhaltsanspruch sei aus zweierlei Gründen verwirkt.
32Zum einen nach § 1611 BGB, da die Mutter ihre eigene Unterhaltspflicht ihm gegenüber gröblich vernachlässigt und sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung ihm gegenüber schuldig gemacht habe. Hierzu hat er unter Bezugnahme auf ein Schreiben seines Vaters behauptet, dass die Mutter, die unstreitig an einer psychischen Krankheit leidet, ihn und seine Geschwister vernachlässigt habe und ihnen gegenüber auch gewalttätig geworden sei. Dies sei auch der Grund für die Scheidung der Eltern im Dezember 1982 gewesen. Er habe seit dem 5. Lebensjahr in einer Pflegefamilie gelebt und seine Mutter habe zu keiner Zeit Unterhaltszahlungen erbracht.
33Zum anderen nach § 242 BGB, da er nach der langen Zeit der Untätigkeit des Antragstellers nicht mehr mit einer Inanspruchnahme habe rechnen müssen und auch nicht im Hinblick auf die Erklärungen seines jetzigen Verfahrensbevollmächtigten gerechnet habe. Zudem sei der Anspruch teilweise verjährt.
34Nach Zustellung der Terminsladung für den 04.08.2022 beim Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 23.05.2022 reichte dieser am 04.08.2022 um 8:36 Uhr noch eine Stellungnahme zur Klageerwiderung, insbesondere zu den beiden Einwänden der Verwirkung ein. Der Antragsgegner hat sich insoweit auf Verspätung berufen.
35Das Familiengericht hat mit dem angegriffenen Beschluss den gesamten Auskunftsstufenantrag abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Stufenantrag sei unbegründet, da der Unterhaltsanspruch insgesamt gem. § 1611 BGB verwirkt sei. Hiervon sei nach dem unwidersprochenen Vortrag des Antragsgegners auszugehen. Der Schriftsatz vom 04.08.2022 sei als verspätet zurückzuweisen und daher unbeachtlich.
36Auf die Frage, ob der Anspruch auch nach § 242 BGB verwirkt sei, komme es daher nicht an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung Bezug genommen.
37Gegen den am 08.09.2022 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner am Montag, dem 10.10.2022 eingegangenen Beschwerde, die er nach Fristverlängerung bis zum 08.12.2022 mit am gleichen Tag eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
38Mit seiner Beschwerde verfolgt er seinen erstinstanzlichen Auskunftsantrag für die Zeit vom 01.01.2018 bis zum 31.12.2021 weiter.
39Er ist der Auffassung, die Annahme des Familiengerichts, der Auskunftsanspruch bestehe nicht, weil der Unterhaltsanspruch nach § 1611 BGB verwirkt sei, sei rechtsirrig. Denn der Verwirkungseinwand stehe wegen der gebotenen Gesamtabwägung dem Auskunftsanspruch nicht entgegen. Zudem sei der Vortrag des Antragsgegners lediglich pauschal und für den Antragsteller nicht einlassungsfähig gewesen. Aufgrund dessen hätte das Familiengericht den Schriftsatz vom 04.08.2022, jedenfalls in Bezug auf die Rechtsausführungen berücksichtigen müssen. Zudem ist er der Ansicht, die Entscheidung beruhe auf einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör. Hierzu behauptet er, im Termin sei lediglich die Verwirkung nach § 242 BGB, nicht aber nach § 1611 BGB erörtert worden, weshalb die Entscheidung eine Überraschungsentscheidung sei. Auch eine zeitliche Verwirkung läge nicht vor.
40Der Antragsteller beantragt,
41wie erkannt.
42Der Antragsgegner beantragt,
43die Beschwerde zurückzuweisen.
44Er verteidigt die angegriffene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages. Er ist der Auffassung, ein Unterhaltsanspruch für die Jahre 2017 und 2018 sei verjährt, im Übrigen wegen § 1611 BGB und wegen Zeitablaufs verwirkt. Dies gelte auch für zukünftige Ansprüche, da die Rechtswahrungsanzeige aus dem Jahre 2017 nicht mehr Geltung beanspruchen könne und eine neue Anzeige seitens des Antragstellers nicht erfolgt sei. Außerdem sei der Auskunftsanspruch zu weit gefasst, da er mehr als 3 Jahre umfasse.
45Mit seinen Einwänden gegen § 1611 BGB sei der Antragsteller präkludiert. Jedenfalls aber würde der Anspruchsübergang aus den zu § 1611 BGB genannten Gründen eine unbillige Härte nach § 94 SGB XII darstellen, weshalb auch ein Auskunftsanspruch entfalle. Unabhängig davon bestreitet er, dass der Antragsteller überhaupt noch Leistungen für die Mutter erbringt.
46Der Senat hat die Beteiligten angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom 27.07.2023 und den Berichterstattervermerk Bezug genommen.
47B.
48Die zulässige Beschwerde ist in der Sache begründet. Denn dem Antragsteller steht der nunmehr noch geltend gemachte Auskunftsanspruch für die Zeit ab 2018, der Anspruch für 2017 ist offensichtlich verjährt und wird nicht mehr geltend gemacht, entgegen der Auffassung des Familiengerichts zu. Im Hinblick auf die erfolgte vollständige Abweisung des Stufenantrags durch das Familiengericht war der Beschluss aufzuheben und die Sache, insbesondere hinsichtlich des Zahlungsantrages, an das Amtsgericht gem. den §§ 117 Abs. 1 S. 2 FamFG, 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO analog (vgl. BGH NJW 2006, 2626; BeckOK ZPO/Wulf, Stand: 01.07.2023, § 538 Rn. 24) zurückzuverweisen.
49I.Der Antragsteller ist Inhaber des Auskunftsanspruchs nach § 1605 BGB gegen den Antragsgegner.
501.Denn der unstreitig dem Grunde nach bestehende Unterhaltsanspruch der Mutter des Antragsgegners gegen diesen ist gem. § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII in der bis zum 31.12.2019 und auch in der danach geltenden Fassung ab 2020 auf den Antragsteller übergegangen, was zugleich nach dem Wortlaut auch den Auskunftsanspruch betrifft.
51Soweit der Antragsgegner den Anspruchsübergang ausdrücklich unter Hinweis darauf bestritten hat, dass keine Belege hinsichtlich der Leistungen und der Leistungshöhe vorgelegt worden sind, war dieses Bestreiten, das bereits in der Beschwerdeerwiderung erfolgte, weder verspätet noch unsubstantiiert. Der Antragstellervertreter hatte nämlich ausreichend Zeit, hierzu Stellung zu nehmen. Dass er dies nicht tat und erst kurz vor dem Senatstermin auf die Beschwerdeerwiderung schriftsätzlich reagiert hat, ist vom Senat nur deshalb nicht zu Lasten des Antragstellers berücksichtigt worden, da der Antragstellervertreter im Senatstermin die vom Antragsteller gegenüber der Mutter des Antragsgegners erklärte Kostenübernahmezusicherung vom 29.03.2017 als Urkunde vorlegen konnte. Da die Mutter unstreitig im Heim lebt, was der Antragsgegner im Rahmen seiner Anhörung ebenfalls gegenüber dem Senat bestätigt hat, ist aus Sicht des Senats nunmehr substantiiert dargelegt, dass der Antragsteller für die Mutter des Antragsgegners seit dem 01.02.2017 Hilfe zur Pflege in Einrichtungen gem. § 61 SGB XII leistet. Für den geltend gemachten Auskunftsanspruch ist dieser Vortrag ausreichend, da die Höhe der konkreten Zahlungen im Rahmen des Zahlanspruchs zu klären sind. Etwas anderes würde nur gelten, wenn diese Hilfe im Rahmen des Auskunftszeitraums vollständig entfallen wäre, was aber auch nach dem Vortrag des Antragsgegners nicht der Fall ist. Soweit die Mutter des Antragstellers nach der Kostenübernahmezusicherung das Heim gewechselt haben sollte, wie vom Antragsgegner im Rahmen der mündlichen Verhandlung behauptet, ändert dies nichts daran, dass die Mutter des Antragstellers die Hilfe zur Pflege benötigt und die Zusage unabhängig von der Einrichtung erteilt ist.
522.Dem Übergang des Auskunftsanspruchs steht auch nicht die Regelung des § 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII entgegen. Denn der Anspruchsübergang stellt keine sozialhilferechtlich den Anspruchsübergang ausschließende unbillige Härte da. Eine Störung familiärer Beziehungen im Sinne des § 1611 BGB genügt grundsätzlich nicht, um eine unbillige Härte i.S. des § 94 III 1 Nr. 2 SGB XII zu begründen und damit einen Anspruchsübergang auf den Träger der Sozialhilfe auszuschließen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der nach § 1611 BGB zu beurteilende Lebenssachverhalt aus Sicht des Sozialhilferechts auch soziale Belange erfasst, die einen Übergang des Anspruchs nach öffentlich-rechtlichen Kriterien ausschließen (BGH FamRZ 2010, 1888 m.Anm. Hauß).
53Da sich der Antragsgegner vorliegend allein auf eine Störung der familiären Beziehungen im Sinne des § 1611 BGB beruft, greift die Regelung des § 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII nicht ein.
54II.Der Mutter des Antragsgegners steht auch ein unterhaltsrechtlicher Auskunftsanspruch gegen ihren Sohn, den Antragsgegner, zu.
55Denn nach § 1605 Abs. 1 S. 1 BGB sind Verwandte in gerader Linie einander verpflichtet, auf Verlangen über ihre Einkünfte und ihr Vermögen Auskunft zu erteilen.
56Diese Voraussetzung ist vorliegend unzweifelhaft gegeben, da die Mutter mit dem Antragsgegner in gerader Linie verwandt ist.
57III.Entgegen der Ansicht des Antragsgegners hat er diese Auskunft bislang nicht erteilt.
58Die Auskunft ist über Einkünfte aus allen Einkunftsarten und Vermögen – soweit dies für den Unterhaltsanspruch Bedeutung hat – zu erteilen.
59Unstreitig ist eine Auskunft seitens des Antragsgegners bislang nicht erfolgt. Soweit der Antragsteller beim zuständigen Finanzamt nach § 117 Abs. 1 S. 4 SGB XII i.V.m. § 21 Abs. 4 SGB X die notwendigen Informationen eingeholt hat, ändert dies in der Sache nichts. Denn der sozialrechtliche Auskunftsanspruch aus § 117 SGB XII tritt neben den unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch aus § 1605 BGB, der vom Anspruchsübergang gem. § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII erfasst ist und vom Sozialhilfeträger unabhängig von § 117 SGB XII verfolgt werden kann (BeckOK/Adams, SGB XII, § 117 Rn. 1).
60Dementsprechend besteht der Auskunftsanspruch fort, auch wenn sich der Antragsteller Auskunft über die dort bekannten Einkommens- oder Vermögensverhältnisse des Antragsgegners verschafft hat.
61Er ist von seinem Umfange her auch nicht zu beanstanden. Nach Aktenlage ist unklar, ob der Antragsgegner Einkünfte aus angestellter und / oder selbständiger Erwerbstätigkeit erzielt. Soweit die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit noch nicht abschließend z.B. durch einen Steuerbescheid festgestellt sind, muss der Antragsteller unter Zugrundelegung der Einkünfte der letzten 3 bis 5 Jahre eine Prognose des durchschnittlichen Einkommens anstellen, weshalb der Auskunftsumfang nicht zu beanstanden ist.
62IV.Der Auskunftsanspruch ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners vorliegend auch nicht ausgeschlossen. Denn der Unterhaltsanspruch ist weder nach § 1611 BGB ausgeschlossen, noch nach § 242 BGB verwirkt.
63Die vollumfängliche Auskunftspflicht besteht nach der Rechtsprechung dann nicht, wenn die begehrte Auskunft den Unterhaltsanspruch unter keinem Gesichtspunkt beeinflussen kann und daher offensichtlich nicht mehr unterhaltsrelevant ist (BGH NJW 2020, 3721 m.Anm. Born = NZFam 2020, 1062 m.Anm. Löhnig = FamRZ 2021, 28 m.Anm. Borth zum Kindesunterhalt; FamRZ 2018, 260 Rn. 11 m.w.N = NZFam 2018, 130 m.Anm. Schwamb zum Trennungsunterhalt; BGH FamRZ 2022, 684 zum Zugewinn).
641.Entgegen der Auffassung des Familiengerichts konnte die Abweisung des Auskunftsantrages nicht auf eine Verwirkung nach § 1611 BGB gestützt werden. Denn der Einwand der Verwirkung des Unterhaltsanspruchs steht dem Auskunftsanspruch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der sich der Senat anschließt, regelmäßig nicht entgegen, da die Beurteilung, ob und in welchem Umfang der Unterhaltsanspruch verwirkt ist, sich ohne Kenntnis der maßgeblichen Einkünfte nicht beurteilen lässt und sachgerecht hierrüber erst befunden werden kann, wenn die Höhe des Unterhaltsanspruchs festgestellt ist (BGH FamRZ 1983, 996; FamRZ 1994, 558 OLG München FamRZ 1989, 284, 286; OLG Frankfurt FamRZ 1993, 1241; BeckOK BGB/Reinken, Stand: 01.08.2023, § 1605 Rn. 19).
65Vorliegend ist auch keine Ausnahme ersichtlich. Zum einen ist der Vortrag des Antragsgegners hinsichtlich der behaupteten Vernachlässigung durch die Mutter unsubstantiiert. Zum anderen ist völlig unklar, ob die vom Antragsgegner behaupteten Übergriffe der Mutter nicht auf deren psychischen Erkrankung, unter der sie aktuell unstreitig leidet, beruhten. Soweit der Antragsgegner den diesbezüglichen Vortrag des Antragstellers für präkludiert hält, greift dieser Einwand nicht durch, da § 117 Abs. 2 FamFG die Regelung des § 531 Abs. 1 ZPO ausdrücklich nicht für anwendbar erklärt.
662.Der geltend gemachte Unterhaltsanspruch ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch nicht nach § 242 BGB verwirkt.
67a)Eine Verwirkung des Anspruchs auf rückständigen Elternunterhalt kommt nach allgemeinen Grundsätzen gemäß § 242 BGB in Betracht, wenn der Berechtigte den Anspruch längere Zeit nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment), obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (Umstandsmoment) (vgl. BGH NZFam 2018, 263 Rn. 18; BGH FamRZ 2007, 453 Rn. 21 m.w.N.; Hauß, Elternunterhalt: Grundlagen und Strategien, 6. Aufl. 2020, Teil E Rn. 807 ff.; Dose, Elternunterhalt in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, NZFam 2018, 429, 441). Dabei sind für Unterhaltsansprüche an das Zeitmoment der Verwirkung keine strengen Anforderungen zu stellen, denn Unterhaltsrückstände können zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen und die für die Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Einkommensverhältnisse der Parteien sind nach längerer Zeit oft nur schwer aufklärbar. Diese Gründe, die eine möglichst zeitnahe Geltendmachung von Unterhalt nahelegen, sind so gewichtig, dass das Zeitmoment der Verwirkung auch dann erfüllt sein kann, wenn die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die nur etwas mehr als ein Jahr zurückliegen (vgl. BGH NZFam 2018, 263 Rn. 14; FamRZ 2010, 1888 Rn. 23 FamRZ 2002, 1698, 1699).
68Macht der Sozialleistungsträger – wie hier – Ansprüche aus übergegangenem Recht geltend, führt dies zu keiner anderen Beurteilung, weil der Anspruchsübergang dessen Natur, Inhalt und Umfang nicht verändert (vgl. BGH FamRZ 2002, 1698, 1699; Hauß, a.a.O., Rn. 812).
69Neben dem Zeitmoment kommt es für die Verwirkung auf das Umstandsmoment an. Das heißt, es müssen besondere Umstände hinzutreten, auf Grund derer der Unterhaltsverpflichtete sich nach Treu und Glauben darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass der Unterhaltsberechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen werde (vgl. BGH NJW 2010, 3714 Rn. 24 m.w.N.). Während der BGH vormals primär auf das Zeitmoment abgestellt hat, betont er nunmehr in den neueren Entscheidungen deutlicher als zuvor das Umstandsmoment (vgl. hierzu Günther/Schwonberg in Schnitzler, Münchener Anwaltshandbuch Familienrecht, 5. Auflage 2020, § 11 Rn. 145 f.). So hat der BGH namentlich in seiner Entscheidung vom 31.01.2018 – XII ZB 133/17 – (NZFam 2018 Rn. 14 f.) ausgeführt, dass nach seiner gefestigten Rechtsprechung zum reinen Zeitablauf besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten müssen, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (BGH NJW-RR 2014, 195 Rn. 11 m.w.N. und BGH NJW 2003, 128).
70Der Vertrauenstatbestand könne nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden (BGH NJW-RR 2014, 195 Rn. 11 m.w.N.). Dementsprechend könne ein bloßes Unterlassen der Geltendmachung des Anspruchs für sich genommen kein berechtigtes Vertrauen des Schuldners auslösen. Dies gelte nicht nur für eine bloße Untätigkeit des Gläubigers, sondern grundsätzlich auch für die von diesem unterlassene Fortsetzung einer bereits begonnenen Geltendmachung. Auch wenn der Gläubiger davon absehe, sein Recht weiter zu verfolgen, könne dies für den Schuldner nur dann berechtigterweise Vertrauen auf eine Nichtgeltendmachung hervorrufen, wenn das Verhalten des Gläubigers Grund zu der Annahme gebe, der Unterhaltsberechtigte werde den Unterhaltsanspruch nicht mehr geltend machen, insbesondere weil er seinen Rechtsstandpunkt aufgegeben habe (vgl. BGH NJW 1988, 1137).
71b)Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen ist der Verwirkungseinwand hier nicht gegeben.
72Allein die sicherlich zögerliche Geltendmachung des Anspruchs vermag für sich genommen – wie ausgeführt – einen Vertrauenstatbestand nicht zu schaffen. Das Verhalten des Antragstellers gab aus Sicht des Senats auch keinen Grund zu der Annahme, der Anspruch werde nicht mehr geltend gemacht. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller von seinem errechneten Unterhaltsbetrag Abstand nehmen würde, obwohl er die Klageerhebung mit der Bezifferung des Unterhaltsanspruchs in Aussicht gestellt hatte, bestanden für den Antragsgegner ebenfalls nicht. Soweit der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners diesem eine falsche Information gegeben hat und er sich darauf verlassend, keine Rücklagen gebildet hat, begründet dies ebenfalls nicht das Umstandsmoment.
733.Dem im Beschwerdeverfahren noch verfolgten Auskunftsanspruch für die Zeit ab 2018 steht auch nicht die Verjährung des vermeintlichen Leistungsanspruchs entgegen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 10. Februar 2022 – 9 UF 128/21 –, juris Rn. 51 f.). Denn der vermeintliche Leistungsanspruch für das Jahr 2018 ist nicht verjährt.
74Vorliegend werden Ansprüche aus der Zeit von 01.01.2018 bis 31.12.2021 geltend gemacht. Unterhaltsansprüche verjähren gemäß § 195 BGB in drei Jahren, wobei die Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 BGB am Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den, den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahr-lässigkeit erlangen müsste. Rückständiger Unterhalt aus dem Jahr 2018 wäre daher mit Ablauf des 31.12.2021 und aus dem Jahr 2019 mit Ablauf des 31.12.2022 verjährt.
75Hier ist der Stufenantrag per Telefax am 31.12.2021 bei Gericht eingegangen. Da die Pflicht zur Einreichung entsprechender Anträge per elektronischem Dokument gem. §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 130d ZPO erst ab dem 01.01.2022 Geltung beansprucht, war die Einreichung per Fax formgerecht. Nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB wird die Verjährung durch die Erhebung eines Leistungsantrags gehemmt. Dabei hemmt auch der als Stufenantrag erhobene Leistungsantrag die Verjährung, selbst wenn zunächst nur der Auskunftsantrag gestellt wird (vgl. Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl. 2023, § 204 Rn. 2). Erhoben wird der Antrag durch Zustellung der Antragschrift, wobei die Zustellung auf den Zeitpunkt der Antragseinreichung zurückwirkt, sofern sie demnächst erfolgt, § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 167 ZPO.
76Diese Rückwirkungsfiktion greift vorliegend auch ein. Dabei kann der Senat dahinstehen lassen, ob dem Antragsteller die hinsichtlich der Zustellung eingetretene Verzögerung zuzurechnen ist, denn diese war nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes jedenfalls nicht kausal (vgl. BGH FamRZ 2005, 99).
77Der am 31.12.2021 eingegangene Stufenantrag ist dem Antragsgegner wegen der Falschadressierung der Antragschrift erst am 20.01.2022 zugestellt worden. Bei richtiger Adressierung wäre die Zustellung ausweislich der Akte am 12.01.2022 erfolgt.
78Der Bundesgerichtshof geht von einer kausal verursachten Zustellungsverzögerung, die die Rückwirkung ausschließt, nur dann aus, wenn die vorwerfbaren Umstände dazu geführt haben, dass die Zustellung sich gegenüber der normalen Dauer um mehr als 14 Tage, gemessen ab dem Ablauf der zu wahrenden Frist, verzögert hat (BGH FamRZ 2005, 99).
79Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben, da die Zustellung lediglich 7 Tage später erfolgte.
80V.Im Hinblick auf die erfolgte vollständige Abweisung des Stufenantrags durch das Familiengericht war der Beschluss, soweit er nicht hinsichtlich der Auskunftsstufe abgeändert worden ist, aufzuheben und die Sache, insbesondere hinsichtlich des Zahlungsantrages, an das Amtsgericht gem. den §§ 117 Abs. 1 S. 2 FamFG, 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO analog (vgl. BGH NJW 2006, 2626; BeckOK ZPO/Wulf, Stand: 01.07.2023, § 538 Rn. 24) zurückzuverweisen.
81C.
82Die Festsetzung des Verfahrenswerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 42 Abs. 3 FamGKG.
83Die Entscheidung ist unanfechtbar, da die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht gegeben sind.