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Hat die Strafvollstreckungskammer einige Tage vor Erreichen der Maßregelhöchstfrist (§ 67d Abs. 1 StGB) entschieden, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit Erreichen der Höchstfrist erledigt ist, so ist es nach deren Erreichen (etwa im Beschwerderechtszug) nicht mehr möglich, eine Erledigung wegen Zweckerreichung analog § 67c Abs. 2 S. 5 StGB zu beschließen. Die Maßregel ist dann kraft Gesetzes erledigt.
Es bestehen Bedenken, im Falle einer Zweckerreichung der Maßregel nach § 64 StGB eine Erledigung analog § 67c Abs. 2 S. 5 StGB (mit der Folge, dass keine Führungsaufsicht eintritt) auszusprechen. Die richtige Rechtsfolge im Falle der Zweckerreichung ist die Maßregelaussetzung zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 StGB.
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers (ausgenommen hiervon sind die Auslagen für das Gutachten vom 31.01.2023) als unbegründet verworfen.
Gründe:
2I.
3Mit Urteil des Landgerichts Dortmund vom 28. Juni 2017 – Az. 34 KLs 17/17 wurde der Beschwerdeführer wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt. Zudem wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und der Vorwegvollzug von zehn Monaten Freiheitsstrafe, auf die Untersuchungshaft anzurechnen sei, angeordnet.
4Nach dem Vorwegvollzug wurde die Maßregel ab dem 06. November 2017 in der LWL-Maßregelvollzugsklinik A vollstreckt. Die Maßregelhöchstfrist wurde auf den 16.10.2022 (Bl. 72) bzw. den 14.10.2022 (Bl. 753) notiert.
5Die 15. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld hat mit Beschluss vom 24. Juni 2022 die Fortdauer dieser Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hat der Senat diesen Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer zurückgewiesen, weil der Sachverständige nicht mündlich angehört worden war.
6In ihrem im Auftrag der Strafvollstreckungskammer erstatteten schriftlichen Sachverständigengutachten vom 21.05.2022 hatte die Sachverständige B dem Verurteilten einen positiven Behandlungsverlauf bescheinigt, u.a. unter Hinweis auf eine seit Oktober 2018, auch in der Langzeitbeurlaubung stabile Abstinenz.
7Während die Maßregelvollzugseinrichtung in ihrer Stellungnahme vom 02.03.2022 dem Verurteilten noch einen positiven Behandlungsverlauf und eine günstige Prognose bescheinigte nahm sie diese Einschätzung mit Stellungnahme vom 20.06.2022, nachdem der Verurteilte ohne Mitteilung an die Einrichtung einen Arbeitsplatzwechsel und einen Wechsel seines dauerhaften Aufenthaltsortes vorgenommen haben soll, sowie mit Stellungnahme vom 07.09.2022, nachdem der Verurteilte am 25.08.2022 mit gefälschten bulgarischen Ausweispapieren und ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein in einer Verkehrskontrolle aufgefallen war, zurück.
8In einer vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme führt die Sachverständige aus, dass der Verurteilte von seinem Hang i.S.d. § 64 StGB geheilt sei. Im Hinblick auf eine dissoziale Persönlichkeitsakzentuierung bestehe aber ein „Restrisiko“ für andere, nicht hangbedingte Taten, zu denen auch die Tat vom 25.08.2022 gerechnet werden könne.
9Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgericht Bielefeld die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit Erreichen der Höchstfrist für erledigt erklärt, die Entlassung aus der Unterbringung am 16. Oktober 2022 angeordnet, die Aussetzung der Vollstreckung des noch nicht als verbüßt geltenden Restes der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Dortmund vom 28. Juni 2017 zur Bewährung abgelehnt, den Eintritt der Führungsaufsicht festgestellt, die Dauer der Führungsaufsicht auf vier Jahre festgesetzt, den Verurteilten der Aufsicht und Leitung der für seinen Wohnort zuständigen Bewährungshilfe unterstellt und festgestellt, dass der Beschwerdeführer kraft Gesetzes der Aufsichtsstelle des für seinen Wohnort zuständigen Landgerichts untersteht, ihm im Rahmen der Führungsaufsicht nähere Weisungen erteilt, weitere Weisungen vorbehalten, die Belehrungen dem Leiter der Maßregelvollzugs- bzw. Justizvollzugsanstalt übertragen und die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Betroffenen auferlegt.
10Gegen diesen Beschluss richtet sich die „sofortige Beschwerde und (einfache) Beschwerde“ des Verurteilten vom 14. Oktober 2022, die er mit weiterem Schreiben seines Verteidigers am 22. November 2022 begründet hat.
11Der Verurteilte wurde am 14. Oktober 2022 zur Verbüßung der Restfreiheitsstrafe in die Justizvollzugsanstalt C verlegt.
12Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
13Der Senat hat am 15.12.2022 eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen B veranlasst, welche am 02.02.2023 bei Gericht eingegangen ist.
14II.
15Das Rechtsmittel des Verurteilten ist (allein) als sofortige Beschwerde gegen die Erledigungserklärung nach Ablauf der Höchstfrist sowie gegen die Ablehnung der bedingten Entlassung aus der Strafhaft auszulegen. Zwar könnte die Formulierung im Rechtsmitteleinlegungsschriftsatz „und (einfache) Beschwerde“ nahelegen, dass der Verurteilte sich mit diesem Rechtsbehelf auch gegen die Anordnungen zu Ziff. 3 ff. des angefochtenen Beschlusses wendet. Indes zeigt die Rechtsmittelbegründung, dass es ihm nur um die Maßregelerledigung und die Strafaussetzung zur Bewährung geht. Der Verteidiger begründet – ausweislich des Eingangssatzes – sowohl die sofortige als auch die einfache Beschwerde ausschließlich in Bezug auf diese beiden Entscheidungsinhalte. Insoweit ist aber allein die sofortige Beschwerde das einschlägige Rechtsmittel.
16Die sofortige Beschwerde ist (jedenfalls) unbegründet.
171.
18Bzgl. der Erledigung der Maßregel wendet sich der Verurteilte nicht gegen die Erledigungserklärung an sich, sondern gegen den Rechtsgrund für diese. Er meint, dass die Maßregel analog § 67c Abs. 2 S. 5 StGB wegen Zweckerreichung für erledigt zu erklären gewesen sei und nicht nach § 67d Abs. 4 S. 2 StGB. Insoweit könnte er jedenfalls durch die nach § 67d Abs. 4 S. 3 StGB eintretende Führungsaufsicht, welche bei analoger Anwendung des § 67c Abs. 2 S. 5 StGB nicht eintreten würde, beschwert sein.
19Soweit die Strafvollstreckungskammer unter Ziff. 1) des angefochtenen Beschlusses befunden hat, dass die Unterbringung nach § 64 StGB mit Erreichen der Höchstfrist am 16.10.2022 erledigt ist, ist dagegen allerdings (jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt) nichts (mehr) zu erinnern.
20Dabei kann dahinstehen, ob die Höchstfrist am 14.10. oder 16.10.2022 erreicht war. Es kann auch dahinstehen, ob die Strafvollstreckungskammer zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung, am 07.10.2022 – also wenige Tage vor Erreichen der Höchstfrist - statt dessen analog § 67c Abs. 2 S. 5 StGB eine Erledigung wegen Zweckerreichung, wie von dem Verurteilten begehrt, hätte beschließen können (bejahend zu dieser Möglichkeit etwa: OLG Celle, Beschl. v. 03.11.2014 – 2 Ws 188/14 – juris; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.01.2005 - - 2 Ws 6/05 – juris; OLG München, Beschl. v. 11.01.2013 – 1 Ws 1109/12 – juris; a.A. Trenckmann in: Kammeier/Pollähne, Maßregelvollzugsrecht, 4. Aufl., L 243; Veh in: MK-StGB, 4. Aufl. § 67c Rdn. 22; Peglau in: LK-StGB, 13. Aufl., § 67d Rdn. 37). Das hätte womöglich zur Folge gehabt, dass nicht sogleich Führungsaufsicht nach § 67d Abs. 4 S. 2 StGB, sondern in der Regel erst später Führungsaufsicht nach § 68f Abs. 1 StGB eintritt.
21Jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt ist die Maßregelhöchstfrist aber abgelaufen. Damit ist kraft Gesetzes (nicht aufgrund gerichtlicher Entscheidung) nach § 67d Abs. 4 S. 2 StGB Erledigung eingetreten. Hieran kann eine richterliche Entscheidung nichts mehr ändern. Stattdessen die Erledigung nunmehr auf eine entsprechende Anwendung nach § 67c Abs. 2 S. 5 StGB zu stützen – wie dies der Verurteilte begehrt - ist nicht möglich.
22Eine für eine solche Analogie erforderliche planwidrige Regelungslücke fehlt. Das zeigt sich zunächst an der kraft Gesetzes eintretenden Rechtsfolge, welche eben für eine richterliche Entscheidung schon keinen Spielraum lässt. Auch die Gesetzesmaterialien bestätigen eine solche Auslegung. Darin heißt es, dass nach Ablauf der Höchstfrist „die untergebrachte Person aus dem Maßregelvollzug zu entlassen [ist] und zwar unabhängig davon, ob die Therapie erfolgreich war“ (BT-Drs. 16/1993 S. 16). Dies zeigt, dass die Frage des Therapieerfolgs oder Therapienichterfolgs für eine Erledigung nach dieser Vorschrift keine Rolle spielen sollte. Dass der Gesetzgeber aber sogar eine Erledigung mit Eintritt der Führungsaufsicht tatsächlich wollte, zeigt sich daran, dass es weiter heißt, dass „schon wegen der Dauer der Unterbringung“ die untergebrachte Person einer besonderen Hilfe zur Wiedereingliederung bedürfe (BT-Drs. a.a.O.). Der Gesetzgeber stellt hier also allein auf die Betreuungsbedürftigkeit wegen der Dauer der Unterbringung und nicht wegen eines fehlenden Therapieerfolges ab.
23Nach der gesetzlichen Systematik ist für den Fall der Zweckerreichung auch § 67d Abs. 2 StGB (Maßregelaussetzung zur Bewährung) die einschlägige Rechtsfolge. Der Hintergrund hierfür ist, dass eine (auch längerfristige) Abstinenz unter den kontrollierten Bedingungen des Maßregelvollzugs noch nicht mit hinreichender Sicherheit auf eine „Heilung“ in dem Sinne, dass der Verurteilte auch außerhalb desselben über eine gewisse Zeitspanne vor einem Rückfall in die akute Sucht bewahrt wird, schließen lässt (Trenckmann a.a.O.).
24Vor diesem Hintergrund kann der Senat dahinstehen lassen, ob der in der obergerichtlichen Rechtsprechung verbreiteten Rechtsprechung (s.o.), dass im Falle einer Zweckerreichung eine Erledigung analog § 67c Abs. 2 S. 5 StGB zu erfolgen hat, gefolgt werden kann. Aus den vorgenannten Gründen hat er daran allerdings erhebliche Zweifel.
25Für die zuletzt mit Verteidigerschriftsatz vom 27.02.2023 „zumindest“ angestrebte Feststellung, dass vor Ablauf der Höchstfrist eine Entscheidung analog § 67c Abs. 2 S. 5 StGB erreichbar gewesen sei, sieht der Senat keine Rechtsgrundlage. Zudem ist – ebenfalls aus den vorgenannten Gründen – zweifelhaft, ob eine solche Feststellung mit hinreichender Sicherheit überhaupt möglich ist.
262.
27Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung abgelehnt. Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf die diesbezüglich zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss. Der Senat geht allerdings nicht von einer diagnostizierten dissozialen Persönlichkeitsstörung des Verurteilten aus (vgl. angefochtenen Beschluss S. 10). Ob eine solche vorliegt oder jedenfalls eine dissoziale Persönlichkeitsakzentuierung kann dahinstehen. Der Umstand, dass der Verurteilte, nach langjährigem Maßregelvollzug und trotz langjähriger Abstinenz sowie noch unter den – wenn auch durch den Langzeitausgang gelockerten Bedingungen des Maßregelvollzugs – erneut eine Straftat begeht, die nicht als bloße Bagatelltat angesehen werden kann, zeigt, dass eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug nicht verantwortet werden kann. Eine auch nur annähernd naheliegende Chance zukünftiger Straffreiheit besteht nicht. Die von dem Verurteilten drohenden Taten sind – wie der Vorfall vom 25.08. zeigt - auch jedenfalls nicht unerheblich, so dass auch vor dem Hintergrund des bereits längeren stattgehabten Freiheitsentzuges eines bedingte Entlassung nicht verantwortet werden kann. Der Umstand, dass der Verurteilte – so die Mitteilung im Verteidigerschriftsatz vom 28.02.2023 – wegen des Vorfalls bei einem Langzeitausgang (der Verurteilte soll mit gefälschten Ausweisdokumenten und ohne Fahrerlaubnis bei einer Fahrzeugkontrolle angetroffen worden sein) „lediglich“ zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt worden sei, führt nicht zur Annahme einer günstigen Prognose. Eine Geldstrafe kann nicht nur unter der Voraussetzung einer günstigen Legalprognose verhängt werden (OLG Hamm, Beschl. v. 06.09.2007 – 3 Ws 527/07 – juris).
283.
29Zwar hat die Strafvollstreckungskammer nicht ausdrücklich den Vollzug der Strafe nach § 67 Abs. 5 S. 2, 2. Hs. StGB angeordnet (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 12.01.2017 – 4 Ws 372/16 – juris). Konkludent ist dies jedoch geschehen, wie sich aus Ziff. 5 des angefochtenen Beschlusses ergibt, wo Anordnungen für die Zeit nach Entlassung aus der Strafhaft getroffen werden. Dies ist auch zutreffend, denn die Suchtbehandlung ist abgeschlossen und durch einen Verbleib in der Entziehungsanstalt ist – nach den insoweit ebenfalls überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen – eine durchgreifende Änderung der dissozialen Persönlichkeitsmerkmale des Beschwerdeführers nicht zu erwarten. Auch die Behandler haben dargelegt, dass ein weiterer Verbleib in der Klinik nicht sinnvoll sei, weil das Ziel, die Veränderung des Konsumzwangs, erreicht sei. In den neuerlichen Straftaten hätten sich Persönlichkeitseigenschaften gezeigt, die bislang nicht ausreichend thematisiert worden seien bzw. die sich als veränderungsresistent gegenüber den Instrumenten gezeigte hätten. Es sei sinnvoll, auf diese jetzt mit den Mitteln des Strafvollzugs einzuwirken. Dem schließt sich der Senat an. Hinzu kommt, dass nicht ersichtlich ist, dass die erzielten Therapieerfolge durch den nachfolgenden Strafvollzug wieder beeinträchtigt würden oder durch den Vollzug in der Klinik besser gesichert werden könnten.
304.
31Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO, soweit es die Nichterhebung von Auslagen bzgl. der Gutachterkosten betrifft, auf § 21 Abs. 1 GKG.