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Je weiter sich die zu verbüßende Freiheitsstrafe von der Zwei-Jahres-Grenze des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB entfernt, umso mehr muss sich der zu beurteilende Sachverhalt von vergleichbaren Durchschnittsfällen positiv abheben, damit besondere Umstände im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB bejaht werden können.
Die Anforderungen an die „Besonderheit“ der Umstände nimmt wischen dem Halbstrafen- und dem Zwei-Drittel-Zeitpunkt im Sinne des § 57 Abs. 1 ab.
Umstände, die bereits im Erkenntnisverfahren bei der Strafzumessung berücksichtigt wurden, können zwar in die Würdigung im Rahmen des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB eingestellt werden. Jedoch kommt ihnen nur eine abgeschwächte Bedeutung zu, weil sie sich bereits maßgeblich auf die Höhe der verhängten Strafe ausgewirkt haben.
Die sofortige Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht entkräftet werden, auf dessen Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.
Zusatz:
2Eine Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zwei Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bereits nach Verbüßung der Hälfte kommt nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB nur in Betracht, wenn die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass besondere Umstände vorliegen. Neben einer positiven Sozialprognose müssen für den Verurteilten sprechende Umstände vorliegen, die im Vergleich mit gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen oder einfachen Milderungsgründen ein besonderes Gewicht aufweisen und eine Strafrestaussetzung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat als nicht unangebracht und den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen (vgl. nur OLG Hamm Beschl. v. 12.7.2012 – 3 Ws 143/12, BeckRS 2012, 18149, beck-online, m.w.N.).
3Je weiter sich die zu verbüßende Freiheitsstrafe von der Zwei-Jahres-Grenze des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB entfernt, umso mehr muss sich der zu beurteilende Sachverhalt von vergleichbaren Durchschnittsfällen positiv abheben, damit besondere Umstände im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB bejaht werden können (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. Oktober 2020 – 2 Ws 181/20 –, BeckRS 2020, 43633 Rn. 7 m.w.N.; OLG München, Beschluss vom 08. März 2016 – 3 Ws 140/16 –, NStZ 2016, 677, 678 m.w.N.). Die Anforderungen an die „Besonderheit“ der Umstände nimmt wischen dem Halbstrafen- und dem Zwei-Drittel-Zeitpunkt im Sinne des § 57 Abs. 1 ab (vgl. Fischer, StGB, 69. Auflage 2022, § 57 Rn. 291).
4Die im Rahmen der nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB nach diesen Maßstäben vorzunehmenden Abwägung der für und gegen den Verurteilten sprechenden Gesichtspunkte sind weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit geeignet, den erheblichen Unrechts- und Schuldgehalt seiner Anlasstaten aufzuwiegen. Besondere Umstände in diesem Sinne liegen nicht vor.
5Es handelt sich hier um schwerwiegende Anlasstaten, was sich auch in der Höhe der festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren bzw. der Einzelfreiheitsstrafen von vier bzw. sieben Jahren widerspiegelt. So hat das Landgericht Münster ausgeführt, die Voraussetzungen für einen Betrug im besonders schweren Fall nach dem Regelbeispiel des § 263 Absatz 3 Satz 2 Nr. 2, 1. Fall StGB lägen vor, weil durch die Taten jeweils ein Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeigeführt worden sei. Nach den Feststellungen des Anlassurteils ist ein Gesamtschaden von 12,58 Millionen Euro entstanden, der auch aktuell nicht wieder gutgemacht wurde.
6Hier ist auch zu berücksichtigen, dass der Halbstrafenzeitpunkt erst kurzfristig überschritten ist, während zwei Drittel der Strafe erst am 01. April 2024 erreicht sein werden, sodass die Anforderungen an die „Besonderheit“ der Umstände aktuell weiterhin hoch ist.
7Das Landgericht Münster hat bereits bei der Strafzumessung zugunsten des Verurteilten die hohe Haftempfindlichkeit durch sein fortgeschrittenes Lebensalter von seinerzeit 71 Jahren und die erstmalige Freiheitsentziehung durch die Untersuchungshaft berücksichtigt. Es wirkte sich auch strafmildernd aus, dass er unter Bluthochdruck und einer Fettstoffwechselstörung leidet, diese Erkrankungen allerdings erfolgreich mit Medikamenten behandelt werden. Zudem wurde gewertet, dass seine Untersuchungshaft mit drei Jahren und fünf Monaten außergewöhnlich lange gedauert hatte, er bislang nicht vorbestraft war und zwischen den Taten und der Verurteilung ein langer Zeitraum von mehr als sieben Jahren lag, die Manipulationen an den Bilanzen zum Teil sogar rund zehn Jahre zurücklagen. Auch die lange Verfahrensdauer und die damit über das normale Maß hinausgehende Belastung wurden berücksichtigt. Die Ermittlungen hatten bereits sechs Jahre zuvor begonnen, die Hauptverhandlung hatte nahezu drei Jahre gedauert und sich außergewöhnlich schwierig und zeitaufwändig gestaltet. Zugunsten des Verurteilten hat die Kammer auch gewertet, dass nach der ersten Manipulation die Hemmschwelle zu den weiteren Bilanzfälschungen aufgrund einer eintretenden Gewohnheit immer weiter gesunken war und dass den beiden geschädigten Banken dieselben gefälschten Konzernabschlüsse vorgelegt wurden. Auch hatte sich in Bezug auf den Schaden der Banken nur ein bedingter Vorsatz feststellen lassen. Darüber hinaus hat die Kammer noch zugunsten des Verurteilten gesehen, dass er und die Mitangeklagten die Betrugstaten nicht unmittelbar eigennützig, sondern zur Weiterführung der Unternehmensgruppe begangen hatten und die Darlehen entsprechend in die Unternehmensgruppe geflossen waren, wobei die damaligen Angeklagten allerdings von der Weiterführung des Konzerns aufgrund ihrer hohen Honorare und Bezüge profitiert hatten. Schließlich wurden auch die Arbeits- und Vermögenslosigkeit des Verurteilten gewertet sowie die Tatsache, dass er aufgrund der Verurteilung die Fähigkeit verloren hat, Vorstand einer Aktiengesellschaft oder Geschäftsführer einer GmbH zu sein. Gewertet hat die Kammer auch, dass seine Reputation in der Wirtschaftswelt und die gesellschaftliche Anerkennung bereits durch die Berichterstattung über das Verfahren in den Medien verloren hatte. Daneben musste er damit rechnen, von den Banken persönlich auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden. Die Kammer hat aber auch ausgeführt, dass gerade der Reputationsverlust und die persönliche Haftung für die Betrugsschäden naheliegende Folgen der begangenen Straftaten darstellten, die sich auch den damaligen Angeklagten aufdrängen mussten, weshalb diesen Folgen für die drei Angeklagten deshalb keine größere strafmildernde Wirkung beigemessen worden ist.
8Strafschärfend wurde berücksichtigt, dass die Betrugstaten ein hohes Maß an Professionalität und krimineller Energie aufzeigten. Die Manipulationen der Bilanzen waren aufwändig gestaltet und jeweils mit einer entsprechenden Vertrags- und Beleglage versehen. Die rückdatierten Verträge und sonstigen rechtlichen Erklärungen waren mit anwaltlicher Hilfe erstellt worden. Bei den bilanziellen Fragen war eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Beratung hinzugezogen worden. Bei der Bewertung der einzelnen Tatbeiträge hat die Kammer bei dem Verurteilten B1 überdies gesehen, dass er die führende Rolle im A Group Konzern besessen und auch bei den Taten eingenommen hatte. Bei einzelnen Bilanzmanipulationen war er entweder allein oder mit seinem Bruder B2 Ideengeber gewesen und er hatte die Ideen weiterentwickelt. Er hatte sich um Belege gekümmert, insbesondere, wenn diese·aus dem Ausland hatten besorgt werden mussten, und er war dann insbesondere derjenige gewesen, der die zu erreichenden Ziele letztverbindlich vorgegeben hatte. Zu den geschädigten Banken hatte er zwar keinen Kontakt gehabt und die Kredite auch nicht persönlich beantragt. Dies hatte sich allerdings damit begründet, dass er im Tatzeitraum nicht zum Vorstand der A Group AG bestellt gewesen war und deshalb gegenüber den Banken nur im Hintergrund hatte agieren können.
9Diese Umstände, die bereits im Erkenntnisverfahren bei der Strafzumessung berücksichtigt wurden, können zwar in die Würdigung im Rahmen des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB eingezogen werden (vgl. nur Fischer, StGB, 69. Auflage 2022, § 57 Rn. 29 m.w.N.). Jedoch kommt ihnen nur eine abgeschwächte Bedeutung zu, weil sie sich bereits maßgeblich auf die Höhe der verhängten Strafe ausgewirkt haben (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 12. Juli 2012 – 3 Ws 143/12 –, BeckRS 2012, 18149; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Dezember 2017 – III-2 Ws 480/17 –, BeckRS 2017, 143271 Rn. 13).
10Positiv ist hier das beanstandungsfreie Vollzugsverhalten des Verurteilten hinzugetreten. Auch hat sich der Verurteilte freiwillig zum Strafantritt gestellt. Ein regelgerechtes Vollzugsverhalten wird indes bereits für eine positive Sozialprognose gefordert und erst durch das Hinzutreten zusätzlicher für den Verurteilten sprechender Tatsachen zu einem aussagekräftigen Indiz, das eine Halbstrafenaussetzung rechtfertigen kann (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. Oktober 2020 – 2 Ws 181/20 –, BeckRS 2020, 43633 Rn. 11 m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 12. Juli 2012 – 3 Ws 143/12 –, BeckRS 2012, 18149). Solche gewichtigen zusätzlichen Umstände liegen hier aber nicht vor. Das Vollzugsverhalten ist hier nicht Ausdruck einer besonderen Persönlichkeitsnachreifung des Verurteilten im Vollzug, weil er auch bereits vor seiner Inhaftierung in geordneten und sozial angepassten Verhältnissen lebte und eine Einordnung in die Strukturen des Strafvollzuges, zumal unter Berücksichtigung der ihm in der Justizvollzugsanstalt gewährten Lockerungen, für ihn daher einfacher war als für Strafgefangene mit einem problematischeren sozialen Hintergrund (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 12. Juli 2012 – 3 Ws 143/12 –, BeckRS 2012, 18149).
11Entgegen der Ansicht der Verteidigung kann auch die Tatsache, dass der Ruf des Verurteilten als Geschäftsmann in der Öffentlichkeit erheblich erschüttert worden sein dürfte, hier keinen besonderen Umstand begründen. Denn dies war – wie bereits im Anlassurteil ausgeführt – vorhersehbare Folge der Taten selbst und nicht nur der Berichterstattung in den Medien.
12Dass ein geeigneter sozialer Empfangsraum besteht, stellt hier ebenfalls keinen besonderen Umstand dar, weil ein solcher bereits zur Tatzeit bestand und dieser den Verurteilten auch nicht davon abgehalten hatte, die Taten zu begehen.
13Der Senat erkennt an, dass der Verurteilte Erstverbüßer ist und im Fall einer Entlassung einer geregelten Arbeit nachgehen kann. Auch mag sich seine Gesundheit (geringfügig) verschlechtert haben durch eine zunehmende depressive Phase und eine Leistenoperation im Jahr 2022.
14Nach Abwägung aller dieser Umstände und in Gesamtschau derselben vermag der Senat jedoch – ebenso wie die Strafvollstreckungskammer – keine besonderen Umstände im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB anzunehmen, die zu einer Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung führen könnten. Die Äußerungen des Verurteilten, die er zu den Ursachen seiner Straffälligkeit ausweislich des Anhörungsvermerks getätigt hat („sicher habe man damals Fehler gemacht“, „aus heutiger Sicht seien Fehler passiert“, „es habe jedoch keine Selbstbereicherung vorgelegen“, „er habe das damals nicht als Betrug angesehen“, „es sei vielleicht ein ‚unbewusster Betrug‘ gewesen“, „aus heutiger Sicht sei es natürlich Betrug gewesen“, „damals habe er das Ganze eher als eine positive Bewertung angesehen“) lassen auch noch nicht auf eine tiefergehende Aufarbeitung seiner Delinquenz schließen.
15Entgegen der Ansicht der Verteidigung ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar mit dem Fall, den das OLG München mit Beschluss vom 08. März 2016 (Az. 3 Ws 140/16) zu entscheiden hatte. Denn dort war – anders als hier – festgestellt, dass dem dortigen Verurteilten – insbesondere auch durch stressreiche, belastende Situationen – jederzeit schwere Angina-Pectoris-Anfälle bis hin zum plötzlichen Herztod drohten. Darüber hinaus war der dortige Angeklagte bereits 82 Jahre alt, das Verfahren hatte 20 Jahre gedauert und die Taten lagen mehr als 26 Jahre zurück.