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Auch nach der Neufassung des § 55 SGB VIII gilt, dass der Staat die fachliche Eignung und ausreichende personelle Ausstattung der Jugendämter sicherzustellen hat (vgl. BGH Beschluss v. 15.9.2021 – XII ZR 231/21 – FamRZ 2021, 1885, zit. n. juris, Rn. 27). Allein deren Fehlen kann daher regelmäßig nicht zur Entlassung des Jugendamts als Vormund führen.
Die Beschwerde des beteiligten Jugendamtes gegen den am 02.01.2023 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Marl wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,- € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Durch Beschluss des Amtsgerichts Marl vom 20.09.2010 (Az. 15 F 549/09) wurde den Kindeseltern die elterliche Sorge für das beteiligte Kind entzogen und das Jugendamt der Stadt A zum Vormund bestellt. Durch weiteren Beschluss des Amtsgerichts Marl (Az. 15 F 412/10) vom 17.01.2011 wurde das Jugendamt der Stadt A aus dem Amt entlassen und das Jugendamt der Stadt B als neuer Vormund bestellt.
4Mit Schreiben vom 21.11.2022 beantragte das Jugendamt der Stadt B, aus der Vormundschaft entlassen zu werden und die Mitarbeiterin des N. e.V., Frau S. H., als neuen Vormund sowie Frau F. und Frau J. als Ersatzvormund zu bestellen. Der Wechsel des Vormundes werde gemäß § 1804 Abs. 1 oder 3 BGB im Interesse und Wohl des Mündels beantragt. Aus strukturellen und organisatorischen Gründen könne die Stadt B im Zuge der ab dem 01.01.2023 in Kraft tretenden Vormundschaftsreform, insbesondere vor dem Hintergrund des Gebotes der funktionellen, organisatorischen und personellen Trennung der Aufgaben der Vormundschaft von anderen Tätigkeiten im Jugendamt gemäß § 55 Abs. 5 SGB VIII, die Aufgaben des Vormundes nicht mehr sicherstellen. Der N. könne als Vormundschaftsverein im Gegensatz zur Stadt B für das Mündel drei Mitarbeiterinnen namentlich benennen, die auch im Vertretungsfall die gesetzlichen Vorgaben sicherstellen können, sodass trotz Vertretung eine Kontinuität in der Wahrnehmung der Personensorge gesichert sei. Damit werde durch die Übertragung der Vormundschaft im Ergebnis dem Wohl des Mündels besser gedient. Eine bloße Bevollmächtigung sei meistens nicht ausreichend.
5Der N. hat sich durch Schreiben vom 09.12.2022 gegenüber dem Amtsgericht Marl zur Übernahme der Vormundschaft für das Mündel bereit erklärt und darum gebeten, Frau H. als Vormund sowie Frau T. und Frau J. als Ersatzvormund zu bestellen.
6Durch am 02.01.2023 erlassenen Beschluss hat das Amtsgericht Marl den Antrag des Jugendamtes der Stadt B zurückgewiesen. Das örtlich zuständige Jugendamt sei generell zur Übernahme der Aufgaben eines Pflegers/Vormundes im Sinne des § 1779 Abs. 1 BGB geeignet. Der Staat habe die fachliche Eignung und ausreichende personelle Ausstattung der Jugendämter sicherzustellen, sodass deren Fehlen regelmäßig der Bestellung eines Jugendamts als Vormund nicht entgegenstehen könne. Das Jugendamt könne sich daher auf fehlende Kapazitäten oder andere innerorganisatorische Probleme nicht berufen. Daran ändere auch die zum 01.01.2023 in Kraft getretene Gesetzesänderung nichts. Nur bezogen auf eine bestimmte Pflegschaft könne ein Vereinsvormund im Vergleich zum Jugendamt der am besten geeignete Pfleger im Sinne von § 1778 Abs. 1 BGB sein. Der Entlassungsantrag des Jugendamtes, der zeitgleich in allen beim Amtsgericht Marl laufenden Vormundschaftsverfahren, in denen das Jugendamt der Stadt B zum Vormund bzw. Ergänzungspfleger bestellt ist (mit Ausnahme der von Gesetzes wegen eintretenden Amtsvormundschaft), gestellt worden sei, habe indes keinen konkreten Bezug zum Mündel, sondern werde ausschließlich auf die genannten generellen organisatorischen Gründe gestützt. Somit sei der benannte Verein bzw. die Vereinsmitarbeiterin auch nicht besser geeignet als das Jugendamt, und ein Wechsel sei, auch aus Kontinuitätsgründen, abzulehnen.
7Gegen diesen Beschluss richtet sich die form-und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Jugendamtes, mit welcher die Abänderung des angefochtenen Beschlusses unter Wiederholung der erstinstanzlich gestellten Anträge auf Entlassung als Vormund unter Bestellung der Mitarbeiterinnen des N. als neuer Vormund bzw. Vertreter begehrt wird.
8Zur Begründung der Beschwerde wird vorgetragen, dass die Entscheidung des Gerichts die Interessen des Mündels im Rahmen des dem Gericht zustehenden Auswahlermessens verletze. Soweit das Amtsgericht in seiner Entscheidung noch davon ausgegangen sei, dass zwei gleich geeignete Personen, Vereinsvormund und Amtsvormund, zur Verfügung stehen und ein Auswahlermessen auszuüben sei, so reduziere sich dieses Auswahlermessen nunmehr, da der bisher als Amtsvormund für die Stadt B tätige Mitarbeiter, Herr G., sein Anstellungsverhältnis zum 31.03.2023 gekündigt habe, sodass spätestens ab dem 01.04.2023 der Vereinsvormund die nach den Kriterien des § 1779 BGB am besten geeignete Person sei. Das Jugendamt der Stadt B könne ab dem 01.04.2023 bis zur Nachbesetzung der Stelle die Übernahme von Vormundschaften nur durch fachlich nicht geschulte Mitarbeiter aus anderen Fachbereichen sicherstellen. Das Jugendamt wolle daher den Fall an einen strukturell und fachlich besser aufgestellten Verein, der Berufsvormünder vorhält, abgeben. Im Übrigen entspreche die Bestellung des Berufsvormundes den Interessen des Mündels besser. Nach der Kündigung des bisherigen Vormunds komme es ohnehin zu einem Wechsel in der Person des Vormunds. Der Berufsvormund sei, wie ausgeführt, zur Ausübung der Vormundschaft besser geeignet als das Jugendamt, was insbesondere für Krankheits- und Urlaubsfälle gelte. In solchen Fällen könne des Jugendamt aufgrund der Neuregelung des § 55 SGB VIII nicht mehr auf andere erfahrene Mitarbeiter des Jugendamtes zurückgreifen, sondern es müssten externe Personen bevollmächtigt werden, was zu Verzögerungen führen könne. Demgegenüber sei bei der Bestellung des Berufsvormunds des N. eine kontinuierliche Vertretung sichergestellt. Da zwischen Vereinsvormund, Berufsvormund und Jugendamt als Vormund kein Rangverhältnis bestehe, müsse das Gericht im Fall der besseren Eignung in Ausübung des Auswahlermessens den Vereinsvormund einsetzen. Umgekehrt gelte, dass eine bestimmte oder gar besonders gute personelle Ausstattung des Jugendamts weder verlangt noch durch gerichtliche Entscheidungen des Familiengerichts erzwungen werden könne. Schließlich erfülle der Vorschlag des Jugendamtes die Anforderungen des § 4 Abs. 2 SGB VIII, wonach Aufgaben möglichst von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe wahrzunehmen seien.
9Durch am 16.03.2023 erlassenen Beschluss hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen. Auf die Kündigung des Jugendamtsmitarbeiters G. komme es nicht an, da der Staat die fachliche Eignung und ausreichende personelle Ausstattung der Jugendämter sicherzustellen habe und sich auf fehlende Kapazitäten oder andere innerorganisatorische Probleme nicht berufen könne. Weder im Antrag vom 21.11.2022 noch in der Beschwerdeschrift sei dargelegt worden, dass der Vereinsvormund bezogen auf den konkreten Einzelfall am besten geeignet wäre. Vielmehr werde auf das Kind und dessen Lebensumstände gar nicht eingegangen.
10Das beschwerdeführende Jugendamt hat zum Nichtabhilfebeschluss dahingehend Stellung genommen, dass der Situation der personell schwach besetzten kleinen Jugendämter durch die Einsetzung von Vereins- oder Berufsvormündern Rechnung zu tragen sei, wenn die personellen Möglichkeiten des betreffenden Jugendamtes dies erforderten. Das Jugendamt habe mittlerweile – nach dem Ausscheiden des bisher betrauten Mitarbeiters – Frau H. vom N. zur Erfüllung der Aufgaben des Vormunds bevollmächtigt, die seit dem 01.02.2023 Kontakt zum Mündel aufgenommen habe.
11Mit Schreiben vom 19.04.2023 hat das Jugendamt den Beschwerdeantrag dahingehend modifiziert, dass als zweiter Ersatzvormund Frau Z. statt Frau J. zu bestellen sei. Mit weiterem Schreiben vom 25.05.2023 teilt das Jugendamt mit, dass die Pflegefamilie des Mündels ihr Amt niederlegen wolle und dass sich das Jugendamt in intensiven Bemühungen befinde, eine neue Pflegefamilie zu finden. Die vom beschwerdeführenden Jugendamt bevollmächtigte Frau H. stehe mit dem Jugendamt I. im Austausch.
12Der N. berichtet unter dem 08.08.2023, dass Frau H. seit dem 26.05.2023 krankheitsbedingt verhindert und seit dem 04.07.2023 im Beschäftigungsverbot sei. Die Mitarbeiterin des N. Frau O. habe nach Rücksprache mit dem Jugendamt die vormundschaftliche Betreuung übernommen. Ein erster Mündelkontakt habe am 01.08.2023 stattgefunden. Das Mündel sei am 22.06.2023 in einer Mädchenintensivwohngruppe in L. aufgenommen worden, nachdem die in B wohnhafte vorherige Pflegefamilie das Pflegeverhältnis beendet habe.
13Unter dem 06.09.2023 beantragt das beschwerdeführende Jugendamt nunmehr, die Mitarbeiterin des N. e.V. Frau O. als Einzelvormund und die Mitarbeiterin Frau F. als Ersatzvormund zu bestellen, da Frau H. und Frau J. bis auf weiteres nicht mehr zur Verfügung stehen würden. Die Bereitschaft zur Übernahme der Vormundschaft sei durch den N. erklärt.
14II.
15Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zur Begründung nimmt der Senat zunächst Bezug auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss sowie im Nichtabhilfebeschluss, die durch das Beschwerdevorbringen nicht erschüttert werden.
16Die Entlassung des Vormunds ist in § 1804 BGB geregelt. Die in Abs. 1 und Abs. 2 dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen, unter denen das Familiengericht den Vormund zu entlassen hat, liegen nicht vor und werden vom Beschwerdeführer auch nicht geltend gemacht. Der Senat versteht das Vorbringen des Beschwerdeführers vielmehr so, dass er sich auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1804 Abs. 3 S. 1 BGB beruft.
17Nach dieser Vorschrift soll das Familiengericht auf Antrag den bisherigen Vormund entlassen, wenn der Wechsel des Vormunds dem Wohl des Mündels dient. Aus der Formulierung dieser Vorschrift folgt, dass das Ermessen des Gerichts bei Vorliegen der Voraussetzungen eingeschränkt ist („soll“), wobei grundsätzlich auch die Entlassung des Jugendamts in Betracht kommen kann. Es genügt, wenn sich die Lebenssituation des Mündels durch die beantragte Maßnahme des Familiengerichts verbessert (Schulte-Bunert in: Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 1804 BGB Rn. 16 m.w.n.).
18Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist vom Beschwerdeführer indes weder dargetan noch sonst ersichtlich. Zu Recht weist das Familiengericht in seinen beiden vorgenannten Beschlüssen darauf hin, dass mit dem Entlassungsantrag des Jugendamtes gerade keine individuellen, mündelbezogenen Gründe vorgetragen werden. Vielmehr stützt sich die Argumentation darauf, dass das Jugendamt „aus strukturellen und organisatorischen Gründen“ nicht mehr in der Lage sei, die Aufgaben des Vormundes sicherzustellen. Hiermit kann das Jugendamt, auch insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Familiengerichts verwiesen, allerdings nicht gehört werden. Denn der Staat hat die fachliche Eignung und ausreichende personelle Ausstattung der Jugendämter sicherzustellen (BGH, Beschluss vom 15.9.2021, Az. XII ZB 231 / 21, FamRZ 2021, 1885, Rn. 27, zitiert nach juris). Deren Fehlen kann daher regelmäßig weder der Bestellung eines Jugendamtes als Vormund entgegenstehen noch zu seiner Entlassung als Vormund führen. Hieran hat sich auch durch die Gesetzesreform nichts geändert.
19Es sind auch keine sonstigen Gesichtspunkte ersichtlich, die vorliegend die Annahme rechtfertigen, ein Wechsel des Vormundes würde dem Wohl des Mündels dienen. Allein das Ausscheiden des langjährigen Mitarbeiters des Beschwerdeführers G., der über Jahre für den Beschwerdeführer die Vormundschaft betreffend das Mündel ausgeübt und für dieses vermutlich eine Vertrauensperson dargestellt hat, reicht hierfür nicht aus. Dass das Mündel zwischenzeitlich ein Vertrauensverhältnis zu einer Mitarbeiterin des N. e.V. aufgebaut hätte, kann angesichts der Kürze der Zeit seit der Bevollmächtigung des N. nicht festgestellt werden, zumal die ursprünglich als Vormund vorgesehene Frau H. mittlerweile auch nicht mehr zur Verfügung steht und die nunmehr insoweit tätige Frau O. erst am 1.8.2023 einen ersten Mündelkontakt hatte. Eine Anhörung des Mündels war vor diesem Hintergrund entbehrlich.
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG, die Wertfestsetzung auf § 45 Abs. 3 FamGKG.