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Die Auslieferung des Verfolgten nach Jordanien zur Strafvollstreckung wegen der ihm in dem nationalen Haftbefehl des High Criminal Public Prosecutor vom 06.06.2022 (Az.: 2022/211) in Verbindung mit dem Urteil des Hohen Strafgerichtshofs vom 26.04.2022 (Az.: 2022/647) zur Last gelegten Tat ist unzulässig.
Die Kosten des Auslieferungsverfahrens trägt die Staatskasse, die dem Verfolgten auch die ihm insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten hat (§ 77 IRG, § 467 StPO).
Gründe:
2I.
3Die jordanischen Behörden haben den Verfolgten über Interpol zur Festnahme zum Zwecke der Auslieferung zur Strafvollstreckung wegen versuchten Mordes ausgeschrieben.
4Der Ausschreibung zur Strafvollstreckung liegt der nationale Haftbefehl des High Criminal Public Prosecutor vom 06.06.2022 (Az.: 2022/211) in Verbindung mit dem Urteil des Hohen Strafgerichtshofs vom 26.04.2022 (Az.: 2022/647) zugrunde.
5Mit diesem Urteil ist der Verfolgte zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die noch vollständig zu vollstrecken ist.
6Dem Verfolgten wird Folgendes zur Last gelegt:
7Er soll am 09.01.2022 nach Jordanien eingereist sein. Der Verfolgte und der Geschädigte, D. I. V., sollen sich aus früherer Zeit gekannt haben und miteinander beruflich – Taxifahrten – verbunden gewesen sein. Der Verfolgte habe die Ehefrau des Geschädigten heiraten wollen. Als der Geschädigte sich nicht habe scheiden lassen wollen, habe der Verfolgte sich entschlossen, diesen zu töten. Er habe den Geschädigten am 16.01.2022 zu sich gebeten und sei sodann in dessen Fahrzeug auf dem Rücksitz mitgefahren. Nachdem der Verfolgte den Geschädigten gebeten habe, in eine bestimmte Straße zu fahren und dort anzuhalten, habe er mit einem Messer mehrmals in den Rücken, die Brust und den Hals des Geschädigten gestochen. Der Verfolgte sei danach geflüchtet. Der Geschädigte habe zu einem Haus gehen können und sei sodann in ein Krankenhaus gebracht worden. Er habe in Lebensgefahr geschwebt.
8Wegen dieser Tat ist der Verfolgte wegen Tragens und Besitzes eines scharfen Instrumentes (Messer) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und wegen versuchten vorsätzlichen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Aus diesen Einzelstrafen ist als Gesamtstrafe eine lebenslange Freiheitsstrafe gebildet worden. Abschließend ist ausgeführt, dass die Entscheidung in Abwesenheit erfolgt sei und einem Wiederaufnahmeverfahren unterliege.
9Der Verfolgte ist auf Grund des Festnahmeersuchens der jordanischen Behörden am 23.12.2022 festgenommen worden.
10Der Senat hat mit Beschluss vom 03.01.2023 gegen den Verfolgten die vorläufige Auslieferungshaft.
11Hierin ist die Generalstaatsanwaltschaft zur Vorbereitung einer etwaigen späteren Zulässigkeitsentscheidung gebeten worden, die jordanischen Behörden auf dem dafür vorgesehenen Geschäftsweg um die Übermittlung folgender Erklärungen und Zusicherungen – die auch in den noch fehlenden Auslieferungsunterlagen enthalten sein können - zu ersuchen:
121.
13Abgabe einer Gegenseitigkeitserklärung gemäß § 5 IRG.
142.
15a)
16Im Hinblick auf das bereits im Mitfahndungsersuchen der jordanischen Behörden angesprochene Recht des Verfolgten auf eine neue Verhandlung wird gebeten, die jordanischen Behörden um die Abgabe einer ausdrücklichen, völkerrechtlich verbindlichen Zusicherung zu ersuchen, dass dem Verfolgten ein neues Verfahren garantiert wird, welches nur von seinem Willen abhängig ist, und in welchem die Schuld-und Straffrage in seiner Anwesenheit neu geprüft wird.
17b)
18Für den Fall der Durchführung eines neuen Verfahrens auf Antrag des Verfolgten wird angeregt, die jordanischen Behörden um Übermittlung einer ausdrücklichen, völkerrechtlich verbindlichen Zusicherung zu ersuchen, dass
19aa)
20in dem gegen den Verfolgten sodann geführten Verfahren die sich aus Art. 5 und 6 der EMRK ergebenden Standards gewährleistet werden.
21bb)
22deutsche Konsularbeamte bei dem neuen Strafprozess als Beobachter zugelassen werden.
23cc)
24gegen den Verfolgten nicht die Todesstrafe verhängt wird.
25c)
26Im Hinblick auf die nach derzeitigem Kenntnisstand nicht ausschließbare Möglichkeit, dass der Verfolgte in dem etwaig neu durchgeführten Verfahren zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder zu einer zeitigen Freiheitsstrafe von mindestens 25 Jahren verurteilt wird oder für den Fall, dass der Verfolgte keinen Antrag auf Durchführung eines neuen Verfahrens stellt, wird gebeten, die jordanischen Behörden um Auskunft zu ersuchen, ob, wenn ja wann und unter welchen Voraussetzungen der Verfolgte vorzeitig bedingt auf Bewährung aus der Strafhaft entlassen werden kann.
273.
28Mit Blick auf die Frage eines etwaigen Auslieferungshindernisses gemäß § 73 IRG in Bezug auf die Haftbedingungen wird die Generalstaatsanwaltschaft gebeten, auf dem dafür vorgesehenen Geschäftsweg die jordanischen Behörden um die Übermittlung einer ausdrücklichen, völkerrechtlich verbindlichen und auf den Einzelfall bezogenen Zusicherung zu bitten, dass der Verfolgte nach seiner Überstellung in einer namentlich zu benennenden Haftanstalt untergebracht wird, die den Anforderungen der EMRK und der UN-Resolution 70/175 aus 2015 (sog. Mandela-Rules) entspricht, er keiner Folter oder unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK unterworfen
29wird und dass der deutschen konsularischen Vertretung jederzeit Gelegenheit gegeben wird, den Verfolgten in der Haft aufzusuchen und sich über die konkreten Haftbedingungen zu informieren.
30Die erbetene Zusicherung soll sich auch zu folgenden Fragen verhalten:
311. In welcher Haftanstalt bzw. Haftanstalten (genaue namentliche Bezeichnung der Haftanstalt(en)) würde der Verfolgte aufgenommen und während der Dauer des Freiheitsentzuges, gegebenenfalls auch während der Durchführung eines neuen Verfahrens in Untersuchungshaft, inhaftiert sein?
322. Welche Größe haben die Hafträume in diesen Haftanstalt(en)?
333. Mit wie vielen Häftlingen sind die Zellen jeweils belegt?
344. Welcher Haftraumanteil in Quadratmetern steht dem Verfolgten in der Haftanstalt/den Haftanstalten persönlich zur Verfügung?
355. Wie sind die Hafträume ausgestattet?
366. Ist, und wenn ja in welcher Form, Frischluftzufuhr und Tageslicht gewährleistet?
377. In welcher Raumtemperaturspanne verhält sich die Raumtemperatur?
388. Wie sind die sanitären und hygienischen Bedingungen geregelt?
399. Insbesondere: besteht eine räumliche Abtrennung der Toiletten und wie oft besteht eine Duschmöglichkeit mit Warmwasser pro Woche?
4010. Gibt es Zugang zum Freistundenhof und wie ist dieser geregelt?
4111. Wie ist die Dauer der täglichen Einschlusszeiten?
4212. Ist eine ausreichende Ernährung sowie eine ausreichende Versorgung mit Frischwasser gewährleistet?
4313. Wie sind Art und Bedingungen des Zugangs der Häftling zu medizinischer Versorgung?
44Mit Verbalnote des Auswärtigen Amtes vom 12.01.2023 sind die jordanischen Behörden um Abgabe der vom Senat erbetenen Erklärungen und Zusicherungen ersucht worden.
45Nach Eingang der Auslieferungsunterlagen hat der Senat mit Beschluss vom 21.02.2023 die förmliche Auslieferungshaft angeordnet. Die mit Schriftsatz des Rechtsbeistandes des Verfolgten, Rechtsanwalt X., vom 01.03.2023 erhobenen Einwendungen gegen die Anordnung und den Vollzug der Auslieferungshaft hat der Senat mit Beschluss vom 13.03.2023 zurückgewiesen. Mit weiterem Beschluss vom 09.05.2023 hat der Senat die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet. Weitere Einwendungen des Verfolgten gegen die Anordnung und den Vollzug der Auslieferungshaft mit Schriftsatz seines Rechtsbeistandes, Rechtsanwältin N., vom 31.05.2023 hat der Senat mit Beschluss vom 13.06.2023 zurückgewiesen.
46Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in diesen Senatsbeschlüssen Bezug genommen.
47Die jordanischen Behörden haben mit Verbalnote der Botschaft des Haschemitischen Königreichs Jordanien in Berlin vom 10.03.2023 einen Teil der erbetenen Zusicherungen abgegeben.
48Hinsichtlich der den Verfolgten erwartenden Haftbedingungen, der Abgabe einer Gegenseitigkeitserklärung, der Garantie der Durchführung eines neuen Verfahrens sowie einer etwaigen Möglichkeit einer bedingten Entlassung sind die jordanischen Behörden seitens des Auswärtigen Amtes mit Verbalnoten vom 14.03.2023 und 30.03.2023 an die Abgabe der diesbezüglich bereits mit Verbalnote vom 12.01.2023 erbetenen Erklärungen und Zusicherungen erinnert worden.
49Mit weiterer Verbalnote des Auswärtigen Amtes vom 26.06.2023 sind die jordanischen Behörden nochmals an die Abgabe der mit Verbalnoten vom 12.01.2023, 14.03.2023 und 30.03.2023 angeforderten Erklärungen und Zusicherungen erinnert worden. Ebenso ist mit vorgenannter Verbalnote um die Abgabe einer Zusicherung zur Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes sowie um Zusicherung ersucht worden, dass der Verfolgte im Falle der Durchführung eines neuen Verfahrens und einer etwaigen sodann erfolgten erneuten Verurteilung zu keiner Zwangsarbeit verurteilt wird.
50Da eine Antwort der jordanischen Behörden nicht zur Akte gelangte - IP Amman hatte sich lediglich unter dem 19.06.2023 nach dem Stand des Verfahrens erkundigt – hat der Senat mit Beschluss vom 14.08.2023 den förmlichen Auslieferungshaftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt und darauf hingewiesen, dass der Senat in der dritten Oktoberwoche 2023 die weitere Aufrechterhaltung des förmlichen Auslieferungshaftbefehls besonders kritisch prüfen wird.
51Der Verfolgte ist noch am selben Tag aus der Auslieferungshaft entlassen worden.
52Das Auswärtige Amt hat mit Verbalnote vom 18.08.2023 die jordanischen Behörden nochmals an die Abgabe der erbetenen Erklärungen und Zusicherungen erinnert.
53Eine Antwort der jordanischen Behörden ist auch daraufhin nicht zur Akte gelangt.
54Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 09.10.2023 dem Senat die Akten angesichts der vom Senat mit Beschluss vom 14.08.2023 angemerkten Frist zur Überprüfung des Fortbestandes des förmlichen Auslieferungshaftbefehls vorgelegt.
55Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 19.10.2023 den förmlichen – außer Vollzug gesetzten - Auslieferungshaftbefehl vom 21.02.2023 aufgehoben.
56Mit Verbalnote des Auswärtigen Amtes vom 08.11.2023 sind die jordanischen Behörden nochmals an die Abgabe der erbetenen Erklärungen und Zusicherungen unter Fristsetzung bis zum 08.12.2023 erinnert worden.
57Eine Antwort ist nicht zur Akte gelangt.
58Die Generalstaatsanwaltschaft hat daraufhin mit Zuschrift vom 14.12.2023 beantragt, wie erkannt.
59II.
60Da der Verfolgte sich nicht mit seiner vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hat, ist auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung veranlasst, § 29 Abs. 1 IRG.
61Die Auslieferung des Verfolgten nach Jordanien zur Strafvollstreckung ist unzulässig.
62Die jordanischen Behörden haben trotz mehrfacher Erinnerungen seitens des Auswärtigen Amtes, zuletzt mit Verbalnote vom 08.11.2023 unter Fristsetzung bis zum 08.12.2023, nicht vollständig die erbetenen Erklärungen und Zusicherungen erteilt und sind damit seit nunmehr elf Monaten untätig geblieben.
63Dem Senat ist es daher nicht möglich, etwaige Auslieferungshindernisse - so unter anderem ein solches gemäß Art 3 des 2.ZP-EuAlÜbk oder ein solches gemäß § 73 IRG im Hinblick auf die den Verfolgten erwartenden Haftbedingungen - zu prüfen.
64Da nicht mehr zu erwarten ist, dass die jordanischen Behörden umfassende, eine Bejahung der Zulässigkeit der Auslieferung ermöglichende Erklärungen und Zusicherungen erteilen werden, war die Auslieferung des Verfolgten nunmehr entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft für unzulässig zu erklären.