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Der Vollzugsanstalt obliegt nach § 44 Abs. 1 S. 1 SVVollzG NRW die Gesundheitsfürsorge, wozu die tägliche Vitalitätskontrolle als notwendige Maßnahme zum Gesundheitssachutz gehört.
Zu welchem Zeitpunkt die Anstalt die Lebendkontrolle durchführt, obliegt der Organisationshoheit der Anstalt.
Ermessensentscheidungen der Anstalt im Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG sind gerichtlich nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüfbar. Soweit die Anstalt befugt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht nach § 115 Abs. 5 StVollzG lediglich, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Die Strafvollstreckungskammer darf dabei nicht ihr eigenes Ermessen bzw. ihre eigene Beurteilung an die Stelle des Ermessesnder Vollzugsbehörde setzen.
Die Nachtruhe i.S.d. § 19 Abs. 1 SVVollzG ist vollzugsspezifisch zu begreifen und schließt nicht per se jede Form der Nachtruhestörung von vorneherein aus: Soweit die tägliche Lebendkontrolle während der Nachtruhe erfolgt, muss die Anstalt die Interessen der Sicherungsverwahten (hier: ungestörter Schlaf) vor dem Hintergrund etwaiger Belange der Sicherheit und Ordnung im Ramhen der Vollzugsorganisation und dem Scheriehtsinteresse der Allgemeinheit abwägen.
Die Rechtsbeschwerde wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen, soweit der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Störung der Nachtruhe durch Durchführung der Vitalitätskontrolle zwischen 5.45 Uhr und 6.00 Uhr zurückgewiesen wurde.
Im Umfang der Zulassung wird der angefochtene Beschluss auf die Rechtsbeschwerde aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die (gesamten) Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer für Vollzugssachen des Landgerichts Arnsberg zurückverwiesen.
Im Übrigen (Feststellung der Rechtswidrigkeit der Störung der Nachtruhe durch das Öffnen der Zimmertür zwischen 5.45 Uhr und 6.00 Uhr) wird die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 3 StVollzG).
Gründe:
2I.
3Der Betroffene befindet sich im Vollzug der Sicherungsverwahrung in der JVA A.
4Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg den Antrag des Betroffenen vom 23. Januar 2023 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Aufschlusses seines Zimmers am selben Tag einschließlich der damit verbundenen Anwesenheits- und Vitalitätskontrolle deutlich vor 6.00 Uhr als unbegründet verworfen, weil die entsprechende Vorgehensweise der JVA A nicht zu beanstanden sei. Im Einzelnen hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt, dass zunächst unter Berufung auf die Hausordnung und den der JVA insoweit zuzubilligenden Beurteilungsspielraum die Festlegung des Endes der Nachtruhe auf 6.00 Uhr ermessensfehlerfrei erfolgt sei. Weiter sei die Ausgestaltung des morgendlichen Aufschlusses durch die JVA ab 5.45 Uhr nicht zu beanstanden. Diese ziele nach Angaben der JVA darauf ab, dass ab 6.00 Uhr alle Sicherungsverwahrten ihre Zimmer verlassen könnten. Insoweit liege es auf der Hand, dass der Aufschluss rein organisatorisch bei 138 Sicherungsverwahrten nicht gleichzeitig erfolgen könne. Ebenso sei es unter Berücksichtigung der – nur eingeschränkt gerichtlich zu überprüfenden – Organisationshoheit der JVA nicht zu beanstanden, dass der morgendliche Aufschluss mit einer Anwesenheits- und Lebendkontrolle verbunden werde. Nach Auffassung der Kammer werde dem Betroffenen bei einem Einschluss ab 21.30 Uhr eine hinreichende Nachtruhezeit von acht Stunden gewährt, sodass eine Vitalitätskontrolle auch vor 6.00 Uhr erfolgen könne. Auf eine bestimmte, vom Betroffenen bevorzugte Art und Weise der Durchführung der Vitalitätskontrolle bestehe aufgrund des Organisationsermessens der Vollzugsanstalt kein Anspruch. Im Übrigen könne der Untergebrachte im Anschluss an die Lebendkontrolle weiterschlafen, so dass diese Kontrolle keinen erheblichen Eingriff in den eigenverantwortlichen und freiheitsorientierten Tagesablauf darstelle.
5Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner am 22. August 2023 frist- und formgerecht erklärten Rechtsbeschwerde und rügt die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere behauptet er eine Verletzung des Grundsatzes des freiheitsorientierten Vollzugs der Sicherungsverwahrung, weil er durch das frühe Wecken ab 5.45 Uhr in seiner Nachtruhe gestört werde und aufgrund der Vitalitätskontrolle, die ein akustisches oder optisches Signal von ihm fordere, nicht ausschlafen könne. Er sei Nichtarbeiter und müsse daher nicht zu einer bestimmten Zeit ausrücken. Er habe ein Recht darauf auszuschlafen. Es sei aus seiner Sicht ausreichend, wenn um 6.00 Uhr die Zimmertüren leise aufgeschlossen würden und die Vitalitätskontrolle bei denjenigen, die nicht zur Arbeit ausrückten, in der Form durchgeführt werden würde, dass sie sich bis 9.30 Uhr im Abteilungsbüro zu melden hätten. Im Übrigen werde seine Nachtruhe auch durch die Geräuschkulisse auf dem Gang ab 5.45 Uhr gestört und der Aufschluss sämtlicher Zimmer- und Flurtüren dauere tatsächlich nicht länger als fünf Minuten.
6Das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen hat mit seiner Stellungnahme vom 26. September 2023 beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mangels Zulassungsgrundes als unbegründet zurückzuweisen, wozu der Betroffene seinerseits Stellung nehmen konnte.
7II.
81.
9Soweit die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Störung seiner Nachtruhe durch Öffnen der Zimmertür zwischen 5.45 Uhr und 6.00 Uhr am 23. Januar 2023 abgelehnt hat, ist die gemäß § 118 StVollzG frist- und formgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 3 StVollzG).
102.
11Im tenorierten Umfang (Feststellung der Rechtswidrigkeit der Störung der Nachtruhe durch Durchführung der Vitalitätskontrolle zwischen 5.45 Uhr und 6.00 Uhr) war die Zulassung der Rechtsbeschwerde hingegen gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Denn auf Grundlage des angefochtenen Beschlusses ist zu besorgen, dass die Strafvollstreckungskammer den ihr zustehenden beschränkten Überprüfungsumfang nach Maßgabe des § 115 Abs. 5 StVollzG in Bezug auf die im Organisationsermessen der JVA A liegende Gestaltung der Vitalitätskontrolle verkannt und überschritten hat.
123.
13Die insoweit zugelassene Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache in dem aus dem Tenor dieses Beschlusses ersichtlichen Umfang – jedenfalls vorläufig – Erfolg.
14Gemäß § 44 Abs. 1 SVVollzG NRW obliegt der Vollzugsanstalt die Gesundheitsfürsorge. Die tägliche Vitalitätskontrolle stellt dabei eine notwendige Maßnahme zum Gesundheitsschutz dar, welche der Untergebrachte gemäß § 44 Abs. 1 S. 3 SVVollzG NRW zu unterstützen hat. Bei der konkreten Ausgestaltung der Kontrolle, insbesondere der Wahl des Zeitpunkts der Maßnahme, steht der Vollzugsanstalt ein Organisationsermessen zu.
15Soweit die Vollzugsbehörde – wie hier – befugt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht nach § 115 Abs. 5 StVollzG lediglich, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Daraus folgt, dass Ermessensentscheidungen der Vollzugsbehörde im Verfahren nach § 109 ff. StVollzG nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüfbar sind (vgl. u.a. OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2004, 127; Euler in: BeckOK Strafvollzug Bund, 24. Ed. Stand 01. August 2023 § 115 Rn. 18). Die Strafvollstreckungskammer darf dabei nicht ihr eigenes Ermessen bzw. ihre eigene Beurteilung an die Stelle des Ermessens bzw. der Beurteilung der Vollzugsbehörde setzen (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Oktober 2014 – III-1 Vollz (Ws) 488-490/14, zitiert nach juris Rn. 13; Beschluss vom 24. Januar 2017 – III-1 Vollz (Ws) 538/16, zit. nach juris Rn. 15, Beschluss vom 24. Juni 2022 – III-1 Vollz (Ws) 577/21).
16Vorliegend muss der Senat ausgehend von den Gründen des angefochtenen Beschlusses, die ihm wegen der revisionsrechtlichen Ausgestaltung des Rechtsbeschwerdeverfahrens neben der Antragsschrift nach § 109 StVollzG als einzige Erkenntnisquelle zur Verfügung stehen, davon ausgehen, dass die Strafvollstreckungskammer diesen eingeschränkten Überprüfungsmaßstab bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Zeitpunktes der Vitalitätskontrolle verkannt hat. Zwar stellt sie noch zutreffend darauf ab, dass die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Lebendkontrolle stattfinde, der Organisationshoheit der JVA obliege, mithin einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliege und der Betroffene keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung, insbesondere auf einen bestimmten Zeitpunkt der genannten Kontrolle habe. Soweit die Strafvollstreckungskammer aber im Folgenden maßgeblich darauf abstellt, dass nach ihrer Auffassung die Lebendkontrolle ab 5.45 Uhr „außerhalb der Nachtruhezeit“ liege und damit eine „Ruhezeit“ innerhalb der Nachtruhe des § 19 Abs. 1 SVVollzG konstruiert, ist nicht ersichtlich, dass es sich bei diesen Erwägungen um solche der JVA handelt, so dass der Senat davon auszugehen hat, dass es sich insoweit um eigene (unzulässige) Erwägungen der Strafvollstreckungskammer handelt. Dies gilt auch hinsichtlich der Beurteilung der Vitalitätskontrolle als nicht erheblichem Eingriff. Dem angefochtenen Beschluss ist dabei insbesondere nicht zu entnehmen, ob die JVA überhaupt ihr Ermessen hinsichtlich der einzelnen Umstände der Vitalitätskontrolle ausgeübt hat oder ob es sich insoweit allein um einen (eigenen) Rechtfertigungsversuch durch die Strafvollstreckungskammer handelt, wozu diese – wie ausgeführt – nicht befugt gewesen wäre.
174.
18Vor diesem Hintergrund war der angefochtene Beschluss in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 4 S. 3 StVollzG). Die Strafvollstreckungskammer wird insoweit unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Betroffenen vom 23. Januar 2023 zu befinden haben, soweit sich der Betroffene gegen die Störung der Nachtruhe durch die Durchführung der Lebendkontrolle vor 6.00 Uhr richtet. Spruchreife (§ 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG) ist nicht gegeben, da der angefochtene Beschluss dem Senat eine eigene Überprüfung der Entscheidung der JVA nicht ermöglicht. Insbesondere bleibt unklar, ob die JVA überhaupt ihr Ermessen hinsichtlich des Zeitpunkts der Lebendkontrolle ausgeübt hat und wenn dies der Fall gewesen sein sollte, auf welche Erwägungen sie die gemeinsame Durchführung von Aufschluss und Lebendkontrolle stützt.
19III.
20Für das weitere Verfahren weist der Senat noch auf Folgendes hin:
21Grundsätzlich hat die Gestaltung des Vollzuges der Sicherungsverwahrung gemäß § 2 Abs. 1 SVVollzG NRW freiheitsorientiert und therapiegerecht zu erfolgen und ist gemäß § 2 Abs. 3 SVVollzG NRW den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen. Damit wird der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht, wonach die Gestaltung des äußeren Vollzugsrahmens den spezialpräventiven Charakter berücksichtigen müsse – im Abstand zum Sühnecharakter des regelmäßigen Strafvollzugs – bei gleichzeitiger Gewährung von Sicherheit und Ordnung (vgl. BVerfG, Urteil vom 04. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09, 740/10, 2333/08, 1152/10, 571/10, abgedruckt in NStZ 2011, 450, 452; Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Vollzuges der Sicherungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen vom 14. November 2012, NRW LT-Drs. 16/1435, S. 56 f., 59; siehe auch § 66c Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB). Mithin steht der Vollzugsanstalt bei der allgemeinen Organisation des Vollzugs der Sicherungsverwahrung selbstverständlich – wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend ausgeführt hat – ein Organisationsermessen zu, welches im Lichte der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu bewerten und der Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung als präventivem Freiheitsentzug einerseits sowie den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit andererseits gerecht werden muss (vgl. NRW LT-Drs. 16/1435, S. 59; vgl. Senat, Beschluss vom 06. Februar 2018 - III-1 Vollz (Ws) 550/17, NStZ 2019, 49). Nichts anderes gilt für die Ausübung von Maßnahmen im Rahmen der Gesundheitsfürsorge gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SVVollzG NRW, zu welchen die tägliche Vitalitätskontrolle zu zählen ist. Soweit – wie bisher – die Lebendkontrolle noch während der Nachtruhe erfolgt, gilt Folgendes: Die Nachtruhe im Sinne des § 19 Abs. 1 SVVollzG, währenddessen die Sicherungsverwahrten eingeschlossen sind, ist in Abgrenzung zur allgemeinen Bewegungsfreiheit gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 SVVollzG außerhalb dieser Zeit vollzugsspezifisch zu begreifen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23. November 2023 – III-1 Vollz 361/23 und vom 08. April 2014 – III-1 Vollz (Ws) 141/14; NRW LT-Drs. 16/1435, S. 75) und schließt vor diesem Hintergrund nicht per se jede Form einer Nachtruhestörung von vornherein aus. Vielmehr muss die JVA auch insoweit die Interessen des Sicherungsverwahrten (hier ungestörter Schlaf) vor dem Hintergrund etwaiger Belange der Sicherheit und Ordnung im Rahmen der Vollzugsorganisation und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit abwägen. Die anschließende gerichtliche Kontrolle dieser Ermessenentscheidung folgt – wie bereits ausgeführt – den Vorgaben des § 115 Abs. 5 StVollzG.
22Sofern sich die JVA A noch nicht zu den einzelnen Erwägungen, welche maßgebend für die konkrete Durchführung der Vitalitätskontrolle vor 6.00 Uhr waren, geäußert haben sollte, wäre dies im weiteren Verfahren durch die Strafvollstreckungskammer noch nachzuholen.