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Zur Berechnung der Höhe einer Enteignungsentschädigung, wenn das die Enteignungsentschädigung geltend machende Unternehmen als auszugleichenden Nachteil anführt, dass sich wegen des geplanten Ausbaus einer Bundesautobahn die Anbauverbotszone gem. § 9 Abs. 1 FStrG verschoben und sich dadurch die zum Abbau von Kies (Nassauskiesung) zur Verfügung stehende Fläche verringert hat.
Enteignungsentschädigungsansprüche, die wegen der Ausdehnung der Anbauverbotszone gem. § 9 Abs. 1 FStrG unter dem Gesichtspunkt der Entschädigung für andere Vermögensnachteile geltend gemacht werden, bestimmen sich allein nach § 9 Abs. 9 FStrG, der gegenüber § 11 Abs. 1 EEG NRW vorrangig anzuwenden ist.
Ein Entschädigungsanspruch gem. § 9 Abs. 9 FStrG setzt voraus, dass durch die Anbauverbotszone eine bauliche Nutzung ganz oder teilweise aufgehoben wird, auf die der Eigentümer einen Rechtsanspruch hat. Einen solchen Rechtsanspruch hat der Erwerber eines Grundstücks nicht, wenn Teilflächen des Grundstücks zum Zeitpunkt des Erwerbs bereits von der Anbauverbotszone gem. § 9 Abs. 1 FStrG erfasst waren. Ein Rechtsanspruch folgt zudem nicht aus der Rechtsposition des Veräußerers des Grundstücks, wenn zwar die Grundstücksfläche im Gebietsentwicklungsplan als Abgrabungskonzentrationszone ausgewiesen war, jedoch ein die Nassabgrabung gestattender Planfeststellungsbeschluss vom Veräußerer nicht beantragt worden war; es liegt dann nur ein „Abbauerwartungsland“ vor, welches entsprechend einem „Bauerwartungsland“ nicht einen Rechtsanspruch im Sinne von § 9 Abs. 9 FStrG begründet.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Antragsteller zu 2) und 3) gegen das am 05.10.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Düsseldorf – Kammer für Baulandsachen – gemäß §§ 221 BauGB, 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil er davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Es wird Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von 4 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses gegeben.
Gründe
2I.
3Die Beteiligten streiten über die Höhe der Entschädigung für Enteignungen von im Berufungsverfahren nunmehr noch zwei Grundstücken, welche zum Zweck des sechsstreifigen Ausbaus der Autobahn A 57 zwischen den Autobahnkreuzen Y. und L. erfolgt sind.
4Der Ausbau der A 57 auf sechs Fahrspuren wurde 1993 in der Kategorie „vordringlicher Bedarf“ in das Fernstraßenausbaugesetz aufgenommen. Im Zeitraum vom 31.08.2001 bis 1.10.2001 wurden für den Bereich Y. sowie im Zeitraum vom 03.09.2001 bis 5.10.2001 für den Bereich L. die entsprechenden Planunterlagen öffentlich ausgelegt. Der Planfeststellungsbeschluss für das Vorhaben erging sodann am 13.09.2002.
5Die enteigneten Grundstücke der Antragsteller liegen entlang der A 57, zwischen Y.-I. im Norden und der K.-straße ## im Süden in einem Gebiet, das von Kiesabbau und hierdurch entstandenen Baggerseen sowie daneben von landwirtschaftlicher Nutzung geprägt ist. Die zwei im Berufungsverfahren noch im Streit befindlichen Grundstücke liegen in Bereichen, die bei Einleitung des Planfeststellungsverfahrens noch nicht als Kiesabbauland genutzt wurden, während die anderen beiden Grundstücke (Nr. 3 und 4) Bereichen zugehören, die zu diesem Zeitpunkt bereits ausgekiest waren.
6Es handelt sich im Einzelnen um folgende Grundstücke:
7Das im Folgenden als Grundstück Nr. 1 bezeichnete Grundstück Gemarkung L., Flur #, Flurstück ##9 ist 3.474 qm groß, ca. 600 m lang und 5-7 m breit und stellt einen Teil des ehemaligen Flurstücks #0 (im Folgenden: Stammgrundstück Nr. 1) dar. Das Stammgrundstück Nr. 1 wies eine Größe von 144.970 qm auf und liegt zwischen den Abgrabungsgeländen Q.-straße I und Q.-straße II. In dem Gebietsentwicklungsplan (im Folgenden: GEP) 1986 wurde der Bereich, in dem das Stammgrundstück Nr. 1 belegen ist, als Bereich für die Sicherung und den Abbau oberflächennaher Bodenschätze (im Folgenden: BSAB) gekennzeichnet.
8Grundstück Nr. 2, wie es im Folgenden bezeichnet wird, besteht aus den Flurstücken ##1 und ##2, Gemarkung L., Flur # und stellt einen Teil des vormaligen Flurstücks #5 (im Folgenden: Stammgrundstück Nr. 2) dar. Die Flurstücke sind zusammengenommen 1.100 qm groß, ca. 155 m lang und ca. 6-10 m breit. Das Stammgrundstück Nr. 2 war ursprünglich 42.264 qm groß und ist auf der Ostseite der Autobahn gelegen. Es liegt in einem Bereich, der mit dem GEP 1999 erstmals als BSAB ausgewiesen wurde.
9Beide Stammgrundstücke befanden sich zunächst im Eigentum des Landes NRW, Staats-Sonderfonds „W. Schulfonds“. Mit Vertrag vom 19.04.2002 wurde das Stammgrundstück Nr. 1 von der Antragstellerin zu 3) gekauft, das Stammgrundstück Nr. 2 vom Antragsteller zu 2). Am 21.11.2002 erfolgte die Eintragung der Antragsteller als Eigentümer im Grundbuch.
10Die Antragstellerin zu 3) beabsichtigte auf dem von ihr erworbenen Stammgrundstück Nr. 1 Kiesabbau zu betreiben. Es kam sodann zu Verhandlungen mit dem Landesbetrieb Straßenbau NRW, da die Antragstellerin einen Dispens von den Regelungen des § 9 FStrG erstrebte, um den beabsichtigten Kiesabbau auch auf die Bereiche innerhalb der bereits vorhandenen sowie der durch den geplanten Ausbau entstehenden Anbauverbotszonen erstrecken zu dürfen. Zu diesem Zweck holte sie ein Standsicherheitsgutachten des Dr.-Ing R. V. vom 04.07.2005 (Bl. 590 ff. VV) ein. Der Landesbetrieb Straßenbau NRW lehnte jedoch eine derartige Sondergenehmigung mit Schreiben vom 25.10.2006 (Bl. 284 f. VV) ab. Auch der Geologische Dienst NRW vertrat in einer Stellungnahme vom 02.11.2005 (Bl. 737 ff. VV) die Auffassung, dass aus tatsächlichen Gründen eine Ausnahmegenehmigung nicht erteilt werden könne. Daraufhin beantragte die Antragstellerin zu 3) für den Bereich, welcher der damals aktuellen sowie künftig entstehenden Anbauverbotszone unterfiel, keine Abgrabungsgenehmigung, um keine insoweit ablehnende Entscheidung ergehen zu lassen. Mit dem Planfeststellungsbeschluss vom 27. November 2008 (Bl. 498 ff. GA) wurde der Antragstellerin zu 3) der Kiesabbau auf deren Stammgrundstück Nr. 1 gestattet. Der Planfeststellungsbeschluss erlegt der Antragstellerin dabei die Pflicht auf, einen Abstand von 40 m zu dem zukünftigen Fahrbahnrand der zum Ausbau vorgesehenen Bundesautobahn A 57 einzuhalten.
11Mit Schreiben vom 08.05.2006 machte die Antragstellerin zu 1) den Antragstellern ein Angebot zum Erwerb der heutigen Grundstücke Nr. 1 und 2 zu einem Kaufpreis von 5,00 €/qm, wobei der angebotene Kaufpreis auf der Annahme beruhte, dass es sich um landwirtschaftliche Grundstücke handele, für die nach Auskunft des Gutachterausschusses des Rhein-Kreises B. der Richtwert 5,00 Euro pro qm betrage. Zu einer Einigung kam es nicht, da die Antragsteller zu 2) und 3) sich einen deutlich höheren Kaufpreis vorstellten.
12Die Antragstellerin zu 1) betrieb daraufhin das Besitzeinweisungsverfahren. In der mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren vom 10.01.2007 erklärten sich die Antragsteller mit dem vorzeitigen Besitzübergang u.a. hinsichtlich der Grundstücke Nr. 1 und Nr. 2 auf die Antragstellerin zu 1) einverstanden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung (Bl. 118 ff. d.A) Bezug genommen.
13Am 26.09.2007 stellte die Antragstellerin zu 1) den Antrag auf Enteignung und Entschädigungsfeststellung. Eine Einigung über den Verkehrswert der streitgegenständlichen Grundstücke konnte nicht erzielt werden, da Streit über die Qualität der enteigneten Flächen bestand und weiterhin besteht.
14Die Beteiligte zu 5) erließ am 03.08.2015 den streitgegenständlichen Enteignungs- und Entschädigungsfeststellungsbeschluss. Für die – als solche nicht angefochtene – Enteignung der Antragsteller wurde bezüglich der in der Berufungsinstanz noch streitgegenständlichen Grundstücke unter Ziffer 3 des Beschlusses folgende Entschädigung festgesetzt:
1517b) Gemarkung L., Flur #, Flurstück ##9 (3.474 qm): 75.282,00 € an die Antragstellerin zu 3., errechnet aus 21,67 € pro qm (= Grundstück Nr. 1),
16d) Gemarkung L., Flur #, Flurstücke ##1 und ##2: 5.550,00 € an den Antragsteller zu 2., errechnet aus 5,00 € pro qm (= Grundstück Nr. 2).
Zur Begründung der Entschädigungsfestsetzung führte die Beteiligte zu 5) im Wesentlichen wie folgt aus:
18Das Grundstück Nr. 2 sei zum Qualitätsstichtag als landwirtschaftliche Fläche und nicht als Abbauerwartungsland einzustufen. Allein der Umstand, dass der Bereich im GEP 1999 als BSAB ausgewiesen worden sei, genüge nicht zur Annahme einer gefestigten, gesicherten Rechtsposition im Hinblick auf die Abbaumöglichkeit. Der Plan sei so auszulegen, dass der Ausbau der Autobahn von vier auf sechs Spuren berücksichtigt und die Einstufung als BSAB im entsprechenden Umfang zurückgenommen worden sei. Der Wert des Ackerlandes sei nach dem Gutachten des Gutachterausschusses auf 5,00 €/qm festzulegen.
19Im Hinblick auf das Grundstück Nr. 1 sei hingegen davon auszugehen, dass es sich um Abbauerwartungsland handele. Im Unterschied zum Grundstück Nr. 2 sei bereits im GEP 1986, mithin vor der Bedarfsplanung des Bundes für den Autobahnausbau aus dem Jahr 1993, eine Ausweisung als BSAB erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt seien die Flächen noch nicht für den Ausbau der Autobahn vorgesehen gewesen. Daran ändere auch nichts, dass die Flächen bereits damals in der Anbauverbotszone gelegen hätten, denn es sei zu berücksichtigen, dass es sich um notwendige Böschungsflächen gehandelt habe, also um solche, die erworben werden mussten, um auf den Flächen insgesamt den größtmöglichen Abbau zu realisieren. Insgesamt ergebe sich – in dezenter Abweichung von der Einschätzung des Gutachterausschusses – ein Entschädigungssatz i.H.v. 21,67 €/qm.
20Eine Entschädigung für andere Vermögensnachteile habe nicht zu erfolgen. Die Antragsteller könnten keine Anschneideentschädigung für verringerte Abbauvolumen beanspruchen. Die von den Antragstellern beklagte Verschiebung notwendiger Böschungsflächen durch die Anbauverbotszone nach § 9 Abs. 1 FStrG, durch welche Abbauvolumen für die Auskiesung verloren gehe, könne als Schaden nicht berücksichtigt werden. Das Grundstück habe lediglich eine Abbauerwartung vermittelt, keine rechtlich gesicherte Position auf eine Nutzbarkeit als Kiesabbauland.
21Hinsichtlich der näheren Begründung des Beschlusses der Beteiligten zu 5) wird auf den Beschluss vom 03.08.2015 Bezug genommen (Bl. 913 ff. VV).
22Zu einer Auszahlung der Entschädigungssumme kam es nicht.
23Die Antragsteller zu 1) bis 4) haben jeweils Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und die Höhe der von der Beteiligten zu 5) festgesetzten Entschädigung angegriffen.
24Die Antragstellerin zu 1) hat sich gegen die Höhe der Entschädigung für die Grundstücke Nr. 1 und zunächst auch Nr. 3 gewehrt und insoweit – soweit es für das Berufungsverfahren noch von Belang ist – geltend gemacht, das Grundstück Nr. 1 sei zu Unrecht als Abgrabungserwartungsland eingestuft worden, da es bereits vor dem Ausbau der Autobahn innerhalb der Verbotszone des § 9 Abs. 1 FStrG gelegen habe. Daher habe es auch nicht in Form einer Böschungsfläche zum Kiesabbau beizutragen vermocht.
25Die Antragstellerin zu 1) hat zunächst beantragt,
2627den Enteignungs- und Entschädigungsfestsetzungsbeschluss der Beteiligten zu 5. vom 3. August 2015 dahingehend abzuändern, dass in Ziffer 3 b) eine Entschädigung von insgesamt 17.370,00 € festgesetzt wird (5,-€ pro qm) sowie in Ziffer 3 c) eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 9.786,33 € (0,50 € pro qm zuzüglich Aufwuchsentschädigung i.H.v. 7.977,33 €).
In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Düsseldorf hat sie ihren Antrag bezüglich des Grundstücks Nr. 3 zurückgenommen und fortan noch beantragt,
2829den Enteignungs- und Entschädigungsfestsetzungsbeschluss der Beteiligten zu 5. vom 3. August 2015 dahingehend abzuändern, dass in Ziffer 3 b) eine Entschädigung von insgesamt 17.370,00 € festgesetzt wird (5,00 € pro qm).
Die Antragsteller zu 2) und 3) haben mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Höhe der festgesetzten Entschädigung für alle Grundstücke mit Ausnahme des Grundstück Nr. 3 angegriffen. Im Hinblick auf das Grundstück Nr. 1 haben sie behauptet, dessen Verkehrswert betrage 55,25 €/qm. Gleiches gelte für das Grundstück Nr. 2. Dieses habe ebenfalls als Abbauerwartungsland zu gelten. Der GEP 1999 könne nicht derart ausgelegt werden, dass die Ausweisung der BSAB-Flächen durch die damals schon ins Auge gefasste Verbreiterung der Autobahn begrenzt gewesen wäre.
30Die Antragsteller zu 2) und 3) haben beantragt,
3136den Enteignungs- und Entschädigungsfestsetzungsbeschluss der Beteiligten zu 5. vom 3. August 2015 dahingehend abzuändern, dass:
32- in Ziffer 3 a) eine Entschädigung i.H.v. insgesamt 49.346,00 € festgesetzt wird (22,-€ pro qm),
33- in Ziffer 3 b) eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 191.938,50 € (55,25 € pro qm)
34- sowie in Ziffer 3 d) eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 61.327,50 € (55,25 € pro qm)
35- und dass zusätzlich eine Entschädigung für die Besitzeinweisung festgesetzt wird, soweit diese später nicht enteignete Flächen betraf (99 qm des Grundstücks Gemarkung L., Flur #, Flurstück #0, 96 qm des Grundstücks Gemarkung L., Flur #, Flurstück #5 und 667 qm des Grundstücks Gemarkung L., Flur #, Flurstücke ##3, ##2 und ##5).
Das Landgericht hat die Entschädigung für das Grundstück Nr. 1 entsprechend dem Antrag der Antragstellerin zu 1) auf 17.370,00 € herabgesetzt und die Anträge der Antragsteller zu 2) und 3) zurückgewiesen. Soweit die Antragstellerin zu 1) ihren Antrag zurückgenommen hat, als das Grundstück Nr. 3 betroffen war, hat es das Verfahren eingestellt.
37Bezüglich des Grundstücks Nr. 1 stehe der Antragstellerin zu 3) lediglich eine Entschädigung in Höhe von 17.370,00 € (=5 €/qm) zu, eine Entschädigung für sonstige Vermögensnachteile sei ebenso wenig zu gewähren wie eine Entschädigung für eine „überschüssige“ Besitzeinweisung.
38Das Grundstück sei als Landwirtschaftsfläche einzustufen. Abzustellen sei insoweit spätestens auf den 31.08.2001 als Zeitpunkt der Auslegung der Planfeststellungsunterlagen, weil insoweit bereits eine Vorwirkung der Enteignung anzunehmen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe es sich nicht um Abbauerwartungsland gehandelt, da das von der Enteignung betroffenen Teilstück im Bereich der Anbauverbotszone des § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Satz 2 FStrG lag. Die abweichende Einstufung durch den Gutachterausschuss sei nicht nachvollziehbar.
39Das Grundstück habe einen Wert von jedenfalls nicht über 5 €/qm gehabt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung sei hier das angemessene Angebot der Antragstellerin zu 1) vom 08.05.2006.
40Auch eine Wertminderung des Stammgrundstücks Nr. 1 sei nicht eingetreten. Es liege kein durch die Enteignung eines Grundstücksteils entstandener Vermögensnachteil vor. Die hier geltend gemachten negativen Folgen für das Restgrundstück durch die Verschiebung der Anbauverbotszone beruhe nicht auf dem Autobahnausbau selbst, sondern auf der Rechtsfolge des § 9 Abs. 1 FStrG. Es handele sich hierbei sowie bei der Teilenteignung um zwei voneinander unabhängige, selbständige hoheitliche Maßnahmen. Die Entschädigung richte sich ebenfalls nach unterschiedlichen Vorschriften, nämlich §§ 8 ff. EEG NRW einerseits, § 9 Abs. 9 FStrG andererseits. Berücksichtigte man Nachteile durch die Anbauverbotszone im Rahmen der Enteignungsentschädigung, werde die spezialgesetzliche Regelung des § 9 Abs. 9 FStrG umgangen. Der Vorrang des Bundesrechts ergebe sich aus § 1 S. 1 EEG NRW.
41Ein Anspruch nach § 18f Abs. 5 FStrG greife schon deshalb nicht ein, da keine Besitzeinweisung, sondern eine Besitzüberlassung vorliege. Ferner seien durch die Antragstellerin zu 3) keine Vermögensnachteile dargelegt, die aus der vorläufigen Besitzeinweisung bzw. -übertragung entstanden seien.
42Gleiches gelte für das Grundstück Nr. 2.
43Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der näheren Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses Bezug genommen.
44Die Antragsteller zu 2) und 3) wenden sich mit der Berufung gegen dieses Urteil, soweit es die Entschädigungen für die Grundstücke Nr. 1 und 2 betrifft. Sie rügen, das Landgericht habe die tatsächlichen Verhältnisse im Bereich der entzogenen Grundstücksflächen verkannt. Die enteigneten Flächen nähmen in Form von Abstandsflächen und durch eine zum Kiesabbau gehörende Fahrstraße an der Grundstücksqualität „Abbauland“ bzw. „Abbauerwartungsland“ teil. So hätten sich während des Kiesabbaus für das Abbauvorhaben innerhalb der Anbauverbotszone zulässigerweise eine Fahrstraße und Lagerflächen befunden. Für die temporäre Abraumhalde innerhalb der Anbauverbotszone sei ihnen am 04.11.2008 eine Ausnahmegenehmigung nach § 9 Abs. 8 FStrG erteilt worden. Daher habe es sich um Abbauerwartungsland höchster Qualität gehandelt, wie von der Beteiligten zu 5) noch zutreffend erfasst worden sei.
45Hinsichtlich der Wertermittlung wiederholen und vertiefen die Berufungskläger ihre erstinstanzliche Argumentation.
46Die Nichtanwendung der Parallelverschiebungstheorie sei fehlerhaft. § 9 Abs. 1 FStrG als selbständigen hoheitlichen Eingriff zu betrachten, sei fernliegend. Die nachteiligen Folgen für das Restgrundstück der Antragsteller beruhten gerade auf dem Unternehmen, für welches die Enteignung stattgefunden habe. Der Fall sei vergleichbar mit einer Teilenteignung von Bauland für ein Straßenbauvorhaben, durch welche sich für das jetzt in der Fläche verringerte Restgrundstück das Maß der zulässigen baulichen Nutzung verringere, weil der Bebauungsplan für das Nutzungsmaß eine Grundflächenzahl festsetzt.
47§ 9 Abs. 9 FStrG gewähre einen Entschädigungsanspruch für unverhältnismäßige Eigentumsbeeinträchtigungen, der in Fällen, in denen die Eigentumsbeeinträchtigung durch die Anbauverbotszone Folge des Eigentumsentzugs ist, als Restwertentschädigung Gegenstand des Enteignungs- und Entschädigungsverfahrens sei. § 11 EEG NRW erfasse alle unmittelbar und mittelbar durch das planfestgestellte Vorhaben ausgelösten Eigentumsbeeinträchtigungen.
48Selbst wenn man § 9 Abs. 9 FStrG als eigenständigen Anspruch ansehe, so habe das Landgericht diesen prüfen und bejahen müssen.
49Ferner sei der Entschädigungsbetrag nach den Grundsätzen der sogenannten Steigerungsrechtsprechung zu erhöhen. Da die Grundstückspreise in den letzten Jahren gestiegen seien und die Entschädigungssumme – was unstreitig ist – weiterhin nicht gezahlt worden sei, müsse der Bewertungsstichtag auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung verschoben werden.
50II.
51Die Berufung der Berufungskläger und Antragsteller zu 2) und 3) (im Folgenden: der Antragsteller) ist offensichtlich unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, den Antragstellern günstigere Entscheidung, § 513 ZPO.
52Die im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Entschädigungsfestsetzungen sind nicht zugunsten der Antragsteller abzuändern. Das Landgericht hat mit weitestgehend überzeugenden Ausführungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, zu Recht die Entschädigung bezüglich Ziffer 3 b) des streitgegenständlichen Enteignungs- und Entschädigungsfestsetzungsbeschlusses (Grundstück Nr. 1) der Beteiligten zu 5) auf 17.370,00 € festgesetzt und hinsichtlich Ziffer 3 d) des o.a. Beschlusses (Grundstück Nr. 2) den Abänderungsantrag des Antragstellers zu 2) zurückgewiesen.
531.
54Grundstückstück Nr. 1
55a)
56Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Qualitätsstichtag i.S.d. § 8 Abs. 4 EEG NRW nach den Grundsätzen über die Vorwirkung einer Enteignung jedenfalls nicht später als bis zum 31.08.2001 anzusetzen ist. Denn das streitgegenständliche Grundstück Nr. 1 befand sich in der Anbauverbotszone des § 9 Abs. 1 FStrG nach Maßgabe des Ursprungszustandes der Autobahn A 57. Wie das Vordergericht zutreffend ausgeführt hat, hat die Auslegung der Planfeststellungsunterlagen ab dem 31.08.2001 gemäß § 9 Abs. 4 Fernstraßengesetz lediglich dazu geführt, dass über das enteignete Grundstück Nr. 1 hinaus das Anbauverbot des § 9 Abs. 1 FStrG räumlich erweitert worden ist. Hierdurch wurde eine Veränderung der Qualität des enteigneten Flurstücks – wie auch in der Folgezeit - nicht herbeigeführt. Ob der Qualitätsstichtag entsprechend der Ausführungen im Beschluss der Beteiligten zu 5) sowie der Ansicht der Berufung bereits auf den Zeitpunkt der Aufstellung des GEP 1999 vorzuverlagern ist, hat für den Rechtsstreit keine Bedeutung.
57b)
58Das Landgericht hat überzeugend ausgeführt, dass wegen der Anbauverbotszone gemäß § 9 Abs. 1 FStrG das Grundstück Nr. 1 als landwirtschaftliche Fläche anzusehen ist. Denn hierdurch waren Aufschüttungen und Abgrabungen größeren Umfangs, die für einen Kiesabbau notwendig sind, nicht möglich. Dies wird bestätigt durch die vergeblichen Bemühungen der Antragstellerin zu 3), eine Erlaubnis zur wirtschaftlichen Nutzung der Grundstücksfläche zu erreichen. Unter Ziffer 7.4 des Planfeststellungsbeschlusses vom 27.11.2008 ist die Auflage enthalten, dass ein Abstand von 40 m, jeweils gemessen von der standfesten Böschungsoberkante der Auskiesung zum zukünftigen Fahrbahnrand der zum Ausbau vorgesehenen Bundesautobahn A 57, einzuhalten ist (Bl. 507 GA).
59Die Behauptung der Berufung, in dem Schutzstreifen hätten sich auf Grundstück Nr. 1 für den Kiesabbau relevante Böschungsflächen befunden, welche an der Qualität des übrigen Grundstücks partizipiert hätten, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn jedenfalls haben die Antragsteller zu 2) und 3) die jeweiligen Stammgrundstücke erst mit Kaufvertrag vom 19.04.2002 erworben, mithin nach Auslegung der Pläne für den Autobahnausbau und somit in Kenntnis der Einschränkung von deren Nutzungsmöglichkeiten im Bereich der zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden sowie der künftigen Anbauverbotszone nach § 9 Abs. 1, 2, 4 FStrG. Sie konnten und durften somit nicht davon ausgehen, dass sie in der Lage sein würden, die enteigneten sowie nunmehr von der Anbauverbotszone der neu ausgebauten Fahrstreifen erfassten Grundstücksteile in irgendeiner Form dauerhaft zum Zweck des Kiesabbaus gebrauchen zu können. Dies gilt sowohl für den unmittelbaren Kiesabbau, als auch für die Nutzung als Böschungsflächen oder Ähnliches. Soweit die Antragstellerin zu 3) ausführt, dass Abstandsflächen, Böschungsflächen und Flächen für Oberboden und Abraumzwischenlagerung von den Verboten des § 9 Abs. 1 FStrG ausgenommen sein können, so stand jede Nutzung des Schutzstreifens der A 57 für einen dieser Zwecke unter dem Vorbehalt einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 9 Abs. 8 FStrG, wie die Berufung selbst einräumt. Die Einrichtung einer Abraumhalde sowie die Erlaubnis des Betriebs eines Transportbandes im Bereich des Schutzstreifens wurden ausweislich des Planfeststellungsbeschlusses lediglich temporär und unter Ausschluss einer Entschädigung für die Entfernung erteilt.
60Der Vorwurf, das Landgericht habe die tatsächlichen Gegebenheiten des Kiesabbaus verkannt, trägt bereits dem Umstand keine Rechnung, dass der Qualitätsstichtag vor dem tatsächlich erfolgten Kiesabbau liegt, welcher erst nach dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses vom 27.11.2008 beginnen konnte.
61Die enteigneten Teilflächen nahmen ferner nicht an der Qualität des verbleibenden Restgrundstücks teil, welche sich aufgrund ihrer Einstufung als BSAB zum Stichtag als Abbauerwartungsland darstellte. Bei den Grundstücken Nr. 1 und 2 handelt es sich um Zonen innerhalb der Stammgrundstücke, welche aufgrund des Bestehens der Anbauverbotszone der A 57 von vornherein nicht für den Kiesabbau in Betracht kamen. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Grundstück in unterschiedliche Wertzonen aufzuteilen sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 1990 – III ZR 97/89 –, Rn. 11, Senat, Urteil vom 11. März 2004 – 16 U (Baul) 12/00 – Rn. 41, juris). Diese Rechtsprechung betraf zwar Bauland, ist jedoch auf ein Kiesabbaugrundstück gleichermaßen anwendbar. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, weshalb eine Aufteilung eines Baugrundstücks in unterschiedliche Wertzonen zulässig, eine Unterscheidung zwischen für den Kiesabbau geeigneter und ungeeigneter Flächen auf demselben Grundstück hingegen nicht möglich sein sollte.
62c)
63Da eine landwirtschaftliche Fläche vorlag, war das Angebot der Antragstellerin zu 1) vom 08.05.2006 angemessen, weshalb das Landgericht zutreffend gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 3 EEG NRW als Wertermittlungsstichtag den Zeitraum Mitte Juni 2006 angesetzt hat. Auf der Grundlage der zum Verwaltungsverfahren eingereichten Gutachten ist ein objektiver Verkehrswert von 5 € pro Quadratmeter nicht zu beanstanden, woraus sich der vom Landgericht errechnete Betrag von 17.370,00 € ergibt.
64d)
65Weiterhin hat das Vordergericht zutreffend dargelegt, dass die unter „Verschiebetheorien“ gefassten wertmäßigen Ansätze nicht dem Flurstück selbst als Entschädigungsbetrag gemäß § 19 Abs. 5 Fernstraßengesetz i.V.m. § 10 Abs. 1 S. 1 EEG NRW zuzuordnen sind. Vielmehr geht es hier um die Berücksichtigung von Vermögensnachteilen am verbliebenen Restbesitz nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 EEG NRW. Denn der geltend gemachte wirtschaftliche Nachteil besteht darin, dass die Inanspruchnahme des enteigneten Grundstücks für die Erweiterung der Autobahn A 57 dazu führt, dass sich die Verbotszone des § 9 Abs. 1 FStrG nunmehr auf die angrenzende Fläche in dem Umfang des Planfeststellungsbeschlusses vom 27.11.2008 erstreckt.
66Die Berufung führt hierzu ebenfalls aus, dass der „nunmehr neu in die Anbauverbotszone fallende Bereich von der Kiesausbeute ausgeschlossen ist“ und moniert somit gerade eine Beeinträchtigung des Restgrundstücks, nicht eine der enteigneten Fläche, die von § 10 Abs. 1 S. 1 EEG NRW erfasst würde.
67e)
68Auch eine Entschädigung für Beeinträchtigungen des Restbesitzes nach § 11 Abs. 1 EEG NRW ist nicht anzunehmen. Das Landgericht hat überzeugend ausgeführt, dass die aus der Erweiterung des Schutzbereiches resultierenden rechtlichen Folgen sich spezialgesetzlich und damit vorrangig nach § 9 Abs. 9 FStrG richten.
69Der Auffassung der Berufung, ein Minderwert des Stammgrundstücks sei „durch die Enteignung eines Grundstücksteils“ eingetreten, ist das Landgericht zutreffend nicht beigetreten. Denn die von der Antragstellerin zu 3) vorgetragene Beeinträchtigung des Stammgrundstücks wäre bei einer schlichten Enteignung nicht eingetreten, sondern findet ihre Ursache erst darin, dass durch die Fahrspurerweiterung die Anbauverbotszone des § 9 Abs. 1 FStrG nunmehr das Stammgrundstück Nr. 1 betrifft. Die Beeinträchtigung ist folglich nicht unmittelbar durch die Enteignung eingetreten.
70Das Landgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass es sich bei den Beschränkungen des § 9 Abs. 1, 2, 4 FStrG um einen eigenständigen hoheitlichen Eingriff handelt (so auch Aust/Jacobs/Pasternak, Enteignungsentschädigung, 8. Auflage, 2021, Rn. 82, 273 f., für den vergleichbaren Anspruch aus § 18f FStrG: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. Dezember 2014 – 11 A 2763/13 –, Rn. 9 ff., juris). Eine Entschädigung für den hoheitlichen Eingriff nach § 9 Abs. 1, 2, 4 FStrG richtet sich somit ausschließlich nach § 9 Abs. 9, 10 FStrG.
71Soweit die Berufung auf eine mittelbare Beeinträchtigung des Stammgrundstücks Nr. 1 durch die Enteignung abstellt, so ist dem Vordergericht ferner zu folgen, wenn es annimmt, die Berücksichtigung der Nachteile der „Verschiebung“ der Anbauverbotszone als Wertminderung des Grundstücks führe zu einer Umgehung der bundesspezialgesetzlichen Regelung des FStrG. Denn § 1 S. 1 EEG NRW stellt ausdrücklich klar, dass bundesrechtliche Regelungen der Vorrang vor den landesrechtlichen Entschädigungsvorschriften einzuräumen ist. Sowohl § 11 Abs. 1 EEG NRW als auch § 9 Abs. 9 FStrG ermöglichen den Ersatz eines Minderwertes des von der Anbauverbotszone betroffenen Grundstücks und stehen folglich in einem Konkurrenzverhältnis, welches zugunsten der spezielleren, bundesgesetzlichen Norm aufzulösen ist.
72Das Ergebnis des Landgerichts wird ferner dadurch bestätigt, dass es sich bei dem Eingriff nach § 9 FStrG nicht um eine Enteignung, sondern eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des das Eigentumsrecht schützenden Grundrechts des Art. 14 GG handelt (vgl. Aust/Jacobs/Pasternak, Enteignungsentschädigung, Rn. 69).
73Die mit einer solchen Inhalts- und Schrankenbestimmung einhergehenden Beschränkungen sind grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen. Der Verfassungsgemäßheit dieser Inhaltsbestimmung wird dabei durch die Absätze 9 und 10 Rechnung getragen, welche eine eigene Entschädigung vorsehen. Da die von § 9 FStrG ausgehenden Eingriffe in das Eigentum der Antragsteller mithin nicht als Enteignung anzusehen sind, können deren Wirkungen nicht zur Begründung einer Erhöhung der Enteignungsentschädigung herangezogen werden. Daher ist die Ansicht der Berufung, die Auffassung des Landgerichts verstoße im Ergebnis gegen Art. 14 Abs. 1, 3 GG schon vor diesem Hintergrund unzutreffend.
74Dem steht nicht entgegen, dass der BGH mit Beschluss vom 14.07.1983 (III ZR 215/82) gebilligt hat, dass das Berufungsgericht der dortigen Klägerin eine Wertminderung des Restgrundstücks auf einem Sicherheitsstreifen einer Autobahn zuerkannt hat. In der vorstehenden Entscheidung ist eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen dem EEG NRW (welches in dem vom BGH zu beurteilenden Sachverhalt bereits nicht anwendbar war) und dem FStrG nicht erfolgt. Zudem ist hier in Abweichung von der o.g. Entscheidung nicht davon auszugehen, dass ein Anspruch auf Nassauskiesung der in der Anbauverbotszone belegenen Grundstücksflächen gegeben war, wie nachfolgend unter f) dargelegt wird.
75f)
76Ob unter Berücksichtigung des Vorbringens der Berufung die Auffassung des Vordergerichts zutreffend ist, wonach § 9 Abs. 9 FStrG im Rahmen des gegenständlichen Verfahrens nicht zu prüfen sei, kann dahingestellt bleiben.
77Denn selbst wenn diese Norm Anwendung fände und – wie die Berufung meint – im Rahmen der Entschädigung nach § 11 EEG NRW Berücksichtigung zu finden hätte, stünde der Antragstellerin zu 3) kein Anspruch auf eine weitergehende Entschädigung zu. Die einen Entschädigungsanspruch auslösenden Voraussetzungen des § 9 Abs. 9 FStrG sind nämlich nicht verwirklicht.
78aa)
79Grundsätzlich kommt für eine durch die Anbauverbotszone verhinderte Möglichkeit der Auskiesung eines Grundstücks ein Entschädigungsanspruch in Betracht. Zwar stellt § 9 Abs. 9 FStrG lediglich auf eine Einschränkung der baulichen Nutzung eines Grundstücks ab. Unter den Begriff der baulichen Nutzung fallen allerdings u.a. auch die Errichtung von Masten sowie der Betrieb von Steinbrüchen, Kies- und Sandgruben. Die Rechtsprechung geht ebenfalls davon aus, dass der Betrieb von Kiesgruben, wenn er durch eine Beschränkung gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 FStrG unmöglich gemacht wird, einen Anspruch aus § 9 Abs. 9 FStrG zu begründen geeignet ist (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.1996 – U (Baul) 2/95; so implizit auch BGH, Urteil vom 12. Juni 1975 – III ZR 25/73 – Rn. 23, juris).
80bb)
81Weitere Voraussetzung für einen Anspruch nach § 9 Abs. 9 FStrG ist allerdings, dass der Antragstellerin zu 3) zum o.g. Zeitpunkt ein Rechtsanspruch auf Benutzung der streitgegenständlichen Grundstücksfläche zum Kiesabbau zugestanden hätte. Einen derartigen Rechtsanspruch hat die Antragstellerin zu 3) weder von ihrem Rechtsvorgänger erlangt, noch ist ein solcher Anspruch unmittelbar in ihrer Person gegeben.
82(1)
83Die Antragstellerin zu 3) kann keinen Entschädigungsanspruch ihres Rechtsvorgängers geltend machen. Dem Land NRW (Staats-Sonderfonds „W. J.“) als Rechtsvorgänger der Antragstellerin zu 3) stand ein derartiger Anspruch auf Auskiesung der streitgegenständlichen Fläche nicht zu.
84Im Falle eines Eigentümerwechsels steht grundsätzlich demjenigen Eigentümer eine Entschädigung zu, dem bei Wirksamwerden des Eingriffs das Grundstück gehörte. Jedoch kann nach der Rechtsprechung des BGH dann auf die Rechtsposition des Rechtsvorgängers abzustellen sein, wenn schon bei diesem in eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition eingegriffen worden ist und danach eine Übertragung des Eigentums an den Anspruchsteller erfolgt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 2. Februar 1978 – III ZR 90/76 –, Rn. 27 ff., juris).
85Eine solche vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG erfasste Rechtsposition stand dem Rechtsvorgänger der Antragstellerin zu 3) nicht zu. Denn der Staats-Sonderfonds „W. J.“ hatte lediglich eine Aussicht auf Nutzung der streitgegenständlichen Flächen zum Zwecke der Auskiesung, nicht jedoch einen diesbezüglichen Rechtsanspruch im Sinne von § 9 Abs. 9 FStrG.
86Eine Nutzung der Grundstücksfläche fand zur Zeit der Inhaberschaft des Rechtsvorgängers der Antragstellerin zu 3) allein zu landwirtschaftlichen, nicht jedoch zu Abbauzwecken, statt. Ein Planfeststellungsbeschluss, welcher einen Rechtsanspruch auf die Auskiesung des Grundstücks zu vermitteln geeignet gewesen wäre, bestand gleichfalls nicht.
87Der Rechtsvorgänger der Antragstellerin zu 3) hatte ferner im Zeitpunkt Juli/August 2001 keinen Rechtsanspruch auf Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses. Die Zulässigkeit der Nassauskiesung auf dem Stammgrundstück Nr. 1 richtete sich nach § 31 Abs. 2 Satz 1 WHG in der bis zum 28. Februar 2010 geltenden Fassung (vgl. hierzu etwa: OVG NRW, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 20 A 628/05 -, juris).
88Dem Erlass eines wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses geht dabei eine dreistufige Prüfung voraus. Zunächst muss die Planrechtfertigung gegeben sein. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn für das beabsichtigte Vorhaben, gemessen an den Zielsetzungen des jeweiligen Fachgesetzes, ein Bedarf besteht, die Maßnahme unter diesem Gesichtspunkt also objektiv erforderlich ist (vgl. Maus, in: Berendes / Franz / Müggenborg, Kommentar zum WHG, 2. Auflage 2017, § 68 Rn. 50).
89Auf der zweiten Stufe wird das Vorliegen zwingender Versagungsgründe geprüft. Derartige Versagungsgründe waren zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zum Teil in § 31 Abs. 5 Satz 3 WHG a.F. normiert (nunmehr geregelt in § 68 Abs. 3 WHG), zum Teil ergaben sie sich direkt aus dem im Übrigen zu beachtenden Fachrecht.
90Dass derartige Versagungsgründe im Zeitpunkt vor Auslegung der Planunterlagen im Juli/August 2001 nicht vorgelegen hätten, kann jedoch nicht festgestellt werden. Vorliegend hing die Zulässigkeit des Kiesabbaus davon ab, welche konkrete Vorhabensausgestaltung im Zulassungsverfahren letztlich durch den Planfeststellungsbeschluss hätte realisiert werden können. Jedoch muss immer damit gerechnet werden, dass etwa aus Gründen des Grundwasser-, des Naturschutzes oder der Bodendenkmalpflege Nebenbestimmungen erlassen werden, welche einen Kiesabbau auf Teilen der Fläche einschränken oder gänzlich ausschließen.
91Wie der Inhalt des Planfeststellungsbeschlusses vom 27.11.2008 deutlich macht, hängt die konkrete Ausgestaltung einer Abbaugenehmigung von einer Vielzahl von im Planfeststellungsverfahren zu berücksichtigenden Einflussgrößen – von denen vorstehend nur exemplarisch einige genannt wurden – und damit zusammenhängenden Auswirkungen ab. Schon deshalb ist mit dem Eigentum an Grundstücken, die in einem als BSAB ausgewiesenen Gebiet liegen, kein vorher exakt berechenbarer und rechtlich durchsetzbarer wirtschaftlicher Ertragswert verbunden.
92Dass das Stammgrundstück Nr. 1 in einer im GEP 1999 ausgewiesenen Abgrabungskonzentrationszone (BSAB) lag, erlangt hingegen erst auf der dritten Prüfungsstufe, der Abwägung Bedeutung. Diese Lage hat keinen Automatismus dahingehend zur Folge, dass der Voreigentümer des Grundstücks einen Anspruch auf Erlass eines die Nassabgrabung gestattenden Planfeststellungsbeschlusses nach § 31 Abs. 2 Satz 1 WWHG a.F. und damit auf Zulassung der baulichen Nutzung des Grundstücks i. S. d. § 9 Abs. 9 FStrG hatte. Denn die Ausweisung der BSAB im GEP 1999 stellt zwar ein Ziel der Raumordnung i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG (a.F.) dar (vgl. Ziel 1.2, Bl. 467 GA), das vorliegend in einem vom Grundstücksvoreigentümer eingeleiteten wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren nach § 4 Abs. 1 ROG a.F. (heute § 4 Abs. 1 Satz 1 ROG) zu beachten gewesen wäre. Dies bedeutet aber nur, dass die Rohstoffgewinnung als abwägungserheblicher Belang auf der dritten Stufe des Prüfprogramms nicht mehr durch andere Belange hätte verdrängt werden können, da insoweit bereits eine abschließende Abwägung durch den Träger der Raumordnung (Plangeber des GEP 1999) erfolgt ist. Beim Vorliegen eines zwingenden Versagungsgrundes wäre allerdings eine solche Abwägung auf der dritten Stufe bereits nicht mehr vorzunehmen gewesen. Der Erlass des Planfeststellungsbeschlusses hätte vielmehr – falls der Versagungsgrund nicht, etwa durch Nebenbestimmungen, hätte ausgeräumt werden können – bereits aus diesem Grund abgelehnt werden müssen (vgl. hierzu etwa: Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 27. September 2011 - 17 K 3985/08 -, juris).
93Diese Einordnung lässt sich Im Übrigen auch damit in Übereinstimmung bringen, dass die Flächen ausweisenden Karten in Regionalplänen nicht eine Genauigkeit aufweisen müssen, die die Identifizierung von einzelnen kleineren Grundstücksflächen im Detail ermöglicht. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen der Beteiligten zu 5. zum Regionalplan GEP 99 im streitgegenständlichen Beschluss vom 3.8.2015 unter 3.1.1 (Bl. 942 VV) Bezug genommen.
94Da hier nicht feststeht, dass dem Erlass eines wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses zugunsten des Rechtsvorgängers der Antragstellerin zu 3) im Zeitpunkt der Auslegung der Planunterlagen keine zwingenden Versagungsgründe entgegengestanden hätten, kommt es mithin nicht darauf an, dass die Abwägung auf der dritten Stufe durch die Belegenheit des Stammgrundstücks Nr. 1 in einem als BSAB ausgewiesenen Gebiet bereits „vorgezeichnet“ war.
95Die sich aus der Festsetzung im Raumordnungsplan für den Grundstückseigentümer ergebenden Abbaumöglichkeiten werden nach alledem durch den Begriff „Abbauerwartungsland“ zutreffend charakterisiert. Dies ist mit der Lage bei einem „Bauerwartungsland“ vergleichbar, bei dem es sich um Flächen handelt, die nach ihren weiteren Grundstücksmerkmalen eine bauliche Nutzung aufgrund konkreter Tatsachen, insbesondere nach dem Stand der Bauleitplanung und nach der sonstigen städtebaulichen Entwicklung des Gebiets, mit hinreichender Sicherheit erwarten lassen (§ 3 Abs. 2 ImmoWertV).Diese planungsrechtliche Situation begründet keinen Rechtsanspruch gem. § 9 Abs. 9 FStrG (Aust/Jacobs/Pasternak/Friedrich Rn. 77). Die Existenz einer für den Grundstückseigentümer vorteilhaften Leitplanung, wie die aufgrund eines Flächennutzungsplans (vgl. § 5 BauGB) oder eines Raumordnungsplans, begründet keinen gefestigten Anspruch des Grundstückseigentümers auf eine bestimmte Nutzung seines Grundstücks, sondern nur eine Aussicht auf eine vorteilhafte Nutzung, welche z.B. durch eine Planungsänderung zunichtegemacht werden kann. Sie ist nicht mit den Wirkungen eines Bebauungsplans zu vergleichen, der Entschädigungsansprüche des Eigentümers nach Maßgabe der §§ 39 ff. BauGB auslösen kann. Dementsprechend vermittelt eine Leitplanung der gegenständlichen Art keine eigentumsrechtlich verfestigte Rechtsposition (vgl. zum Flächennutzungsplan: BGH, Beschluss vom 17. Januar 1991 – III ZR 94/90 -; Senat, Urteil vom 21. September 2006 – 16 U (Baul.) 5/06-, Rn.15 ff., jeweils juris).
96(2)
97Der Antragstellerin zu 3) steht überdies aus eigenem Recht kein Anspruch aus § 9 Abs. 9 FStrG zu, da sie zu keinem Zeitpunkt einen Rechtsanspruch auf Betreiben des Kiesabbaus im Bereich der streitgegenständlichen Anbauverbotszone nach § 9 Abs. 1 FStrG hatte.
98Die Antragstellerin zu 3) ist erst aufgrund Kaufvertrages vom 19.04.2002 am 21.11.2002 Eigentümerin der gegenständlichen Grundstücksfläche geworden.
99Der Erteilung eines Planfeststellungsbeschlusses für die Antragstellerin zu 3) für die streitgegenständlichen Flächen stand daher von vornherein die Anbauverbotszone gemäß § 9 Abs. 1, 4 FStrG entgegen. Dies wird bereits durch die vorgenannte Auflage in dem Planfeststellungsbeschluss vom 27.11.2008 demonstriert, welche der Antragstellerin zu 3) die Beachtung des Schutzstreifens vorgibt.
100Die Auflage, die Abstandsfläche nach § 9 Abs. 1 FStrG einzuhalten, hält sich im Rahmen der möglichen Vorhabensausgestaltung, die ein Antragsteller im Rahmen der Eigentumsbindung entschädigungslos hinnehmen muss.
101Der wirtschaftliche Nachteil, den die Antragstellerin zu 3) geltend macht, beruht letztendlich auf ihrer Entscheidung, die gesamte Grundstücksfläche zu einem Preis zu erwerben, der nach ihrem Vorbringen dem eines Abbauerwartungslandes entspricht. Dies hat sie im Rahmen der Vertragsfreiheit getan, obwohl die Wirkungen des § 9 Abs. 1 FStrG bezüglich einer (kleinen) Teilfläche des Kaufobjekts schon bestanden. Es hätte ihr freigestanden, wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile auf eine Reduzierung des Kaufpreises hinzuwirken oder unter Berücksichtigung der mit dem Geschäft verbundenen Risiken hiervon abzusehen. Die als ungünstig empfundenen Wirkungen einer Vertragsausgestaltung unterliegen nicht dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG und sind damit nicht entschädigungspflichtig.
1022.
103Grundstück Nr. 2
104Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, hat die Beteiligte zu 5) zu Recht den Entschädigungsbetrag auf 5.550 € (1.110* 5 €) festgesetzt.
105Selbst wenn entgegen der Auslegung der Beteiligten zu 5) unterstellt würde, dass im Regionalplan GEP 99 die streitgegenständlichen Flächen dem BSAB-Bereich ohne Rücknahme zugeordnet wurden, sind die Grundstücke aus den Gründen zu oben 1. als Landwirtschaftsfläche zu qualifizieren. Auch hier ist der Qualitätsstichtag spätestens mit der Auslegung der Planunterlagen für den Autobahnausbau am 31.08.2001 eingetreten. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 1. a) ergänzend Bezug genommen. Die Grundstücksflächen waren bereits beim Ausbauzustand der A 57 im Jahre 1999 von der Anbauverbotszone gemäß § 9 Abs. 1 FStrG umfasst.
106Der Preis von 5 € pro Quadratmeter Landwirtschaftsfläche ist auch hier in Übereinstimmung mit der Beteiligten zu 5) und dem Landgericht als angemessen zu qualifizieren.
107Wegen der Wirkungen des § 9 Abs. 1 FStrG auf die den enteigneten Grundstücken angrenzenden Flächen kann auf Ausführungen unter oben 1. e) und f) Bezug genommen werden.
1083.
109Den Antragstellern zu 2) und 3) ist ferner eine Erhöhung der Entschädigungszahlung nach den Grundsätzen der sog. Steigerungsrechtsprechung nicht zuzubilligen.
110Der Hintergrund dieser Rechtsprechung ist, dass in Zeiten schwankender, insbesondere steigender Preise zweifelhaft sein kann, welcher Zeitpunkt für die Bemessung der Entschädigung maßgebend ist. Der Enteignungsbegünstige hat dabei grundsätzlich Sorge dafür zu tragen, dass der Betroffene den Ausgleich richtig und rechtzeitig erhält, da er den Anstoß zum Eingriff in das Eigentumsrecht des Betroffenen gegeben hat (BGH, Urteil vom 31. März 1977 – III ZR 10/75 –, Rn. 23, juris; BGH WM 1975, 640, 641). Erhält der Enteignungsbetroffene die Entschädigung erst erheblich nach der Festsetzung durch die Enteignungsbehörde, vermag er sich mit dem ausgezahlten Betrag keinen gleichwertigen Ersatz mehr zu beschaffen, sodass der mit der Entschädigung bezweckte Ausgleich des Substanzverlustes nicht voll erreicht wird. Dies rechtfertigt es, den maßgebenden Zeitpunkt für die Preisverhältnisse auf den Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Verhandlung zu verschieben, sofern eine tatsächliche Änderung der Preise eingetreten ist, eine erhebliche Verzögerung der Auszahlung der Entschädigungssumme vorliegt und die Ursache der Verzögerung im Verantwortungsbereich des Enteignungsbegünstigten liegt (vgl. Aust/Jacobs/Pasternak, Rn. 693).
111Vorliegend ist zwar unstreitig die Entschädigungssumme nicht ausgezahlt worden, sodass eine erhebliche Verzögerung eingetreten ist. Die Antragsteller zu 2) und 3) behaupten zudem eine erhebliche Steigerung der Grundstückspreise. Jedoch liegt hier die Verzögerung der Auszahlung der Entschädigungssumme im Verantwortungsbereich der Antragsteller selbst. Denn diese haben das dem Verkehrswert entsprechende und angemessene Angebot der Enteignungsbegünstigten zum freihändigen Erwerb nicht angenommen, da sie es irrig für zu niedrig hielten. Dies führt gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 3 EEG NRW dazu, dass Werterhöhungen nicht mehr zu berücksichtigen sind, die nach der Nichtannahme eines angemessenen Angebotes eingetreten sind Dies stellt einen allgemeinen Grundsatz des Enteignungsrechts dar (vgl. etwa BGH, Urteil vom 18. September 1986 – III ZR 83/85 –, Rn. 10, juris).
112III.
113Auf die Kostenprivilegierung im Falle der Berufungsrücknahme wird hingewiesen (GK, KV 1222).