Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung gegen das am 12.08.2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Münster durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, binnen 2 Wochen nach Zugang dieses Beschlusses zu dem Hinweis Stellung zu nehmen oder die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen.
Gründe:
2Die Berufung ist zulässig, hat aber nach einstimmiger Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats. Auch eine mündliche Verhandlung, von der neue entscheidungserhebliche Erkenntnisse nicht zu erwarten sind, ist nicht geboten, § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO.
3Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die mit der Berufung gegenüber dem angefochtenen Urteil erhobenen Einwände rechtfertigen weder die Feststellung, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO), noch ergeben sich daraus konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellung begründen und eine erneute Feststellung gebieten. Die daher nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.
4Der Klägerin stehen aufgrund des von ihr behaupteten Unfallereignisses vom 01.11.2019 auf dem Friedhof in T. keine Ansprüche gegen die beklagte Stadt aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG, §§ 9, 9a, 47 StrWG NRW oder § 823 BGB zu.
5Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die beklagte Stadt für den Friedhof, auf dem sich der klägerseits vorgetragene Unfall ereignet haben soll, verkehrssicherungspflichtig ist. Dabei kann offenbleiben, ob diese Verkehrssicherungspflicht eine hoheitliche Maßnahme darstellt, sodass etwaige Ansprüche wegen derer Verletzung aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG folgen, oder ob die Sicherungspflichten auf einem Friedhof nach § 823 BGB zu beurteilen sind (so z. B. OLG Hamm, Urteil vom 24. November 1981 – 9 U 137/81 –, juris Rn.12; vgl. dazu Wingler in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 839 BGB (Stand: 18.08.2023), Rn. 69 f.; auch BGH, Urteil vom 30. Januar 1961 – III ZR 225/59 –, BGHZ 34, 206-216, Rn. 9; Staudinger/Wöstmann (2023) BGB § 839, Rn. 111). In beiden Fällen geht die Pflicht der beklagten Stadt und der mit der Verkehrssicherungspflicht befassten Bediensteten dahin, das Friedhofsgelände so zu gestalten, dass Besucher vor vermeidbaren Gefahren tunlichst bewahrt werden. Hoheitliche und privatrechtliche Verkehrssicherungspflichten wären insoweit inhaltsgleich (zu einer vergleichbaren Konstellation vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1992 – III ZR 57/91 –, juris Rn. 4).
6Eine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, welche geeignet wäre, einen Schadensersatzanspruch zu begründen, hat die Klägerin jedoch nicht hinreichend dargetan. Grundsätzlich besteht für jeden, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahr für Dritte schafft oder andauern lässt, die Verpflichtung, die ihm zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst abzuwenden (BGH, Urteil vom 12. Februar 1985 – VI ZR 193/83 –,juris Rn. 7). Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht richtet sich nach den tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten der Gefahrabwendung (OLG Frankfurt, Urteil vom 30. März 1989 – 1 U 81/88 –, Rn. 19, juris). Die Verkehrssicherungspflicht auf Friedhöfen erstreckt sich dabei auf sämtliche Wege zu den Gräbern, auf die Anlagen um die Gräber und auf die Gräber selbst (OLG Düsseldorf, Urteil vom 9. Oktober 1975 – 18 U 22/75 –, Rn. 27, juris). Geringe Unterschiede im Niveau der verwendeten Pflasterung sind dabei im Allgemeinen hinzunehmen. Eine völlige Mängel- und Gefahrenfreiheit kann nicht erwartet werden. Verkehrsteilnehmer müssen sich vielmehr grundsätzlich an die gegebenen Verhältnisse anpassen und die Straßen und Wege so hinnehmen, wie sie sich ihnen erkennbar darbieten (Staudinger/J Hager (2021) BGB § 823 E, Rn. E 87). Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und in objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einzurichten vermag. Ob danach eine Straße „in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand" ist, entscheidet sich im Einzelnen nach der allgemeinen Verkehrsauffassung. Art und Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seine Bedeutung sind dabei zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 13. Juli 1989 – III ZR 122/88 –, BGHZ 108, 273-277, Rn. 11). Nichtabhilfebedürftig sind danach solche Gefahrenstellen, welche für den teilnehmenden Verkehr bei Waltung der erforderlichen Eigensorgfalt gut erkennbar und beherrschbar sind (Senatsbeschluss vom 13. April 2016 – I-11 U 127/15 –, Rn. 23, juris).
7Bei einem Hauptweg auf einem Friedhof erwartet der Fußgänger eine einigermaßen ebene Fläche mit allenfalls geringen Unebenheiten. Als Ort der Trauer, Besinnung und des Totengedenkens ist ein Friedhof geeignet, die Aufmerksamkeit des Besuchers gegenüber Gefahren abzuschwächen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Friedhöfe vornehmlich von älteren Menschen aufgesucht werden, die erfahrungsgemäß besonders sturzgefährdet sein können (Zoll/Fad/Zapf/Kürschner/Rüge/Fahl/vom Brocke/Schumacher/Sapp/Reul in: Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 17. Aufl. 2021, § 2 Unerlaubte Handlungen, Rn. 368).
8Ausgehend von diesen Grundsätzen stellte die beschädigte Verkehrsfläche, in deren Bereich die Klägerin behauptet, gestürzt zu sein, keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar. Insoweit folgt der Senat den Ausführungen des Landgerichts, wonach die Gefahr, welche sich aufgrund der schadhaften Pflasterung für die Besucher ergab, für diese hinreichend erkennbar und beherrschbar war. Dieses hat zurecht auf die Verkehrserwartung abgestellt und insoweit zutreffend auf die besondere Ablenkung von Friedhofsbesuchern und deren oft eingeschränkte gesundheitliche Konstitution abgestellt. Dass es gleichwohl zu der Überzeugung gelangt ist, dass die schadhafte Stelle auch bei der von diesen Verkehrskreisen zu erwartenden Aufmerksamkeit hinreichend deutlich zu erkennen und zu beherrschen war, begegnet keinen Bedenken. Dagegen greifen die insoweit mit der Berufung dagegen vorgebrachten Einwände nicht durch. Sofern die Klägerin mit der Berufung unter Bezugnahme auf die Senatsentscheidung vom 11.03.2022 (Az. 11 U 163/21) einen Vergleich mit einer falsch konstruierten Fahrbahnschwelle bemüht, geht dieser fehl. Die Gefährlichkeit der Fahrbahnschwelle, welche Gegenstand der in Bezug genommenen Entscheidung war, begründete sich gerade aus dem Umstand, dass diese bei Annäherung durch den Verkehrsteilnehmer diesem gegenüber den Eindruck erweckte, entsprechend geltender Normen errichtet worden zu sein. Eine Beschädigung oder vorschriftswidrige Errichtung war bei Annäherung an die Fahrbahnschwelle gerade nicht erkennbar. Einen solchen Eindruck vermochte die schadhafte Stelle in der Pflasterung gerade nicht zu vermitteln. Ausweislich der zur Gerichtsakte gereichten Lichtbilder war bereits bei Annäherung an den schadhaften Bereich deutlich erkennbar, dass die verlegten Pflastersteine nicht mehr bündig beieinanderliegen. Zudem war für den Verkehrsteilnehmer ersichtlich, dass die Pflastersteine, anders als dies etwa bei Rasengittersteinen der Fall ist, nicht gewollt auf diese Art und Weise verlegt worden sind, da sich die schadhafte Stelle deutlich von der sie umgebenden Pflasterung abhob. Demnach konnte und musste sich ein Verkehrsteilnehmer darauf einstellen, dass die Pflasterung in diesem Bereich schadhaft war und sich deswegen Unebenheiten ergeben können oder die entstandenen Lücken nicht eine von Gehwegen üblicherweise zu erwartende Tragfähigkeit aufweisen. Dieser Umstand war, wie das Landgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, bei der zu erwartenden Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer deutlich erkennbar, da die helle Pflasterung sich von den dunklen Zwischenräumen deutlich abhob.
9Zutreffend hat das Landgericht auch angenommen, dass die Gefahrenstelle für die Verkehrsteilnehmer auch beherrschbar war. Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Vorbringen der Klägerin, noch aus den eingereichten Lichtbildaufnahmen (Bl. 235 ff. LG-Akte). Nach gefestigter Rechtsprechung, welcher der Senat folgt und von der abzuweichen auch im vorliegenden Fall kein Anlass besteht, werden scharfkantig gegeneinander abgesetzte Niveauunterschiede auf asphaltierten, plattierten oder gepflasterten Gehwegen bis zu 2 cm für Fußgänger grundsätzlich als beherrschbar angesehen. Erst darüber hinaus beginnt ein Bereich, in dem Unebenheiten für Fußgänger nicht mehr in jedem Fall hingenommen werden müssen, so dass eine Pflicht zur Gefahrbeseitigung des Verkehrssicherungspflichtigen in Betracht kommt, da bei derartig scharfkantigen Höhenunterschieden die Gefahr von Stürzen für Fußgänger anzunehmen ist (vgl. dazu z. B. OLG Hamm, Urteil vom 25. Mai 2004 - 9 U 43/04 -, juris, Rn. 11, mit Verweis auf: OLG Hamm, Urteil vom 19. Juli 1996 - 9 U 108/96 -, juris; Wellner, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, 14. Kap. Rn. 50; Zimmerling in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 839 BGB (Stand: 01.02.2020), Rn. 511ff.) Dabei stellt der genannte Höhenunterschied von 2 cm keine starre Grenze dar, die schematisch heranzuziehen ist, sondern es ist auf die jeweilige vernünftige Erwartungshaltung der Verkehrsteilnehmer in der konkreten Örtlichkeit unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls abzustellen, wobei dem Gesamteindruck, den die Verkehrsfläche dem Benutzer bietet und aus dem dieser seine Erwartungshaltung vernünftigerweise zu einem wesentlichen Teil herleitet, sowie der Verkehrsbedeutung wesentliche Bedeutung zukommt. Von gleichem Gewicht ist das Maß der Ablenkung der Fußgänger, also die Frage, ob der Fußgänger seine Aufmerksamkeit nahezu uneingeschränkt der Gehwegfläche widmen kann oder ob diese durch äußere Umstände abgelenkt wird (OLG Hamm, Urteil vom 25. Mai 2004 - 9 U 43/04 -, juris, Rn. 11; OLG Celle, Urteil vom 7. März 2001 - 9 U 218/00 -, juris, Rn. 6; OLG Hamm, Beschluss vom 11. August 2020 – I-11 W 40/20 –, Rn. 7, juris)
10Sofern die Klägerin ausführt, dass sie mit der Fußspitze bzw. dem Absatz mehrere cm eingesackt sei, genügt dieser Vortrag bereits nicht, um von einer Unbeherrschbarkeit der Gefahrenstelle auszugehen. Vielmehr ist anhand der Lichtbilder deutlich erkennbar, dass die Steine sich nicht scharfkantig voneinander abgrenzen, sondern auf einer Ebene liegen. Sofern sich zwischen den einzelnen Steinen Vertiefungen ergeben haben, weisen diese nicht eine solche Tiefe auf, dass von einer nicht beherrschbaren Gefahr auszugehen wäre. Selbst wenn diese Vertiefungen vereinzelt eine Tiefe von 2 cm (geringfügig) überschreiten sollten, würde dies einer Beherrschbarkeit vorliegend nicht entgegenstehen, da sich im konkreten Einzelfall aufgrund des deutlichen Kontrastes zwischen der Pflasterung und den Zwischenräumen letztere klar abheben. Der offensichtlichen Gefahr kann ein Teilnehmer durch Ausweichen oder behutsames Aufsetzen des Fußes in hinreichendem und zumutbaren Maße begegnen.
11Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt es auch keinen Rechtsfehler des Landgerichts dar, dass dieses aus den Angaben der Klägerin, sie habe den Weg zuvor bereits mehrfach unfallfrei passiert, nicht den Schluss gezogen hat, dass sie auf eine gefahrlose Nutzbarkeit hätte vertrauen dürfen. Allein der Umstand, dass ein Weg mehrfach (unfallfrei) genutzt worden ist, vermag nicht einen besonderen Schutz des entsprechenden Verkehrsteilnehmers zu begründen. Zwar mag – gerade auch auf einem Friedhof – die häufige Nutzung der immer gleichen Wege dazu führen, dass die entsprechenden Nutzer in höherem Maße dazu neigen, abgelenkt zu sein, dies führt jedoch nicht dazu, dass diese von jeglicher Verantwortung, den vor ihnen befindlichen Bereich des beschrittenen Weges zu beobachten, freizusprechen wären. Vielmehr ist auch von diesen Nutzern anzunehmen, dass sie üblicherweise den vor ihnen befindlichen Weg ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit schenken. Dies allein, um auf regelmäßig auftretende Veränderungen, wie etwa abgebrochene Zweige oder abgestellte Gießkannen, reagieren zu können. Die Wahrung dieses Mindestmaßes an Aufmerksamkeit, wäre jedoch bereits geeignet, um die schadhafte Stelle und die von dieser ausgehenden Gefahren – auch bei einsetzender Dämmerung – hinreichend zu erfassen und darauf zu reagieren.
12Unerheblich ist letztlich, dass die beklagte Stadt kurz nach dem Sturzereignis die schadhafte Stelle ausgebessert hat. Zum einen erfolgte die Ausbesserung bereits zu einem Zeitpunkt, zu welchem die beklagte Stadt keine Kenntnis von dem Sturz der Klägerin hatte, zum anderen vermag dieser Umstand eine Verkehrssicherungspflicht nicht zu begründen.
13Auf den Hinweisbeschluss vom 06.09.2023 wurde die Berufung zurückgenommen.