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Zu der Frage, ob die Fahrbahn einer Straße in einem städtischen Wohngebiet zum Schutz querender Fußgänger bei winterlichen Verhältnissen geräumt und gestreut werden muss.
Der Senat weist nach Beratung darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, binnen zwei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses zu dem Hinweis Stellung zu nehmen oder die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen.
Gründe:
2Die Berufung ist zulässig, hat aber nach einstimmiger Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats. Auch eine mündliche Verhandlung, von der neue entscheidungserhebliche Erkenntnisse nicht zu erwarten sind, ist nicht geboten, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
3Zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die mit der Berufung gegenüber dem angefochtenen Urteil erhobenen Einwände rechtfertigen weder die Feststellung, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO), noch ergeben sich daraus konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und eine erneute Feststellung gebieten. Die daher nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.
4Der Klägerin steht kein Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagte gemäß § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG, § 9 Abs. 3, 9a, 47 StrWG NRW i.V.m. § 1 Abs. 2 StrReinG NRW zu.
5Eine Amtspflichtverletzung der Beklagten in Form einer Verkehrssicherungspflichtverletzung liegt auch dann nicht vor, wenn man ihre Unfallschilderung als zutreffend unterstellt. An der hier fraglichen Unfallstelle hat jedenfalls eine Räum- und Streupflicht der Beklagten nicht bestanden.
61.
7Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht richten sich nach der vom Landgericht zutreffend beschriebenen ständigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem angefochtenen Urteil kann verwiesen werden.
8Die für die Sicherung des Fahrbahnverkehrs aufgestellten Erfordernisse (Verkehrsbedeutung und Gefährlichkeit des Fahrbahnbereiches) gelten indes nicht für den Schutz des die Fahrbahn überquerenden Fußgängerverkehrs (OLG Hamm, Urteil vom 10.10.1995, 9 U 94/95, juris). Vielmehr hat die Rechtsprechung die Pflicht zur Sicherung der Fußgänger dahin konkretisiert, dass außer auf Gehwegen, soweit auf ihnen nicht nur ein unbedeutender Verkehr stattfindet, auf den besonders gekennzeichneten Übergängen (§ 26 StVO: Zeichen 293 der Anl. 2 zu § 41 Abs. 1 StVO – „Zebrastreifen“) und auf sonstigen Fußgängerüberwegen gestreut werden muss, soweit diese belebt und unentbehrlich sind (BGH, Urteil vom 20.12.1990, III ZR 21/90, VersR 1991, S. 665; BGH, Beschluss vom 20.10.1994, III ZR 60/94, juris). Belebt und unentbehrlich im vorgenannten Sinne sind grundsätzlich solche Passagen, an denen eine Fahrbahnüberquerung mangels anderer Möglichkeiten stattfinden muss und ständig erheblicher Fußgängerverkehr herrscht (OLG Hamm, Urteil vom 10.10.1994, 9 U 94/95, juris, m.w.N.).
92.
10Legt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, ist eine Räum- und Streupflicht der Beklagten an der Unfallstelle nicht gegeben.
11a) Der behauptete Sturz der Klägerin ist nicht auf einem Gehweg geschehen. Die Frage, ob und von wem der in der W.-straße vorhandene Gehweg gestreut werden muss, kann insofern offen bleiben.
12b) Die behauptete Sturzstelle auf der Fahrbahn musste zudem nach den zuvor dargestellten Grundsätzen von der Beklagten aufgrund eines in dem Bereich stattfindenden Fußgängerverkehrs nicht geräumt oder gestreut werden, da dort ein regelmäßiger Fußgängerverkehr nicht stattfindet.
13Bei der W.-straße handelt es sich um eine reine Wohnstraße. Verkehrsträchtige Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Supermärkte oder Veranstaltungshallen befinden sich nicht in unmittelbarer Nähe der Unfallstelle, so dass sich der Fußgängerverkehr hier im Wesentlichen auf die Anwohner beschränkt. Dies gilt auch angesichts des von der Klägerin angeführten Friedhofs, der evangelischen Kirche und des dazu gehörenden Kindergartens. Der Friedhof beginnt nach den im Internet zugänglichen Straßenplänen und Fotostrecken bei google-maps erst hinter dem Haus Nr. 14. Es ist weder vorgetragen, noch sonst nachvollziehbar, dass Friedhofbesucher gerade an der Stelle, an der die Klägerin gestürzt ist, regelmäßig die Straße überqueren, zumal einige offenbar für Friedhofbenutzer vorgesehene Parkplätze erst am vom Wohnhaus der Klägerin entfernten Ende des Friedhofs vorhanden sind. Darüber fehlt ohnehin jeder Grund für die Annahme, dass aufgrund des Friedhofs in den Wintermonaten überhaupt regelmäßig ein nennenswerter Fußgängerverkehr stattfindet, erst recht nicht bei winterlichen Verkehrsverhältnissen. Aber auch bei etwaigen Beerdigungen besteht kein Grund für die Annahme, dass die Teilnehmer gerade an der Unfallstelle die Straßenseite wechseln. Die evangelische Kirche befindet sich in einiger Entfernung zum Wohnhaus der Klägerin und ist zudem über die P.-straße erreichbar. Ein Einfluss auf den Fußgängerverkehr an der Unfallstelle ist auch insofern nicht nachvollziehbar.
14Bei der Sturzstelle handelte es sich mithin nicht um einen Fußgängerüberweg, sondern um eine beliebige Stelle im Straßenverlauf. Wäre die Beklagte bereits aufgrund der nicht auszuschließenden Möglichkeit der Straßenüberquerung durch Anwohner zu ihrem geparkten Fahrzeug zum Räumen oder Streuen gehalten, müsste sie die komplette Fahrbahn für den Fußgängerverkehr von Schnee und Eis freihalten. Eine derart weitgehende Verpflichtung könnte die Beklagte, in deren Stadtgebiet eine Vielzahl von Straßen mit ähnlicher Verkehrsbedeutung liegt, nicht mit zumutbarem Personal- und Materialeinsatz erfüllen. Vielmehr liegt es in der Eigenverantwortung der Verkehrsteilnehmer, eine sichere Stelle zum Überqueren der Fahrbahn aufzusuchen, um gefahrlos die Straßenseite wechseln zu können, notfalls bis an die Einmündung in die P.-straße auszuweichen.
15c) Die Klägerin kann sich schließlich nicht darauf berufen, dass die Beklagte die Fahrbahn für den PKW-Verkehr zu räumen oder zu streuen hatte.
16Für den Fußgängerverkehr gelten – wie oben bereits dargestellt – grundsätzlich andere Maßstäbe als für den PKW-Verkehr. Die Klägerin, die zum Unfallzeitpunkt als Fußgänger unterwegs war, fällt daher schon nicht in den Schutzbereich einer eventuell bestehenden Amtspflicht, die Fahrbahn für den PKW-Verkehr zu räumen oder zu streuen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 30.12.2013, 11 U 72/13; OLG München, Beschluss vom 09.01.2007, 1 U 5665/06, juris; OLG München, Beschluss vom 13.06.2007, 1 U 2311/07).
17Abgesehen davon bestand für die Fahrbahn der W.-straße nach den vom Landgericht dargestellten Grundsätzen ohnehin keine Räum- und Streupflicht der Beklagten. Die W.-straße ist weder verkehrswichtig, noch ist ersichtlich, dass an der Unfallstelle eine gefährliche Stelle vorliegen würde. Soweit die Beklagte die W.-straße aufgrund der geringen Verkehrsbedeutung nicht in ihren Streuplan aufgenommen hat, ist dies nicht zu beanstanden. Die Straße wird im Wesentlichen nur von Anwohnern genutzt, während ein nennenswerter Durchgangsverkehr trotz des Friedhofs gerade bei winterlichen Straßenverhältnissen nicht zu erwarten ist. Für etwaige mit dem PKW anreisende Friedhofbesucher, aber auch die Anwohner, besteht die Möglichkeit, ihre Fahrzeuge an anderer Stelle als in der W.-straße zu parken und den Weg zum Friedhof oder zu ihren Häusern über den Gehweg zu Fuß zurückzulegen. Dementsprechend ist es nachvollziehbar, dass die Beklagte das Verkehrsaufkommen in dieser Straße als gering eingestuft hat.
18Die Berufung ist mit Senatsbeschluss vom 22.06.2023 aus den Gründen des Hinweisbeschlusses gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen worden.