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Aufgrund des Anpflanzens und Aufziehens von Straßenbäumen vor dem Grundstück des Geschädigten ist eine Kommune weder nach öffentlich-rechtlichen noch nach privatrechtlichen Maßstäben als Störer anzusehe, wenn ein Schaden durch von den Bäumen abbrechende Äste infolge eines von niemadem zu beherrschenden Naturereignisses eingtritt (Sturm mit der Windstärke 8 Beaufort).
Die Berufung des Klägers gegen das am 15.07.2022 verkündete Urteil der
5. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
2I.
3Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
4II.
5Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache erfolglos. Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
61.
7Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch wegen einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG oder aus
8§ 823 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte zu.
9a) Dabei kann dahinstehen, ob das Rechtsverhältnis zwischen einer Kommune, welche die Sicherheit auf den öffentlichen Verkehrsflächen u.a. in Bezug auf die darauf stehenden Straßenbäume zu gewährleisten hat, und einem Grundstücksnachbarn dem öffentlichen Recht unterfällt oder privatrechtlich zu beurteilen ist. Denn in dem vorliegenden Fall lässt sich eine schuldhafte Pflichtverletzung auf Seiten der Beklagten, die den Schaden am Haus des Klägers verursacht haben könnte, nicht feststellen, was eine Haftung der Beklagten aus beiden insofern in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen ausschließt.
10b) Die Beklagte hat keine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt.
11Die Pflegemaßnahmen der Beklagten waren nicht aus dem Grunde unzureichend, dass bei den vorangegangenen Baumschauen an den Bäumen vor dem Haus des Klägers Schadens- oder Krankheitssymptome übersehen wurden oder ein erforderlicher Baumschnitt versäumt wurde. Weiterhin ist nicht feststellbar, dass die Schäden am Haus durch kranke oder sonst schadhafte Äste verursacht wurden.
12Insofern nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen und Feststellungen des Landgerichts, deren Richtigkeit durch die ergänzend durchgeführte Beweisaufnahme des Senats bestätigt worden ist. Bereits die Befragung des Klägers durch den Senat hat ergeben, dass die Beschädigungen am Haus des Klägers, deren Ersatz er mit der vorliegenden Klage verlangt, an zwei unterschiedlichen Stellen des Dachs sowohl an der Vorder- als auch an der Rückseite des Hauses entstanden sind, was nahelegt, dass hierfür nicht nur ein Ast, sondern zwei unterschiedliche Äste verantwortlich waren. Diese Äste vermochte der Kläger nicht zu beschreiben und zu identifizieren, wobei er nicht einmal ausschließen konnte, dass sie von der vor dem Nachbarhaus stehenden Platane abgebrochen waren.
13Aber auch im Übrigen fehlt es an jedem Anhaltspunkt für eine unzureichende Baumschau und Baumpflege seitens der Beklagten. Auch die Folgen des Sturms am 31.08.2019 lassen keinen Rückschluss hierauf zu. Der Sachverständige hat bei sei- ner Anhörung durch den Senat nochmals bekräftigt, dass im Sommer, wenn die Äste belaubt sind, ein Sturm der Stärke von 8 Beaufort zu einem Abbrechen von Ästen führen kann, wie es am Schadenstag vor dem Haus des Klägers geschehen ist, auch wenn die betreffenden Bäume gesund und ausreichend gepflegt waren. Er hat weiter bekräftigt, dass er bei seiner Besichtigung zwar von Pflegemaßnahmen herrührende Schnittstellen, jedoch keine Krankheitssymptome oder sonstige Auffälligkeiten bei den in Betracht kommenden Bäumen feststellen konnte. Auch das Erscheinungsbild der gesamten Allee in der A Straße war trotz des vereinzelten Fehlens bzw. Ersatzes einzelner Bäume unauffällig und nicht schadensträchtig und gebot nicht den
14Rückschnitt der vor dem Haus des Klägers bzw. dem Nachbarhaus stehenden Platanen.
15Der Senat hat keine Bedenken, den Ausführungen des Sachverständigen zu folgen, die in jeder Hinsicht schlüssig und gut nachvollziehbar waren. Soweit er sich vor Ort ein Bild vom Zustand der Bäume durch Besichtigung vom Boden aus verschaffte, begegnet dies keinen Bedenken, sondern deckt sich mit dem Vorgehen und der Ein- schätzung anderer Sachverständiger aus anderen Verfahren vor dem Senat, wonach eine Beurteilung des Baumzustands durch eine Sichtprüfung vom Boden aus dem üblichen Standard entspricht.
162.
17Dem Kläger steht des Weiteren auch kein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch gegen die Beklagte aus dem Gesichtspunkt des enteignenden Eingriffs oder der Aufopferung bzw. – wenn man von einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis zwi- schen den Parteien ausgehen würde – aufgrund eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB zu.
18a) Ein Ausgleichsanspruch aus enteignendem Eingriff oder Aufopferung kommt in Betracht, wenn rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen bei einem Betroffenen zu Nachteilen führen, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen. Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB besteht, wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwir- kungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer ent- schädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen gem. § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden. Ein Anspruch kommt danach insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer rechtswidrigen Beeinträchtigung in Be- tracht, die infolge faktischen Duldungszwangs nicht rechtzeitig verhindert werden konnte, etwa dann, wenn der Betroffene die abzuwehrende Gefahr nicht rechtzeitig erkannt hat und dies auch nicht rechtzeitig erkennen konnte.
19b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
20b.1) Der Kläger hat zwar durch die Beschädigung des Daches an seinem Haus eine Eigentumsbeeinträchtigung erlitten, die er aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen hinnehmen musste. Zunächst war es ihm nicht möglich, nach Einsetzen des Sturms
21Abwehrmaßnahmen gegen die Beschädigung seines Hauses zu ergreifen oder von der Beklagten zu verlangen. Aber auch vorbeugende Maßnahmen gegen mögliche Sturmschäden konnte er nicht verlangen.
22Vielmehr war der Kläger verpflichtet, wie sich aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des AG Bochum im Rechtsstreit 67 C 163/21 = Landgericht Bochum, Aktenzei- chen 9 S 135/21, ergibt, den Überwuchs des auf dem städtischen Grundstück ste- henden Baumes auf sein Grundstück hinzunehmen, zumal seine auf Rückschnitt des Baumes entlang der Grundstücksgrenze gerichtete Klage abgewiesen wurde. Zwar bezieht sich die Feststellung des rechtskräftigen Urteils auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in diesem Rechtsstreit und nicht auf den Zeitpunkt des Sturms. Indes ist nicht erkennbar, dass zwischen diesen Zeitpunkten eine wesentliche Veränderung eingetreten ist, weshalb die Ausführungen des Amtsgerichts und des Landgerichts Bochum auf den Zeitraum bis zu dem schadensstiftenden Sturm übertragbar sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entschei- dungsgründe und Beschlussgründe des Amtsgerichts und Landgerichts Bochum, welche der erkennende Senat teilt, verwiesen. Soweit das Landgericht dahinstehen ließ, ob ein Folgenbeseitigungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte bestand, besteht ein solcher ausweislich der Rechtsprechung des OVG Münster (vgl. Beschluss vom 25. Januar 2017 - 11 A 1701/16 -, Rdn. 10 m.w.Nachw., juris) nicht.
23Denn die sich aus § 32 Abs. 2 S. 1 StrWG NW a. F. = § 32 Abs. 3 S. 1 StrWG NW n.F. ergebende Duldungspflicht des Anliegers für Einwirkungen von Pflanzungen im Bereich des Straßenkörpers endet erst, wenn die Bepflanzung im Laufe der Zeit aufgrund natürlichen Wuchses einen Umfang erreicht hat, der entweder zu ernsthaften, nicht anderweitig behebbaren Schäden an privaten Nachbargrundstücken führt bzw. solche Schäden hinreichend konkret befürchten lässt oder aber die Nutzung dieser Grundstücke in einem unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt mehr zumutbaren Maße beeinträchtigt, weil das Recht aus Art. 14 GG auch im nachbarlichen Verhältnis von öffentlicher Straße und Anliegergrundstück übermäßige – unmittelbare und mittelbare – Einwirkungen verbietet und eine angemessene Rücksichtnahme des Eigentümers der Straße auf schutzwürdige Interessen des Anliegers verlangt. Derar- tige Beeinträchtigungen gingen von den Bäumen nicht aus. Die Schädigung des Hauses aufgrund des sturmbedingten Astabbruchs war nicht vorhersehbar, sondern ein für den Kläger unglücklicher Zufall, der eine vorbeugende Beschneidung des Baumes nicht gebot.
24b.2) Es fehlt jedoch an den Anspruchsvoraussetzungen, dass die Beklagte als Störer anzusehen ist und dem Kläger die entschädigungslose Hinnahme des eingetretenen
25Schadens nicht zuzumuten ist bzw. ihm ein nicht zumutbares Sonderopfer abverlangt wird.
26Denn aufgrund des Anpflanzens und Aufziehens der Straßenbäume vor dem Grundstück des Klägers ist die Beklagte weder nach öffentlich-rechtlichen noch nach privatrechtlichen Maßstäben als Störer anzusehen, wenn der eingetretene Schaden Folge eines von niemandem zu beherrschenden Naturereignisses war. Durch derar- tige Naturereignisse ausgelöste Beeinträchtigungen begründen nur dann die Störereigenschaft, wenn sie durch Handlungen ermöglicht oder durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt worden sind und der so geschaffene oder geduldete Zu- stand eine konkrete Gefahrenquelle für das Nachbargrundstück gebildet hat. Das bloße Anpflanzen und Aufziehen von widerstandsfähigen Bäumen begründet eine solche Gefahrenlage regelmäßig nicht, auch wenn bei Naturkatastrophen Schäden nicht vollständig ausgeschlossen werden können. Denn derartige ungewöhnliche, von außen hinzutretende Ereignisse sind unter normalen Umständen nicht zu erwarten. Vor ihrem Eintritt geht von Bäumen, die gegenüber normalen Einwirkungen der Naturkräfte hinreichend widerstandsfähig sind, keine ernsthafte Gefahr für das Nachbargrundstück aus. Eine Verantwortlichkeit der Beklagte besteht daher nur dann, wenn die von ihr unterhaltenen Bäume infolge Krankheit oder Überalterung diese Widerstandskraft eingebüßt haben (vgl. BGH, Urteil vom 23.04.1993 - V ZR 250/92 -, Rdn. 9, BGHZ 122, S. 283; OLG Brandenburg, Urteil vom 22.10.2015 - 5 U 104/13 -, Rdn. 13, juris).
27Wie bereits ausgeführt, vermochte der Kläger jedoch nicht den Nachweis zu führen, dass der vor seinem Haus stehende Baum oder auch der Nachbarbaum Krankheits- zeichen oder andere Auffälligkeiten aufgewiesen hatte und diese zum Abbrechen der schadensstiftenden Äste geführt haben. Vielmehr hat der Sachverständige B bekräftigt, dass das Sturmereignis am 31.08.2019 geeignet war, bei gesunden und fachgerecht gepflegten Bäumen gesunde Äste abzubrechen. Anzeichen für Krankheit oder Überalterung der Bäume waren ebenso wenig feststellbar wie Defizite bei der Pflege der Bäume durch die Beklagte. Mit einem Alter von 70 bis 80 Jahren haben die Bäume in der A Straße ihre durchschnittliche Lebenserwartung von 120 bis 150 Jahren bei weitem nicht erreicht.
28b.3) Auch aus anderen Erwägungen ergibt sich keine Unzumutbarkeit der entschädigungslosen Hinnahme des durch die Naturgewalt eingetretenen Schadens für den Kläger. So ist weder dargelegt worden noch anzunehmen, dass der zuletzt geltend gemachte Schadensbetrag von 2.646,11 Euro die wirtschaftliche Existenz des Klägers gefährdet. Überdies ist er gegen derartige Schäden versichert und hat erstmalig einen Sturmschaden erlitten. Nach seiner Darstellung in der Verhandlung vor dem Senat hat er eine Gebäudeversicherung abgeschlossen, die er jedoch für den streit- gegenständlichen Schadensfall nicht in Anspruch genommen hat.
293.
30Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
31Die Zulassung der Revision war nicht geboten, weil die Voraussetzungen des
32§ 543 ZPO nicht vorlagen. Der Senat hatte über einen Einzelfall ohne grundsätzliche Bedeutung zu entscheiden. Von Entscheidungen des Bundesgerichtshofes oder anderer Oberlandesgerichte ist er ebenso wenig abgewichen wie von Entscheidungen oberster Gerichte anderer Fachgerichtsbarkeiten.