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Leistet der durch ein Anerkenntnisvorbehaltsurteil im Urkundenverfahren verurteilte Beklagte Sicherheit zur Abwendung der Zwangsvollstreckung und wird die Klage im Nachverfahren abgewiesen, ist die Veranlassung zur Sicherheitsleistung i. S. d. § 109 Abs. 1 ZPO auch dann entfallen, wenn gegen das im Nachverfahren ergangene Urteil Berufung eingelegt wurde, über die noch nicht entschieden ist.
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 05.08.2021 wird der Beschluss des Landgerichts Hagen vom 26.6.2021 – 4 O 132/19 – abgeändert. Dem Antragsgegner wird eine Frist von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses gesetzt, in die Rückgabe der Sicherheit einzuwilligen oder die Klageerhebung wegen seiner Ansprüche nachzuweisen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der Beschwerdewert wird auf 14.000 € festgesetzt.
Gründe:
2I.2
Das Landgericht Hagen verurteilte die Beklagten durch Anerkenntnisvorbehaltsurteil vom 24.10.2019 zur Zahlung von 122.500 € nebst Zinsen i.H.v. zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2018. Durch Beschluss vom 28.11.2019 stellte es die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 140.000 € gem. § 707 Abs. 1 S. 1 ZPO einstweilen ein. Im Nachverfahren erhielt das Landgericht das Anerkenntnisvorbehaltsurteil nur insoweit aufrecht, als die Beklagten verurteilt wurden, auf einen Betrag v. 122.500 € Zinsen i.H.v. zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.3.2018 bis zum 29.06.2019 zu zahlen, im Übrigen hob es jenes Urteil auf. Das dagegen gerichtete Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
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Den Antrag der Beklagten auf Fristsetzung gem. § 109 Abs. 1 ZPO hat das Landgericht abgelehnt, ihrer dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat es nicht abgeholfen.
II.4
Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 109 Abs. 4 ZPO statthaft und wurde innerhalb der 2-Wochenfrist eingelegt und begründet. Sie ist auch begründet. Dem Antrag der Beklagten war entgegen der Auffassung des Landgerichts stattzugeben, da die Voraussetzungen von § 109 Abs. 1 ZPO erfüllt sind.
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Die Veranlassung für die Sicherheitsleistung ist weggefallen. Veranlassung für die Sicherheitsleistung ist im vorliegenden, auf § 707 Abs. 1 S. 1 ZPO beruhenden Fall, dass dem Kläger durch die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Anerkenntnisvorbehaltsurteil vom 24.10.2019 ein Schaden entstehen könnte (BGH, NJW 1982, 1397; Vorwerk/Wolf/Jaspersen, BeckOK ZPO, 43. Edition Stand 01.12.2021, § 109 ZPO Rn. 9 f.; Musielak/Voit/Foerste, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 109 ZPO Rn. 6; allgemein Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 109 ZPO Rn. 1). Da dieses Urteil durch das Urteil im Nachverfahren vom 21.5.2021 weitgehend aufgehoben wurde, kommt eine Zwangsvollstreckung daraus indes insoweit nicht mehr in Betracht (KG, ZZP 50 (1926), 126; OLG Stuttgart, Beschluss vom 15. November 1977 – 15 U 71/77 –, juris). Die einstweilige Einstellung durch Beschluss vom 28.11.2019 wurde durch den Erlass des Urteils im Nachverfahren beendet (MünchKommZPO/Götz, 6. Aufl. 2020, § 707 ZPO Rn. 20). Eine Zwangsvollstreckung des Klägers ist m.a.W. derzeit nicht aufgrund der einstweiligen Einstellung ausgeschlossen, sondern weil das Vorbehaltsurteil aufgehoben ist. Ist daher auch der Kläger im Ergebnis unverändert an der Zwangsvollstreckung gehindert und kann ihm daraus auch weiterhin ein Nachteil entstehen, so ist doch der rechtliche Grund entfallen, der für die Sicherung seines Interesses bestand. Wäre dem Kläger durch die einstweilige Einstellung ein Schaden entstanden, könnte er diesen nunmehr geltend machen.
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Das wird durch die – bereits von Levis, ZZP 50 (1926), 126, 127 und OLG Hamm, OLGZ 1982, 453, 454 angestellte – Kontrollüberlegung bestätigt, dass gem. § 717 ZPO die vorläufige Vollstreckbarkeit mit der Verkündung eines Urteils außer Kraft tritt, das die Entscheidung in der Hauptsache oder die Vollstreckbarkeitserklärung aufhebt oder ändert. Folgerichtig ist gem. § 775 Nr. 1 ZPO die Zwangsvollstreckung einzustellen oder zu beschränken, wenn die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass das zu vollstreckende Urteil oder seine vorläufige Vollstreckbarkeit aufgehoben oder dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder ihre Einstellung angeordnet ist. In diesem Falle sind nach § 776 ZPO zugleich die bereits getroffenen Vollstreckungsmaßregeln aufzuheben.
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Insofern liegt der vorliegende Fall anders als der, den der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 14.10.1981 - V ZR 113/80, NJW 1982, 1397, zu beurteilen hatte. Dort ging es um die Vollstreckung aus einer notariellen Urkunde, die als Titel unverändert bestand.
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Es erschiene aber auch zweckwidrig, von der die Aufhebung verlangenden Partei die Darlegung zu verlangen, dass der anderen Partei durch die einstweilige Einstellung kein Schaden entstanden ist; so aber wohl BGH, NJW 1982, 1397 („solange nicht erwiesen ist“). Zum einen ist nicht ersichtlich, wie dem Antragsteller diese Darlegung gelingen könnte. Zum anderen widerspricht diese Anforderung aber auch dem Mechanismus von § 109 ZPO, der gerade vorsieht, vom Antragsgegner die klageweise Durchsetzung zu verlangen.
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Entgegen der Ansicht des Landgerichts wird damit auch nicht der Zweck des Urkundsverfahrens konterkariert. Das Urkundsverfahren ermöglicht dem Kläger zwar, zügig einen Titel zu erlangen. Indessen steht dieser unter Vorbehalt der Überprüfung im Nachverfahren.
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Da § 109 Abs. 1 ZPO mit der Veranlassung für die Sicherheitsleistung an die jeweilige Vollstreckbarkeitserklärung anknüpft, ist die Gegenauffassung als systematisch verfehlt abzulehnen, die maßgeblich darauf abstellen möchte, ob der zugrundeliegende Urteilsausspruch rechtskräftig geändert worden ist (so OLG Frankfurt a.M., OLGZ 1976, 382; wohl auch BGH, NJW 1982, 1397; Vorwerk/Wolf/Jaspersen, BeckOK ZPO, 43. Edition Stand 01.12.2021, § 109 ZPO Rn. 10; wie hier OLG Stuttgart, Beschluss vom 15. November 1977 – 15 U 71/77 –, juris ; KG Berlin, Beschluss vom 14. August 1979 – 10 W 3001/79 –, juris). Das könnte auch in der Sache nicht überzeugen, und zwar gerade im Fall eines Vorbehaltsurteils. Hier würde der nur unter Vorbehalt erfolgte Ausspruch sachwidrig gegen bessere Einsicht perpetuiert. Stellt man hingegen, wie es in § 109 ZPO angelegt ist, auf die Vollstreckbarkeitserklärung ab, wird in sachgerechter Weise dem jeweiligen Stand prozessualer Erkenntnis Rechnung getragen. Mit Recht formuliert Musielak/Voit/Foerste, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 109 ZPO Rn. 6, die Sicherheit solle „nur die Unsicherheit ausgleichen, welche beim einstellenden Rechtsmittelgericht mangels Entscheidungsreife besteht, nicht auch noch spätere Risiken“.
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Würde man auf den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens abstellen, wäre § 109 ZPO zudem weitgehend des praktischen Anwendungsbereichs beraubt, jedenfalls für die vorliegende Konstellation der Einstellungssicherheit. Wenn die zu vollstreckende Entscheidung rechtskräftig aufgehoben ist, bedarf es des Verfahrens nach § 109 ZPO nicht mehr.
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Die Veranlassung für die Sicherheitsleistung besteht auch nicht teilweise fort (dazu allgemein MünchKommZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, § 109 ZPO Rn. 10; Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 109 Rn. 3). Allerdings hat das Landgericht das Anerkenntnisvorbehaltsurteil im Hinblick auf den Zinsausspruch aufrecht erhalten. Mit dem Endurteil besteht aber eine neue, rechtlich selbständige Grundlage für die vorläufige Vollstreckbarkeit, so dass es auch nicht teilweise bei der einstweiligen Einstellung gem. § 707 ZPO bleibt.
III.13
Die Kostenentscheidung des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 91 ZPO.
14
Die Festsetzung des Beschwerdewertes erfolgt gem. § 3 ZPO und entspricht dem wirtschaftlichen Interesse an dem Erlöschen der Sicherheit, das hier mit 1/10 des Werts der Sicherheit angenommen wird.
IV.15
Die Rechtsbeschwerde war nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist, wie in den Entscheidungsgründen aufgezeigt, disparat. Der Bundesgerichtshof hat zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Veranlassung für eine Sicherheitsleistung i.S.v. § 109 ZPO entfallen ist, bislang nur für den – hier nicht vorliegenden – Sonderfall der vollstreckbaren Urkunde entschieden. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert daher eine Entscheidung des BGH als Rechtsbeschwerdegericht.