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Das Vorfahrtsrecht „rechts vor links“ (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StVO) erstreckt sich auf die gesamte Breite der Fahrbahn, so dass der nicht vorfahrtsberechtigt Einbiegende gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 StVO nur weiterfahren darf, wenn er übersehen kann, dass er den Vorfahrtsberechtigten weder gefährdet noch wesentlich behindert. Kann er das nicht übersehen muss er sich durch zentimeterweises Vorrollen bei jederzeitiger Anhaltemöglichkeit hereintasten.
Fährt der Vorfahrtsberechtigte jedoch ohne Not nicht möglichst weit rechts, liegt zwar kein Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO vor, der nur den erlaubten Gegen- und Überholverkehr, nicht aber Abbieger- und Kreuzungsverkehr schützt, erhöht sich aber dadurch gleichwohl die Betriebsgefahr, die im vorliegenden Einzelfall mit 25 % zu bemessen ist (im Anschluss an OLG Hamm Urt. v. 16.08.2019 – 7 U 3/19, r+s 2020, 536 = juris Rn. 32, 38 m. w. N.).
Auf die Berufung des Klägers wird das am 19.10.2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld (2 O 238/20) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 4.781,92 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 4.461,97 EUR seit dem 30.04.2020 und auf 319,95 EUR seit dem 26.08.2022 zu zahlen sowie den Kläger gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 492,54 EUR freizustellen.
Im Übrigen werden die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 76 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 24 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 19.549,18 EUR festgesetzt.
Entscheidungsgründe:
2I.
3Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1, 544 Abs. 2 ZPO abgesehen.
4II.
5Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet.
61.
7Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz von 25 % des bei ihm entstandenen unfallbedingten Schadens gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG, § 1 PflVG.
8a) Der im Eigentum des Klägers stehende Pkw ist bei dem Betrieb des vom Beklagten zu 1) gehaltenen und vom Beklagten zu 3) geführten Pkw, der im Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war, beschädigt worden. Der Unfall ist nicht durch höhere Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG verursacht worden. Das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses i. S. v. § 17 Abs. 3 StVG ist weder jeweils von den Parteien dargetan noch sonst ersichtlich.
9b) Damit hängt gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon abhängt, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
10Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (std. Rspr., vgl. z.B. BGH Urt. v. 15.5.2018 - VI ZR 231/17, beck-online Rn. 10; OLG Hamm Urt. v. 24.08.2021 – I-7 U 81/20, juris Rn. 9; OLG Hamm Urt. v. 03.12.2021 – I-7 U 33/20, juris Rn. 6). Darüber hinaus ist die konkrete Betriebsgefahr der beteiligten Kraftfahrzeuge von Bedeutung. Diese wird von objektiven Umständen wie der Größe, dem Gewicht und der Geschwindigkeit des Fahrzeugs in Relation zu den Straßen- und Witterungsverhältnissen bestimmt. Darüber hinaus kommt es auf die Eignung und das Verhalten des Fahrers an, die die Gefährlichkeit des Fahrzeugs in der Unfallsituation entscheidend beeinflusst haben können. Die Umstände, die die konkrete Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs erhöhen, insbesondere also dem anderen zum Verschulden gereichen, hat im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung jeweils der eine Halter zu beweisen (so schon OLG Hamm Urt. v. 03.12.2021 – I-7 U 33/20, juris Rn. 6 m. w. N.).
11aa) Zu Lasten des Klägers ist neben der Betriebsgefahr des Pkw Kfz01 ein schuldhafter Verursachungsbeitrag in die Abwägung einzustellen, denn der Kläger hat, wovon das Landgericht zurecht ausgegangen ist, gegen § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, S. 3 StVO verstoßen.
12Da sich die Kollision zwar schon auf der Fahrbahn der Astraße, aber noch im Zuge des Einbiegens des Klägers in diese ereignete, handelte es sich nicht um einen Unfall im Begegnungsverkehr. Soweit der Kläger in der Berufungsinstanz behauptet, er habe den Abbiegevorgang bereits beendet gehabt und schon zum Längsverkehr gehört, ist dieser Vortrag anhand der vorgelegten Lichtbilder zur nachkollisionären Stellung der Fahrzeuge eindeutig widerlegt. Wie aus den Lichtbilder Bl. 88, 91 d. zweitinstanzlichen elektronischen Akte (im Folgenden: eGA II-Bl.) und auch aus der polizeilichen Unfallmitteilung (eGA II-95) deutlich wird, befand sich der Kläger im Kollisionszeitpunkt noch in Kurvenfahrt. Sein PKW war noch nicht vollständig auf der vorfahrtberechtigten Astraße eingeordnet und befand sich noch nicht in stabiler Geradeausfahrt.
13Der Beklagte zu 3), der im Kreuzungsbereich für den Kläger von rechts kam, war diesem gegenüber vorfahrtsberechtigt. Unstreitig galt die Regel „rechts vor links“ (§ 8 Abs. 1 S. 1 StVO). Das Vorfahrtsrecht des Beklagten zu 3) erstreckte sich dabei auf die gesamte Breite der Fahrbahn; der Beklagte zu 3) verlor es nicht dadurch, dass er, wie vom Landgericht im unstreitigen Urteilstatbestand festgehalten, „auf der relativ schmalen Straße relativ weit links“ fuhr.
14Die gesamte Kreuzungsfläche, in die der Beklagte zu 3) gerade erst einfuhr, bildet den Vorfahrtbereich, und zwar in ganzer Fahrbahnbreite ohne Rücksicht darauf, ob der Vorfahrtberechtigte zu Recht oder zu Unrecht die Straßenmitte oder die linke Straßenseite befährt (vgl. Freymann in: Geigel, Haftpflichtprozess, 28 Aufl. 2020, § 8 StVO Rn. 231). Der Beklagte zu 3) verlor sein Vorfahrtrecht also nicht dadurch, dass er gegebenenfalls zum Abbiegen nach links verkehrswidrig die linke Fahrbahnseite benutzte. Die StVO verlangt vom Wartepflichtigen insoweit eine gesteigerte Sorgfaltspflicht gegenüber dem Vorfahrtsberechtigten, weil nur so die Vorfahrtsregelung als eine der wesentlichen Grundlagen des Straßenverkehrsrechts ihren Zweck erfüllen kann, besonders an unübersichtlichen Kreuzungen und Straßeneinmündungen bestehende Kollisionsgefahren zu verhindern (so OLG Hamm Urt. v. 18.06.1997 – 13 U 10/97, NZV 1998, 26, beck-online). Ein Wartepflichtiger, der nach rechts in eine Vorfahrtsstraße einbiegen will, darf demfolgend grundsätzlich nur dann davon ausgehen, er werde keinen der vorfahrtsberechtigten Fahrer in der Weiterfahrt behindern, wenn beim Beginn des Einbiegens sich nicht nur von links keine Fahrzeuge nähern, sondern auch die für ihn rechte Straßenseite ersichtlich frei ist (vgl. zum Umfang des Vorfahrtsrechts Senat, Urt. v. 16.08.2019 – I-7 U 3/19, juris Rn. 21 f. m. w. N.).
15Dementsprechend darf gemäß § 8 Abs. 2 S. 2, S. 3 StVO nur weitergefahren werden, wenn übersehen werden kann, dass wer die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert wird. Kann das nicht übersehen werden, weil die Straßenstelle unübersichtlich ist, so darf sich vorsichtig in die Kreuzung oder Einmündung hineingetastet werden, bis die Übersicht gegeben ist. Ein „Hineintasten“ liegt nur vor, wenn der Wartepflichtige bis zum Übersichtspunkt durch zentimeterweises Vorrollen heranfährt und dabei jederzeit anhalten kann. Schrittgeschwindigkeit ist bereits zu hoch (OLG Hamm Beschl. v. 26.10.2018 – I-7 U 56/18, BeckRS 2018, 32001 Rn. 23; Heß in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, § 8 StVO Rn. 50).
16Gegen die Verpflichtung, sich im Falle der Unübersichtlichkeit zur Wahrung des Vorfahrtsrechts des anderen Verkehrsteilnehmers nur langsam in die Kreuzung hineinzutasten, hat der Kläger – wie sich seiner eigenen Schilderung des Unfallhergangs zweifelsfrei entnehmen lässt – verstoßen. Wie er im Termin vor dem Senat ausgeführt hat, konnte er den von rechts herannahenden und vom Beklagten zu 3) gesteuerten Pkw nicht sehen, da ihm der Blick durch parkende Fahrzeuge versperrt war. Anschaulich hat er geschildert, dass er in der konkreten Situation zwar einen höheren Bus, der die parkenden Fahrzeuge überragte, nicht jedoch einen herannahenden Pkw hätte sehen können. Dennoch entschied er sich nach einem Schulterblick nach rechts, mit dem er die Gefährdung von Radfahrern und Fußgängern ausschließen wollte, mit einer Geschwindigkeit von ca. 15 km/h quasi „blind“ nach rechts in die Vorfahrtsstraße abzubiegen. Dass er aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse nur zentimeterweise vorgerollt ist, hat der Kläger damit gerade nicht geschildert.
17bb) Auf Beklagtenseite ist demgegenüber kein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 3), sondern lediglich die erhöhte Betriebsgefahr des auf Beklagtenseite beteiligten Kfz in die Abwägung einzustellen.
18(1) Auf Seiten der Beklagten ist kein Verstoß des Beklagten zu 3) gegen § 2 Abs. 2 StVO zu berücksichtigen.
19Aus der persönlichen Anhörung des Beklagten zu 3) hat sich zur Überzeugung des Senats zwar ergeben, dass der Beklagte zu 3) die linke Fahrbahnhälfte mitbenutzt hat, obwohl ihm die Benutzung der rechten Fahrbahnhälfte möglich gewesen wäre. Dies wurde ihm im Kreuzungsbereich nicht durch parkende Pkw unmöglich gemacht. Im Rahmen der persönlichen Anhörung im Senatstermin am 23.08.2022 ist offenkundig geworden, dass der Beklagte zu 3) „ohne Not“ weiterhin links und nicht unmittelbar nach den (aus seiner Sicht) am rechten Fahrbandrand parkenden Kfz wieder möglichst weit rechts gefahren ist. Hierzu hat er selbst angegeben, dass das letzte passierte parkende Kfz, das nach der Kollision weggefahren worden sein soll, noch vor dem Bereich des abgesenkten Bordsteins abgestellt war. Des Weiteren hat er ausgeführt, nicht schon im Bereich des nachfolgenden abgesenkten Bordsteins wieder nach rechts rüber gelenkt zu haben, obwohl ab dort auch nach seinem Vorbringen am Fahrbahnrand keine Fahrzeuge mehr parkten und ihm dies möglich gewesen wäre.
20Entscheidend ist jedoch, dass § 2 Abs. 2 StVO nach ganz h. M. nur den erlaubten Gegen- und Überholverkehr, nicht aber Abbieger- und Kreuzungsverkehr und damit vorliegend nicht den Kläger als Abbieger schützt (so schon Senat, Urt. v. 16.08.2019 – I-7 U 3/19, juris Rn. 32 m. w. N.; ebenso Freymann in: Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, § 2 StVO Rn. 58 f.).
21Soweit der Kläger in der Berufungsinstanz behauptet, er habe schon zum Längsverkehr gehört, und die Ansicht vertritt, deshalb werde auch er vom Rechtsfahrgebot geschützt, trifft beides – wie ausgeführt – nicht zu.
22(2) Auch eine kausale Geschwindigkeitsüberschreitung, § 41 StVO (Zeichen 274), ist nicht in die Abwägung einzustellen. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, der insoweit darlegungspflichtige Kläger habe eine kausale Geschwindigkeitsüberschreitung schon nicht ausreichend dargetan. Dagegen erinnert die klägerische Berufung nichts.
23(3) Der Beklagte zu 3) hat auch nicht gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Auch als Vorfahrtsberechtigte hatte er die Grundregel des § 1 StVO zur gegenseitigen Rücksichtnahme zu beachten. Insoweit ist anerkannt, dass auch einen Vorfahrtsberechtigten ein Mitverschulden an einem Unfall trifft, der dadurch herbeigeführt wird, dass ein aus einer Einmündung kommender Wartepflichtiger sein Vorfahrtsrecht missachtet, wenn sich der Wartepflichtige wegen schlechter Einsichtsmöglichkeiten in die Vorfahrtsstraße so verhält, dass für einen aufmerksamen Verkehrsteilnehmer mit einer Missachtung der Vorfahrt zu rechnen ist. Dies entspricht der Rechtsprechung zum sog. Vertrauensgrundsatz. Hiernach darf sich ein Vorfahrtsberechtigter grundsätzlich auf die Wahrung seines Vorfahrtsrechts verlassen. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass die besondere örtliche Verkehrslage Anhaltspunkte dafür gibt, an der Beachtung der Vorfahrt durch Andere zu zweifeln (so schon Senat Urt. v. 16.08.2019 – I-7 U 3/19, juris Rn. 33 m. w. N.).
24Vorliegend gab es für den Beklagten - trotz der aufgrund von parkenden Kfz nicht weiträumig zu überschauenden Kreuzung - aber keinen Anlass dafür, anzunehmen, dass sein Vorfahrtsrecht von einem Einfahrenden nicht gewahrt werden würde. Er durfte vielmehr darauf vertrauen, dass sich ein Fahrer eines aus (..) Bstraße kommenden Fahrzeuges vorsichtig in die Kreuzung hineintastet (vgl. § 8 Abs. 2 S. 3 StVO). Dass er auf ein solches vorsichtiges Hineintasten nicht rechtzeitig kollisionsvermeidend hätte reagieren können, ist weder vom Kläger dargetan noch sonst ersichtlich.
25(4) Eine irgendwie geartete Ablenkung des Beklagten zu 3) durch einen Blick auf sein Navigationsgerät, die zu einem unfallursächlichen Fahrfehler geführt hat, hat der Kläger nicht zu beweisen vermocht. Schon dass er selbst wahrgenommen habe, dass der Beklagte zu 3) abgelenkt gewesen sei, hat der Kläger dem Senat anlässlich seiner Anhörung am 23.08.2022 nicht berichtet. Beweis für eine entsprechende Behauptung hat er nicht angeboten.
26(5) Die Betriebsgefahr des auf Beklagtenseite unfallbeteiligten Pkw Kfz02 war aber durch die - erlaubte - Fahrweise des Beklagten zu 3) erhöht.
27Auch wenn das Rechtsfahrgebot grundsätzlich nur dem Schutz des gleichgerichteten Verkehrs dient, schließt das nicht aus, dass sich durch die Benutzung der linken Fahrbahnseite die Betriebsgefahr eines unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges erhöht und allein das zur Mithaftung führt. Denn erlaubtes Tun kann eine erhöhte Betriebsgefahr gegenüber der normalen Gefahr des Betriebes des Kraftfahrzeuges nicht ausschließen. Die Erhöhung der Betriebsgefahr muss nicht durch unerlaubtes Verhalten des Fahrzeugführers verursacht sein. Denn das Verschulden ist nur ein Faktor im Rahmen der Abwägung.
28Die die normale Gefahr erhöhenden Umstände sind solche, in denen sich das Gefahrenpotential des Kraftfahrzeuges aktualisiert, wobei alle Gefahrenmomente des Betriebes zu berücksichtigen sind, die die Unfallfolgen näher gerückt haben, nicht nur diejenigen, die den Unfall ausgelöst haben. Da die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeuges in der Gesamtheit der Umstände besteht, welche - durch die Eigenart des Kraftfahrzeuges und seines Betriebes begründet - Gefahr in den Verkehr tragen, hat der Beklagte zu 3) durch das Nichteinhalten des rechten Bereiches seiner Fahrbahnseite die bereits latent gegebene Betriebsgefahr des von ihm geführten Kraftfahrzeuges in der konkreten Fahrsituation erhöht.
29Dass schon das Befahren der linken Fahrbahnhälfte - auch wenn sich das Vorrecht auf die gesamte Fahrbahnbreite erstreckt - die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges erhöht und im Falle der Unfallursächlichkeit dieses Umstandes zur Mithaftung führt, entspricht ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei Senat, Urt. v. 16.08.2019 – I-7 U 3/19, juris Rn. 36 ff.).
30Ob der Vorfahrtsberechtigte vollständig auf der für ihn linken Fahrbahnhälfte fährt oder ob er mit dem hier aus dem Lichtbild Anlage K15 (eGA I-91) ersichtlichen Abstand zum linken Fahrbahnrand zugleich die linke und rechte Fahrbahnhälfte befährt, ist dabei nicht von entscheidender Bedeutung. Die erhöhte Betriebsgefahr ergibt sich vielmehr aus dem Umstand, dass wegen einer Mitnutzung der linken Fahrbahnhälfte ein berührungsloser Begegnungsverkehr unmöglich wird.
31cc) Die Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge führt zu einer Mithaftung der Beklagten in Höhe von 25 %. Denn ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot erhöht die Gefahr von Zusammenstößen im Kreuzungsbereich typischerweise erheblich. In Rechtsprechung und Literatur ist es anerkannt, dass eine erhöhte Betriebsgefahr nicht hinter einem Vorfahrtsverstoß zurücktritt (vgl. die Nachweise bei Senat, Urt. v. 16.08.2019 – I-7 U 3/19, juris Rn. 39).
32c) Der Höhe nach besteht gemäß § 249 Abs. 2 BGB ein Anspruch in Höhe von 4.781,92 EUR, der sich wie folgt zusammensetzt:
33Im Einzelnen:
35aa) Der Kläger hat gem. § 249 Abs. 2 S. 1, S. 2 BGB Anspruch auf Ersatz von 25 % der ihm entstandenen Bruttoreparaturkosten i. H. v. 13.942,99 EUR, mithin auf Zahlung von 3.485,75 EUR.
36Mit ihrem Einwand, es seien bei den Reparaturkosten für Verbringungskosten, Lackierkosten und Kleinteilkosten Abzüge i. H. v. insgesamt 242,27 EUR netto (288,30 EUR brutto) vorzunehmen, dringen die Beklagten nicht durch. Denn der Schädiger hat dem Geschädigten die angefallenen Reparaturkosten unabhängig von der Frage, ob sie objektiv erforderlich waren, zu erstatten, solange die Reparatur tatsächlich durchgeführt wurde und den Geschädigten im Zusammenhang mit der Beauftragung der Werkstatt kein (insbesondere Auswahl- oder Überwachungs-) Verschulden trifft (vgl. BGH Urt. v. 26.04.2022 - VI ZR 147/21, juris Rn. 12). Dass den Kläger vorliegend ein irgendwie geartetes Auswahl- oder Überwachungsverschulden träfe, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
37Der Kläger kann – auch wenn er eine entsprechende Zahlung an die C GmbH nicht nachgewiesen hat – Zahlung an sich verlangen. Sein – bei Nichtzahlung bestehender – Freistellungsanspruch ist gemäß § 250 S. 2 BGB in einen Geldanspruch übergegangen. § 250 S. 2 BGB eröffnet dem Geschädigten die Möglichkeit, unabhängig von den §§ 249 Abs. 2, 251 BGB zu einem Anspruch auf Geldersatz zu gelangen, wenn er dem Ersatzpflichtigen erfolglos eine Frist zur Herstellung, d.h. hier Haftungsfreistellung, mit Ablehnungsandrohung setzt. Dem steht es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gleich, wenn der Schuldner die geforderte Herstellung oder überhaupt jeden Schadensersatz ernsthaft und endgültig verweigert. Dann wandelt sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch um, wenn der Geschädigte Geldersatz fordert (BGH Urt. v. 13.01.2004 – XI ZR 355/02, juris Rn. 16). Die ernsthafte und endgültige Verweigerung kann auch in einem prozessualen Verhalten liegen (Wimber in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Auflage 2022, § 250 BGB Rn. 14).
38Hier hat die Beklagte zu 2) auf das Fristsetzungsschreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 29.04.2020 reagiert und eine Schadensersatzverpflichtung schon dem Grunde nach strikt abgelehnt. Ebenso haben die Beklagten zu 1) und 3) im laufenden Verfahren Klageabweisung beantragt und nicht nur die Aktivlegitimation des Klägers bestritten, sondern ebenfalls eine Schadensersatzverpflichtung schon dem Grunde nach abgelehnt.
39bb) Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz von 25 % der ihm entstandenen Sachverständigenkosten i. H. v. 1.279,80 EUR, mithin auf Zahlung von 319,95 EUR. Der Kläger ist aktivlegitimiert. Die D GmbH Kfz-SV Büro, vertreten durch E, hat dem Kläger den – ursprünglich abgetretenen – Anspruch auf Ersatz der Sachverständigenkosten am 23.08.2022 zurückabgetreten. Der Kläger hat die Abtretung angenommen. Einwände gegen die Höhe der Sachverständigenkosten haben die Beklagten nicht erhoben.
40cc) Der Kläger kann – nachdem er die Klage hinsichtlich der Mietwagenkosten in Höhe von 416,50 EUR zurückgenommen hat – Ersatz von 25 % der verbleibenden Mietwagenkosten i. H. v. 3.453,20 EUR, mithin Zahlung von 863,30 EUR verlangen.
41Der Anspruch auf Ersatz von Mietwagenkosten beschränkt sich auf die für die Reparatur oder Ersatzbeschaffung notwendige Zeit. Schwierigkeiten bei der Ersatzteilbeschaffung sind dem Schädiger zuzurechnen (Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 249 Rn. 37; OLG Düsseldorf Urt. v. 09.03.2021– I-1 U 77/20, juris 52). Nachdem der Kläger die Klage teilweise zurückgenommen hat, treten die Beklagten seiner Behauptung, er habe für nunmehr noch 32 Tage ein Ersatzfahrzeug anmieten müssen und dafür seien ihm Kosten in Höhe von 3.453,20 EUR als erforderliche Mietwagenkosten entstanden, nicht mehr entgegen.
42Der Kläger kann – auch wenn er eine entsprechende Zahlung an die F GmbH nicht nachgewiesen hat – Zahlung an sich verlangen. Sein – bei Nichtzahlung bestehender – Freistellungsanspruch ist gemäß § 250 S. 2 BGB in einen Geldanspruch übergegangen (s.o.).
43dd) Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz von 25 % der ihm entstandenen Abschleppkosten i. H. v. 426,69 EUR, mithin auf Zahlung von 106,67 EUR. Ist das Fahrzeug unfallbedingt nicht mehr fahrbereit und muss es deshalb abgeschleppt werden, sind die anfallenden Kosten grundsätzlich zu ersetzen (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB Rn. 271 (Stand: 19.07.2022)). Gegen die geltend gemachten Abschleppkosten wird auch seitens der Beklagten nichts erinnert.
44ee) Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz von 25 % einer Kostenpauschale i. H. v. 25,00 EUR, mithin auf Zahlung von 6,25 EUR. Für den Aufwand der Schadensabwicklung eines Verkehrsunfalls wird regelmäßig ohne weitere Spezifizierung eine Pauschale anerkannt. Diese liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats jedoch bei nur 25,00 EUR (vgl. OLG Hamm Urt. v. 11.06.2021 – I-7 U 24/20, juris; OLG Hamm Urt. v. 11.05.2021 – I-7 U 104/19, juris; OLG Hamm Urt. v. 16.08.2019 – I-7 U 3/19, juris).
452.
46Die Schadensersatzforderung des Klägers i. H. v. 4.461,97 EUR (Reparaturkosten, Mietwagenkosten, Abschleppkosten und Kostenpauschale) ist gem. §§ 286 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB wie beantragt ab dem 30.04.2020 mit Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen. Gemäß § 271 BGB waren die Schadensersatzforderungen des Klägers, die sich aus dem Schadensereignis am 08.03.2020 ergaben, sofort zur Zahlung fällig. Der Kläger hat die Beklagten nach Fälligkeit gemahnt, indem er die Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 21.04.2020 (unter Fristsetzung bis zum 28.04.2020) zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von insgesamt 17.424,70 EUR aufgefordert hat. Diese Mahnung an die Beklagte zu 2) hat gem. den AKB Gesamtwirkung auch gegenüber den Beklagten zu 1) und 3) (OLG Hamm, Urteil vom 3. Dezember 2021 – I-7 U 33/20, juris Rn. 23; Grüneberg in: Grüneberg, a. a. O., § 425 Rn. 3). Eine Mahnung bzgl. der mit der Klage nunmehr zusätzlich geltend gemachten Differenz von 2.124,48 EUR zwischen den zunächst fiktiv abgerechneten Nettoreparaturkosten zu den mit Rechnung vom 17.04.2020 abgerechneten Bruttoreparaturkosten war gem. § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich, da die Beklagten jegliche Zahlung mit Schreiben der Beklagten zu 2) vom 29.04.2020 (eGA I-87) ernsthaft und endgültig verweigert haben.
47Die Sachverständigenkosten i. H. v. 319,95 EUR kann der Kläger gem. §§ 291, 288 Abs. 1 BGB demgegenüber erst ab dem 26.08.2022 (§ 187 Abs. 1 BGB analog) mit Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz verzinst verlangen. Voraussetzung eines Zinsanspruchs aus § 291 BGB ebenso wie aus § 286 BGB ist, dass die Geldforderung fällig und durchsetzbar ist. Der Kläger war jedoch weder im Zeitpunkt der Mahnung bzw. der Zahlungsverweigerung noch zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit Inhaber einer fälligen, durchsetzbaren Geldforderung, da er seinen Anspruch abgetreten hatte. Inhaber einer fälligen, durchsetzbaren Forderung ist er erst im laufenden Verfahren durch die Rückabtretung des Anspruchs auf Ersatz der Sachverständigenkosten mit Erklärung vom 23./25.08.2022 geworden.
483.
49Schließlich kann der Kläger zudem Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 492,54 EUR verlangen.
50Die Ersatzpflicht des Schädigers erstreckt sich auch auf die durch Geltendmachung und Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs verursachten Kosten, namentlich die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Grüneberg in: Grüneberg, a. a. O., § 249, Rn. 56, 57). Dem Anspruch des Geschädigten auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Verhältnis zum Schädiger ist dabei der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht (BGH Urt. v. 05.12.2017 - VI ZR 24/17, NJW 2018, 935 Rn. 2, 7 f.; BGH Urt. v. 09.01.2018 - VI ZR 82/17, NJW 2018, 937 Rn. 2 ff., 9 f.; OLG Hamm Urt. v. 11.06.2021 – I-7 U 24/20, juris Rn. 75). Bei einer - wie hier - nicht begründeten Zuvielforderung erfolgt keine anteilige Kürzung, die wegen der degressiven Gebührensteigerung zu geringeren ersatzfähigen Rechtsanwaltskosten führen würde (vgl. BGH Urt. v. 07.11.2007 – VIII ZR 341/06, NJW 2008, 1888 Rn. 10, 13). Bei Zugrundelegung eines Gegenstandswertes von bis 5.000,00 EUR errechnen sich hier nach Ziffern 2300, 7002 und 7008 Anlage 1 RVG (in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung) erstattungsfähige Kosten in Höhe von 492,54 EUR.
51III.
52Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
53Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713, 544 Abs. 2 ZPO.
54Die Revision wird nicht gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zugelassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.