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Die Beschwerde des Antragstellers gegen den am 04.02.2022 verkündeten Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Detmold wird als unzulässig verworfen, soweit sie die Entscheidung zum Kindesunterhalt betrifft.
Im Übrigen wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Detmold auf die Beschwerde unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert:
In Abänderung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 04.06.2020, II – 5 UF 255/19, wird der Antragsteller verpflichtet, an die Antragstellerin folgenden Trennungsunterhalt zu zahlen:
ab Juli 2021 monatlich 1.241,00 €,
ab Januar 2022 monatlich 1.160,00 €
ab Juli 2022 monatlich 1.138,00 € und
ab Oktober 2022 monatlich 1.064,00 €.
Im Übrigen bleibt der Antrag zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 3/5 und die Antragsgegnerin zu 2/5.
Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.
Der Beschwerdewert wird auf 27.792,00 € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Der Antragsteller begehrt die Abänderung zweier Titel zum Kindes- und Trennungsunterhalt.
4Die Beteiligten sind seit dem 07.04.1995 miteinander verheiratete Eheleute. Sie leben seit März 2017 getrennt. Aus der Ehe ist u.a. das gemeinsame Kind A, geboren am xx.xx.2007, hervorgegangen. Das Scheidungsverfahren ist beim Amtsgericht Detmold unter dem Aktenzeichen 30 F 18/18 seit dem 12.02.2018 rechtshängig.
5Das Amtsgericht Detmold hat den Antragsteller mit Beschluss vom 25.10.2019 (30 F 129/19) verpflichtet, für das Kind A einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 160% des Mindestunterhaltes ab Januar 2019 zu zahlen. Dabei wurde ein Nettoeinkommen des Antragstellers in Höhe von 5.886,99 € abzgl. 675,00 € für eine Immobilienfinanzierung berücksichtigt.
6Gleichzeitig hat das Amtsgericht eine Entscheidung zum Trennungsunterhalt getroffen, die der Antragsteller mit der Beschwerde angegriffen hat. Das Oberlandesgericht Hamm hat den Antragsteller mit Beschluss vom 04.06.2020 (II – 5 UF 255/19) zur Zahlung laufenden Trennungsunterhaltes in Höhe von monatlich 1.999,00 € verpflichtet (1.583,00 € Elementarunterhalt, 416,00 € Altersvorsorgeunterhalt). Es wurde ein Einkommen beim Antragsteller in Höhe von 5.420,00 € netto zzgl. einer Steuererstattung in Höhe von 49,00 € und abzgl. des Kindesunterhaltes in Höhe von 691,00 € zugrunde gelegt.
7Der Antragsteller wechselte zum 01.01.2021 seinen Arbeitgeber. Er arbeitet nunmehr in B. Die Unterkunft am Arbeitsort wird dem Antragsteller kostenfrei von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt.
8Die Antragsgegnerin ist teilschichtig berufstätig.
9Sie hat seit Spätsommer/Herbst 2017 einen neuen Partner. Sie haben getrennte Wohnungen. Die Antragsgegnerin lebt in C, der Partner in D. Neben gemeinsamen Wochenenden verbrachte man die Sommerurlaube zusammen, ebenso teilweise Feiertage wie Heiligabend.
10Der Antragsteller hat vorgetragen, dass von seinem Einkommen Wegkosten zur Arbeitsstätte in B in Abzug zu bringen seien, die er zweimal pro Woche fahre. Zudem sei ein monatlicher Verpflegungsmehraufwand in Abzug zu bringen und ein Darlehen, welches zugunsten seiner Mutter bestehe.
11Der Antragsteller hat beantragt,
12den Unterhaltstitel des Amtsgerichts Detmold 30 F 129/19 dahin abzuändern, dass er Kindesunterhalt in Höhe von 418,50 € für den gemeinsamen Sohn ab Rechtshängigkeit zu zahlen hat und
13den Unterhaltstitel des Oberlandesgerichts Hamm II-5 UF 255/19 vom 04.06.2020 dahin abzuändern, dass er keinen Unterhalt an die Antragsgegnerin ab Rechtshängigkeit mehr zu zahlen hat.
14Die Antragsgegnerin hat beantragt,
15die Anträge zurückzuweisen.
16Das Amtsgericht – Familiengericht - Detmold hat mit am 04.02.2022 verkündeten Beschluss die Anträge zurückgewiesen und dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auferlegt.
17Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, dass der Antragsteller nicht in hinreichendem Maße Tatsachen vorgetragen habe, aus denen sich eine wesentliche Veränderung der den Entscheidungen zugrundeliegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ergebe. Zwar könne er darlegen, dass sein derzeitiges Einkommen deutlich unter dem in den Ausgangsbeschlüssen berücksichtigten Einkommen liege. Unklar bleibe, wie es zur Einkommensreduzierung gekommen und ob dem Antragsteller infolge der Beendigung seines vorherigen Arbeitsverhältnisses eine Abfindung zugeflossen sei. Er habe nicht hinreichend dazu vorgetragen, dass es ihm trotz Bemühungen nicht möglich gewesen sei, eine neue Arbeitsstelle mit einem ähnlichen Einkommen zu erlangen. Weil der Stellenwechsel unterhaltsrechtlich keine Berücksichtigung finde, komme es auf die Positionen „Fahrtkosten“ und „Verpflegungsmehraufwand“ nicht an. Mit dem Begehren, die angebliche Darlehensverpflichtung gegenüber seiner Mutter zu berücksichtigen, sei er präkludiert.
18Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.
19Er meint, die Antragsgegnerin habe jegliche Unterhaltsansprüche verwirkt. Sie lebe seit Herbst 2017 in einer verfestigten Lebensgemeinschaft. Zur Begründung führt er an, dass man gemeinsame Urlaube verbrachte und Feiertage wie Weihnachten und Silvester zusammen begehe. Die Wochenenden würden stets gemeinsam verbracht und seit Frühjahr 2020 habe der Lebensgefährte der Antragsgegnerin die Home Office Zeit bei ihr absolviert.
20Das Trennungsjahr sei seit dem 14.03.2018 abgelaufen. Die Antragsgegnerin habe keinerlei Bemühungen dargelegt, dass sie ihrer Erwerbsobliegenheit genüge getan habe. Sie habe keine Bewerbungen überreicht, als Nachweis darüber, dass sie sich bemüht habe einer Vollzeittätigkeit nachzugehen. Es bestehe bei ihr eine Erwerbsobliegenheit, da die beiden ältesten Kinder erwachsen seien und der jüngste Sohn nunmehr 15 Jahre alt sei. Sie habe keine Betreuungsaufgaben mehr zu leisten.
21Seinen vorherigen Arbeitsplatz habe er aufgrund schicksalhafter Kündigung verloren. Es sei ihm trotz seiner Bemühungen nicht möglich einen neuen Job mit einem ähnlichen Einkommen zu generieren. Er würde jetzt aber auch nicht untertariflich bezahlt.
22Der Antragsteller hat innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist keinen konkreten Sachantrag formuliert. Im Senatstermin hat er
23auf die Beschwerdebegründung Bezug genommen mit der Ergänzung und Erläuterung, dass nach den erstinstanzlichen Anträgen entschieden werden soll.
24Die Antragsgegnerin beantragt,
25die Beschwerde zurückzuweisen.
26Sie führt an, dass die Beschwerde unzulässig sei, da ein bestimmter Sachantrag fehle und sich auch nicht aus der Begründung ergebe, in welchem Umfang und mit welchem Ziel die erstinstanzliche Entscheidung angefochten werden solle.
27Sie und ihr Lebensgefährte hätten sich im Spätsommer 2017 kennengelernt. Die Lebensbereiche seien bewusst getrennt gehalten worden. Sie wollte keine dauerhafte feste Beziehung eingehen. Die Sommerurlaube habe jeder für sich selbst bezahlt. Jeder von ihnen verfüge über einen eigenen Freundeskreis.
28Aus gesundheitlichen Gründen sei es ihr nicht möglich, die Erwerbstätigkeit von 150 Stunden pro Monat aufzustocken. Sie leide seit 10 Jahren unter einer Mitralklappeninsuffizienz. Ihre Werte hätten sich in letzter Zeit verschlechtert. Die Herzschwäche führe dazu, dass sie nicht vollständig belastbar sei. Sie sei bereits nach der jetzt absolvierten Arbeitszeit erschöpft. Sie arbeite körperlich, sodass eine Ausweitung der Tätigkeit von ihr nicht bewerkstelligt werden könne, vielmehr zu einem dauerhaften Erschöpfungssyndrom führen würde.
29Das vorherige Arbeitsverhältnis habe der Antragsteller nicht schicksalhaft verloren. Vielmehr habe er die Kündigung seines gut bezahlten Dienstverhältnisses provoziert, indem er den Gesellschafter der E GmbH, Herrn F E, massiv beleidigt habe. Der Verlust des Arbeitsplatzes sei unterhaltsrechtlich vorwerfbar.
30Die Verfahrensakte des Amtsgerichts Detmold, 30 F 129/19, = Oberlandesgericht Hamm, II-5 UF 129/19 wurde zu Informationszwecken beigezogen.
31Der Senat hat die Beteiligten persönlich angehört. Auf die Sitzungsniederschrift und den Berichterstattervermerk vom 10.08.2022 wird Bezug genommen.
32II.
33Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sie die Entscheidung zum Kindesunterhalt betrifft.
34Soweit mit der Beschwerde die Entscheidung zum Trennungsunterhalt angegriffen wird, ist sie zulässig und hat in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.
351.
36Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen die erstinstanzliche Entscheidung zum Kindesunterhalt wendet. Das Rechtsmittel entspricht nicht den formalen Anforderungen des § 117 Abs. 1 S. 1 FamFG.
37Nach § 117 Abs. 1 FamFG hat der Beschwerdeführer in Ehesachen und Familienstreitsachen zur Begründung der Beschwerde einen bestimmten Sachantrag zu stellen und diesen zu begründen. Er muss durch den gesetzlich vorgeschriebenen Sachantrag klarstellen, in welchem Umfang er die erstinstanzliche Entscheidung angreift und wie er den Angriff begründet (BGH FamRZ 2013, 1879 Rn.10 ff.; 2015, 1375 Rn.10 f.; 2017, 884 Rn.25; BGH NJW-RR 2015, 963 Rn.9 ff.). Dabei ist für den Beschwerdeantrag ausreichend, dass die Beschwerdebegründung erkennen lässt, in welcher Weise der angefochtene Beschluss abgeändert werden soll (BGH NJW 2015, 1606 Rn. 10 ff.; 2014, 3098; 2006, 2705, hier noch zum Berufungsantrag).
38Einen konkreten Sachantrag hat der Antragsteller innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist nicht gestellt. Dass sich der Antragsteller mit der Beschwerde auch gegen den Ausspruch zum Kindesunterhalt wenden will, ist der Begründung nicht zu entnehmen. Inhaltlich setzt sich die Beschwerdebegründung nur mit dem Trennungsunterhalt auseinander, wenn der Antragsteller den Verwirkungseinwand erhebt und behauptet, die Antragsgegnerin lebe in einer verfestigten Lebensgemeinschaft. Gleiches gilt, sofern eine Erwerbsobliegenheit der Antragsgegnerin thematisiert wird. Zwar hätte der vom Antragsteller erhobene Einwand der Einkommensreduzierung Auswirkungen auf den Kindesunterhalt. Da jedoch kein Bezug zu diesem hergestellt wird – z.B. durch Berechnungen oder Behauptung eines veränderten Kindesunterhaltsanspruchs dem Umfang nach – bleibt unklar, ob sich der Angriff auch auf diesen bezieht.
39Die Antragstellung/Klarstellung im Senatstermin konnte dieses Versäumnis nicht heilen.
402.
41Bezüglich des Trennungsunterhalts ist die Beschwerde zulässig, da sich der Beschwerdeantrag hinreichend deutlich den Angriffen in der Beschwerdebegründung entnehmen lässt.
42Der Einwand der Verwirkung mit der Behauptung einer verfestigten Lebensgemeinschaft enthält unmissverständlich das Begehren einer Reduzierung der Trennungsunterhaltsverpflichtung auf „Null“. Auch der Vortrag zur Erwerbsobliegenheit der Antragsgegnerin lässt Bezüge zum Trennungsunterhalt, mit der Folge eines reduzierten Anspruchs, erkennen.
433.
44Die Beschwerde ist bzgl. des Trennungsunterhalt im tenorierten Umfang begründet.
45a)
46Der Abänderungsantrag des Antragstellers zum Trennungsunterhalt ist zulässig. Die Voraussetzungen des § 238 FamFG liegen vor.
47Enthält eine in der Hauptsache ergangene Endentscheidung des Gerichts eine Verpflichtung zu künftig fällig werdenden, wiederkehrenden Leistungen, kann nach § 238 Abs. 1 S. 1 FamFG jeder Teil die Abänderung beantragen.
48Der Antragsteller wendet sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm, der diesen zur Zahlung von Trennungsunterhalt verpflichtet.
49Dabei begehrt er nach § 238 Abs. 3 S. 1 FamFG zulässigerweise eine Abänderung ab Rechtshängigkeit.
50Er beruft sich entsprechend § 238 Abs. 1 S. 2 FamFG auf Tatsachen, aus denen sich – ihre Richtigkeit unterstellt – eine wesentliche Veränderung der aktuellen Verhältnisse ergibt, die der Erstentscheidung zugrunde lagen. So behauptet er eine Verschlechterung seiner Einkommenssituation, die Verfestigung einer Lebensgemeinschaft auf Seiten der Antragsgegnerin mit der Folge einer Verwirkung des Unterhalts sowie die Verletzung einer Erwerbsobliegenheit ihrerseits.
51Diese Gründe sind gemäß § 238 Abs. 2 FamFG nach Schluss der Tatsachenverhandlung des vorausgegangenen Verfahrens entstanden. Der Antragsteller behauptet eine Veränderung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse ab Januar 2021, damit zu einem Zeitpunkt nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 04.06.2020. Soweit die neue Beziehung der Antragsgegnerin bereits im Zeitpunkt der Erstentscheidung bestand, ist für die Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft neben einer gewissen Dauer auch das Vorliegen weiterer objektiver, nach außen tretender Umstände von Nöten (BeckOGK/Haidl, 1.5.2022, BGB § 1579 Rn. 55-57). Ein allein intimes Verhältnis reicht nicht aus.
52Für die Beurteilung der Erwerbsobliegenheit der Antragstellerin sind Faktoren wie bspw. das Alter des Kindes, die Dauer der Trennung und Verpflichtung zur Verselbständigung von Bedeutung, die sich erst im Zeitraum nach der Erstentscheidung entwickelt haben.
53b)
54Der Abänderungsantrag ist teilweise begründet.
55Ist das Abänderungsverfahren eröffnet, ermöglicht es weder eine freie, von der bisherigen Höhe unabhängige Neufestsetzung des Unterhalts noch eine abweichende Beurteilung derjenigen Verhältnisse, die bereits in der Erstentscheidung eine Bewertung erfahren haben (vgl. BGH FamRZ 2010, 1318 Rn. 32). Es ist nicht möglich im Abänderungsverfahren erstmalig Umstände zu berücksichtigen, die bereits im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich gewesen sind, dort aber entweder nicht vorgetragen oder vom Gericht übersehen worden sind. Eine Fehlerkorrektur ist im Abänderungsverfahren grundsätzlich nicht möglich, da die Rechtskraft der Vorentscheidung entgegensteht. Eine Durchbrechung der Rechtskraft der Vorentscheidung ist nur insoweit möglich, als sich die maßgeblichen Verhältnisse nachträglich verändert haben (vgl. BGH FamRZ 2015, 1694 Rn. 19; FamRZ 2010, 1051 Rn. 19). Mithin kann nur eine Anpassung des Unterhalts an veränderte Umstände unter Wahrung der Grundlagen des Unterhaltstitels vorgenommen werden, § 238 Abs. 4 FamFG. Entscheidend ist damit, welche Verhältnisse für die Bemessung der Unterhaltsrente ursprünglich maßgebend waren und welches Gewicht ihnen dabei zugekommen ist. Sodann ist festzustellen, welche Veränderungen sich bezüglich der maßgeblichen Verhältnisse ergeben haben und welche Auswirkungen sich hieraus für die Höhe des Unterhalts ergeben (vgl. BGH FamRZ 2015, 1694 Rn. 20 m.w.N.).
56Gemessen an diesen Kriterien ist die Erstentscheidung des Oberlandesgerichts Hamm unter Berücksichtigung ihrer Bindungswirkung wegen des reduzierten Einkommens des Antragstellers und einer veränderten Erwerbsobliegenheit der Antragsgegnerin abzuändern. Der Antragsteller hat gemäß §§ 1361 Abs. 1 BGB, 238 FamFG ab Juli 2021 einen monatlichen Trennungsunterhalt in tenorierter Höhe an die Antragsgegnerin zu zahlen.
57aa)
58Gemäß § 1361 Abs. 1 BGB kann ein Ehegatte vom anderen im Falle des Getrenntlebens den nach den Lebensverhältnissen und den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt verlangen.
59Die Beteiligten sind seit März 2017 getrenntlebende Eheleute.
60bb)
61Der Bedarf des unterhaltsberechtigten Ehegatten richtet sich nach den konkreten individuellen Lebensverhältnissen der Eheleute. Für die Bedarfsbemessung und die Berechnung von Trennungsunterhalt sind die gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten in dem Zeitraum, für den Trennungsunterhalt verlangt wird, maßgeblich. Abzustellen ist auf die aktuellen Einkommensverhältnisse, an deren Entwicklung die Eheleute bis zur Scheidung gemeinschaftlich teilhaben (BGH, FamRZ 1994, 87 f.).
62Begrenzt wird der sich aus dem Bedarf ergebende Unterhaltsanspruch durch die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Ihm muss eine eheangemessener Selbstbehalt verbleiben.
63Danach ergibt sich eine Unterhaltsverpflichtung des Antragstellers wie folgt:
64(1)
65Das Einkommen des Antragsstellers hat sich verringert.
66In der abzuändernden Entscheidung berücksichtigte das Oberlandesgericht beim Antragsteller ein Einkommen in Höhe von 5.420,00 € netto, zuzüglich einer Steuererstattung von 49,00 €.
67Im Jahr 2021 verfügte der Antragsteller ausweislich der Dezemberabrechnung (Bl. 204 d.A.) über ein durchschnittliches Monatsgehalt inklusive Urlaubsgeldzahlung in Höhe von rund 3.299,00 € netto.
68Dieses Einkommen ab Januar 2022 mit monatlich 3.300,00 € netto fortzuschreiben. Es ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen, dass im laufenden Jahr ein geringeres Einkommen erzielt wird.
69Der Einkommensrückgang ist unterhaltsrechtlich beachtlich.
70Der Verlust des vorherigen, besser bezahlten Arbeitsplatzes bei der E GmbH ist dem Antragsteller nicht vorzuwerfen. Das Arbeitsverhältnis ist im November 2020 durch eine arbeitgeberseitige Kündigung (Bl. 139 d.A.) beendet worden. Dass der Antragsteller diese Kündigung verantwortungslos oder zumindest unterhaltsbezogen leichtfertig herbeigeführt hat, ist nicht festzustellen.
71Bei der Aufgabe des Arbeitsplatzes, Arbeitgeberkündigung oder sonstiger beruflicher Veränderung, die nachteilige Auswirkungen auf das Einkommen haben, ist stets zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige eine sich daraus ergebende Leistungsunfähigkeit oder Leistungsminderung selbst schuldhaft herbeigeführt hat. Dabei ist dem Unterhaltspflichtigen eine Berufung auf seine Leistungsunfähigkeit aus Treu und Glauben verwehrt, wenn ein Fehlverhalten festzustellen ist, diesem ein schwerwiegendes und nicht nur leichtes Verschulden zugrunde liegt und sich die zugrunde liegenden Vorstellungen und Antriebe auch auf die Verminderung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit als Folge des Verhaltens erstreckt haben. Erforderlich ist somit, dass sich das für den Verlust des Arbeitsplatzes ursächliche Verhalten seinerseits als Verletzung der Unterhaltspflicht darstellt (vgl. zum Vorstehenden: Wendl/Dose UnterhaltsR, § 1 Die Ermittlung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens Rn. 743 ff., beck-online).
72Der darlegungs- und beweisbelasteten Antragsgegnerin ist es nicht gelungen, den Beweis zu erbringen, dass der Antragsteller seine Arbeitsstelle unterhaltsbezogen leichtfertig verloren hat. Die Antragsgegnerin hat behauptet, dem Antragsteller sei gekündigt worden, weil er den Gesellschafter der E GmbH massiv beleidigt habe. Hierzu erklärte der Antragsteller im Senatstermin, dass es ein Gespräch gegeben habe, bei dem klare Worte gesprochen worden seien. Hintergrund seien unterschiedliche Vorstellungen in der Geschäftsführung gewesen. Danach lässt sich nicht festzustellen, dass der Antragsteller sich damit seiner Unterhaltsverpflichtung entziehen wollte bzw. die Möglichkeit unterhaltsrechtlicher Konsequenzen erwogen hatte. Auch nach dem im Senatstermin gewonnenen Eindruck scheint die Situation vielmehr dem Temperament des Antragstellers geschuldet gewesen zu sein, weniger dem Ziel eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit herbeizuführen.
73Ebenso wenig trifft den Antragsteller eine Obliegenheitsverletzung, soweit er zum 01.01.2021 eine Arbeitsstelle angetreten hat, aus der er ein Einkommen erzielt, das unter dem zuvor erzielten liegt. Die Erwerbsbiografie, Qualifikation und persönlichen Verhältnisse des Antragstellers berücksichtigt, entspricht das tatsächliche Einkommen dem erzielbaren. Dass der Antragsteller sich für diese Anstellung entschieden hat, ist ihm daher unterhaltsrechtlich nicht vorwerfbar.
74Der Antragsgegner ist Dachdeckermeister. Er war im Zeitraum 01.01.2010 bis 31.12.2018 bei der G GmbH im Vertrieb tätig und hatte Personalverantwortung.
75Zum 01.01.2019 fing er als Geschäftsführer bei der E GmbH an. Hintergrund seiner Anstellung war, dass der Gesellschafter, Herr E entlastet und die nächste Generation vom Antragsteller herangezogen und an die Aufgabe, Herrn E zu einem späteren Zeitpunkt zu ersetzen, herangeführt werden sollte.
76Inzwischen ist der Antragsteller bei H Bedachungen tätig und für Kalkulationen, Akquisitionen und den Materialeinkauf zuständig. Aus dieser Tätigkeit erzielt er einen Monatsbruttolohn in Höhe von 5.500,00 €. Nach dem Tarifregister NRW liegen ab Oktober 2021 die Monatsgehälter für Meister in der untersten Gehaltsgruppe bei bis zu 5.085,00 € und in der höchsten Gehaltsgruppe bei bis zu 5.715,00 €. Damit ist das Gehalt des Antragstellers im Bereich der höchsten Gehaltsgruppe anzusiedeln. Berücksichtigt man, dass die vorherige, wesentlich besser dotierte Tätigkeit Aufgaben umfasste, die über das eigentliche Berufsbild des Antragstellers hinausgehen und nicht den Regelfall betreffen, ist das derzeitige Einkommen angemessen.
77(2)
78Das Einkommen ist unter Heranziehung der Abfindung aufzustocken.
79Abfindungen aus Arbeitsverhältnissen haben regelmäßig Lohnersatzfunktion und sind deshalb als Einkommen zu bewerten. Kann der Unterhaltspflichtige sein früheres Einkommen nicht mehr erzielen, weil das Einkommen aus dem neuen Arbeitsverhältnis hinter dem früheren zurückbleibt, ist die Abfindung grundsätzlich zur Aufstockung des verringerten Einkommens einzusetzen. Dabei ist die Abfindung auf einen längeren Zeitraum zu verteilen, jedoch nicht notwendigerweise zur kompletten Aufstockung zu verwenden, sondern unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls und der jeweils beiderseitigen Interessen (vgl. zum Vorstehenden: BGH, Urteil vom 18. April 2012 – XII ZR 65/10 –, BGHZ 193, 78-95, Rn. 39 ff.).
80Der Antragsteller erhielt eine Abfindung in Höhe von 51.910,00 € netto (Bl. 219 d.A.). Dieser Betrag ist auf einen Zeitraum von 4 Jahren zu verteilen.
81Die Abfindung dient dem Ersatz für fortgefallenes Arbeitseinkommen und soll dem Antragsteller ermöglichen, trotz des Arbeitsplatzverlustes eine gewisse Zeit seine bisherigen wirtschaftlichen Verhältnisse aufrecht zu erhalten und auch seinen eigenen Unterhaltsbedarf in bisheriger Höhe sicherzustellen (BGH NJW 1987, 1554).
82Würde man die Abfindungszahlung dazu verwenden, die Einkommensdifferenz zwischen dem früheren und dem aktuellen Einkommen aufzufüllen, wäre sie nach etwa 24 Monaten verbraucht. Danach würde es zu einem spürbaren Absinken des Einkommens und damit auch des Trennungsunterhaltsanspruches kommen, was nicht sachgerecht wäre. Nach mittlerweile 4 jähriger Trennung ist die Antragsgegnerin zu einer immer weiteren Verselbständigung verpflichtet. Ihr Alter und ihr gesundheitlicher Zustand stehen dem nicht entgegen. Berücksichtigt man weiter, dass der Antragsteller nicht nur der Antragsgegnerin sondern auch dem jüngsten gemeinsamen Sohn der Beteiligten gegenüber zum Unterhalt verpflichtet ist, der mindestens bis zur Volljährigkeit im Jahr 2025 unterhaltsbedürftig bleiben wird, ist eine Verteilung der Abfindung über einen Zeitraum von 4 Jahren angemessen. Die wirtschaftlichen Nachteile, die die Beteiligten infolge des Arbeitsplatzwechsels des Antragstellers erleiden, werden so angemessen aber auch ausreichend gemildert. Bei einer anteiligen Umlage der Abfindung auf diesen Zeitraum sind monatliche Beträge in Höhe von 1.081,00 € einkommenserhöhend anzurechnen.
83Weil die Abfindung nicht aus einer fortdauernden Erwerbstätigkeit herrührt, ist von ihr ein Erwerbstätigenbonus nicht in Abzug zu bringen (Wendl/Dose UnterhaltsR, § 1 Die Ermittlung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens Rn. 30, beck-online).
84(3)
85Die im Jahr 2021 gezahlte Steuererstattung in Höhe von 4.984,15 € (Bl. 216 d.A.) ist mit monatlich 415,00 € anzurechnen. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist auch im Jahr 2022 mit einer Steuererstattung in dieser Höhe zu rechnen, sodass diese fortzuschreiben ist.
86(4)
87Dass dem Antragsteller ein Verpflegungsmehraufwand entsteht, ist nicht ersichtlich. Ihm wird vom Arbeitgeber eine Wohnung am Arbeitsort kostenfrei zur Verfügung gestellt, sodass keine zusätzlichen Kosten entstehen. Vielmehr spart der Antragsteller infolge der Nichtnutzung seiner Wohnung in I Teile der eigenen Verbrauchskosten ein. In Anlehnung an den Grundsatz ersparter Wohn- und Haushaltskosten bei Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft mit einem Partner entsprechend Ziffer 6.2 der Hammer Leitlinien bewertet der Senat die Ersparnis des Antragstellers mit 10% des Selbstbehaltes. Ihm sind daher 128,00 € einkommenserhöhend anzurechnen.
88(5)
89Vom Einkommen in Abzug zu bringen ist der mit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Detmold vom 25.10.2019 (30 F 129/19) titulierte Kindesunterhalt in Höhe von 160% des Mindestunterhaltes der Düsseldorfer Tabelle, was im Jahr 2021 einem Zahlbetrag in Höhe von 735,50 € und im Jahr 2022 in Höhe von 743,50 € entspricht.
90(6)
91Dem Antragsteller entstehen anrechenbare, berufsbedingte Fahrtkosten.
92Für Fahrten von der Wohnung zum Arbeitsplatz sind die Kosten der PKW-Nutzung in der Regel mit 0,42 € (für die Zeit bis 31.12.2021 0,30 €) je Kilometer (Formel: Entfernungskilometer x 2 x 0,30 € x 220 Arbeitstage ÷ 12 Monate) abzugsfähig.
93Geht die einfache Entfernung über 30 Kilometer hinaus, sind die weiteren Kilometer wegen der eintretenden Kostenersparnis nur mit den Betriebskosten von 0,28 € (für die Zeit bis 31.12.2021 0,20 €) je Kilometer anzusetzen.
94Vorliegend gilt es die Besonderheit zu beachten, dass der Antragsteller nicht täglich, sondern zweimal wöchentlich die Wegstrecke zur Arbeit zurücklegt und darüber hinaus etwa einmal monatlich kostenfrei ein Poolfahrzeug des Arbeitgebers für die Heimfahrten nutzen kann.
95Bei 220 Arbeitstagen fährt ein Arbeitnehmer an 44 Wochen im Jahr zur Arbeit. Unter weiterer Berücksichtigung der möglichen Poolfahrzeugnutzung einmal monatlich fährt der Antragsteller pro Jahr an 32 Wochen nach B. Bei einer einfachen Wegstrecke von 285 km entspricht dies einer Gesamtstrecke von 18.240 km.
96Dies berücksichtigt, errechnen sich die Fahrtkosten wie folgt:
97Einfache Fahrtstrecke |
km |
285 |
||
Arbeitstage pro Jahr (HLL) |
220 |
|||
Arbeitswochen grds (5 Tg/Wo) |
44 |
|||
abzgl. Nutzung Poolfahrzeug 1/Mo |
-12 |
|||
Arbeitswochen Antragsteller |
32 |
|||
KM insges. (285 km x 2 x 32 Wo) |
km |
18.240 |
in 2021 |
|
Kosten/km |
||||
"die ersten 30 EKM" (30 x 2 x 220 Tg.) |
km |
13.200 |
0,30 € |
3.960,00 € |
die weiteren EKM |
5.040 |
0,20 € |
1.008,00 € |
|
4.968,00 € |
||||
monatlich |
414,00 € |
|||
KM insges. (285 km x 2 x 32 Wo) |
km |
18.240 |
in 2022 |
|
Kosten/km |
||||
"die ersten 30 EKM" (30 x 2 x 220 Tg.) |
km |
13.200 |
0,42 € |
5.544,00 € |
die weiteren EKM |
5.040 |
0,28 € |
1.411,20 € |
|
6.955,20 € |
||||
monatlich |
579,60 € |
(7)
99Die Darlehensverpflichtung gegenüber der Mutter des Antragstellers ist nicht zu berücksichtigen. Der Antragsteller ist mit dem Einwand präkludiert, nachdem das Darlehen bereits Gegenstand des Ausgangsverfahrens war und das Abänderungsverfahren nicht der Korrektur von Fehlern dient.
100Zudem ist das Darlehen bei Tilgungsbeginn im Januar 2019 seit Juli 2021 vollständig abgezahlt.
101(8)
102Die Antragsgegnerin erzielte im Jahr 2021 monatsdurchschnittlich rund 1.120,00 € netto, seit Januar 2022 verfügt sie über rund 1.200,00 € netto.
103Da sie nur in Teilzeit tätig ist, genügt sie ihrer Erwerbsobliegenheit nicht. Ihr ist ein fiktives Einkommen aus einer vollschichtigen Tätigkeit anzurechnen.
104Ein getrenntlebender Ehegatte hat nur dann einen Unterhaltsanspruch, wenn er bedürftig, also nicht in der Lage ist, seinen Bedarf mit eigenen zurechenbaren Einkünften aus Erwerbstätigkeit zu decken. Während das Gesetz beim nachehelichen Unterhalt von einer grundsätzlichen Erwerbsobliegenheit des Berechtigten ausgeht (§ 1574 Abs. 2 BGB), steht beim Trennungsunterhalt der vorläufige Schutz der bestehenden Verhältnisse im Vordergrund. So kann der nicht erwerbstätige Ehegatte nach § 1361 Abs. 2 BGB nur dann darauf verwiesen werden, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen, wenn dies von ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen, insbesondere wegen einer früheren Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe, und nach den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Ehegatten erwartet werden kann. Für den Trennungsunterhalt gelten zunächst großzügigere Anforderungen hinsichtlich einer Erwerbsobliegenheit, da die bestehenden Verhältnisse geschützt werden sollen, um eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht zu erschweren. Mit zunehmender Verfestigung der Trennung wird allerdings eine allmähliche Annäherung der unterschiedlichen Maßstäbe der Erwerbsobliegenheit bewirkt; wenn die Scheidung nur noch eine Frage der Zeit ist, besteht für eine erheblich großzügigere Beurteilung in der Regel kein Grund mehr (BGH NJW 2008, 1946; 2001).
105Die Beteiligten leben seit März 2017 getrennt. Beide wünschen die Scheidung. Das Scheidungsverfahren ist rechtshängig. Dessen Beendigung hängt allein von der Klärung des strittigen Zugewinns ab. Da die Scheidung daher nur noch eine Frage der Zeit ist, ist von einer vollzeitigen Erwerbsobliegenheit der Antragsgegnerin auszugehen.
106Die Betreuung der gemeinsamen Kinder steht einer Erwerbstätigkeit im vollen Umfang nicht entgegen. Die erstgeborenen Kinder der Beteiligten sind volljährig. Der gemeinsame noch minderjährige Sohn ist inzwischen 15 Jahre alt, damit in einem Alter, in dem er nicht mehr auf die ständige Anwesenheit und Unterstützung seiner Mutter angewiesen ist.
107Ebenso wenig stehen gesundheitliche Gründe einer vollschichtigen Tätigkeit entgegen. Wer sich gegenüber seiner Erwerbsobliegenheit auf eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit berufen will, muss grundsätzlich Art und Umfang der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Leiden darlegen. Er hat ferner mitzuteilen, inwieweit die behaupteten gesundheitlichen Störungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken (BGH FamRZ 2013, 1558 Rn. 13).
108Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, seit 10 Jahren unter einer Mitralklappeninsuffizienz zu leiden. Ihre Werte hätten sich in letzter Zeit verschlechtert. Die Herzschwäche führe dazu, dass sie nicht vollständig belastbar sei. Sie sei bereits nach der jetzt absolvierten Arbeitszeit erschöpft. Sie arbeite körperlich, sodass eine Ausweitung der Tätigkeit von ihr nicht bewerkstelligt werden könne. Dies würde zu einem dauerhaften Erschöpfungssyndrom führen.
109Ärztliche Berichte oder andere geeignete Nachweise, die diese Behauptung stützen, hat sie nicht vorgelegt. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin im Senatstermin erklärt hat, bis auf 15 Minuten an eine Tätigkeit im vollschichtigen Umfang heranzukommen. Damit ist sie offensichtlich auch gesundheitlich zur Ausübung einer Tätigkeit in dem Umfang imstande. Ihr ist daher ein fiktives Einkommen zuzurechnen, welches sie bei Ausübung einer vollschichtigen Tätigkeit erzielen könnte.
110Fiktive Einkünfte sind gemäß §§ 113 FamFG, 287 ZPO im Wege der Schätzung am Maßstab des erzielbaren Nettobetrags nach Abzug von Steuern und Vorsorgeaufwendungen zu ermitteln. Der fiktive monatliche Nettolohn ist vorliegend auf der Grundlage des jeweiligen Mindeststundenlohns zu errechnen.
111Ausgehend von einer 40-Stunden-Woche errechnet sich daher nachstehendes fiktives Erwerbseinkommen:
112Antragsgegnerin |
ab 07/2021 |
ab 01/2022 |
ab 07/2022 |
ab 10/2022 |
Stundenlohn |
9,60 € |
10,00 € |
10,45 € |
12,00 € |
fiktiv vollschichtig 40 Std./Woche |
1.664,00 € |
1.733,33 € |
1.811,33 € |
2.080,00 € |
LSt. II/0,5 |
- 56,66 € |
- 28,75 € |
- 41,08 € |
- 90,83 € |
KiSt |
- € |
- € |
- € |
- 1,58 € |
KV |
- 133,95 € |
- 139,53 € |
- 145,81 € |
- 167,44 € |
PV |
- 25,38 € |
- 26,43 € |
- 27,62 € |
- 31,72 € |
RV |
- 154,75 € |
- 161,20 € |
- 168,45 € |
- 193,44 € |
AV |
- 19,97 € |
- 20,80 € |
- 21,74 € |
- 24,96 € |
Corona Bonus |
20,83 € |
|||
Monatsnetto |
1.294,12 € |
1.356,62 € |
1.406,63 € |
1.570,03 € |
Von diesem Einkommen in Abzug zu bringen sind berufsbedingte Fahrtkosten für eine Strecke von 13 km, mithin in Höhe von 143,00 € im Jahr 2021 bzw. in Höhe von 200,20 € im Jahr 2022.
114Weitere Abzüge sind nicht vorzunehmen. Soweit die Antragsgegnerin auf die Entscheidung des BGH vom 29.09.2021 – XII ZB 474/20, FamRZ 2021, 1965 verweist, ist diese auf vorliegendes Verfahren nicht zu übertragen. Die angeführte Entscheidung betrifft den Fall einer konkreten Bedarfsbemessung, wohingegen vorliegend der Bedarf nach einer Quote der gemeinsamen Einkünfte berechnet wird.
115(9)
116Vom Erwerbseinkommen der Beteiligten ist ein Erwerbstätigenbonus abzusetzen, den der Senat für den gesamten unterhaltsrelevanten Zeitraum mit einem Zehntel bemisst.
117Bei der Bedarfsbemessung nach der Quotenmethode ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH auf Seiten beider Beteiligten ein Erwerbsanreiz zu berücksichtigen. Danach widerspricht es dem Halbteilungsgrundsatz nicht, zugunsten eines erwerbstätigen Beteiligten von einer strikt hälftigen Aufteilung in maßvoller Weise abzuweichen, um den mit einer Berufsausübung verbundenen höheren Aufwand zu berücksichtigen und zugleich einen Anreiz zur Erwerbstätigkeit zu schaffen. Dass dem Unterhaltsberechtigten ebenfalls ein Erwerbstätigenbonus von seinem Einkommen zugebilligt wird, ist durch den Halbteilungsgrundsatz und der diesem zugrundeliegenden gleichen Teilhabe von Unterhaltsberechtigtem und Unterhaltspflichtigem gerechtfertigt (vgl. BGH FamRZ 2011, 192 Rn. 25; NZFam 2020, 109 Rn. 18, beck-online). Die Rechtfertigung des Erwerbstätigenbonus entfällt jedoch insoweit, als die mit der Berufsausübung verbundenen höheren Aufwendungen entweder bei Selbstständigen von vornherein im Rahmen der Gewinnermittlung oder bei Nichtselbstständigen (pauschal mit 5 % oder konkret) berücksichtigt werden (BGHZ 224, 54 = FamRZ 2020, 171 Rn. 23 mwN = NZFam 2020, 109 mAnm Schürmann). Erschöpft sich die Funktion des Erwerbstätigenbonus dann jedoch darin, die mit der Ausübung einer Berufstätigkeit regelmäßig verbundene, nicht allein mit der Abgeltung berufsbedingter Aufwendungen kompensierte persönliche Mehrbelastung des Erwerbstätigen unterhaltsrechtlich zu honorieren, bedarf es im Einzelnen einer Begründung des Tatgerichts, wenn es mehr als ein Zehntel des Erwerbseinkommens der Bedarfsbemessung entzieht. Denn bei der pauschalen Ausnahme von dem Grundsatz, dass das gesamte Ehegatteneinkommen eheprägend im Sinne des § 1578 Abs. 1 BGB ist, ist Zurückhaltung geboten (BGH, NZFam 2022, 208 Rn. 47, 48, beck-online).
118Gemessen an diesen Kriterien ist die ausnahmsweise Berücksichtigung eines höheren Erwerbsanreizes nicht geboten, da auch im vorliegenden Fall der Erwerbstätigenbonus lediglich die mit der Berufstätigkeit verbundene Mehrbelastung, die nicht bereits durch die konkreten berufsbedingten Aufwendungen abgegolten worden sind, honorieren soll. Andere, darüber hinausgehende Gründe sind nicht vorhanden.
119cc)
120Ein Altersvorsorgeunterhaltsanspruch der Antragsgegnerin ist verwirkt, da Zahlungen hierauf nicht zweckentsprechend verwendet wurden.
121(1)
122Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist der Vorsorgeunterhalt gem. § 1578 Abs. 3 BGB ein zweckgebundener, in der Entscheidung besonders auszuweisender Bestandteil des nachehelichen Unterhalts, den der Berechtigte für eine entsprechende Versicherung zu verwenden hat.
123Dem Unterhaltsberechtigten steht es dabei frei, den Altersvorsorgeunterhalt als freiwillige Leistung in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen oder ihn ganz oder teilweise für eine private Altersvorsorge, insbesondere eine private Rentenversicherung, zu verwenden (BGH NJW 2007, 144 Rn. 24, beck-online; NZFam 2021, 1005 Rn. 24, beck-online).
124Bei zweckwidriger Verwendung der als Vorsorgeunterhalt geleisteten Beträge ist der Unterhaltsgläubiger später so zu behandeln, als hätten diese zu einer entsprechenden Versicherung geführt (BGH NJW 1983, 1547 = FamRZ 1982, 1187 [1189]).
125Macht der Berechtigte erstmals Vorsorgeunterhalt geltend, braucht er grundsätzlich keine konkreten Angaben über die Art und Weise der von ihm beabsichtigten Vorsorge zu machen. Dies gilt nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) jedoch nicht, wenn er in der Vergangenheit als Vorsorgeunterhalt erhaltene Beträge nicht bestimmungsgemäß verwendet hat. Entsprechendes gilt auch dann, wenn der Unterhaltsberechtigte einem Auskunftsverlangen zur Verwendung des bereits gezahlten Altersvorsorgeunterhalts nicht nachkommt. Denn in diesem Fall besteht die begründete Besorgnis, dass er die an sich gezahlten Beträge nicht zweckentsprechend verwendet. Auch dann wäre die Forderung des Unterhaltsberechtigten auf Vorsorgeunterhalt nicht schlüssig begründet (vgl. BGH NJW 1987, 2229 = FamRZ 1987, 684 [688]).
126(2)
127Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Antragsteller nicht mehr verpflichtet, Altersvorsorgeunterhalt zu zahlen, da die Antragsgegnerin die bisherigen auf den Altersvorsorgeunterhalt geleisteten Beträge nicht zweckentsprechend verwendet hat.
128Die Antragsgegnerin hat den gemäß Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 04.06.2020 (II – 5 UF 255/19) gezahlten Altersvorsorgeunterhalt auf ein Konto eingezahlt. Die Schaffung von Sparvermögen hält sich jedoch nicht im Rahmen der Zweckbindung. Der Zweck des Altersvorsorgeunterhalts besteht darin, dass die aus dem angesparten Kapital fließenden Renteneinkünfte zur Deckung des Bedarfs im Alter zur Verfügung stehen. Durch das bloße Ansparen wird dieser Zweck beeinträchtigt, da der Sparbetrag dem jederzeitigen Zugriff der Antragsgegnerin unterliegt (vgl. BGH NZFam 2021, 1005 Rn. 25, 26, beck-online).
129dd)
130Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ergibt sich nachstehende Unterhaltsberechnung:
131Ab Juli 2021:
132Einkommen Antragsteller |
||
laufend mtl. Netto |
3.299,00 € |
|
Steuererstattung |
415,00 € |
|
Fahrtkosten |
- 414,00 € |
|
Darlehen der Mutter |
||
Kindesunterhalt |
- 735,50 € |
|
bereinigtes Einkommen |
2.564,50 € |
|
Anrechenbar 6/7 |
||
Anrechenbar 9/10 |
2.308,05 € |
|
Abfindung |
1.081,00 € |
|
Ersparnis Wohnkosten (10% billiger SB) |
128,00 € |
|
anrechenbares Einkommen |
3.517,05 € |
|
Einkommen Antragsgegnerin |
||
fiktiv. vollschichtig (netto) |
1.294,12 € |
|
Fahrtkosten 13 EKM |
- 143,00 € |
|
1.151,12 € |
||
Anrechenbar 9/10 |
1.036,01 € |
|
Unterhaltsberechnung |
||
Einkommensdifferenz |
2.481,04 € |
|
Bedarf 1/2 rd. |
1.241,00 € |
|
dem Antragsteller verbleiben |
||
bereinigtes EK (incl. KU) |
2.564,50 € |
|
Abfindung |
1.081,00 € |
|
Ersparnis Wohnkosten |
128,00 € |
|
3.773,50 € |
||
abzgl. Trennungsunterhalt |
- 1.241,00 € |
|
2.532,50 € |
Ab Januar 2022
134Einkommen Antragsteller |
ab 07/2022 |
ab 10/2022 |
||
laufend mtl. Netto |
3.300,00 € |
|||
Steuererstattung |
415,00 € |
|||
Fahrtkosten |
- 579,60 € |
|||
Darlehen der Mutter |
||||
Kindesunterhalt |
- 743,50 € |
|||
bereinigtes Einkommen |
2.391,90 € |
|||
Anrechenbar 9/10 |
2.152,71 € |
|||
Abfindung |
1.081,00 € |
|||
Ersparnis Wohnkosten 10% billiger SB |
128,00 € |
|||
anrechenbares Einkommen |
3.361,71 € |
3.361,71 € |
3.361,71 € |
|
Einkommen Antragsgegnerin |
ab 01/2022 |
ab 07/2022 |
ab 10/2022 |
|
fiktiv. Vollschichtig (netto) |
1.356,62 € |
1.406,63 € |
1.570,03 € |
|
Fahrtkosten 13 EKM |
- 200,20 € |
- 200,20 € |
- 200,20 € |
|
1.156,42 € |
1.206,43 € |
1.369,83 € |
||
Anrechenbar 9/10 |
1.040,78 € |
1.085,79 € |
1.232,85 € |
|
Unterhaltsberechnung |
ab 01/2022 |
ab 07/2022 |
ab 10/2022 |
|
Einkommensdifferenz |
2.320,93 € |
2.275,92 € |
2.128,86 € |
|
Bedarf 1/2 rd. |
1.160,00 € |
1.138,00 € |
1.064,00 € |
|
dem Antragsteller verbleiben |
||||
bereinigtes EK (incl. KU) |
2.391,90 € |
2.391,90 € |
2.391,90 € |
|
Abfindung |
1.081,00 € |
1.081,00 € |
1.081,00 € |
|
Ersparnis Wohnkosten |
128,00 € |
128,00 € |
128,00 € |
|
3.600,90 € |
3.600,90 € |
3.600,90 € |
||
abzgl. Trennungsunterunterhalt |
- 1.160,00 € |
- 1.138,00 € |
- 1.064,00 € |
|
2.440,90 € |
2.462,90 € |
2.536,90 € |
ee)
136Der Trennungsunterhaltsanspruch ist nicht verwirkt. Die Antragsgegnerin lebt nicht in einer verfestigten Lebensgemeinschaft.
137Nach §§ 1361 Abs. 3, 1579 Nr. 2 BGB ist ein Unterhaltsanspruch zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes grob unbillig wäre, weil der Berechtigte in einer verfestigten Lebensgemeinschaft lebt.
138Voraussetzung für eine eheähnliche Lebensgemeinschaft ist das Bestehen eines auf Dauer angelegten Verhältnisses, das gleichsam an die Stelle einer Ehe tritt, und bei der die Partner in der Öffentlichkeit wie ein Ehepaar in Erscheinung treten. Entscheidend ist, ob sich der Unterhaltsberechtigte durch Eingehen der neuen Lebensgemeinschaft endgültig aus der nachehelichen Solidarität herauslöst und zu erkennen gibt, dass er diese nicht mehr benötigt (BGH NJW 2011, 3089).
139Trotz eines länger dauernden Verhältnisses zu einem neuen Partner kann der Anwendung von § 1579 Nr. 2 BGB entgegenstehen, dass die Lebensbereiche getrennt gehalten werden und die Beziehung damit bewusst auf Distanz angelegt ist (vgl. BGH FamRZ 2011, 795). Denn nicht jede freundschaftliche, auch engere Beziehung ist schon eine ehegleiche Lebensgemeinschaft. Entscheidend ist vielmehr, dass der Unterhaltsberechtigte mit einem neuen Partner in einer verfestigten Beziehung lebt, die Partner ihre Lebensverhältnisse so aufeinander abgestellt haben, dass sie wechselseitig füreinander einstehen, indem sie sich gegenseitig Hilfe und Unterstützung gewähren, und damit ihr Zusammenleben ähnlich gestalten, wie es sich aufgrund der nach außen dringenden Gegebenheiten auch in einer Ehe darstellt (BGH FamRZ 1995, 344, 345;OLG Koblenz Beschl. v. 27.1.2016 – 13 UF 638/15, BeckRS 2016, 18354 Rn. 19, beck-online).
140Gemessen an diesen Kriterien spricht einzig das Zeitmoment für eine verfestigte Lebensgemeinschaft, da die Antragsgegnerin seit nahezu 5 Jahren in einer Beziehung lebt. Abgesehen davon werden die Lebensbereiche bewusst auseinander gehalten. Die Antragsgegnerin und ihr Partner leben in getrennten Wohnungen, die nahezu 100 km voneinander entfernt sind. Man verfügt jeweils über eigene Freundeskreise, fährt nur gelegentlich gemeinsam in den Urlaub oder verbringt die Feiertage zusammen. Dass man füreinander einsteht, ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig findet ein gemeinsames Wirtschaften statt.
1414.
142Die Kostenentscheidung erster und zweiter Instanz folgt aus § 243 FamFG.
143Die Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit ergeht nach § 116 Abs. 3 S. 2 FamFG.
144Die Entscheidung über die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf §§ 42 Abs. 1, 51 Abs. 1, 2 FamGKG.
145Rechtsbehelfsbelehrung:
146Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht eröffnet.
147Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordert (§ 70 Abs. 2 FamFG).