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Die Frage, ob das Amtsgericht zu Recht oder zu Unrecht von einer Begründung nach § 72 Abs. 6 OWiG abgesehen hat bzw. ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorlagen, ist eine Frage des Verfahrensrecht und im Rechtsbeschwerdeverfahren (nur) auf eine Verfahrensrüge hin zu überprüfen.
Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Amtsgericht Hattingen zurückverwiesen.
Gründe
2Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift Folgendes ausgeführt:
3„I.
4Das Amtsgericht Hattingen hat gegen den Betroffenen mit Beschluss vom 02.05.2022 (Bl. 93 ff d. A.) wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 160,00 Euro festgesetzt und ihm „für die Dauer von einem Monat und drei Monaten“ - unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub - verboten, Kraftfahrzeuge aller Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Von einer Begründung des Beschlusses hat das Amtsgericht Hattingen gem. § 72 Abs. 6 OWiG abgesehen. Gegen diesen dem Betroffenen auf Anordnung des Vorsitzenden vom 02.05.2022 (Bl. 95 d. A.) am 10.05.2022 zugestellte (vgl. Bl. 98a d. A.) Beschluss hat der Betroffene mit dem am 13.05.2022 bei dem Amtsgericht Hattingen eingegangenen Telefax-Schreiben seines Verteidigers vom selben Tag (Bl. 102 d. A.) Rechtsbeschwerde eingelegt und diese – zumindest konkludent – mit der Verletzung sachlichen Rechts begründet (Bl. 102 ff d. A.). Eine nachträgliche Begründung des Beschlusses im Sinne von § 72 Abs. 6 OWiG ist nicht erfolgt.
5II.
6Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaft und rechtzeitig eingelegt sowie form- und fristgerecht begründet worden und damit zulässig. Die Ausführungen des Betroffenen mit Schreiben seines Verteidigers vom 13.05.2022 (Bl. 102 ff d. A.) sind auch als - konkludent erhobene - Sachrüge zu werten.
7In der Sache ist der Rechtsbeschwerde ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht zu versagen. Auf die Sachrüge ist der angefochtene Beschluss aufzuheben, weil er keine Begründung enthält, die Voraussetzungen für ein Absehen von der Begründung gem. § 72 Abs. 6 S. 1 OWiG mangels Verzichtserklärung des Betroffenen nicht vorlagen und eine Nachholung der Gründe nach Eingang der Rechtsbeschwerdeschrift nicht erfolgt ist (zu vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.09.2021 – 2 OLG 53 SS-OWi 373/21 – zitiert nach beck-online). Der angefochtene Beschluss enthält nicht die in § 72 Abs. 3 und 4 OWiG vorgesehene Begründung. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Begründung gem. § 72 Abs. 6 OWiG lagen nicht vor, da der Betroffene auf eine solche nicht verzichtet hat. Soweit er auf das Schreiben des Amtsgerichts vom 15.03.2022 (Bl. 90 f d. A.) nicht reagiert hat, stellt dies keine wirksame Verzichtserklärung dar (zu vgl. Krenberger/Krumm, OWiG, 7. Aufl. 2022, § 72, Rn. 50). Eine sonstige Verzichtserklärung ist der Akte nicht zu entnehmen. Zudem hätte es in dem angefochtenen Beschluss selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 72 Abs. 6 OWiG eines Hinweises auf den Bußgeldbescheid bedurft (§ 72 Abs. 6 S. 2 OWiG), was nicht der Fall ist (Bl. 93 f d. A.). Nach Eingang der Rechtsbeschwerde hätten die vollständigen Gründe zudem gem. § 72 Abs. 6 S. 3 OWiG innerhalb einer Frist von fünf Wochen zu den Akten gebracht werden müssen, was ebenfalls nicht erfolgt ist. Da der Beschluss keine Gründe enthält, ist eine Überprüfung auf materiell-rechtliche Richtigkeit nicht möglich, so dass der Beschluss bereits aus diesem Grund aufzuheben ist (zu vgl. OLG Brandenburg, a. a. O.).
8Der Tenor des angefochtenen Beschlusses ist zudem widersprüchlich bzw. unklar, soweit ein Fahrverbot für die Dauer „von einem Monat und drei Monaten“ angeordnet worden ist.“
9Diesen – im Wesentlichen – zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat mit nachfolgender Maßgabe an:
10Das Amtsgericht hat ausdrücklich von einer weiteren Begründung seiner Entscheidung gemäß § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG abgesehen. Ob die Voraussetzungen dieser Bestimmung, nämlich das allseitige Einverständnis der am Verfahren Beteiligten, dass von einer Begründung des Beschlusses abgesehen werden kann, vorliegend überhaupt gegeben waren, hat der Senat – anders als die Generalstaatsanwaltschaft offenbar meint - nicht zu prüfen, da eine entsprechende Verfahrensrüge von der Rechtsbeschwerde nicht erhoben worden ist. Die Frage, ob das Amtsgericht zu Recht oder zu Unrecht von einer Begründung nach § 72 Abs. 6 OWiG abgesehen hat bzw. ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorlagen, ist eine Frage des Verfahrensrecht. Eine entsprechende Gesetzesverletzung wäre daher mit einer Verfahrensrüge geltend zu machen gewesen. Nach § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG sind jedoch auch in Fällen, in denen zunächst zu Recht von einer Begründung abgesehen werden konnte, die vollständigen Beschlussgründe innerhalb von fünf Wochen zu den Akten zu bringen, wenn gegen den Beschluss - wie hier - Rechtsbeschwerde eingelegt wird, wobei die fünfwöchige Frist mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde beginnt. Diese ist jedoch längst abgelaufen. Erst hier – in einem zweiten Schritt – greift dann die obergerichtliche Rechtsprechung, dass eine Beschluss ohne Gründe auf die Sachrüge hin aufzuheben ist, weil eine materiellrechtliche Prüfung dann nicht stattfinden kann (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 6. Februar 2013 – 3 Ws (B) 54/13 –, Rn. 3, juris).
11Es bestand kein Anlass, die Sache an eine andere Abteilung desselben Amtsgerichts zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).