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Sofern die Beantwortung einer an einen Sachverständigen gerichteten Beweisfrage die fachliche Auswertung von Krankengeschichten, Behandlungsunterlagen und vergleichbaren Verlaufsdokumentationen erfordert, bedarf dies der besonderen Sachkunde des Sachverständigen; solche Befundtatsachen sind vom Sachverständigen selbst zu erheben.
Der Sachverständige hat in eigener Verantwortung zu entscheiden, welche Unterlagen er für die Erstattung seines Gutachtens benötigt; ob über die vom Sachverständigen getroffene Auswahl hinaus weitere Erhebungen erforderlich sind, richtet sich nach der Aufklärungspflicht.
Daran gemessen bestand kein Anlass, hier Gefangenenpersonalakten beizuziehen: Dafür, dass sich aus diesen Unterlagen weitere Anknüpfungstatschen ergeben, die eine Revision des von dem Sachverständigen gefundenen Ergebnisses erfordern oder diese zumindest in Frage stellen, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Auch spricht nichts dafür, dass die Gefangenenpersonalakten oder sonstige Unterlagen Auskunft über Tatsachen ergeben, nach denen von einem Sachverhalt auszugehen wäre, der den Verurteilten als weniger gefährlich erscheinen lässt.
Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Der Verurteilte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe:
2I.
3Das Landgericht Köln verurteilte den Verurteilten am 23. März 2015 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und exhibitionistischer Handlungen in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten. Wegen dieser Taten ordnete das Landgericht Bonn mit weiterem Urteil vom 20. Januar 2017 die Sicherungsverwahrung an.
4Diese wird – nach Untersuchungshaft ab dem 21. Mai 2013 und Strafhaft ab dem 6. April 2016 – seit dem 19. Februar 2019 vollstreckt. Nach mündlicher Anhörung des Verurteilten hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg mit Beschluss vom 13. Januar 2022 die Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung abgelehnt. Dagegen wendet sich der Verurteilte mit seiner rechtzeitig erhobenen sofortigen Beschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen. Mit Gegenerklärung seines Verteidigers vom 21. März 2022 hat der Verurteilte seine Beschwerde im Einzelnen begründen lassen.
5Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den ausführlichen Sachbericht unter Gliederungspunkt I. des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen. Von dessen Vollständigkeit und Richtigkeit im Hinblick auf die wesentlichen Verfahrens- und Anknüpfungstatsachen unter Berücksichtigung des Erfordernisses einer gestrafften, sich auf die wesentlichen Gesichtspunkte konzentrierenden Darstellung hat sich der Senat anhand des vollständigen Vollstreckungsheftes überzeugen können.
6II.
7Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie hat in der Sache keinen Erfolg.
81.
9Gem. § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen, wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb der Sicherungsverwahrung keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. „Erwarten“ in diesem Sinne bedeutet keine unbedingte Gewähr, sondern eine durch Tatsachen bedingte Wahrscheinlichkeit straffreier Führung. Das mit der Aussetzung eingegangene Risiko muss im Hinblick auf das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts vertretbar sein; je schwerer der drohende Schaden, desto höher die zu verlangende Wahrscheinlichkeit künftiger Legalbewährung (Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 67d, Rn. 3; m. w. N.). Daran gemessen hat die Strafvollstreckungskammer eine Erwartung im Sinne von § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB rechtsfehlerfrei verneint.
10a.
11Das Tatgericht hat in seinem Urteil vom 20. Januar 2017 eine überdauernde, in der Persönlichkeit des Verurteilten angelegte Neigung zur Begehung von Sexualstraftaten zum Nachteil von Frauen und Mädchen festgestellt. Dieser Beurteilung liegen unter anderem folgende Tatsachen zugrunde:
12Nach den vom Tatgericht getroffenen Feststellungen war der Verurteilte bereits früh verhaltensauffällig: So wurde er unter anderem in der sechsten Klasse von der Schule verwiesen, nachdem er eine Lehrerin mit einem Stock geschlagen hatte. Auf der neuen Schule wurde er für mehrere Wochen vom Unterricht ausgeschlossen, weil er gemeinsam mit zwei Mitschülern eine 14jährige Mitschülerin zum Oralverkehr an einem der Mittäter genötigt hatte, während er das Mädchen fixierte und an der Brust berührte. Auch drückte er sich gegen eine Mitschülerin und führte Beischlafbewegungen aus. Nach einem Gutachten aus dem Jahr 2011 hat es weitere sexuelle Übergriffe gegeben, die nicht Gegenstand der Strafverfolgung waren. Im Jahr 2008 belästigte der Verurteilte Frauen in einer Sauna und onanierte vor der Milchglastür.
13Am 25. November 2010 wurde der Verurteilte vom Amtsgericht Köln wegen Beleidigung verurteilt, nachdem er einer 16jährigen auf die Damentoilette gefolgt war, sie angesprochen, seine Hände auf ihre Hüften gelegt und seinen Unterleib an ihrem Gesäß gerieben hatte. Das Gericht gab dem Verurteilten auf, Beratungsgespräche bei einer Fachstelle für ambulante Tätertherapie zu führen. Der Verurteilte suchte die Beratungsstelle am Tag nach dem Urteil auf, bagatellisierte den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt und kommunizierte sein abwertendes Frauenbild. Weitere Gespräche fanden nicht statt.
14Am 5. August 2011 wurde der Verurteilte vom Amtsgericht Köln wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Der Verurteilte hatte sich nachts mit einer 18jährigen ins Haus gedrängt, ihr jeweils mehrfach in die Hose und Unterhose gegriffen und ihre Vagina berührt, sie dann die Kellertreppe hinuntergedrängt, gegen eine Wand gedrückt, versucht, ihre Hose herunterzuziehen, sie zu Boden gedrängt und ihr den Mund zugehalten, als sie um Hilfe rief; die weitere Tatausführung gab der Verurteilte auf, weil eine Nachbarin auf das Geschehen aufmerksam geworden war. Schon damals war das Gericht zu dem Eindruck gelangt, dass der Verurteilte zu einer Verhaltensänderung nicht bereit war. So konnte er unter anderem den Mitarbeitern der Haftvermeidungseinrichtung die Laufwege eines Mädchens voraussagen, das er zuvor gezielt beobachtet hatte. Auch hatte er während der Arbeitszeit Internetseiten mit pornographischem Inhalt aufgerufen. Auch Termine bei einem Psychologen nahm er nach Wahrnehmung seiner Betreuer lediglich mit Blick auf die anstehende Hauptverhandlung wahr, ohne tatsächliche Bereitschaft, sich zu öffnen. Eine Bewährungsaussetzung wurde seinerzeit abgelehnt, weil der Verurteilte nicht bereit war, „an seiner eigentlichen Problematik in Bezug auf sein Verhältnis zu Frauen und den Umgang mit Sexualität zu arbeiten“.
15Schließlich beging der Verurteilte am 22. März, 30. April und 19. Mai 2013 die Anlasstaten. Dabei begab er sich in den Garten eines Wohnhauses und onanierte und ejakulierte vor dem Wohnzimmerfenster, wobei es ihm darauf ankam, dass er von den beiden hinter dem Fenster sitzenden, von ihm als 17jährig geschätzten Mädchen gesehen wurde. In einem anderen Wohnhaus traf er auf ein siebenjähriges Mädchen, entblößte seinen Penis und forderte das Kind mehrfach zum Oralverkehr auf. Er begab sich mit dem Kind in den Keller, entblößte seinen Penis erneut und forderte sie erneut zum Oralverkehr auf. Schließlich zog er die Hose des Mädchens herunter, betrachtete ihre Scheide und streichelte ihren unbekleideten Genitalbereich. Erst als sie anfing zu weinen, ließ er von ihr. Bei den nächsten Taten betrat der Verurteilte verschiedene Krankenzimmer in einem Krankenhaus. Eine schlafende Frau berührte er am Kopftuch und am Rücken. Bei einer anderen schlafenden Frau hob er die Decke an und betrachtete ihren bekleideten Genitalbereich. Schließlich begab er sich in das Zimmer einer 10jährigen, die dort schlief. Er trat an das Bett, sog ihre Decke herunter und streichelte sie am Bauch, wovon sie aufwachte. Daraufhin zog er ihr die Hose und Unterhose herunter, betrachtete ihre Scheide und streichelte sie im Genitalbereich. Anschließend zog er sich selbst die Hose herunter, näherte sich mit seinem erigierten Penis dem Gesicht des Mädchens und forderte sie zum Oralverkehr auf. Dabei sagte er zu ihr „das ist Medizin, davon wirst du wieder gesund“.
16Der darin zum Ausdruck kommende Hang beruht, so das sachverständig durch den Psychiater A beratene Tatgericht, unter anderem auf einem Rollenbild, das Frauen unterordnet, einer narzisstischen Aufwertung der eigenen Person sowie Promiskuität und Grenzüberschreitungen, die von unrealistischen pornographischen Darstellungen geprägt sind. Den Taten ist gemeinsam, dass sie sich jeweils gegen hilf- und wehrlose weibliche Personen richten; dabei hat der Verurteilte seine sexuellen Interessen durch den Einsatz von Gewalt und das Eindringen in den persönlichen Schutzbereich seiner Opfer durchgesetzt. Dies korreliert mit einer dissozial akzentuierten Persönlichkeit und ständiger Bereitschaft, Bedürfnisse auch durch Normüberschreitungen zu befriedigen.
17b.
18Wie bereits die Strafvollstreckungskammer vermag der Senat nicht festzustellen, dass sich die auf dem beschriebenen Hang beruhende, vom Tatgericht festgestellte Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit bislang nennenswert reduziert hat.
19Während des Vollzugs der Strafhaft war der Verurteilte ab dem 6. April 2016 in den Justizvollzugsanstalten in B, C und D untergebracht. Dort fiel er mit Regelverstößen wie Drogenkonsum, Pendeln und Nichtbefolgen der Anweisungen weiblicher Bediensteter auf. Dies entspricht der im Anlassurteil festgestellten dissozialen Persönlichkeit und dem dort beschriebenen Frauenbild. Wie schon bei den Behandlungsversuchen in der Fachstelle für ambulante Tätertherapie und der Haftvermeidungseinrichtung vermochten auch die Behandler im Strafvollzug einen Leidensdruck und eine Veränderungsmotivation des Verurteilten nicht festzustellen. Eine Aufnahme in die Sozialtherapie scheiterte. Gegen Ende der Strafhaft wurde er in der JVA D u. a. im Oktober 2018 in das Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter aufgenommen, außerdem wurden regelmäßige psychologische Gespräche geführt. Zwei Urinkontrollen wurden positiv auf Betäubungsmittel getestet, auch ansonsten hatte er gelegentlich Schwierigkeiten, Anweisungen von Bediensteten zu folgen. Der psychologische Dienst beschrieb im Januar 2019 die Dissozialität als fortbestehend, die Egozentrik, mangelnde Authentizität und massiven Empathiedefizite als „noch stets deutlich sichtbar“.
20Der Sachverständige E ist in seinem Prognosegutachten vom 14. Januar 2019 zu einer „noch ungünstigen“ Kriminalprognose gelangt. Der Verurteilte stehe mit seiner Therapie ganz am Anfang. Er habe bislang keinen Zugang zu den von ihm verübten Sexualstraftaten gefunden und betrachte diese als Fehler, die zukünftig bestimmt nicht mehr passieren würden. Nähere Ursachen seiner Straftaten seien ihm nicht bewusst. Zu seinen Beweggründen könne der Verurteilte keine adäquate Auskunft geben. Hinsichtlich der Prognose sei eine Reihe von negativen Faktoren zu berücksichtigen: Zum einen zeige die Deliktserie, das von einem eingeschlossenen Verhalten auszugehen sei, eigene sexuelle Bedürfnisse zulasten von stark unterlegenen Frauen und Kindern zu befriedigen. Ungünstigerweise seien dem Verurteilten sämtliche Tatopfer zuvor unbekannt gewesen. Es handele sich um Zufallsbekanntschaften, was die Auswahl zukünftiger Opfer nicht einschränke. Weiter sei ungünstig, dass das Spektrum an Opfern in Bezug auf das Lebensalter eine hohe Varianz aufweise. So seien unter den Tatopfern sowohl präpubertäre Mädchen bis zum Alter von sieben Jahren und auch gleichaltrige sowie ältere Frauen. Weiter ungünstiger Faktor sei der Drogenmissbrauch. Beim Großteil der Delikte seien zuvor Substanzen eingenommen worden. Das senke die Hemmschwelle deutlich. Bis in jüngste Zeit habe der Verurteilte sich nicht bereit gezeigt, auf den Konsum von Cannabis zu verzichten. Weiterhin sei auf eine hohe Deliktzahl und immer kürzer werdende Abstände hinsichtlich des Beginns der Delikte hinzuweisen, was ebenfalls ein negativer Faktor sei. Ungünstigerweise habe er auch kurze Zeit nach vorherigen Inhaftierungen neue Delikte begangen, was die Rückfallanfälligkeit untermauere. Bisherige Verurteilungen zu Strafhaft seien nicht in der Lage gewesen, das Verhalten des Verurteilten signifikant zu verändern. Bei der aktuellen Untersuchung habe er auch nicht sämtliche im Urteil dargelegten Abläufe eingeräumt. Auch sei die Motivlage, warum er das Krankenhaus ein Tag nach seinem Delikt erneut aufgesucht habe, bis heute unklar. Die Tatanteile seien bis heute nicht aufgearbeitet. Allerdings habe er seine Schuld in weiten Teilen eingeräumt. Dadurch, dass der Verurteilte immer noch keinen wirklichen Zugang zu seinen Delikten gefunden habe, könne gegenwärtig noch nicht davon ausgegangen werden, dass der Verurteilte eine solche Kontrolle über sein Verhalten habe, dass er zukünftig keine Sexualstraftaten mehr begehen werde. Hier stehe er noch ganz am Anfang. Er habe eine spezifische Sexualtheatergruppe – zum Zeitpunkt der Begutachtung – erst fünf Wochen besucht und an der angebotenen Gruppe erst etwas länger als ein halbes Jahr teilgenommen. Eine wirklich intrinsische Motivation für eine weitere Psychotherapie habe er bislang nicht gezeigt. Sämtliche zusammengefassten Prognosefaktoren bedingten derzeit eine ungünstige Legalprognose.
21Dies hat sich in den vergangenen drei Jahren nicht wesentlich gebessert: Die nach Einschätzung des Sachverständigen E erforderliche Behandlung der Persönlichkeitsdefizite und der damit verbundenen unzureichenden Verhaltenskontrolle insbesondere im sexuellen Bereich hat mangels – wie schon während des Strafvollzugs – nach wie vor nicht ausreichender Behandlungsmotivation und tatsächlicher Änderungsbereitschaft des Verurteilten weiter nicht stattgefunden. Dies ergibt sich aus dem von der Justizvollzugsanstalt regelmäßig berichteten Verlauf. Danach wurde der Verurteilte im Jahr 2020 nach mehrmaligem unentschuldigtem Fehlen vom Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter ausgeschlossen. Erst seit November 2021 wird ihm die Teilnahme an der Gruppe erneut ermöglicht; der deliktspezifische Teil der Maßnahme hat noch nicht begonnen. Eine Einzeltherapie scheiterte zunächst auch daran, dass der Verurteilte – trotz entsprechend geäußerten Interesses – den ihm ausgehändigten Fragenkatalog zur Indikationsstellung nicht bearbeitete. Erst vor einigen Wochen wurde der Verurteilte in eine externe Einzeltherapie vermittelt. Seit Februar 2022 nimmt er an zunächst fünf probatorischen Sitzungen teil; über die Bewilligung weiterer 40 Sitzungen soll nach Abschluss der Probatorik auf Grundlage eines Berichts der Therapeutin entschieden werden. Für die – von den Behandlern als grundsätzlich notwendig eingeschätzte – Sozialtherapie fehlt es bislang an der erforderlichen intrinsischen Behandlungs- und Veränderungsmotivation; außerdem hat sich der Verurteilte in der Vergangenheit gegen die dafür erforderliche Verlegung nach F ausgesprochen.
22Schließlich hat der Verurteilte vom 3. Januar bis 2. Juli 2021 an suchttherapeutischen Einzelgesprächen teilgenommen. Der Erfolg dieser Maßnahme wird sich noch erweisen müssen. Nachdem auch während des Verlaufs mehrere Drogenscreenings durch Verweigerung, Verdacht der Manipulation und ein positives Ergebnis auffällig waren und der Verurteilte von einem Rückfallprophylaxetraining für Drogenabhängige, an dem er vom 21. März 2019 bis zum 27. Oktober 2020 teilgenommen hatte, wegen Fehlzeiten ausgeschlossen worden ist, ist zu befürchten, dass die Teilnahme auch insoweit weniger auf echter Veränderungsbereitschaft beruht als darauf, dass er sich bereits durch die formale Teilnahme Vorteile erhofft. Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist der Drogenkonsum auch prognoserelevant: Der Sachverständige E hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Drogenkonsum – wie bei den Anlasstaten – die Hemmschwelle des Verurteilten zusätzlich senkt.
23Unabhängig davon hat sich auch im Verhalten des Verurteilten gezeigt, dass seine mangelnde Kontrolle sexueller Impulse unverändert fortbesteht und von dem Verurteilten trotz Sicherungsverwahrung nicht beherrscht wird: Im zweiten Halbjahr 2020 rief er beim G-Versand an, suchte Gespräche mit weiblichen Mitarbeitern, fragte gezielt nach ihrer Augenfarbe und ob sie alleine seien, nach ihrem Beziehungsstatus, nach der Art ihrer Kleidung und versuchte herauszufinden, ob „Penisgröße 21“ gut sei. Im Gespräch mit dem Sozialdienst und dem psychologischen Dienst vermochte er kein Problembewusstsein für sein Verhalten zu entwickeln.
24c.
25Der Senat hat weder an der Richtigkeit der Beurteilung durch den Sachverständigen E in seinem schriftlichen Gutachten vom 14. Januar 2019 noch an der Vollständigkeit und Richtigkeit der von den Justizvollzugsanstalten regelmäßig erstatten Führungsberichte Zweifel. Entgegen den Anträgen der Verteidigung bestand deshalb für eine Beiziehung und Auswertung von Gefangenenpersonalakten oder „Patientenakten“ und eine weitere Begutachtung kein Anlass.
26Sofern die Beantwortung einer an einen Sachverständigen gerichteten Beweisfrage die fachliche Auswertung von Krankengeschichten, Behandlungsunterlagen und vergleichbaren Verlaufsdokumentationen erfordert, bedarf dies der besonderen Sachkunde des Sachverständigen. Solche Befundtatsachen sind vom Sachverständigen selbst zu erheben (BGH, Urteil vom 7. Juni 1956 – 3 StR 136/56 –, BGHSt 9, 292). Er hat in eigener Verantwortung zu entscheiden, welche Unterlagen er für die Erstattung seines Gutachtens benötigt (Boetticher e. a., Empfehlungen für Prognosegutachten, NStZ 2019, 553 [557]). Ob über die vom Sachverständigen getroffene Auswahl hinaus weitere Erhebungen erforderlich sind, richtet sich nach der Aufklärungspflicht (BGH, a. a. O.). Diese hat für die Hauptverhandlung ihren Niederschlag in § 244 Abs. 2 StPO gefunden. Ihr entspricht für die tatsächlichen Grundlagen der im Verfahren nach § 67e StGB zu treffenden Prognoseentscheidung das Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung. Dieses Gebot fordert vom Gericht, dass es sich um eine möglichst breite Tatsachenbasis bemüht und so ein möglichst umfassendes Bild über die zu beurteilende Person verschafft (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1985 – 2 BvR 1150/80 –; Beschluss vom 22. Oktober 2009 – 2 BvR 2549/08 –; beide juris). Die Aufklärungspflicht reicht jedoch nicht grenzenlos. Sie endet dort, wo nicht die Umstände, die dem Gericht bekannt sind oder aufgrund der Akten oder des Verfahrensablaufs bekannt sein müssen, zum Gebrauch eines bestimmten weiteren Beweismittels drängen oder ihn nahelegen (Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 64. Auflage 2021, § 244, Rn. 12, m. w. N.). Nach diesem Grundsatz ist auch das Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung im Bereich des Straf- und Maßregelvollzugs verletzt, wenn das Gericht unter Berücksichtigung der Beweislage zu einer bestimmten Überzeugung noch nicht hätte gelangen dürfen, weil es bei verständiger Würdigung aller Umstände des zu entscheidenden Falles damit rechnen musste, dass ihm bekannte oder erkennbare, nicht verwertete weitere Beweismittel einen Sachverhalt erbringen, der im Gegensatz zu seiner bisherigen Überzeugung eine Tatsache widerlegt, infrage stellt oder bestätigt. Ergibt eine umfassende, verständige und allgemeiner Lebenserfahrung Rechnung tragende Würdigung der Sachlage, dass das Gebot umfassender Sachaufklärung danach drängt, ein bekanntes oder erkennbares weiteres Beweismittel zu nutzen oder ein bereits genutztes Beweismittel weiter auszuschöpfen, so ist entsprechend zu verfahren (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2009 – 2 BvR 2549/08 –; BVerfG, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – 2 BvR 2473/17, 2 BvR 2696/18 –; juris).
27Daran gemessen bestand kein Anlass, hier Gefangenenpersonalakten oder „Patientenakten“ beizuziehen. Dafür, dass sich aus diesen Unterlagen weitere Anknüpfungstatschen ergeben, die eine Revision des von dem Sachverständigen gefundenen Ergebnisses erfordern oder diese zumindest in Frage stellen, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Auch spricht nichts dafür, dass die Gefangenenpersonalakten oder sonstige Unterlagen Auskunft über Tatsachen ergeben, nach denen von einem Sachverhalt auszugehen wäre, der den Verurteilten als weniger gefährlich erscheinen lässt. Nichts deutet darauf hin, dass sich aus den Gefangenenpersonalakten ein Bild des Verurteilten ergibt, das im Widerspruch zu dem von der Strafvollstreckungskammer und dem Senat zugrunde gelegten, für die hier zu beurteilenden Fragen relevanten Sachverhalt steht.
28Soweit die Beschwerde meint, aus dem in der Kostenrechnung des Sachverständigen angegebenen Zeitaufwand des Sachverständigen für das Aktenstudium eine mangelnde Tatsachenbasis des Gutachtens ableiten zu können, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Das Gutachten beruht auf einer umfassenden Auswertung und des Lebenslaufs des Verurteilten, der von ihm begangenen Vortaten und Anlasstaten, des Haft- und Behandlungsverlaufs sowie der Untersuchung des Verurteilten. Dies ergibt sich aus den im ersten Teil des Gutachtens umfassend dargestellten Anknüpfungstatsachen, wobei die von dem Sachverständigen vorgenommene Zusammenfassung und Beschränkung auf das Wesentliche nicht befürchten lässt, das erhebliche Anknüpfungstatsachen übersehen oder unterschlagen worden wären. Bezeichnenderweise benennt auch die Beschwerde solche Tatsachen nicht.
29Die Anknüpfungstatsachen stimmen mit den vom Tatgericht getroffenen Feststellungen und mit dem von den Justizvollzugsanstalten in den regelmäßigen Führungsberichten mitgeteilten Behandlungsverlauf und vollzuglichen Verhalten des Verurteilten überein. Der Senat geht davon aus, dass die Justizvollzugsanstalten aufgrund des für staatliche Behörden geltenden Gesetzesvorrangs gem. § 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 1 Satz 2 StPO die für die rechtliche Beurteilung der Unterbringungsfortdauer wesentlichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß berichten. Dies schließt nicht aus, dass hierbei im Einzelfall Fehler passieren. Entscheidend erscheint dem Senat jedoch das sich über den gesamten Verlauf von Erkenntnisverfahren, Strafhaft und Maßregelvollzug insgesamt ergebende, konsistente Bild. Für eine dauerhafte Verfälschung dieses Gesamtbildes gibt es keinerlei Hinweise. Auch die Beschwerde erschöpft sich in der gebetsmühlenartig erhobenen Forderung nach „Überprüfung“ des sich aus den tatgerichtlichen Feststellungen, den Sachverständigengutachten und Führungsberichten ergebenden Sachverhalts, ohne indes auch nur in einem einzigen Punkt Gesichtspunkte aufzuzeigen, die konkret Anlass zu einer solchen Überprüfung geben, oder bestimmte Teile des zugrunde gelegten Sachverhalts zu benennen, die falsch oder unvollständig sein sollen. Schließlich erlaubt sich der Senat darauf hinzuweisen, dass der Verurteilte bei seiner Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer auf die Frage, ob er zu den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt vom 27. Juli und 7. Dezember 2021 etwas auszuführen oder richtig zu stellen habe, geantwortet hat: „Das passt alles.“
302.
31Einer Fristsetzung gem. § 67d Abs. 2 Satz 2 StGB bedurfte es nicht. Der Verurteilte nimmt u. a. am Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter, an einer externen Einzeltherapie und an der Gruppe „Auftakt“ teil. Darüber hinaus führen der Sozialdienst und der psychologische Dienst regelmäßig Gespräche mit dem Verurteilten. Suchttherapeutische Einzelgespräche sind im Juli 2021 nach 24 Terminen regelgerecht beendet worden. Eine Teilnahme an der Rückfallprophylaxegruppe war dem Verurteilten ermöglicht worden; aus der Gruppe ist er wegen Fehlzeiten ausgeschlossen worden. Eine grundsätzlich notwendige Sozialtherapie wird vom Verurteilten wegen der damit verbundenen Verlegung nach F abgelehnt, zudem erscheint die Indikation für eine solche Maßnahme nach gegenwärtigem Behandlungsstand aufgrund der zweifelhaften Veränderungsmotivation des Verurteilten fraglich. Damit wird dem Verurteilten zurzeit eine ausreichende Betreuung im Sinne von § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB angeboten.
32Die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen fällt hingegen unter § 66c Abs. 1 Nr. 3 StGB, so dass der Einwand des Verurteilten wegen ihm angeblich nicht angebotener Lockerungen schon formal nicht durchgreift. Eine Überprüfung ist nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens.
333.
34Die Fortdauer der Unterbringung ist – auch bei integrativer Betrachtung, die die Gesamtdauer des Freiheitsentzugs seit Mai 2013 berücksichtigt – nach wie vor verhältnismäßig.
35Mildere Maßnahmen, die einen ausreichenden Schutz vor der seit Anordnung der Maßregel im Wesentlichen unverändert fortbestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten bieten, sind aus den bereits genannten Gründen (Gliederungspunkt 2.) nicht ersichtlich. In der Vergangenheit war seine Delinquenz unter anderem durch hohe Rückfallgeschwindigkeit und zufällige Auswahl der zumeist deutlich unterlegenen Opfer geprägt. Es spricht nichts dafür, dass sich daran etwas geändert hat. Der Verurteilte scheint nach wie vor wenig veränderungsbereit, er ist weitgehend unbehandelt, noch im Jahr 2000 hat er sich – trotz Sicherungsverwahrung – sexuell übergriffig verhalten. Insofern wird er sich durch weniger einschneidende Maßnahmen nicht von weiteren Sexualdelikten abhalten lassen.
36Angesichts des hohen Gewichts der durch einen Rückfall bedrohten Rechtsgüter (Menschenwürde, sexuelle Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit) sowie der gerade bei Sexualdelikten zum Nachteil von Kindern regelmäßig zu erwartenden schweren und langanhaltenden psychischen Schäden der Opfer ist die Dauer des Freiheitsentzugs nach wie vor angemessen. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass § 67d StGB im Interesse der Allgemeinheit notfalls auch eine über mehrere Jahrzehnte andauernde Verwahrung chronisch unverbesserlicher Hangtäter gestattet, die sich dauerhaft jeder Behandlung verweigern (BVerfG, Urteil vom 21. Juni 1977 – 1 BvL 14/76 –; BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01 –; beide juris).
374.
38Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.