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1. Der Begriff der „Gefahr“ im Sinne von § 67d Abs. 3 S. 1 StGB und der Begriff der „Gefährlichkeit“ im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB decken sich. Die Fortdauer der Unterbringung in der seit mehr als zehn Jahren vollzogenen Sicherungsverwahrung setzt deshalb voraus, dass die Gefährlichkeit des Verurteilten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB fortbesteht.
2. Unerheblich ist, ob es sich um eine „hohe“ oder „höchstgradige“ Gefahr handelt. Erforderlich, aber auch hinreichend, ist vielmehr die Feststellung konkreter und gegenwärtiger Anhaltspunkte dafür, dass die Gefährlichkeit fortbesteht; abzugrenzen ist von der bloßen Möglichkeit, einer ausschließlich statistischen Wahrscheinlichkeit oder der latenten Gefahr künftiger Delinquenz.
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 25. Januar und 3. Februar 2022 gegen den Beschluss der 1. großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 13. Dezember 2021 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29. März 2022
nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft sowie nach Anhörung des Verurteilten bzw. seines Verteidigers beschlossen:
Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Der Verurteilte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe:
2I.
3Das Landgericht Krefeld verurteilte den Verurteilten am 7. Juni 1999 wegen einer am 1. Mai 1998 begangenen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und ordnete seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Die Strafe wurde in eine mit Beschluss des Landgerichts Krefeld vom 14. Juni 2000 gebildete nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten einbezogen, die Maßregelanordnung blieb aufrechterhalten. Nach Untersuchungshaft seit dem 6. November 1998 wurde die Freiheitsstrafe ab dem 11. Dezember 1999, die Sicherungsverwahrung ab dem 16. Januar 2004 vollstreckt. Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 13. Dezember 2021 ein Ablehnungsgesuch des Verurteilten gegen die Vorsitzende der Kammer als unzulässig verworfen, die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht für erledigt erklärt und ihre Fortdauer angeordnet. Dagegen wendet sich der Verurteilte mit seiner rechtzeitig erhobenen sofortigen Beschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen. Der Verteidiger hat hierzu eine Gegenerklärung abgegeben.
4Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den ausführlichen Sachbericht unter Ziffer I. des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
5II.
61.
7Die sofortige Beschwerde ist aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, die der Senat nach eigener Sachprüfung uneingeschränkt teilt und die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, unbegründet. Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist ergänzend lediglich Folgendes klarzustellen:
8a.
9Wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung seit mehr als zehn Jahren vollzogen, ist sie gem. § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB a. F. für erledigt zu erklären, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Verurteilte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperliche schwer geschädigt werden. Dabei decken sich der Begriff der „Gefahr“ und der Begriff der „Gefährlichkeit“ gem. § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB (Fischer, StGB, 69. Auflage 2022, § 67d, Rn. 15; Ziegler, in: BeckOK StGB, Stand 1. Februar 2022, § 67d, Rn. 11; Veh, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, § 67d, Rn. 37). Demnach setzt die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung voraus, dass die Gefährlichkeit des Verurteilten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB fortbesteht (Veh, a. a. O.; Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB; 30. Auflage 2019, § 67d, Rn. 17; Rissing-van Saan/Peglau, in: Laufhütte u.a., Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2007, § 67d, Rn. 69). Insoweit ist unerheblich, ob es sich um eine „hohe“ oder „höchstgradige“ Gefahr handelt. Erforderlich, aber auch hinreichend, ist vielmehr die Feststellung „konkreter und gegenwärtiger Anhaltspunkte dafür, dass die Gefährlichkeit fortbesteht“ (BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01 –, juris; Kilian in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar StGB, 3. Auflage 2020, § 67d, Rn. 19; Kinzig, a. a. O.; Heger/Pohlreich, in: Lackner/Kühl, StGB, 29. Auflage 2018, § 67d, Rn. 7c). Abzugrenzen ist demnach von der bloßen Möglichkeit, einer ausschließlich statistischen Wahrscheinlichkeit oder der latenten Gefahr künftiger Delinquenz (Kinzig, a. a. O.; Kilian, a. a. O., Rn. 20).
10b.
11Daran gemessen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Strafvollstreckungskammer die Voraussetzungen für eine Erledigung der Maßregel gem. § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB für nicht erfüllt gehalten hat. Denn aus den in der Entscheidung genannten Gründen bestehen konkrete und gegenwärtige Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte im Falle einer Entlassung aus dem Maßregelvollzug schwerste Sexualdelikte begehen wird, mit denen er die Opfer körperlich wie seelisch schwer schädigt.
12Nach den im Anlassurteil getroffenen Feststellungen zeigte der Verurteilte ab der 5. Schulklasse Verhaltensauffälligkeiten, verwahrloste zunehmend, fand Anschluss im Zuhältermilieu, erlernte Gewalt als Kommunikationsmittel und entwickelte die Vorstellung, dass die Missachtung sozialer Normen grenzenlose persönliche Freiheit nach sich zieht. Der Verurteilte verließ die Schule ohne Abschluss, erlernte keinen Beruf und führte sein Leben nach dem „Lustprinzip“.
13Bereits vor der Anlasstat wurde der Verurteilte vielfach vorbestraft, darunter Verurteilungen wegen gemeinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, schweren Diebstahls, Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz; außerdem wegen versuchter Vergewaltigung im minder schweren Fall in zwei Fällen (AG Krefeld vom 27. August 1986), wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung (LG Krefeld vom 4. Februar 1993) und wegen Nötigung in drei Fällen, Körperverletzung und Freiheitsberaubung (LG Düsseldorf vom 8. Januar 1999). Dem letztgenannten Urteil lag u. a. zugrunde, dass er seine damalige Ehefrau auf die Couch war, sie auszog, ihr die Hände auf dem Rücken fesselte, ca. 10 Minuten mit einem Gürtel auf sie einschlug, ihr ein Messer an den Hals setzte, es an ihre Brustwarze führte und erklärte, er habe Lust, ihr diese abzuschneiden und ins Fleisch zu rammen, dann gegen ihren Willen Anal- und Vaginalverkehr mit ihr ausführte, am Abend des folgenden Tages versuchte, sie mit den Händen festhielt, dabei den Analverkehr mit ihr ausführte und sie auch in den folgenden Wochen immer wieder zum Anal-, Oral- und Vaginalverkehr zwang, wobei er sie zum Teil erneut fesselt, ihr drohte und sie schlug.
14Zuvor erlittene Strafhaft vermochte den Verurteilten nicht von der Begehung weiterer Taten abzuhalten. Die Anlasstat beging er am 1. Mai 1998, rund zwei Wochen nach seiner Entlassung aus einer mehrjährigen Haft. Dabei riss der Verurteilte der Geschädigten die Kleidung vom Leib; er schlug ihr ins Gesicht und würgte sie, um sie gefügig zu machen; er legte sich auf die Geschädigte, hielt sie fest, fasste ihr an die Brust und griff mit seinen Fingern in ihre Scheide, an der er auch mit seiner Zunge leckte; er führte seinen Penis gewaltsam in ihre Scheide ein und kündigte an, er wolle sie gleich auch „anal ficken" und setzte den Vaginalverkehr bis zum Samenerguss fort.
15Bei dem Verurteilten besteht nach übereinstimmender Einschätzung der bislang mit ihm befassten Sachverständigen eine dissoziale oder kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Anteilen. Möglicherweise besteht zusätzlich eine sadistische Sexualpräferenz mit neurotischen Ursachen. Eine weitergehende Klärung war mangels Mitwirkung und Öffnung des Verurteilten bislang nicht möglich. Nach Beurteilung des Sachverständigen im Erkenntnisverfahren waren weder die Anlasstat noch die früheren Sexualdelikte Konflikttaten, sondern egoistisches, von der Durchsetzung spontaner sexueller Interessen geprägtes Handeln, begleitet von einer Aggressivität, die keinen Widerspruch duldete. Der Verurteilte selbst habe erläutert, so der Sachverständige, im Tatzeitpunkt komme Gleichgültigkeit auf, die ihn daran hindere, sein aggressives Verhalten abzubrechen.
16Die der Delinquenz des Verurteilten zugrundeliegende Persönlichkeitsproblematik ist bislang völlig unbehandelt, weil der Verurteilte zu einer Behandlung bislang nicht – jedenfalls nicht ernsthaft – bereit war und ist. Aktuell äußert sich dies darin, dass er die Teilnahme an entsprechenden Gesprächen von der Anwesenheit eines Verteidigers in den Sitzungen abhängig macht. Zugleich ist der gesamte Vollzugsverlauf von einer Vielzahl von Auffälligkeiten geprägt, die das unveränderte Fortbestehen der Dissozialität bestätigen, unter anderem: völlige Verwahrlosung der dem Verurteilten zugewiesenen Hafträume; Herstellung einer Stichwaffe; Morddrohungen gegen Vollzugsbedienstete; ausgeprägtes querulatorisches Verhalten; Weigerung, zu Vorführungen Kleidung zu tragen. Nach wie vor ist keine Integration ins Abteilungsgeschehen möglich; eine Aufhebung der bestehenden Sicherungsmaßnahmen kommt aus Sicht der JVA nicht infrage, solange der Verurteilte stets erklärt, dafür Sorge zu tragen, dass „die Tür zu bleibt“. Nach wie vor regelmäßige Gesprächsangebote und Motivationsversuche des Behandler haben keinen Erfolg.
17Bislang sind sämtliche mit dem Verurteilten befassten Sachverständigen, übereinstimmend mit den Behandlern des Justizvollzugs, zu der Einschätzung gelangt, dass eine Minderung der in der Anlasstat zutage getretenen Gefährlichkeit des Verurteilten nicht eingetreten ist. Daran kann nach alledem kein Zweifel bestehen. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der Verurteilte inzwischen an einer Atemwegserkrankung leidet, die zu Kurzatmigkeit und Mobilitätseinschränkungen führt. Diese würde ihn indes nicht daran hindern, körperlich unterlegene Frauen zu missbrauchen und zu vergewaltigen, indem er sie wie bei seinen früheren Taten fesselt, mit Waffen bedroht oder sich – mit seinen 140 kg Körpergewicht – auf sie legt, nachdem er ihnen zunächst Aufmerksamkeit, Fürsorge und Nähe vorgespielt hat.
18c.
19Die Fortdauer der Sicherungsverwahrung ist nach wie vor verhältnismäßig.
20Zwar intensiviert sich der Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Verurteilten mit fortschreitender Dauer der Sicherungsverwahrung und hat folglich nach nun mehr als 18 Jahren deutliches Gewicht erreicht.
21Allerdings gestattet § 67d Abs. 3 StGB im Interesse der Allgemeinheit auch eine über mehrere Jahrzehnte andauernde Verwahrung chronisch unverbesserlichen Hangtäter, die sich wie der Verurteilte dauerhaft jeder Behandlung verweigern und ungeachtet fortschreitenden Alters bis an ihr Lebensende gefährlich bleiben. Dass in diesem Fall das Resozialisierungsziel des Strafvollzugs nicht mehr zum Tragen kommt, beruht nicht auf der Anordnung der Sicherungsverwahrung, sondern auf dem Verhalten des Verurteilten, das eine erfolgreiche Resozialisierung auf Dauer ausschließt (BVerfG, Urteil vom 21. Juni 1977 – 1 BvL 14/76 –; BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01 –; beide juris).
22Insofern hat der Senat im Hinblick auf das ebenfalls erhebliche Gewicht der im Falle erneuter Vergewaltigungen verletzten Rechtsgüter (Menschenwürde, sexuelle Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit) und das hohe öffentliche Interesse am Schutz vor solchen Taten keine Zweifel an der Angemessenheit der Unterbringungsfortdauer.
232.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.