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I.
Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Antragsfrist für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.
II.
Die Berufung des Klägers gegen das am 10.09.2021 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 14 838,35 EUR festgesetzt.
Gründe:
2A.
3Die Parteien streiten um Steuerberaterhonoraransprüche des Klägers gegen den Beklagten. Durch das im Tenor näher bezeichnete Urteil ist die Klage abgewiesen worden. Nach Zustellung am 08.10.2021 hat der Kläger hiergegen mit Schriftsatz vom 18.10.2021, per Fax eingegangen am selben Tag, Berufung eingelegt und mit weiterem Schriftsatz vom 11.11.2021, eingegangen am 12.11.2021, die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, die ihm durch Verfügung der Vorsitzenden vom 03.12.2021 bis zum 10.01.2022 einschließlich gewährt wurde.
4Mit Schriftsatz vom 09.01.2022, eingegangen per Briefpost laut Eingangsstempel des Oberlandesgerichts am 08.01.2022, hat der Kläger die Berufung begründet und eine weitergehende Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.
5Die Berichterstatterin hat den Kläger durch Schreiben vom 11.01.2022, abgegangen am 18.01.2022, darauf hingewiesen, dass die Berufung unzulässig sein dürfte, weil die Berufungsbegründungsfrist durch den Eingang der ab 01.01.2022 nicht mehr wirksam möglichen Erklärung per Anwaltsschriftsatz anstatt durch elektronisches Dokument nicht gewahrt worden sei.
6Der Kläger nimmt durch Schriftsatz vom 24.01.2022, per Briefpost eingegangen am 25.01.2022, dahingehend Stellung, dass es seinem Prozessbevollmächtigten bis zum 10.01.2022 nicht möglich gewesen sei, die Berufungsbegründung als elektronisches Dokument über das besondere Anwaltspostfach (im Folgenden: beA) zu übermitteln. Er habe mit Einrichtung des beA eine Basiskarte erhalten, die nur zum Empfang von elektronischen Dokumenten berechtigt. Diese Basiskarte lasse sich grundsätzlich zur Signaturkarte aufwerten, so dass mit ihr auch Schriftstücke elektronisch versandt werden könnten. Zunächst habe seine Basiskarte nicht funktioniert, weil ihm eine Signaturkarte für Notare übersandt worden sei. Als er dann eine Basiskarte für Anwälte erhalten habe, hätten im Dezember 2021 die Gerichte moniert, dass Empfangsbekenntnisse nicht über das beA zurückgesandt worden seien. Ursache sei gewesen, dass die Notarkammer die Programmierung der Versendung von Empfangsbekenntnissen vergessen habe. Eine Erweiterung der Basiskarte um diese Funktion sei nicht möglich gewesen. Als Grund sei festgestellt worden, dass die Versendungsfunktion für Empfangsbekenntnisse vergessen worden sei. Somit habe er sich eine neue Signaturkarte kaufen müssen, was aber nur bei vorheriger Sperrung der Basiskarte möglich gewesen sei. Da dies zur Folge gehabt hätte, dass wochenlang kein Zugriff zu dem beA-Postfach bestanden hätte, habe er sich eine Mitarbeiterkarte gekauft, die er zwar vor dem 10.01.2022 erhalten habe, nicht aber die zur Nutzung erforderlichen PIN und PUK. Der Brief mit diesen Angaben sei erst am 14.01.2022 an ihn verschickt worden und am 17.01.2022 eingetroffen. Als einzige Lösung habe er daher den Einwurf in den Gerichtsbriefkasten am 09.01.2022 gesehen. Bisher hätten alle Gerichte diese Verfahrensweise akzeptiert und keine mangelnde Zustellung moniert. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat diesen Sachverhalt mit Schriftsatz vom 24.01.2022, per Briefpost eingegangen am 25.01.2022, an Eides statt versichert und Ausdrucke der E-Mails der Bundesnotarkammer vom 18.01.2022 sowie vom 30.12.2021 und des Schreibens der Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer vom 14.01.2022 vorgelegt.
7Der Beklagte betrachtet den gehaltenen Sachvortrag als glaubhaft und unterbreitet nähere Ausführungen insbesondere rechtlicher Art.
8Die Vorsitzende hat durch Verfügung vom 04.03.2022, dem Kläger per (einfachem) Empfangsbekenntnis - das jedoch bislang nicht zu den Akten zurückgekehrt ist - zugestellt, den Antrag des Klägers auf weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gemäß Schriftsatz vom 09.01.2022 zurückgewiesen, da der Antrag nicht rechtzeitig formgerecht gestellt worden sei. Der Fristverlängerungsantrag sei nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden, und die Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung sei nicht innerhalb des in § 130d S. 3 ZPO vorgesehenen Zeitraums glaubhaft gemacht worden, sondern erst durch Schriftsatz vom 24.01.2022.
9Mit Schriftsatz vom 18.03.2022, per Fax eingegangen am 20.03.2022 und per Post am 22.03.2022, hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der "Versäumung der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist" beantragt. Bis heute sei ihm eine Übermittlung von Schriftsätzen in elektronischer Form mangels funktionsfähiger Signaturkarte nicht möglich, wozu er näheren Vortrag anwaltlich bzw. an Eides Statt versichert und Kopien zur Glaubhaftmachung vorlegt. Da der 25. Zivilsenat die Existenz seines elektronischen Postfaches ignoriere und er Schriftstücke nicht hierüber erhalte, führe dies umgekehrt dazu, dass sie bedeutungslos seien. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags trägt er vor, er stelle die Entscheidung des Senats zur Überprüfung, dass der Antrag mangels fristgerechter Geltendmachung der Unmöglichkeit der elektronischen Datenübertragung unbeachtlich sei. Der Antrag auf weitere Fristverlängerung sei erstmals am 11.11.2021 gestellt und nochmals am 25.11.2021 wiederholt worden. Zu diesen Zeitpunkten habe es weder eines beA noch einer Glaubhaftmachung bedurft. Außerdem vertrete der BGH die Ansicht, dass auch nach dem 01.01.2022 keine Pflicht zur beA-Nutzung bei fristwahrenden Schriftsätzen bestehe. Scheide ein Verschulden des Anwalts aus, so sei ihm Wiedereinsetzung zu gewähren (BGH, Urteil vom 17.12.2020, III ZB 31/20; Beschluss vom 29.09.2021, VII ZB 12/21).
10B.
11I.
12Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig.
13Der Senat bezieht den Wiedereinsetzungsantrag auf den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, da der Kläger im Rahmen der Begründung seines Antrags die diesbezügliche Entscheidung der Vorsitzenden zur Nachprüfung stellt.
14Gegen die Versäumung der Antragsfrist gibt es keine Wiedereinsetzung (Heßler, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 520 Rn. 23).
15II.
16Der Antrag des Klägers auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gemäß Schriftsatz vom 09.01.2022 (und nicht gemäß Schriftsatz vom 11. bzw. 25.11.2021, dieser Antrag war Gegenstand der Verlängerungsverfügung der Vorsitzenden vom 03.12.2021) ist durch Verfügung vom 04.03.2022 wirksam zurückgewiesen worden. Daran ändert der Umstand, dass die Entscheidung dem Kläger nicht mittels elektronischem, sondern nur durch einfaches Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, nichts. Das vorliegende Verfahren wird noch in Papierform geführt, da die Verfahren des 25. Zivilsenats erst zum Stichtag 31.01.2022 auf die elektronische Aktenführung umgestellt worden sind, vgl. I. 1. B. AV zu Verfahren bei der eAkten-Verordnung in Zivil- und Familiensachen NRW. Akten, die zum Stichtag bereits in Papierform angelegt sind, werden im Ganzen in Papierform geführt, § 1 Abs. 1 S. 4 eAkten-Verordnung in Zivil- und Familiensachen NRW. Für das Gericht bestand daher keine Verpflichtung, die Zustellung der Entscheidung in elektronischer Form vorzunehmen.
17III.
18Die Berufung des Klägers ist unzulässig, da sie nicht in der gesetzlichen Form begründet ist. § 130d S. 1 ZPO, anwendbar i.V.m. § 520 Abs. 5 ZPO, schreibt ab dem 01.01.2022 die Übermittlung der Berufungsbegründung als elektronisches Dokument vor. Diese Form ist durch den per Briefpost eingegangenen Anwaltsschriftsatz vom 08.01.2022 nicht gewahrt worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Übermittlung der Berufungsbegründung per Briefpost und damit nach den allgemeinen Vorschriften zulässig gewesen wäre, weil die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war, denn der Kläger hat jedenfalls nicht bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft gemacht, dass aus technischen Gründen vorübergehend eine Übermittlung als elektronisches Dokument nicht möglich gewesen ist, § 130d S. 3 i.V.m. § 130d S. 2 ZPO.
191.
20Es erscheint bereits zweifelhaft, ob der durch eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemachte Sachverhalt die Annahme rechtfertigt, dass die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll damit der vorübergehende Ausfall der technischen Einrichtungen des Gerichts oder des Rechtsanwalts erfasst werden, wobei als Beispiel ein Serverausfall genannt wird (BT-Drs. 17/12634, S. 27, zu Nummer 4). Durch die Einschränkung „aus technischen Gründen“ und „vorübergehend“ sollte klargestellt werden, dass der professionelle Einreicher durch diese Ausnahmeregelung nicht davon entbunden wird, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen (am angegebenen Ort S. 28). Fehler der Signaturkarte hatte der Gesetzgeber also bei der Schaffung der Vorschrift nicht konkret vor Augen; die Signaturkarte dürfte auch nicht zu den technischen Einrichtungen des Rechtsanwalts im engeren Sinn zählen. Abgesehen davon verfügte der Prozessbevollmächtigte des Klägers bis zur Einreichung der Berufungsbegründung noch zu keinem Zeitpunkt über eine für die aktive Benutzung des beA funktionstüchtige Signaturkarte, sodass auch das für erforderlich erachtete Vorhalten der notwendigen technischen Ausstattung für die Nutzung des beA fraglich ist und deshalb auch die Qualifikation der Einschränkung als „vorübergehend“ Bedenken begegnet.
212.
22Einer abschließenden Entscheidung hierzu bedarf es nicht. Die Glaubhaftmachung des zugrunde liegenden Sachverhalts ist möglicherweise ebenfalls nicht durch eine prozessual wirksame Erklärung erfolgt; jedenfalls ist diese Erklärung nicht innerhalb des von § 130d S. 3 ZPO gezogenen Zeitrahmens bei Gericht eingegangen.
23a)
24§ 130d S. 1 ZPO sieht die aktive Nutzungspflicht des Rechtsanwalts für alle vorbereitenden Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen vor. Sie gilt damit für sämtliche Erklärungen in den Verfahren nach der Zivilprozessordnung, die der Schriftform bedürfen oder in schriftlicher Form abgegeben werden können (von Selle, in: BeckOK-ZPO, 43. Ed., Stand: 01.01.2022, § 130d Rn. 3). Hierunter lässt sich auch eine eidesstattliche Versicherung eines Anwalts zwecks Glaubhaftmachung subsumieren. Der Schriftsatz vom 24.01.2022 mit der eidesstattlichen Versicherung ist aber erneut per Briefpost übermittelt worden und nicht als elektronisches Dokument, ohne dass insoweit zugleich eine vorübergehende technische Unmöglichkeit dargelegt worden ist.
25b)
26Unabhängig davon ist die Glaubhaftmachung erst durch Schriftsatz vom 24.01.2022, eingegangen am 25.01.2022, erfolgt und damit nicht mehr im vom Gesetz geforderten zeitlichen Zusammenhang mit der Übermittlung der Berufungsbegründung.
27aa)
28Zur Vermeidung von Missbrauch hat der Gesetzgeber es für erforderlich gehalten, die eine Übermittlung als elektronisches Dokument hindernden vorübergehenden technischen Gründe bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (BT-Drs. 17/12634, S. 27, zu Nummer 4).
29Eine Glaubhaftmachung zeitgleich mit der Ersatzeinreichung ist nicht erfolgt, aber auch die Glaubhaftmachung im Schriftsatz vom 24.01.2022 war nicht mehr rechtzeitig, da sie nicht als unverzüglich anzusehen ist.
30bb)
31Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB).
32Im Rahmen der vorzunehmenden Bewertung des anwaltlichen Verhaltens ist nach der Fassung des § 130d S. 3 ZPO im Grundsatz davon auszugehen, dass der Anwalt mit der Glaubhaftmachung – anders als für die Nachreichung des elektronischen Dokuments – nicht erst bis zu einer Aufforderung des Gerichts abwarten darf; die Glaubhaftmachung hat vielmehr unaufgefordert zu erfolgen (von Selle, in: BeckOK-ZPO § 130d Rn. 5). Auch mit Rücksicht auf das erst kürzlich erfolgte Inkrafttreten der Regelung des § 130d ZPO für Verfahren nach der ZPO zum 01.01.2022 gelten keine milderen Anforderungen. Der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege muss ohne Aufforderung oder Hinweis des Gerichts die Rechtslage kennen und sein Verhalten daran ausrichten, weshalb die Rechtslage im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur aktiven Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs als bekannt vorauszusetzen ist und in diesem Zusammenhang auch die bestehende Ausnahmeregelung und deren Anforderungen (vgl. auch LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.10.2021, 6 Sa 337/20, juris Rn. 134).
33Soweit es die zeitliche Komponente betrifft, ergibt sich unmittelbar aus der Gesetzesbegründung, dass dem Gesetzgeber an einer beschleunigten Glaubhaftmachung gelegen war.
34Konkret heißt es hierzu:
35Die Glaubhaftmachung soll möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen. Jedoch sind Situationen denkbar, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. In diesem Fall ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen.
36(BT-Drs. 17/12634, S. 28)
37Danach hat die Glaubhaftmachung grundsätzlich zeitgleich mit der Ersatzeinreichung stattzufinden. Eine Ausnahme gilt lediglich, wenn dies aus Gründen eines unmittelbar drohenden Fristablaufs nicht möglich ist. Diese eng gedachte Ausnahmeregelung legt nahe, dass auch an die Annahme der Unverzüglichkeit in zeitlicher Hinsicht strenge Anforderungen zu stellen sind. Vor diesem Hintergrund bewertet der Senat eine erst am 25.01.2022 bei Gericht eingegangene Glaubhaftmachung zu einer laut Gerichtsstempel am 08.01.2022 und damit über zwei Wochen vorher eingegangenen Berufungsbegründung nicht mehr als rechtzeitig; auch unter Zugrundelegung des vom Kläger behaupteten Einwurfdatums 09.01.2022 ergäbe sich keine andere Beurteilung.
383.
39Eine Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist ist nach dem Verständnis des Senats nicht beantragt worden. Die Voraussetzungen liegen auch nicht vor, da die versäumte Prozesshandlung in Gestalt der Einreichung einer prozessual wirksamen Berufungsbegründung bislang nicht nachgeholt worden ist. Im Übrigen wäre die Frist auch nicht ohne Verschulden versäumt worden, da der Kläger sich die für seinen Prozessbevollmächtigten vorauszusetzende Kenntnis der Regelung in § 130d S. 2 und 3 ZPO zurechnen lassen muss. Aus den vom Kläger zitierten Entscheidungen des BGH ergibt sich nichts anders. Diese betreffen Wiedereinsetzungsanträge im Zusammenhang mit defekten gerichtlichen Faxgeräten und gehen ausdrücklich von einer lediglich passiven beA-Nutzungspflicht aus.
40III.
41Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
42Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Berufungsentscheidung bedarf es nicht, weil die Vollstreckbarkeit sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.