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zur Wirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen betreffend die Verpflichtung zur Vorlage sog. Mindestlohnbescheinigungen
Die Beklagte wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gegen das am 05.01.2021 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Essen durch Beschluss gemäß § 522 II 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Beklagte erhält Gelegenheit, binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Hinweises Stellung zu nehmen und mitzuteilen, ob die Berufung weiter aufrechterhalten oder aus Kostengründen zurückgenommen wird.
Gründe:
2I.
3Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung restlichen Werklohns in Anspruch. Die Beklagte hält sich für nicht zahlungspflichtig. Sie verweist darauf, dass die Klägerin ihr entgegen der Regelung in Ziffer 12.1.2 der Besonderen Vertragsbedingungen (BVB) dort im Einzelnen benannte Unterlagen nicht vorgelegt hat. Die Parteien sind unterschiedlicher Auffassung darüber, ob die einschlägigen Regelungen in den Besonderen Vertragsbedingungen der Beklagten, bei denen es sich unstreitig um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, wirksam sind. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien und der genauen Fassung der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das landgerichtliche Urteil verwiesen.
4Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 63.054,36 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten zu zahlen. Die auf Erstattung von Inkassokosten gerichtete weitergehende Klage hat es abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, die geltend gemachte Hauptforderung stehe der Klägerin aus § 631 I BGB i.V.m. § 16 VOB/B zu. Der Anspruch sei fällig. Die Klägerin habe eine prüffähige Schlussrechnung erteilt und die Beklagte habe das Werk abgenommen. Ziffer 12.3.5 BVB hindere die Fälligkeit nicht. Die Fälligkeitsregelung in Ziffer 12.1.2 BVB sei unwirksam, jedenfalls könne die Beklagte sich nicht auf sie berufen. Ziffer 12.1.2 BVB sei nach § 307 I 1 BGB unwirksam, weil sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Der Auftragnehmer habe keine Möglichkeit, seine Hauptleistungsforderung durchzusetzen. Überdies werde bereits bei einer fehlenden Bescheinigung der Anspruch insgesamt nicht fällig. Zudem sei die Klausel intransparent, weil auch ein geschäftserfahrener Auftragnehmer nicht erkennen könne, welche Unterlagen genau wann vorzulegen und aktuell zu halten seien. Es würden nur Unterlagen „nach den gesetzlichen Bestimmungen“ in Bezug genommen. Als unangemessene Benachteiligung stelle sich auch dar, dass neben die Fälligkeitsregelung und ein Zurückbehaltungsrecht noch ein Anspruch auf eine Vertragsstrafe trete. Überdies sei die Klägerin zur Beibringung einer Bürgschaft verpflichtet, was ebenfalls für eine „Übersicherung“ der Beklagten spreche. Jedenfalls aber könne sich die Beklagte gem. § 242 BGB nicht auf die Klausel berufen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Beklagten drohe, auf Zahlung nicht abgeführter Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Anspruch genommen zu werden. Eine solche Haftung der Beklagten sei hier gem. § 28e IIIa SGB IV ausgeschlossen. Ein Fall der Arbeitnehmer-Entsendung sei nicht vorgetragen; die Klägerin habe die Namen ihrer eingesetzten Mitarbeiter mitgeteilt. Es sei auch nicht erkennbar, dass die Klägerin gegen die Vorgaben des MiLoG verstoßen habe oder ein Fall der Arbeitnehmerüberlassung vorliege. Weil es schon an einem schutzwürdigen Interesse der Beklagten fehle, könne dahinstehen, ob datenschutzrechtliche Vorgaben die Klägerin an einer Weitergabe der Daten hinderten. Der Beklagten stehe damit aus der unwirksamen Klausel auch kein Zurückbehaltungsrecht aus Ziffer 12.3.6 BVB zu.
5Mit der dagegen gerichteten Berufung rügt die Beklagte, die klägerseits geltend gemachte Forderung sei entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht fällig. Die Besonderen Vertragsbedingungen seien wirksam. In Ziffer 12.1.2 BVB seien die beizubringenden Unterlagen im Detail genannt, so dass fehlende Transparenz der Bestimmung nicht angenommen werden könne. Es liege auch keine ungemessene Benachteiligung vor. Es sei ausdrücklich Wille des Gesetzgebers gewesen, den Generalunternehmer zur Kontrolle der Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten und der Verpflichtung zur Zahlung des Tarif- bzw. Mindestlohns heranzuziehen. Die vom Gesetzgeber gewollte Selbstregulierung der Wirtschaft einerseits und die Vermeidung einer Haftung des Generalunternehmers andererseits erforderten hierauf bezogene Vereinbarungen zwischen dem Generalunternehmer und seinen Nachunternehmern. Die Vereinbarungen blieben wirkungslos, wenn an ihre Nichtbefolgung keine Sanktionen geknüpft würden. Die Vereinbarung eines die Fälligkeit des Werklohnanspruchs aufschiebenden Leistungsverweigerungsrechts wegen der Nichterfüllung der Nachweisverpflichtungen sei – so die Beklagte mit näheren Ausführungen – die einzige effektiv in Betracht kommende und zwingend in AGB zu vereinbarende Maßnahme, die den Generalunternehmer in die Lage versetze, die ihm kraft Gesetzes auferlegten Kontrollpflichten gegenüber Nachunternehmern zu erfüllen. Mit den Notwendigkeiten dieser Gesetzgebung und den berechtigten Interessen des Generalunternehmers habe sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Dabei habe es der Nachunternehmer in der Hand, durch Beibringung der erforderlichen Nachweise, die ja nicht mehr belegen müssten als die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen, die Fälligkeit des Werklohnanspruchs jederzeit herbeizuführen. Es liege, so die Beklagte mit näheren Ausführungen, entgegen der Ansicht des Landgerichts auch kein Fall der Übersicherung vor. Die weitere Erwägung des Landgerichts, der Beklagten sei die Berufung auf ihre Vertragsklausel nach Treu und Glauben verwehrt, überzeuge nicht im Ansatz. Eine Inanspruchnahme der Beklagten wegen nicht abgeführter Gesamtsozialversicherungsbeiträge drohe bis zum Ende der Verjährung solcher Ansprüche. Das Landgericht habe auch nicht festgestellt, dass eine Inanspruchnahme nach § 14 AEntG oder nach dem Mindestlohngesetz nicht mehr in Betracht komme. Gehe man nicht schon von fehlender Fälligkeit der Forderung aus, bestehe jedenfalls ein gesetzliches Leistungsverweigerungsrecht, hilfsweise ein Zurückbehaltungsrecht. Auch insofern könne eine unangemessene Benachteiligung nicht angenommen werden, denn der Nachunternehmer müsse nicht mehr tun, als die Erfüllung seiner ohnehin bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen nachzuweisen.
6Die Beklagte beantragt,
78das Urteil das Landgerichts Essen vom 05.01.2020 abzuändern und die Klage als zurzeit unbegründet abzuweisen.
Hilfsweise beantragt die Beklagte,
910das Urteil das Landgerichts Essen vom 05.01.2020 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 63.054,36 € zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe einer vollständigen Aufstellung der bei dem streitgegenständlichen Bauvorhaben eingesetzten Mitarbeiter und ihrer jeweiligen Einsatzzeiten sowie Übergabe der Mindestlohnbescheinigungen dieser Mitarbeiter für deren jeweilige Einsatzzeiträume bei dem streitgegenständlichen Bauvorhaben.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten wird auf die Berufungsbegründung vom 12.04.2021 samt Anlagen Bezug genommen.
11II.
12Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, § 522 II 1 Nr. 1 ZPO, und dass auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 II 1 Nr. 2 bis 4 ZPO gegeben sind. Gemäß § 513 I ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung i.S.v. § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Gemessen daran haben die gegen das erstinstanzliche Urteil gerichteten Angriffe der Berufung keinen Erfolg.
131.
14Die Berufung ist mit dem Hauptantrag unbegründet. Eine Klausel in einem vom Auftraggeber vorformulierten Bauvertrag, wonach – wie hier gem. Ziffer 12.3.5 BVB – die Vorlage von (Unbedenklichkeits-)Bescheinigungen Voraussetzung für die Fälligkeit der Vergütung ist, benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen und ist gem. § 307 I, II Nr. 1 BGB unwirksam (OLG Jena, Urteil vom 09.01.2020 – 8 U 176/19 –, IBRRS 2020, 3742 m.w.N.). Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – schon das Fehlen einer einzigen Bescheinigung dazu führt, dass die Forderung insgesamt nicht fällig wird. Der Senat teilt insofern die den Parteien bekannte Auffassung des OLG Köln (NZBau 2020, 434).
152.
16Mit dem Hilfsantrag dringt die Berufung ebenfalls nicht durch.
17a.
18Die Forderung der Beklagten nach einer vollständigen Aufstellung der bei dem streitgegenständlichen Vorhaben eingesetzten Mitarbeiter ist unbegründet. Sollte der Beklagten ein solcher Anspruch überhaupt zugestanden haben, wäre er gem. § 362 I BGB dadurch erloschen, dass die Klägerin bereits in ihrem Schriftsatz vom 06.08.2020 die Namen ihrer auf der streitgegenständlichen Baustelle tätig gewesenen Montagekräfte aufgelistet hat. Dafür, dass diese Auflistung unrichtig oder unvollständig wäre, bringt die Beklagte nichts vor und ist auch sonst nichts ersichtlich.
19b.
20Die Forderung der Beklagten nach einer Aufstellung der jeweiligen Einsatzzeiten der eingesetzten Mitarbeiter ist unbegründet. Das Interesse der Beklagten an der Vorlage einer solchen Aufstellung ist gesetzlich nicht verankert (OLG Köln, a.a.O., Rn. 22), so dass sich der Anspruch nur aus den Vereinbarungen der Parteien ergeben kann, hier also den Regelungen der BVB. Die BVB enthalten aber keine Bestimmung, die die Vorlage einer Aufstellung der jeweiligen Einsatzzeiten der eingesetzten Mitarbeiter vorsieht.
21c.
22Die Beklagte hat schließlich auch keinen Anspruch darauf, dass die Klägerin ihr Mindestlohnbescheinigungen der eingesetzten Mitarbeiter für deren Einsatzzeiträume bei dem streitgegenständlichen Bauvorhaben übergibt. Zwar enthält Ziffer 12.1.2 BVB eine dahingehende Regelung, diese ist aber jedenfalls in ihrer konkreten Ausgestaltung gem. § 307 I 1 BGB unwirksam, weil sie die Klägerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
23Es erscheint schon zweifelhaft, ob ein Generalunternehmer aufgrund einer Regelung in AGB überhaupt wirksam Mindestlohnbescheinigungen beanspruchen kann, die – wie hier – explizit von den einzelnen Arbeitnehmern des Nachunternehmers ausgestellt sein müssen. Dagegen könnte u.a. sprechen, dass gerade Beschäftigte im Niedriglohnsektor möglicherweise nicht ohne Weiteres in der Lage sind z.B. anhand ihnen erteilter Verdienstabrechnungen sicher zu beurteilen, inwieweit sie den ihnen zustehenden Mindestlohn tatsächlich erhalten haben. Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass die Erteilung einer auch nur versehentlich unrichtigen Bestätigung für den Arbeitnehmer nachteilige rechtliche Folgen haben kann, wenn er den Generalunternehmer gem. § 13 MiLoG i.V.m. § 14 AEntG in Anspruch nehmen will. Zudem müsste jedenfalls bei größeren Bauvorhaben, bei denen zahlreiche Arbeitnehmer tätig werden, eine große Anzahl von Bescheinigungen beigebracht werden, was die praktische Umsetzung für den Nachunternehmer erschweren kann. Möglicherweise müsste daher dem Nachunternehmer jedenfalls auch die Option eröffnet werden, die Zahlung des Mindestlohns statt durch Bescheinigungen seiner einzelnen Arbeitnehmer z.B. durch eine Bescheinigung eines Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters nachzuweisen. Diese Möglichkeit sehen die streitgegenständlichen BVB nicht vor.
24Die aufgeworfenen Fragen können aber offenbleiben, denn nach den hier in Rede stehenden BVB werden nicht nur Bescheinigungen der einzelnen Arbeitnehmer des Nachunternehmers gefordert, sondern diese Bescheinigungen müssen überdies „gemäß Anlage 4“ erteilt werden, also dem beklagtenseits ebenfalls einseitig vorgegebenen Text zur „Arbeitnehmer-Bestätigung über Entlohnung“ entsprechen. Die danach geforderten Erklärungen können jedenfalls formularmäßig nicht beansprucht werden, denn sie gehen über eine Bestätigung der Entlohnung weit hinaus. In der Bestätigung heißt es nämlich auch: „Ich verpflichte mich ausdrücklich, die Firma / Arbeitsgemeinschaft unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen, falls der mir zustehende Nettolohn (nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben) nicht bis zum 15. des Folgemonats vollständig am mich ausbezahlt wird. … Bei einem schuldhaften Verstoß gegen die Pflicht zur Inkenntnissetzung der Firma / Arbeitsgemeinschaft über die Unterschreitung des Mindestlohns mache ich mich dieser gegenüber schadensersatzpflichtig.“ Das Gesetz kennt aber keine Verpflichtung des Arbeitnehmers eines Nachunternehmers, den Generalunternehmer von der Nichtzahlung des Mindestlohns in Kenntnis zu setzen. An einer dahingehenden vertraglichen Verpflichtung samt daraus resultierender Haftung, so sie überhaupt wirksam begründet werden könnte, was zweifelhaft erscheint, hat der Arbeitnehmer ersichtlich kein Interesse. Erst recht ist nicht erkennbar, dass die Beklagte auf die Begründung einer solchen Verpflichtung einen Anspruch hätte oder die Klägerin gegenüber ihren Arbeitnehmern einen Anspruch darauf, dass diese die von der Beklagten geforderten Verpflichtungen eingehen.
25Die Klägerin wird danach durch die in den BVB enthaltene konkrete Regelung entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Die Beklagte hat für die „Arbeitnehmer-Bestätigung über Entlohnung“ einen bestimmten Wortlaut fest vorgegeben. Das Verbot der Rückführung unwirksamer Klauseln auf einen zulässigen Inhalt gilt auch im kaufmännischen Verkehr (BGH, NJW-RR 2004, 1498).
26Auf diesen Hinweis ist die Berufung zurückgenommen worden.