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Wenn ein Schadensersatzanspruch des Haftpflichtversicherungsnehmers gegen den Versicherer in Rede steht (und nicht ein vertraglicher Anspruch auf Versicherungsleistung), gelten nicht die Grundsätze über die – dem Geschädigten in Ausnahmefällen zustehende – vorweggenommene Deckungsklage. Der Geschädigte kann einen solchen Schadensersatzanspruch, wenn nicht eine Abtretung oder ein sonstiger Anspruchsübergang erfolgt ist, nicht gegen den Haftpflichtversicherer geltend machen.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen
G r ü n d e:
2I.
3Der Eigentümer eines Grundstücks (im Folgenden: Geschädigter) errichtete einen Stall, für den er bei der Klägerin eine Gebäudeversicherung nahm. Mit Arbeiten an der Lüftungsanlage des Stalls beauftragte er ein Elektrounternehmen, durch dessen Arbeiten nach der Behauptung der Klägerin ein Schaden entstand. Das Elektrounternehmen (im Folgenden: Schädiger), über dessen Vermögen zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet ist, unterhielt eine Betriebshaftpflichtversicherung bei dem Beklagten. Der Geschädigte und die Klägerin meldeten ihre (vermeintlichen) Ansprüche im Insolvenzverfahren an. Der Insolvenzverwalter des Schädigers gab etwaige Ansprüche aus dem Haftpflichtverhältnis frei.
4Der Beklagte hat außergerichtlich erklärt, dass aus dem Haftpflichtverhältnis Deckungsschutz bis zu einer Summe von 1.000.000,00 € bestehe; in erster Instanz hat sie auszugsweise die Kopie eines entsprechenden Versicherungsscheins vorgelegt.
5Die Klägerin hat die Feststellung begehrt, dass der Beklagte über einen Betrag von 1.000.000,00 € hinaus bis zu einem Betrag von 2.061.948,63 € aus dem Versicherungsvertrag mit dem Schädiger Versicherungsschutz zu gewähren habe. Hierzu hat sie behauptet, dass der Versicherungsvertrag eine höhere als die von dem Beklagten angegebene Versicherungssumme beinhalte. Sollte eine Obergrenze von 1.000.000,00 € vereinbart sein, ergäben sich höhere Ansprüche wegen einer fehlerhaften Beratung, weil der Beklagte den Schädiger nicht über die zu geringe Deckungssumme beraten habe.
6Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Nach den vorgelegten Unterlagen sei die Deckung auf Schäden von 1.000,000,00 € begrenzt. Schadenersatzansprüche des Geschädigten gegen den Beklagten, die die Klägerin möglicherweise geltend machen könne, bestünden mangels Beratungsanlasses und mangels Beratungsverschuldens nicht.
7Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie macht geltend, dass sie weiterhin davon ausgehe, dass sich aus dem Versicherungsvertrag eine Deckungsgrenze von mehr als 1.000.000,00 € ergebe. Hierzu beantragt sie, dem Beklagten aufzugeben, den Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages, den Versicherungsschein, die Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die ggf. vereinbarten Besonderen Versicherungsbedingungen sowie das Beratungsprotokoll über den Abschluss des Versicherungsvertrages vorzulegen. Sollte eine Deckungsgrenze von 1.000.000,00 € vereinbart sein, stehe dem Geschädigten wegen Beratungsverschuldens ein über diesen Betrag hinausgehender Deckungsanspruch zu.
8II.
9Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.
101.
11Die auf Feststellung gerichtete Klage, dass der Beklagte dem Geschädigten auch über den Betrag von 1.000,000,00 € hinaus bis zu einem Betrag von 2.061.948,63 € aus dem Versicherungsvertrag Versicherungsschutz zu gewähren hat, hat keinen Erfolg.
12a)
13Es kann dahinstehen, ob die insoweit von der Klägerin erhobene Feststellungsklage als vorweggenommene Deckungsklage zulässig ist.
14Außerhalb der Bereiche, in denen eine gesetzliche Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung besteht und in denen unter bestimmten Voraussetzungen ein Geschädigter gemäß § 115 VVG einen Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers haben kann, stehen Ansprüche aus dem Deckungsverhältnis gegen den Versicherer nur dem Schädiger (und Haftpflicht-Versicherungsnehmer) zu. Das Deckungsverhältnis zwischen Versicherer und Schädiger und das Haftpflichtverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger sind streng voneinander zu trennen (vgl. zum Trennungsprinzip Langheid/Rixecker-Langheid, VVG, 7. Auflage 2022, § 100 Rn. 32 m.w.N.). Der Geschädigte kann daher außerhalb des Anwendungsbereichs des § 115 VVG gegen den Haftpflichtversicherer im Regelfall nur vorgehen, wenn er aufgrund eines Titels gegen den Schädiger dessen Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer gepfändet und sich zur Einziehung hat überweisen lassen (vgl. Bruck/Möller-Beckmann, VVG, 10. Auflage 2022, § 115 Rn. 19). Als Ausnahme hiervon bejaht die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung die Zulässigkeit einer vorweggenommenen Deckungsklage des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer aufgrund der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung dann, wenn die Gefahr besteht, dass dem Geschädigten der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt wegen Untätigkeit des Versicherungsnehmers verloren geht (BGH, Urteil vom 15.11.2000, IV ZR 223/99, Rn. 10; Urteil vom 05.04.2017, IV ZR 360/15, BGHZ 214, 314 ff., Rn. 24 ff.), oder wenn der Versicherer auf Anfrage des Geschädigten, ob Versicherungsschutz bestehe, keine oder keine eindeutige Antwort gibt oder die Auskunft verweigert (BGH, Beschluss vom 22.07.2009, IV ZR 265/06, Rn. 2).
15Ausgehend von diesen Grundsätzen mag im Streitfall für den Geschädigten die Möglichkeit bestehen, die Beklagte auf Feststellung der Pflicht zur Gewährung von Versicherungsschutz in Anspruch zu nehmen, weil weder der Insolvenzverwalter des Geschädigten noch dieser selbst Ansprüche aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag geltend macht. Damit drohten Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag – wenn die Verjährung nicht schon im Jahre 2017 zu laufen begann und die Verjährung damit im Streitfall bei Klageerhebung bereits eingetreten war – alsbald zu verjähren und damit als Befriedigungsobjekt verloren zu gehen. Ob es so ist und dann der Anspruch auf die Klägerin übergegangen ist, bedarf aber keiner Entscheidung.
16Die Feststellungsklage ist nämlich jedenfalls unbegründet.
17b)
18Denn aus dem Versicherungsvertrag haftet der Beklagte nur bis zu der vertraglich vereinbarten Deckungssumme von 1.000.000,00 €, so dass die ausdrücklich auf die darüber hinausgehende Feststellung der Einstandspflicht des Beklagten jedenfalls unbegründet ist.
19Das Landgericht hat festgestellt, dass der Haftpflichtversicherungsvertrag zwischen dem Beklagten und dem Schädiger für Personen- und Sachschäden eine Deckungsgrenze von 1.000.000,00 € vorsieht. Diese Feststellung greift die Klägerin mit der Berufungsbegründung nicht hinreichend an.
20Nach § 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO muss der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seine Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Solche konkreten Anhaltspunkte für eine höhere Deckungsgrenze zeigt die Klägerin mit ihrer Berufungsbegründung nicht auf.
21Es ist einer Partei grundsätzlich zwar nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Sie darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen insbesondere dann als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von entscheidungserheblichen Einzeltatsachen hat. Eine Behauptung ist aber dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist (BGH, Beschluss vom 11.01.2022, VIII ZR 33/20, VersR 2022, 1050 ff., Rn. 18).
22Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Klägerin zu einer über den Betrag von 1.000.000,00 € hinausgehenden Deckung nicht. Sie führt lediglich aus, dass sich aus dem Vertrag zwischen dem Beklagten und dem Schädiger eine Deckungssumme auch jenseits des Betrages von 1.000.000,00 € ergebe und dies durch die von der Klägerin beantragte Vorlage der vollständigen Vertragsunterlagen belegt werde. Diese Behauptung widerspricht dem qualifizierten Vortrag des Beklagten, der als Beleg für die Haftungsgrenze von 1.000.000,00 € den entsprechenden Auszug des für den Schadenszeitpunkt geltenden Nachtrags zum Versicherungsschein vorgelegt hat, der genau diese Deckungssumme ausweist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, worauf die Klägerin die Annahme einer höheren Deckungssumme stützt, teilt sie in ihrer Berufungsbegründung nicht mit.
23Deshalb ist auch auf die als Berufungsantrag formulierten Beweisanträge der Klägerin nicht die Vorlage der im Antrag zu 2) aus dem Schriftsatz vom 05.08.2022 bezeichneten Urkunden anzuordnen. Der Antrag der Klägerin, dem Beklagten nach § 421 ZPO aufzugeben, die näher bezeichneten Urkunden vorzulegen, stellt einen Beweisantritt dar. Der Antritt eines Beweises ersetzt aber nicht den Vortrag der beweisbedürftigen Tatsachen.
24Dies gilt ganz unabhängig davon, dass es erstaunlich erscheint, dass ein Versicherer – soweit vorgetragen oder sonst ersichtlich, ohne konkrete Anhaltpunkte – einem anderen Versicherer vorwirft, falsche Angaben zur Versicherungssumme zu machen.
252.
26Die Berufung ist auch unter dem Gesichtspunkt einer von der Klägerin geltend gemachten Verletzung der Beratungspflichten des Beklagten offensichtlich unbegründet.
27Aus den bereits oben (II. 1. a) dargelegten Gründen ist die vorweggenommene Deckungsklage des Geschädigten als Ausnahmefall des Prinzips der Trennung von Deckungs- und Haftpflichtverhältnis auf eng begrenzte Fallkonstellationen beschränkt. Insbesondere soll wegen der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung der Geschädigte vor der Gefahr geschützt werden, den werthaltigen Deckungsanspruch des Schädigers gegen seinen Haftpflichtversicherer als Zugriffsobjekt im Rahmen einer (späteren) Zwangsvollstreckung zu verlieren. Er soll als Geschädigter nicht mit seinem Schadensersatzanspruch gegen den wirtschaftlich oft nicht ausreichend leistungsfähigen Schädiger ausfallen, weil dieser seinen Anspruch aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag nicht geltend macht. Um diesen vertraglichen Deckungsanspruch des Schädigers, für den eine Sozialbindung anerkannt ist, geht es aber nicht, wenn der Geschädigte (oder an seiner Stelle der den Regress betreibende Gebäudeversicherer) meint, der Haftpflichtversicherer schulde dem Schädiger Schadenersatz über die vereinbarte Haftungshöchstgrenze hinaus. Denn ein möglicher Schadensersatzanspruch des Geschädigten, den hier die Klägerin inzident festgestellt wissen will, hängt nicht allein von den vertraglichen Abreden der Parteien des Versicherungsverhältnisses ab. Entscheidend für einen Schadensersatzanspruch sind vielmehr die individuellen Bedürfnisse des Versicherungsnehmers, in dessen Vertragsverhältnis eine Schadensersatzpflicht bestehen soll. Gerade die von der Klägerin angeführten Aspekte, aus denen sich eine (vermeintlich verletzte) Pflicht zur Beratung über eine (wiederum vermeintlich) unzureichende Deckungssumme ergeben soll, machen deutlich, dass der mögliche Schadensersatzanspruch dem individuellen Interesse des Versicherungsnehmers dient. Es handelt sich um einen Anspruch wie jeder andere, der nicht von einem Dritten, sondern nur von dem Anspruchsinhaber geltend gemacht werden kann. Damit ist eine Übertragung der Grundsätze der vorweggenommenen Deckungsklage des Geschädigten aufgrund der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung auf Schadensersatzansprüche wegen einer möglichen Beratungspflichtverletzung nicht angezeigt.
28Hinzukommt, dass das Bestehen bedingungsgemäßen Versicherungsschutzes vergleichsweise einfach anhand des Vertrages festgestellt werden kann. Ist in einer solchen Situation der Versicherungsnehmer, also der Schädiger, untätig oder erklärt sich der Haftpflichtversicherer zum Bestehen von Versicherungsschutz nicht eindeutig, ist aus den genannten Gründen eine Durchbrechung des Trennungsprinzips anerkannt. Anders stellt sich die Situation bei vermeintlichen Schadensansprüchen dar, die der Geschädigte oder an seiner Stelle der regressierende Gebäudeversicherer geltend macht. Wegen der Besonderheiten in der Person des Versicherungsnehmers, die über das Bestehen und den Umfang von Ansprüchen aus § 6 Abs. 5 VVG entscheiden, sind derartige Ansprüche regelmäßig schon in tatsächlicher Hinsicht schwieriger zu beurteilen. Auch wird die vermeintliche Untätigkeit des Versicherungsnehmers, die eine vorweggenommene Deckungsklage rechtfertigt, unter Umständen dadurch zu erklären sein, dass er aus gutem, ihm bekannten Grund keine (weitergehenden) Schadensersatzansprüche gegen seinen Haftpflichtversicherer geltend macht. So mag sich der Versicherungsnehmer nicht für beratungsbedürftig halten. Oder aber der Versicherer hat ihn beraten und der Versicherungsnehmer ist dem Rat nicht gefolgt. In einer solchen Situation ist es dem Versicherer nicht zumutbar, auf Betreiben eines Dritten vertragliche Ansprüche feststellen zu lassen.
29II.
30Auf die Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222 GKG) wird hingewiesen.
31Auf diesen Beschluss hin wurde die Berufung zurückgenommen.